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  • · Fachbeitrag · Testamentserrichtung

    Berliner Testament: Besteuerungsfolgen der „Jastrowschen Klausel“ in der Praxis

    von Prof. Dr. Gerhard Brüggemann, Münster

    | Die Jastrowsche Klausel ist nach wie vor ein beliebtes Gestaltungsinstrument in Testamenten. Sie dient dem Zweck, die Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche der Kinder nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils zu verhindern, indem sich die Ehegatten gemäß § 2269 BGB gegenseitig als Alleinerben einsetzen (Berliner Testament) und diejenigen Kinder, die beim Tod des Erstversterbenden ihren Pflichtteil nicht fordern, mit einem Vermächtnis zu belohnen, das aber erst mit dem Tode des längerlebenden Ehegatten zu erfüllen ist. Dabei muss allerdings immer im Blick bleiben, dass für den durch die Jastrowsche Klausel zivilrechtlich gewünschten Schutz des überlebenden Ehegatten ein gewisser erbschaftsteuerlicher Preis zu zahlen ist, wie ein aktueller Fall vor dem BFH eindrucksvoll verdeutlicht. |

    1. Musterfall (nach BFH II R 34/20)

    Der Musterfall geht auf die erbschaftsteuerlichen Folgen beim Tode des erst- und zweitversterbenden Elternteils ein, wenn Kinder nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils letztlich doch Pflichtteilsansprüche geltend machen und damit die Jastrowsche Klausel zur Anwendung bringen. Er basiert auf einer Entscheidung des BFH (11.10.23, II R 34/20, Abruf-Nr. 239990), mit der dieser seine jüngere Rechtsprechung zu aufschiebend bedingten und betagten Ansprüchen konsequent fortführt und dabei zu überzeugenden Ergebnissen gelangt.

     

    Die Eltern setzten sich in einem sog. Berliner Testament gegenseitig zu Alleinerben ein. Der überlebende Ehegatte sollte abgesichert sein und über den Nachlass und sein eigenes Vermögen frei verfügen können. Erben des überlebenden Ehegatten (sogenannte Schlusserben) sollten vier gemeinsame Kinder (A, B, C und D) werden. Zwei weitere gemeinsame Kinder (E und F) wurden im Testament enterbt. Zudem enthielt das Testament folgende Regelung für den Fall, dass ein Kind beim Tod des Erstversterbenden seinen Pflichtteil einfordert:

     

    • Klausel im Testament

    „Für den Fall, dass eines der Kinder auf den Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangt, soll dieses Kind auch vom Nachlass des überlebenden Ehegatten nur den Pflichtteil erhalten. Die zu Erben des Überlebenden berufenen Geschwister, die den Pflichtteil bei Tod des Erstversterbenden nicht verlangt haben, sollen in diesem Fall aus dem Nachlass des Erstversterbenden ein Vermächtnis erhalten. Das Vermächtnis soll der Höhe nach dem Erbanteil bei gesetzlicher Erbfolge nach dem Tode des Erstversterbenden entsprechen und gegen Übernahme der Pflichtteilslast für die den Pflichtteil fordernden Geschwister erfolgen. Die Vermächtnisse fallen beim Tod des Erstversterbenden an, sollen aber erst beim Tod des Letztversterbenden ausgezahlt werden.“

     

    Nach dem Tod des Vaters machten die enterbten Kinder E und F gegenüber der Mutter Pflichtteilsansprüche nach dem Vater geltend. Nach dem Tod der Schlusserbin C, die keine Abkömmlinge hinterließ, errichtete die Mutter ein Testament, mit dem sie A, B und D als Erben einsetzte und E und F weiterhin von der Erbschaft ausschloss.

     

    Nachdem auch die Mutter Jahre später verstarb, wollten die erbenden Kinder A, B und D die aufgrund der Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche zu ihren Gunsten mit dem Tod des Vaters entstandenen Vermächtnisse als Verbindlichkeiten vom Nachlass der Mutter abziehen und als Erwerb vom Vater nach Abzug des Freibetrags i. H. v. jeweils 400.000 EUR versteuern.

     

    Die Höhe der Vermächtnisansprüche beträgt unstreitig insgesamt 3.329.593 EUR, also für die drei Erben jeweils 1.109.864,33 EUR (= 1/3 von 3.329.593 EUR). Das FA lehnt einen Abzug als Nachlassverbindlichkeit ab und sperrt sich auch gegen die zusätzliche Gewährung eines Freibetrags.

    2. Erbschaftsteuerliche Folgen beim Tod des Erstversterbenden

    Die Kinder E und F, die den Pflichtteil nach dem Vater geltend machen, müssen den geltend gemachten Pflichtteilsanspruch als Geldanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG versteuern, und die erbende Mutter kann ihn als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG in gleicher Höhe abziehen. Die Erbschaftsteuer für den Pflichtteilsanspruch entsteht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG mit der Geltendmachung des Pflichtteils.

     

    Setzen Ehegatten sich gegenseitig als Alleinerben ein und gewähren den Kindern (hier: A, B und D), die beim Tod des Erstversterbenden ihren Pflichtteil nicht fordern, aufgrund der von E und F geltend gemachten Pflichtteilsansprüche ein Vermächtnis, kann der überlebende Ehegatte als Erbe des erstversterbenden Ehegatten die Vermächtnisverbindlichkeit nicht als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 (oder 2) ErbStG in Abzug bringen. Das Vermächtnis vermittelt den noch lebenden Vermächtnisnehmern A, B und D lediglich einen betagten Anspruch. Der Vermächtnisanspruch ist zwar mit dem Tod des erstversterbenden Elternteils aufgrund der Geltendmachung der Pflichtteilsansprüche entstanden, er wird aber erst zu einem ungewissen späteren Zeitpunkt fällig. Damit entsteht die Steuer gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG erst im Zeitpunkt der Fälligkeit (siehe hierzu bereits BFH 31.8.21, II R 2/20, BStBl II 22, 387).

    3. Erbschaftsteuerliche Folgen beim Tod des Zweitversterbenden

    Mit dem Tod der Mutter sind A, B und D zum einen Schlusserben (§ 1922 i. V. m. § 2269 BGB) geworden und haben zum anderen als Vermächtnisnehmer (§§ 2147 ff. BGB) das mit dem Tod der Mutter fällig gewordene Vermächtnis i. H. v. jeweils 1.109.864,33 EUR erworben.

     

    Erbschaftsteuerlich werden nach § 6 Abs. 4 ErbStG Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten fällig sind, über eine Gleichstellung mit den Nacherbschaften im Wesentlichen so behandelt wie Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen (BFH 31.8.21, II R 2/20).

     

    Da § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG für den Nacherben bestimmt, dass er bei Eintritt der Nacherbfolge den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern hat, haben A, B und D das Vermächtnis, das aufgrund der Jastrowschen Klausel mit dem Tod des zuerst verstorbenen Vaters angefallen ist, welches aber erst mit dem Tod der später verstorbenen Mutter fällig geworden ist, aufgrund der Fiktion des § 6 Abs. 4, Abs. 2 S. 1 ErbStG gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG als von der Mutter stammend zu versteuern.

     

    Da A, B und D aber auch Schlusserben (§ 1922 i. V. m. § 2269 BGB) geworden sind, können sie die bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs mit dem Tod der Mutter fällig gewordene Vermächtnisverbindlichkeit i. H. v. jeweils 1.109.864,33 EUR nach Auffassung des BFH als Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen.

     

    • Ergebnis

    Die Erben A, B und D haben beim Tod der Mutter ein Vermächtnis i. H. v. jeweils 1.109.864,33 EUR zu versteuern, können als Schlusserben aber die zu diesem Zeitpunkt fällig gewordenen Vermächtnisansprüche nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG i. H. v. jeweils 1.109.864,33 EUR als Nachlassverbindlichkeit vom Nachlass der Mutter abziehen. Eine doppelte Besteuerung bei den Kindern einerseits als Erwerb durch Vermächtnis und andererseits als Erwerb durch Erbanfall findet nicht statt. Gleichwohl ist der Nachlass sowohl nach dem Tod des Vaters als auch nach dem Tod der Mutter in vollem Umfang zu versteuern.

     

    4. Antrag nach § 15 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 2 S. 2 und 3 ErbStG?

    Ein günstigeres Ergebnis kann auch nicht herbeigeführt werden, wenn die Schlusserben den Antrag stellen, das Vermächtnis als vom Vater stammend zu versteuern.

     

    MERKE | Gemäß § 15 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 2 S. 2 und 3 ErbStG besteht auch beim Berliner Testament die Möglichkeit, bei der Besteuerung des Schlusserben und Vermächtnisnehmers unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen auf Antrag das Verhältnis des Schlusserben oder Vermächtnisnehmers zum zuerst verstorbenen Ehegatten zugrunde zu legen, da beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln sind. Dies ist aber regelmäßig nur von Interesse, wenn die Steuerklasse zum zuerst verstorbenen Ehegatten günstiger ist.

     

    Da im vorliegenden Fall aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses der Schlusserben sowohl für den Erwerb nach dem Vater als auch nach der Mutter jeweils die Steuerklasse I gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG anzuwenden ist, hätte § 15 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG keine Auswirkung, da auch im Falle eines solchen Antrags der Freibetrag für Kinder gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG nach § 15 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 6 Abs. 2 S. 4, Abs. 4 ErbStG nur einmal zu gewähren ist.

     

    Bei einem unterstellten Nachlass der Mutter von 3.000.000 EUR vor Abzug der Vermächtnisse und vor Abzug des Freibetrags von 400.0000 EUR würde sich ohne Antrag folgender steuerpflichtiger Erwerb ergeben:

     

    • Berechnung ohne Antrag

    Nachlasswert des Erwerbs durch Erbanfall

    3.000.000,00 EUR

    Nachlassverbindlichkeit Vermächtnis

    ‒ 1.109.864,33 EUR

    Wert des Erwerbs durch Vermächtnis

    1.109.864,33 EUR

    Bereicherung durch Erbanfall und Vermächtnis

    3.000.000,00 EUR

    Freibetrag

    ‒ 400.000,00 EUR

    Stpfl. Erwerb

    2.600.000,00 EUR

     

    Wird der Antrag gestellt, das Vermächtnis als vom Vater stammend zu versteuern, würde sich die Höhe des Erwerbs nicht verändern und sich der Steuersatz ebenfalls nach dem gesamten Erwerb richten (§ 6 Abs. 4 S. 5 ErbStG):

     

    • Berechnung mit Antrag

    Erwerb durch Vermächtnis vom Vater

    1.109.864,33 EUR

    Freibetrag

    ‒ 400.000,00 EUR

    Stpfl. Erwerb

    709.864,33 EUR

    Nachlasswert des Erwerbs durch Erbanfall

    3.000.000,00 EUR

    Nachlassverbindlichkeit Vermächtnis

    ‒ 1.109.864,33 EUR

    Bereicherung durch Erbanfall und Vermächtnis

    1.890.135,67 EUR

    Freibetrag (verbraucht aufgrund Antrag)

    ‒ 0,00 EUR

    Stpfl. Erwerb

    1.890.135,67 EUR

    Stpfl. Erwerb vom Vater

    709.864,33 EUR

    Stpfl. Erwerb von der Mutter

    1.890.135,67 EUR

    Stpfl. Erwerb

    2.600.000,00 EUR

     

    5. Abschließende Würdigung des Ergebnisses

    In der Gesamtbetrachtung bleibt festzuhalten, dass der Nachlass des Vaters zwar ungeschmälert durch die betagten Vermächtnisse auf die Mutter überging, weil diese als Erbin des Vaters die aufgrund der Jastrowschen Klausel bereits mit dem Tod des Vaters angefallenen betagten Vermächtnisse mangels Fälligkeit nicht erfüllen muss. Im Gegenzug kann sie die Nachlassverbindlichkeit allerdings nicht gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Abzug bringen. Die für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit notwendige wirtschaftliche Belastung tritt erst im Zeitpunkt des Todes der Mutter ein, weil die Vermächtnisse zu diesem Zeitpunkt fällig werden. Damit neutralisieren sich beim Erwerbsvorgang nach der Mutter der Wert des Vermächtniserwerbs und der Wert der korrespondierenden Nachlassverbindlichkeit.

     

    Dass es sowohl beim Erwerb der Mutter von dem zuerst verstorbenen Ehegatten als auch bei dem späteren Erwerb der Kinder zu einer Besteuerung kommt, rechtfertigt den Vorwurf einer Doppelbesteuerung nicht. Zum einen handelt es sich bei den Erwerbsvorgängen nicht um denselben Lebenssachverhalt, vielmehr liegen zwei zeitlich nacheinander erfolgende Erwerbsvorgänge von unterschiedlichen Erblassern mit unterschiedlichen Begünstigten vor. Zum anderen können die Kinder nach dem Tod der zuletzt verstorbenen Mutter die Vermächtnisschuld als Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vom Nachlass abziehen.

     

    Beachten Sie | Auch wenn sich der Wert des Vermächtniserwerbs und der mit diesem Wert korrespondierenden Nachlassverbindlichkeit neutralisieren, bleibt gleichwohl festzuhalten, dass das beim Tode des Beschwerten fällig werdende Vermächtnis beim Tod eines jeden Elternteils, also zweimal, zu einem Erwerb führt, aber nur einmal als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden kann.

     

    Für den durch die Jastrowsche Klausel zivilrechtlich gewünschten Schutz des überlebenden Ehegatten ist somit ein gewisser erbschaftsteuerlicher Preis zu zahlen. Dies würde übrigens auch gelten, wenn beim Berliner Testament von den Kindern Pflichtteilsansprüche gar nicht geltend gemacht würden. Der Nachlass wäre auch in diesem Fall zweimal besteuert worden und er wäre nicht einmal durch die Pflichtteilsansprüche der Kinder gemindert.

     

    GESTALTUNGSTIPP | Eine im Ergebnis nur einmalige Besteuerung der Vermächtnisse könnte nur erreicht werden, wenn ‒ entgegen der mit der Jastrowschen Klausel verbundenen Vorstellungen ‒ das Vermächtnis nicht erst beim Tod des längerlebenden Ehegatten, sondern schon früher, z. B. beim Tod des erstversterbenden Ehegatten, entstehen und fällig werden würde. Schon der Nachlass des Erstversterbenden würde in diesem Fall um die Nachlassverbindlichkeit Vermächtnis gemindert, der Freibetrag nach dem erstversterbenden Elternteil ausgenutzt und der Freibetrag nach dem zweitversterbenden Elternteil nicht verbraucht.

     

    Dies kann auch durch ein Bestimmungs- und Zweckvermächtnis geschehen, welches dem überlebenden Ehegatten binnen einer vom Erblasser bestimmten Frist die Möglichkeit gibt, einen Teil des Nachlasses weiterzugeben (§§ 2156, 2151 BGB).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Zu Vermächtnisanordnungen als Gestaltungsmittel im Allgemeinen s. auch den Beitrag von Brüggemann, „Das Supervermächtnis als Königsweg?“, ErbBstg 20, 228 mit einer Musterformulierung eines Zweckvermächtnisses.
    • Ein weiterer Formulierungsvorschlag beruht auf einem sog. Berliner Testament in Gestalt eines Erbvertrags, wobei die bessere Ausnutzung der erbschaftsteuerlichen Freibeträge nach dem Erstversterbenden im Vordergrund steht. Geben Sie hierzu einfach die Abruf-Nr. 48098134 ein.
    Quelle: Ausgabe 05 / 2024 | Seite 120 | ID 49979256

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