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  • · Fachbeitrag · Notarhaftung

    Erbscheinsverfahren bindet Regressgericht nicht

    von RA Ernst Sarres, FA Familienrecht und Erbrecht, Düsseldorf

    Das Regressgericht ist an die Beurteilung der Gerichte im Erbscheinerteilungsverfahren nicht gebunden. Es hat eigenständig zu prüfen, wie über die Erbenstellung und in einem auf Feststellung der Alleinerbenstellung der Klägerin gerichtetem Rechtsstreit richtigerweise hätte entschieden werden müssen (OLG Schleswig 21.2.13, 11 U 4/12, n.v., Abruf-Nr. 132940).

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin K verlangt vom Beklagten B Schadenersatz, da B seine Pflichten als Notar verletzt habe. Durch notariell beurkundetes gemeinschaftliches Testament vom 13.11.72 bestimmten der Erblasser E und seine vorverstorbene zweite Ehefrau unter anderem Folgendes: „Zum Erben des zuletzt Versterbenden von uns beiden setzen wir unseren Sohn X ..., ein. Sollten aus unserer Ehe noch weitere Kinder hervorgehen, so sollen diese als Miterben gleichberechtigt neben unseren Sohn X treten.“ Der als Schlusserbe vorgesehene Sohn X verstarb 1994, die erste Ehefrau des E 1998. Eine ausdrückliche Regelung für den Fall des Vorversterbens des Sohnes enthält das Testament nicht.

     

    Durch notarielles Testament des beklagten Notars B vom 29.9.06 widerrief E das gemeinschaftliche Testament vom 13.11.72 und setzte gleichzeitig K, seine zweite Ehefrau, zur Alleinerbin ein. Der Erbscheinsantrag der K vom 5.7.07 blieb erfolglos, da die mit dem Erbscheinsantrag befassten Gerichte ihre Erbeinsetzung mit Testament vom 29.9.06 für unwirksam hielten. E sei noch an das gemeinschaftliche Testament vom 13.11.72 gebunden, sodass sich die Schlusserbeinsetzung auf die Enkelin des E beziehe. K verlangt von B Schadenersatz, weil er seine Pflichten als Notar dadurch verletzt habe, dass er E vor der Beurkundung des Testaments vom 29.9.06 nicht hinreichend eindringlich darauf hingewiesen habe, das Testament vom 13.11.72 nach § 2079 BGB anzufechten, damit K Alleinerbin werden könne. Das LG hat die Klage auf Zahlung von rund 348.228 EUR nebst Zinsen abgewiesen. Die Berufung der K sowie der Streithelferin vor dem OLG sind erfolglos geblieben.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Berufungen sind unbegründet. Das LG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Anspruchsgrundlage für den Schadenersatzanspruch könnte nur § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO sein. Das LG hat sich zu einer Pflichtverletzung des B nicht abschließend geäußert. Die Annahme einer solchen liege nahe. Diese Ansicht teilt das OLG nicht. Das Unterlassen des benannten Hinweises ist keine Pflichtverletzung des Notars. Die letztwillige Verfügung vom 29.9.06 ist aus den folgenden Gründen wirksam. Das Testament vom 13.11.72 ist ein gemeinschaftliches des E und seiner ersten Ehefrau mit wechselbezüglichen Verfügungen, § 2270 Abs. 1 BGB. Hiernach hat die Unwirksamkeit der einen Verfügung die der anderen zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügungen miteinander stehen und fallen sollen.

     

    Wechselbezügliche Verfügungen können nach § 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB nach dem Tod eines Ehegatten von dem anderen Ehegatten nicht mehr widerrufen werden. Die Wechselbezüglichkeit ergibt sich bereits daraus, dass E und seine erste Ehefrau sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und verfügt haben, dass der Überlebende von ihnen nicht zu einer Abänderung der letztwilligen Verfügung berechtigt sein soll.

     

    Diese Wechselbezüglichkeit bezieht sich aber nur auf die vom 13.11.72 erfolgte Einsetzung des Sohns X und eventueller weiterer gemeinsamer Kinder zum Nacherben des zuletzt Versterbenden. Für eine weitergehende Auslegung des Testaments dahingehend, dass sich die Wechselbezüglichkeit auch auf eventuelle Enkelkinder erstrecken soll, ist entgegen dem LG kein Raum.

     

    Eine erweiterte Wechselbezüglichkeit kann sich nur aus einer ergänzenden Vertragsauslegung ergeben. Sie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus, ohne dass eine interessengerechte Lösung des dispositiven Rechts besteht. Eine planwidrige Regelungslücke liegt hier vor, und das dispositive Recht enthält keine interessengerechte Regelung. Insbesondere die Auslegungsregeln des § 2270 Abs. 2 BGB und des § 2069 BGB sind auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des BGH ist § 2270 Abs. 2 BGB auf Ersatzerben nur anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Eheleute feststellen lassen, die Ersatzerbeneinsetzung also nicht allein auf § 2069 BGB beruht. Es wird Bezug genommen auf Ausführungen des BGH in der folgenden Entscheidung.

     

    § 2270 Abs. 2 BGB knüpft die Annahme einer Wechselbezüglichkeit an die Einsetzung bestimmter Personen als Erben im gemeinschaftlichen Testament. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass in Fällen wie dem vorliegenden zwischen der Einsetzung des überlebenden Ehegatten als Alleinerben unter Ausschluss der nächsten Verwandten/sonst nahestehender Personen und der Einsetzung gerade dieser Verwandten/nahestehenden Personen zu Schlusserben nach dem längstlebenden Ehegatten typischerweise ein Gegenseitigkeitsverhältnis derart besteht, dass die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre, sie also miteinander stehen oder fallen sollen. Eine solche Interessenlage der Testierenden lässt sich indessen mangels konkreter Anhaltspunkte nur unterstellen, wenn sich ein Wille der Testierenden, bestimmte Verwandte oder nahestehende Personen oder auch die nach der gesetzlichen Erbfolge berufenen Abkömmlinge als Schlusserben einzusetzen, zumindest im Wege ergänzender Auslegung aus dem Testament entnehmen lässt.

     

     

    Diesen Ausführungen des BGH ist zuzustimmen. Die Auslegungsregeln des § 2270 Abs. 2 BGB und des § 2069 BGB sind nicht kumulativ anwendbar. Der Zweck des § 2069 BGB, dem Willen des Erblassers in größtmöglichem Umfang Geltung zu verschaffen, ist nicht ohne Weiteres auf die in §§ 2270 ff. BGB geregelte Frage übertragbar, ob/in welchem Umfang Verfügungen von Ehegatten in gemeinschaftlichen Testamenten den Überlebenden binden sollen.

     

    Für die beabsichtigte Bindungswirkung sind andere Gesichtspunkte von Bedeutung. Die Ehegatten stehen vor der Frage, ob sie bereit sind, für die Durchsetzung der Nacherbenstellung eines ihnen unbekannten Enkelkindes, von dem sie nicht wissen, ob und in welchem Umfang eine persönliche Beziehung zu ihnen entstehen wird, die Testierfreiheit des überlebenden Ehegatten einzuschränken. Diese in § 2069 BGB nicht berücksichtigte Abwägung ist nur in beschränktem Umfang vorhersehbar oder einer Typisierung zugänglich.

     

    Hier kann nicht festgestellt werden, dass der Erblasser und seine damalige Ehefrau, wenn sie die Möglichkeit eines Vorversterbens ihres Sohnes und weiterer gemeinsamer Kinder bedacht hätten, dessen/deren Abkömmlinge als Ersatz-Nacherben eingesetzt und die Wechselbezüglichkeit auch auf diese Personen erstreckt hätten. Für einen solchen hypothetischen Willen lassen sich weder im Testament noch sonst hinreichende Anhaltspunkte finden. Der Berücksichtigung noch nicht geborener weiterer gemeinsamer Kinder in Abs. 3 des Testaments ist zwar das Bestreben zu entnehmen, den Nachlass in der Familie zu halten. Nicht zu entnehmen ist jedoch, dass dieses Bestreben über die eigenen Abkömmlinge hinausging und der Überlebende auch im Hinblick auf die Abkömmlinge der Kinder in seiner Testierfreiheit eingeschränkt werden sollte. Es kann auch nicht geschlossen werden, dass dem E und seiner damaligen Ehefrau in Bezug auf die Nacherbfolge an der testamentarischen Umsetzung der gesetzlichen Erbfolge gelegen war.

     

    Wichtig |Das OLG sieht keinen Widerspruch zwischen den Ergebnissen des Erbscheinsverfahrens und den Ausführungen in diesem Verfahren. Die Entscheidungen der mit den Erbscheinsanträgen der K/der Enkelin des E befassten Gerichte über die Frage, welches Testament wirksam und wer Erbe geworden ist, binden den Senat und die Parteien des Rechtsstreits nicht.

     

    Gegen eine Notarhaftung spricht zudem Folgendes: B hätte den E anlässlich der Beratung bei der Beurkundung des Testaments vom 29.9.06 auch darauf hinweisen müssen, dass E im Fall einer Testamentsanfechtung seine Ansprüche aus dem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahre 1972 verloren hätte und nur noch neben der Enkelin Miterbe zu 1/2 geworden wäre. Eine solche Belehrung hätte durchaus dazu führen können, dass E sich gegen eine Testamentsanfechtung entschieden hätte. Da es mithin mehrere ernsthafte Entscheidungsalternativen gab, muss K beweisen, dass E die von ihr behauptete Entscheidung getroffen hätte. Ein Beweisangebot der K liegt insoweit jedoch nicht vor.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung des OLG verdeutlicht, dass die Reichweite der Wechselbezüglichkeit gemeinschaftlicher Testamente problematisch ist. Es ist daher für gemeinschaftliche Testamente geboten, unmissverständliche Ersatzerbenberufungen für Schlusserben aufzunehmen. In der Vorinstanz entschied das LG Lübeck (15.12.11, 12 O 395/10, Abruf-Nr. 132941) mit aufschlussreicher Sachverhaltsschilderung, die zum Verständnis der weitreichenden Zusammenhänge beiträgt.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2013 | Seite 170 | ID 42299497