11.01.2010 |Musterfall
Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft
von Prof. Dr. Gerd Brüggemann, Münster
Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft ist eine häufig anzutreffende Testamentsgestaltung, die oftmals auf der Vorstellung einer Nachfolgeplanung über mehrere Generationen basiert. Der folgende Musterfall
- geht auf die Folgen einer Anordnung der Vor- und Nacherbschaft ein,
- zeigt die Vor- oder Nachteile einer solchen Anordnung auf und
- leitet hieraus Gestaltungsempfehlungen ab.
Sachverhalt |
Mit privatschriftlichem Testament, hat der 1998 in Hannover verstorbene Vater verfügt, dass seine kinderlose und unverheiratete Tochter T seine alleinige, aber von den gesetzlichen Beschränkungen nicht befreite Vorerbin werden soll. Neben Geldvermögen von 50.000 DM befindet sich im Nachlass ein in Hannover belegenes Zweifamilienhaus. Die Tochter bewohnt seit dem Tod ihres Vaters das Erdgeschoss des Hauses und hat das Obergeschoss vermietet. Die Wohnungen sind gleichwertig. Im Zeitpunkt des Erbfalls war die Tochter 54 Jahre alt.
Zum Nacherben hat der Vater den Sohn S und zum Ersatznacherben seinen Neffen N (Patenkind des Vaters) bestimmt. Der Sohn war im Zeitpunkt des Todes seines Vaters 51 Jahre und der Neffe 39 Jahre alt. Der Grundbesitzwert des Hauses betrug im Zeitpunkt des Erbfalls 760.000 DM. Zurzeit ist von einem Grundbesitzwert von 580.000 EUR auszugehen.
Der Sohn möchte auf jeden Fall sicherstellen, dass das Haus auch dann das - von seinem Vater als Ersatznacherben benannte - Patenkind N erhält, wenn er nach seiner Schwester versterben sollte. Die 50.000 DM hat die Vorerbin zur Zahlung der Erbschaftsteuer, der Beerdigungskosten und - im Einverständnis mit dem Bruder - zur Renovierung des Hauses verwendet. |
1. Besteuerung des Erbfalls 1998
Abweichend von den zivilrechtlichen Regelungen wird der Übergang des Nachlasses vom Erblasser auf die Vorerbin nach § 6 Abs.1 ErbStG besteuert, auch wenn der Erwerb zivilrechtlich nur auflösend bedingt oder befristet ist.
Es handelt sich um einen Erwerb von Todes wegen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Damit hat die Vorerbin den ererbten Nachlass voll zu versteuern. Beschränkungen durch die Anordnung der Nacherbschaft sind unbeachtlich. Auch ist ohne Bedeutung, ob der Vorerbe befreiter oder nicht befreiter Vorerbe (§§ 2112 bis 2115 BGB) ist.
Erbschaftsteuer für 1998 | ||||||||||||||||||
|
2. Besteuerung des Nacherbfalls
Der Übergang des Nachlasses auf den Nacherben löst gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG Erbschaftsteuer aus. Im Falle des Erwerbs nach dem Tod des Vorerben fällt der Erwerb unter § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Dabei ist gemäß § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG für die Steuerklasse und die Freibeträge grundsätzlich das Verhältnis zum Vorerben maßgeblich (hier Steuerklasse II). Auf Antrag kann der Nacherbe jedoch das Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser für die Bemessung der ErbSt zugrunde legen (§ 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG).
Erbschaftsteuer für den Nacherbfall in 2009 | ||||||||||||
Sollte es bei der bisherigen Regelung bleiben und der Sohn nach seiner Schwester Nacherbe werden, ergibt sich - auf der Basis der ab 2009 geltenden Verhältnisse - die folgende Besteuerung. Dabei wird davon ausgegangen, dass für beide Wohnungen die Steuerbefreiung gemäß § 13c ErbStG zu gewähren ist, da sie nach dem zweiten Erbfall von S beide zu Wohnzwecken vermietet werden.
|
Praxishinweis: Nicht eindeutig ist, ob ein Erwerb vom Vorerben mit einem Erwerb vom Erblasser gemäß § 14 ErbStG zusammengerechnet werden muss, wenn die Erwerbe innerhalb der Zehn-Jahres-Frist erfolgen. Wenn der Antrag nach § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG gestellt wird, könnte auch die Konsequenz der Zusammenrechnung gezogen werden (Troll, ErbStG (Stand März 2009), § 14 ErbStG Rn. 35). Aus § 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG ergibt sich aber, dass beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln sind und die Rechtsfolge des Antrags nur in dem Steuerklassenprivileg zum Erblasser, nicht aber der Zusammenfassung der Vor- mit der Nacherbschaft besteht (so auch Meincke, ErbStG, 2009, § 14 ErbStG Rn. 7). Dies erscheint richtig, da § 6 Abs. 2 ErbStG erbschaftsteuerlich davon ausgeht, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben ist.
3. Späterer Erwerb durch den Neffen
Wenn im Falle des Todes der Tochter der Nacherbfall zugunsten des Sohnes eintritt, fällt die Ersatzerbenstellung des Neffen weg. Der Sohn könnte als Nacherbe dem Neffen N (Cousin des S) die Immobilie durch Schenkung (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) übertragen oder ihn zum Erben oder Vermächtnisnehmer einsetzen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Der Neffe gehört im Verhältnis zum Sohn zur Steuerklasse III, da Geschwister der Eltern und deren Kinder (Cousin, Cousine) zur Steuerklasse III gehören.
Praxishinweis: Im Hinblick auf die für Erwerber der Steuerklasse II vorgesehenen Änderungen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz würden sich somit bei den Steuersätzen keine Änderungen ergeben.
Erbschaftsteuer bei Erwerb durch den Neffen | ||||||||||
Damit errechnet sich der Erwerb bei gleichbleibenden Vermögensverhältnissen und der Annahme, dass die Immobilie auch weiterhin zu Wohnzwecken vermietet wird, im Verhältnis Sohn und Neffe wie folgt:
Die Gesamtbelastung beläuft sich somit auf 185.954 EUR. |
4. Alternativ: Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt
Zu überlegen wäre eine Übertragung an den Cousin unter Nießbrauchsvorbehalt oder gegen eine Rentenverpflichtung: Bei einem unterstellten Alter von 70 Jahren im Zeitpunkt der Übertragung und einem Jahreswert des Nießbrauchs von 28.000 EUR errechnet sich dann die Steuerbelastung wie folgt:
Schenkungsteuer bei Vereinbarung eines Nießbrauchsvorbehalts | ||||||||||||||||||||||||||||
Im Falle der Ermittlung des Steuerwerts des Grundstücks ohne Heranziehung eines Verkehrswertgutachtens erfolgt die Berücksichtigung des Nießbrauchsrechts im Wege des Abzugs bei der Ermittlung der Schenkungsteuer, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Steuer auf ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht nicht mehr gestundet wird (Wegfall des § 25 ErbStG a.F.).
|
Die Steuerbelastung für den Neffen fällt damit um 72.240 EUR niedriger aus. Zu bedenken ist aber, dass der Vorgang Grunderwerbsteuer i.H. von 3,5 % von 240.786 EUR = 8.427 EUR auslöst, weil der Nießbrauch bei der Ermittlung der Erbschaftsteuer / Schenkungsteuer abgezogen worden ist und damit die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 2 GrEStG nicht mehr greift (FinMin Baden Württemberg, Erlass vom 15.4.09, DStR 09, 856). Die Gesamtbelastung beträgt somit 122.141 EUR und wäre gegenüber dem Ausgangsfall um 63.813 EUR günstiger.
Außerdem ist zu bedenken, dass der Kapitalwert des Nießbrauchs gemäß § 14 Abs. 2 BewG korrigiert wird, wenn der Nießbrauchsberechtigte bei einem Alter von 70 Jahren innerhalb von fünf Jahren verstirbt.
Praxishinweis: Übertragungen mit Rentenverpflichtungen könnten unter diesem Aspekt eine interessante Alternative sein, weil m.E. § 14 Abs. 2 BewG für diesen Fall nicht zur Anwendung kommt. Nach Auffassung des BFH ändert sich der nach der allgemeinen Lebenserwartung kapitalisierte Wert der Rentenverpflichtung nämlich nicht mehr, wenn der Rentenberechtigte früher als erwartet verstirbt, es sei denn, schon bei Vertragsabschluss war bei „objektiver Betrachtung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorauszusehen, dass die Lebenserwartung des Berechtigten niedriger sein wird (BFH 17.10.01, II R 72/99, BStBl II 02, 25).
Eine Anwendung des § 14 Abs. 2 BewG wäre zudem ausgeschlossen, wenn der Nießbrauch bereits in einem Sachverständigengutachten bei der Findung des Verkehrswerts (Gleich lautende Erlasse zur Bewertung von Grundstücken vom 5.5.09 zu § 198 BewG) abgezogen worden ist, weil das Sachverständigengutachten aufgrund des § 14 Abs. 2 BewG nicht geändert werden kann.
5. Ausschlagung durch den Nacherben zugunsten des Neffen
Der Nacherbe kann auch erwägen, die Nacherbschaft auszuschlagen, sobald der (Vor-)Erbfall eingetreten ist (§ 2142 Abs. 1 BGB). Er braucht also nicht den Nacherbfall abzuwarten, um dann durch die Ausschlagung die Wirkungen des Erbanfalls rückwirkend beseitigen zu lassen. Die Ausschlagungsfrist kann aber dennoch nicht vor dem Eintritt des Nacherbfalls beginnen (Palandt/Edenhofer, BGB, 2009, § 2142 Rn. 1).
Schlägt der Nacherbe aus, so verbleibt die Erbschaft nur dann beim Vor-
erben, wenn der Erblasser nichts anderes - z.B. die Benennung eines Ersatzerben (§ 2069 BGB) - bestimmt hat (§ 2142 Abs. 2 BGB). Die Ausschlagung ist zudem keine freigebige Zuwendung an den durch die Ausschlagung Begünstigten.
Im Ergebnis würde die Ausschlagung dazu führen, dass der Erwerb durch den Sohn S entfällt. Der Nacherbfall würde also im Verhältnis Tochter und Neffe im Zeitpunkt des Todes der Tochter eintreten. Im Ergebnis würde dies gegenüber dem Ausgangsfall zu einer Steuerersparnis von lediglich 13.420 EUR führen.
Selbstverständlich könnte auch die Tochter dem Nacherbfall zuvorkommen und das Grundstück unter Nießbrauchsvorbehalt auf den Neffen übertragen. Neben dem Vorteil des Wegfalls des Zwischenerwerbs durch S wäre in diesem Fall § 6 Abs. 3 ErbStG zu beachten. Tritt die Nacherbfolge nicht durch den Tod des Vorerben ein, so gilt die Vorerbfolge als auflösend bedingter und die Nacherbfolge als aufschiebend bedingter Erwerb (§ 6 Abs. 3 S. 1 ErbStG). Gemäß § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG ist dem Nacherben die vom Vorerben entrichtete Steuer abzüglich desjenigen Vorsteuerbetrags anzurechnen, welche der tatsächlichen Bereicherung des Vorerben entspricht.
Schenkungsteuer bei Ausschlagung | ||||||||||||||||||||||||||||
Nachdem S die Nacherbschaft zugunsten von N ausgeschlagen hat, überträgt die Tochter bereits 2009 das Zweifamilienhaus unter Nießbrauchsvorbehalt auf ihren Cousin. Zu diesem Zeitpunkt ist die Tochter 65 Jahre alt.
Für die nun erforderliche Ermittlung der tatsächlichen Bereicherung der Vorerbin ist der Kapitalwert für die Nutzung des Grundstücks für die Zeit bis 2009 und der Kapitalwert für den ab 2009 vorbehaltenen Nießbrauch anzusetzen. Die auf den verbleibenden Erwerb entfallende Steuer ist nach den am Todestag des Erblassers (1998) maßgeblichen Steuersätzen und Freibeträgen zu ermitteln. Da die Jahreswerte bis 2009 unterschiedlich gewesen sein können, vor 2009 der Jahreswert gemäß § 16 BewG auf 40.860 DM begrenzt war und 1998 noch die Sterbetafel nach Anlage 9 BewG zu verwenden war, wird ein Kapitalwert der Nutzung und des Nießbrauchs von 40.860 DM x 13,495 = 551.405 DM unterstellt. Nach Abzug des Freibetrags von 400.000 DM ergibt sich ein abgerundeter Erwerb von 151.400 DM = (abgerundet) 77.409 EUR und eine Steuer von 11 % = 8.515 EUR.
Gemäß § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG muss N folgende Erbschaftsteuer zahlen:
Außerdem fällt für N noch Grunderwerbsteuer i.H. von (312.077 EUR x 3,5 % =) 10.922 EUR an. Im Ergebnis würde die Steuerbelastung von 63.173 EUR gegenüber dem Ausgangsfall zu einer Steuerersparnis von 122.781 EUR führen. Damit wäre die letzte Variante aus der Sicht des N die günstigste Lösung. |
6. Nießbrauchsvermächtnis statt Vorerbschaft
Aus heutiger Sicht wäre es überlegenswert, statt der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft sofort den (Ersatz-)Nacherben zum Vollerben einzusetzen und die Vorerbin mit einem Nießbrauchsvermächtnis auszustatten. Der Vollerbe kann nämlich von seinem Erwerb den Nießbrauch abziehen. Der Kapitalwert wäre in diesem Fall höher, weil der Nießbrauchsberechtigte zu diesem Zeitpunkt (1998) noch jünger ist und der Vervielfältiger entsprechend höher ist. Weiterer Vorteil wäre, dass nur ein Erbfall vorliegt, bei dem der Nachlasswert von vornherein auf zwei Personen (Vollerbe und Vermächtnisnehmer) verteilt wird.