15.11.2010 |Vor- und Nacherbschaft
Vor- und Nacherbschaft: Wie und wann sind Vorerwerbe innerhalb von 10 Jahren zu erfassen
von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster
Ein vom FG Düsseldorf entschiedenes Verfahren (14.10.09, 4 K 186/09 Erb, ErbBstg 10, 63, Abruf-Nr. 100668) wird dem BFH (II R 65/09) die Möglichkeit geben, einen „alten“ Streitpunkt zu klären: Muss die Übertragung eines Erbanteils durch die Vorerbin, dessen Versteuerung auf Antrag des Erwerbers sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde gelegt wurde, bei der nachfolgenden Besteuerung des Erwerbs von Todes wegen nach der Vorerbin nach § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG hinzugerechnet werden?
1. Sachverhalt
Der 1976 verstorbene Großvater (Erblasser) war Eigentümer der in Freiburg belegenen Grundstücke B-Straße und C-Straße. Er hatte Nacherbfolge angeordnet und seine fünf Töchter - u.a. die M und deren Schwester S - als Vorerbinnen zu jeweils 1/5-Anteil eingesetzt. Nacherben sollten mit dem Tod der Vorerbinnen deren Abkömmlinge werden.
M verstarb 1984. Alleinerbe war ihr Sohn E. Aufgrund von Erwerben von zwei kinderlosen Schwestern der M waren E mit einem Anteil von 6/15 und S mit einem Anteil von 4/15 in ungeteilter Erbengemeinschaft am Nachlass des Erblassers beteiligt. Der Nachlass bestand nur noch aus den beiden Grundstücken B-Straße und C-Straße.
Hinsichtlich des Anteils von 4/15 war S Vorerbin nach dem Erblasser und E Nacherbe, da die Vorerbin S ebenfalls keine Abkömmlinge hatte. Aufgrund der Nacherbenstellung des E übertrug die Vorerbin S im Januar 2010 ihren Anteil von 4/15 am Nachlass des Erblassers im Wege vorweggenommener Erbfolge auf E. Der Wert des Anteils führte zu einer Bereicherung des E vor persönlichem Freibetrag i.H. von 668.251 EUR. S verstarb kurze Zeit später im November 2010. Sie wurde unter anderem von E beerbt. Die Bereicherung aus diesem Erwerb betrug 363.636 EUR.
2. Besteuerung des Erwerbs von 668.251 EUR im Januar 2010
Der Erwerb von 668.251 EUR im Januar 2010 fällt unter § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG. Es handelt sich nicht um einen Erwerb i.S. des § 6 Abs. 3 ErbStG, da es sich um eine vorzeitige Herausgabe der Nacherbschaft handelt und der von § 6 Abs. 3 ErbStG vorausgesetzte Eintritt des Nacherbfalls zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegt. Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden, was ein Vorerbe dem Nacherben mit Rücksicht auf die angeordnete Nacherbschaft vor ihrem Eintritt herausgibt. Grundsätzlich ist dieser Erwerb nach Steuerklasse II (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.V. mit § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG) zu versteuern, da E im Verhältnis zur Vorerbin S ein Abkömmling ersten Grades von Geschwistern (Neffe) ist.
Schenkungsteuer bei Steuerklasse II | ||||||||||||||||||||||||
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Gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG kann E der Versteuerung aber auf Antrag das Verhältnis zum Erblasser, seinem Großvater zugrunde legen. Der Erwerb ist im Falle eines Antrags nach Steuerklasse I (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.V. mit § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) zu versteuern, da E im Verhältnis zum Erblasser ein Abkömmling des Kindes M des Großvaters ist. Der Freibetrag beträgt gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG 400.000 EUR, da M im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits vorverstorben war.
Schenkungsteuer bei Steuerklasse I | ||||||||||
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Im Hinblick auf die Steuerdifferenz in Steuerklasse I und II von 144.598 EUR wird ein Antrag gestellt werden, sodass die Steuerlast nur 29.502 EUR beträgt. Eine Anrechnung der von der Vorerbin S entrichteten Steuer gemäß § 6 Abs. 3 kommt nicht in Betracht, da § 7 Abs. 2 ErbStG nicht auf § 6 Abs. 3 ErbStG verweist (Moench, ErbStG, § 7 Rn. 219).
3. Besteuerung des Erwerbs von 363.636 EUR im November 2010
Fraglich ist, ob der Erwerb von 363.636 EUR im November 2010 mit dem Erwerb vom Vorerben im Januar 2010 zusammenzurechnen ist. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG sind mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammenzurechnen, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden.
3.1 Auffassung des FG Düsseldorf und eines Teils des Schrifttums
Nach der nicht rechtskräftig entschiedenen Auffassung des FG Düsseldorf (14.10.09, a.a.O.) kann die Übertragung des Erbanteils durch die Vorerbin, die gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG der SchenkSt unterlag, nicht als ein von derselben Person angefallener Vermögensvorteil i.S. des § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG angesehen werden. Der Kläger hat diesen Vermögensvorteil zwar tatsächlich von der Vorerbin erhalten. Er hat jedoch zulässigerweise den Antrag nach § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG gestellt, sodass der Versteuerung des Erwerbs sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen ist. Da die „Versteuerung“ i.S. des § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG an das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser anknüpft, soll dieses Verhältnis auch maßgeblich für eine Zusammenrechnung etwaiger Vorerwerbe nach § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG sein. Das hätte zur Folge, dass im Nacherbfall nur frühere Zuwendungen der Person hinzugerechnet werden können, deren Verhältnis zu dem Erwerber für die Versteuerung maßgeblich ist. Nach Antragstellung gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG wären dies nur Zuwendungen des Erblassers. Das FG Düsseldorf beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des BFH (BFH 30.6.76, II R 3/69, BFHE 119, 492) zu § 7 Abs. 2 S. 2 ErbStG, § 13 ErbStG von 1959 sowie auf eine im Schrifttum vertretene Auffassung (Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 6 Rn. 35; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 14 Rn. 35; Hübner in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, ErbStG, § 6 Rn. 21 f.).
Soweit der BFH (30.6.76, II R 3/69, BFHE 119, 492) in seinem Urteil ausgeführt hat, der Gesetzgeber habe die Frage mittlerweile in § 6 Abs. 2 S. 3 und 4 ErbStG von 1974 in einem anderen Sinn entschieden, misst das FG Düsseldorf dieser Aussage keine Bedeutung bei, da nicht ersichtlich sei, woraus sich eine abweichende Regelung ergeben soll (so auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 6 Rn. 31; Hübner in Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, ErbStG, § 6 Rn. 21).
Gegen eine Hinzurechnung von Zuwendungen des Vorerben nach Antragstellung gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG spricht für das FG Düsseldorf überdies der Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG. Die Zusammenrechnung nach dieser Vorschrift solle lediglich gewährleisten, dass die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen Zusammenrechnungszeitraums nur einmal zur Anwendung gelangen und sich für mehrere Erwerbe gegenüber einer einheitlichen Zuwendung in gleicher Höhe kein Progressionsvorteil ergibt (BFH 2.3.05, II R 43/03, BStBl II 05, 728). § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG habe darüber hinaus nicht auch den Zweck, die steuermindernde Wirkung des § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG wieder aufzuheben. Die Anwendung des § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG würde hingegen dazu führen, die dem E für die Schenkung im Januar 2010 gewährte Steuerbegünstigung des § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG weitgehend wieder zu nehmen, obgleich die Vorerbin nur eigenes Vermögen vererbt hat.
Da für den Vorerwerb das Verhältnis des E zum Erblasser zugrunde zu legen ist, besteht nach Ansicht des FG Düsseldorf keine für eine Zusammenrechnung aus § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG folgende innere Rechtfertigung. Denn hinsichtlich des Vorerwerbs muss nicht sichergestellt werden, dass bei der Besteuerung des Erwerbs des E von Todes wegen nach der Vorerbin der ihm insoweit zustehende Freibetrag von 20.000 EUR (§ 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG) innerhalb des zehnjährigen Zusammenrechnungszeitraums nur einmal zur Anwendung gelangt und sich kein Progressionsvorteil ergibt. Vielmehr ist auf den Vorerwerb weiterhin die Steuerbegünstigung des § 7 Abs. 2 ErbStG anzuwenden, weil die Zusammenrechnung des Vorerwerbs mit seinem Erwerb von Todes wegen nach der Vorerbin nicht bewirkt, dass beide Erwerbe ihre rechtliche Selbstständigkeit verloren haben. Da Zuwendungen des Erblassers zugunsten des E im vorliegenden Sachverhalt nicht vorliegen, wäre eine Zusammenrechnung des Vorerwerbs aufgrund des gestellten Antrags mit dem Erwerb von Todes wegen von S nicht möglich. Die für E festzusetzende Steuer ist daher nach Ansicht des FG Düsseldorf wie folgt zu ermitteln:
Ermittlung Schenkungsteuer ohne Zusammenrechnung | ||||||||||||
Würde eine Vorschenkung des Erblassers vorliegen und ein Erwerb von Nacherbschaftsvermögen vom Vorerben später hinzukommen, müsste bei dieser Sichtweise dann allerdings auch akzeptiert werden, dass der Antrag die Zusammenrechnung der Erwerbe bewirkt. In diesem Fall wäre - unter Berücksichtigung der Steuerklasse und der Höhe der Erwerbe - zu überlegen, ob der Antrag überhaupt gestellt werden soll.
Nach Auffassung des FG Düsseldorf ergibt sich aus den getrennt zu beurteilenden Erwerben eine Gesamtbelastung von (81.800 EUR + 29.502 EUR =) 111.302 EUR. |
3.2 Auffassung der Finanzverwaltung
Nach der im Verfahren vor dem FG Düsseldorf von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung sowie der teilweisen Auffassung in der Literatur (Meincke, ErbStG, § 6 Rn. 13, § 7 Rn. 117; Moench/Weinmann, ErbStG, § 6 Rn. 12, § 7 Rn. 219) ist der Erwerb des E von Todes wegen nach der Vorerbin unter Einbeziehung des Vorerwerbs nach der Steuerklasse II zu versteuern, sodass sich die SchenkSt nach dem Tod der S wie folgt ermittelt:
Ermittlung Schenkungsteuer bei Anwendung des § 14 ErbStG | ||||||||||||||
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Bei der Ermittlung der anzurechnenden Steuer gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 ErbStG will die Finanzverwaltung allerdings berücksichtigen, dass für die Ermittlung der fiktiven Steuer aus dem Vorerwerb der Erwerb in der Steuerklasse II besteuert wird, sodass die Anrechnung wie folgt vorzunehmen ist:
Ermittlung Schenkungsteuer bei Anwendung des § 14 ErbStG | |||||||||||||||||||||||||||
Nach Auffassung der Finanzverwaltung ergibt sich aus den zusammenzurechnenden Erwerben statt einer Gesamtbelastung von 111.302 EUR eine Gesamtbelastung von (129.440 EUR + 29.502 EUR =) 158.942 EUR. |
4. Erfolgsaussichten der Revision
Der Auffassung der Finanzverwaltung und der ihr folgenden Ansicht der Literatur ist m.E. dem Grunde nach zuzustimmen. Danach bleibt der Erwerb des Nacherben trotz des Antrags nach § 7 Abs. 2 S. 1 ErbStG ein Erwerb vom Vorerben. Der Antrag bewirkt lediglich, dass sich die für den Erwerb des Nacherben maßgebliche Steuerklasse (§ 15 ErbStG) und mit ihr der Freibetrag und Steuertarif nach dem Verhältnis des Nacherben zum Erblasser bestimmt einschließlich der sich daraus ergebenden Auswirkungen zum Beispiel auf § 13 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6, Nr. 10 ErbStG oder § 27 ErbStG (Meincke, ErbStG, § 6 Rn. 13; § 7 Rn. 117). Der Antrag bewirkt aber nicht, dass der Erwerb aus der Zusammenrechnung mit anderen vom Vorerben stammenden Erwerben herauszunehmen ist.
Für diese Auffassung spricht auch, dass der Vorerbe nicht die Möglichkeit erhalten soll, durch ein freiwilliges Vorziehen des Nacherbfalls durch Schenkung die Zusammenrechnung der Erwerbe beim Erwerb durch Erbanfall zu verhindern. Überraschend an der Berechnung der Finanzverwaltung erscheint aber, dass auf die beiden Erwerbe nicht § 6 Abs. 2 S. 3 bis S. 5 ErbStG zur Anwendung kommen, auf die § 7 Abs. 2 S. 2 ErbStG verweist. Dies ist jedoch konsequent, wenn in dem Hinweis in § 7 Abs. 2 S. 2 ErbStG auf § 6 Abs. 2 S. 3 bis S. 5 ErbStG eine Regelung nur für den Fall gesehen wird, dass der Vorerbe zugleich mit dem der Nacherbfolge unterliegenden Vermögen auch nacherbschaftsfreies Vermögen schenkweise herausgibt und der Nacherbe den Antrag stellt, die Besteuerung nach seinem Verhältnis zum Erblasser durchzuführen (Meincke, ErbStG, § 7 Rn. 118).
Überzeugender wäre die Annahme, dass der Antrag nach § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG auch im Falle der Zusammenrechnung von Erwerben Wirkungen für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen hat. Soweit die Wirkungen des Antrags reichen, muss folglich zwischen zwei Erwerben des Nacherben unterschieden und die Erwerbe hinsichtlich der Steuerklasse und des Freibetrags getrennt behandelt werden. Das bedeutet nach Ansicht des BFH, dass der aus dem Verhältnis zum Vorerben berechnete Freibetrag für das nacherbschaftsfreie Vermögen nur im Rahmen der Freibetragsgrenze nach § 16 ErbStG und nur insoweit zum Zuge kommt, als der nach dem Verhältnis zum Erblasser berechnete Freibetrag durch den Erwerb nach § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG noch nicht verbraucht ist.
Schenkungsteuer bei Antrag gemäß § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG | ||||||||||||
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Anteil des Vermögens des Erblassers: 668.200 EUR ./. 400.000 EUR = 268.200 EUR. Der Anteil des Vermögens der Vorerbin S beträgt abgerundet 363.600 EUR. Ein Freibetrag für das Vermögen, das vom Vorerben stammt, kann nach § 6 Abs. 2 S. 4 ErbStG nicht gewährt werden, da dieser für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen bereits verbraucht worden ist.
Schenkungsteuer für den Gesamterwerb | ||||||||||||||||||||||||||||||
Erwerb nach Steuerklasse I
Erwerb nach Steuerklasse II
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Da es nicht einzusehen ist, weshalb der Nacherbe bei einer vorgezogenen Schenkung des Nacherbschaftsvermögens schlechter gestellt werden soll, als bei einem Erwerb des Nacherbschaftsvermögens von Todes wegen zeitgleich mit dem Erwerb von eigenem Vermögen des Vorerben, sollte m.E. über § 7 Abs. 2 S. 2 ErbStG eine sinngemäße Anwendung der § 6 Abs. 2 S. 3 bis S. 5 ErbStG erfolgen. Insofern bleibt allerdings die Entscheidung des BFH abzuwarten.