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  • · Fachbeitrag · Kosten

    Überhöhte Schätzung des Nachlasswertes im Erbscheinsverfahren

    | Das OLG Hamm hat darüber entschieden, wann bei einer Schätzung des Geschäftswertes im Erbscheinsverfahren die Nichterhebung von Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären (§ 21 Abs. 1 S. 1 GNotKG), in Betracht kommen kann. Dabei enthält der Beschluss auch interessante Ausführungen zur Fristberechnung des § 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG (OLG Hamm 18.8.21, 10 W 69/21). |

    Sachverhalt

    Der Beteiligte beantragte, gestützt auf ein Testament, die Erteilung eines Alleinerbscheins und gab dabei an, dass zum Nachlass ein Miteigentumsanteil von 1/4 an einer Immobilie gehöre. Der Erbschein wurde ihm erteilt. Trotz zweimaliger Erinnerung reichte er in der Folge den ihm mit dem Erbschein übersandten Fragebogen zur Ermittlung des Nachlasswertes nicht ausgefüllt zurück. Darauf setzte das Nachlassgericht gem. § 79 GNotKG denGeschäftswert für das Erbscheinsverfahren auf 2.000.000 EUR fest. ZurBegründung hat es ausgeführt, der Nachlasswert sei geschätzt worden, nachdem der Beteiligte trotz mehrfacher Anfragen keine Angaben hierzugemacht habe. Es sei bekannt, dass sich ein 1/4-Anteil eines Grundstücks im Nachlass befinde. Zudem sei davon auszugehen, dass auch Geldvermögen vorhanden gewesen sei.

     

    Hiergegen wandte sich der Beteiligte mit seiner Beschwerde, in der er rügte, der Geschäftswert sei fehlerhaft festgesetzt worden.

    Entscheidungsgründe

    Das OLG Hamm (18.8.21, 10 W 69/21, Abruf-Nr. 225375) hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil diese nicht innerhalb der Beschwerdefrist des § 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG i. V. m. § 83 Abs. 1 S. 3 GNotKG eingelegt worden sei.

     

    Eine Beschwerde gegen die Festsetzung des Geschäftswertes sei nach § 83 Abs. 1 S. 3 GNotKG nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG bestimmten Frist eingelegt wird. Die Beschwerde müsse daher innerhalb einer Frist von sechs Monaten eingelegt werden, nachdem die Entscheidung wegen des Hauptgegenstands Rechtskraft erlangt oder sich das Verfahren anderweitig erledigt hat. In dem vorliegenden Erbscheinsverfahren war der Feststellungsbeschluss gem. § 352e Abs. 1 und 2 FamFG nicht bekannt zu geben, sodass er auch nicht gem. §§ 45, 16 Abs. 1 FamFG in Rechtskraft erwachsen konnte. Das Erbscheinsverfahren habe sich jedoch durch den Erlass des Erbscheins am 18.9.20 anderweitig im Sinne des § 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG erledigt, weil dadurch die Tätigkeit des Gerichts in der Hauptsache endgültig abgeschlossen worden ist.

     

    Die sechsmonatige Frist der §§ 83 Abs. 1 S. 3, 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG begann somit gem. § 187 Abs. 1 BGB am 19.9.20 und endete gem. § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 18.3.21. Die am 7.5.21 beim Nachlassgericht eingegangeneBeschwerde vom Vortag sei damit verfristet.

     

    Soweit dem Beteiligten allerdings auf der Grundlage der Wertfestsetzung 6.673,50 EUR an Kosten in Rechnung gestellt wurden, sei zu prüfen, ob diese Kosten bei Anwendung des § 21 Abs. 1 GNotKG in voller Höhe zu erheben seien.

     

    Nach § 21 Abs. 1 GNotKG seien Kosten, die bei einer richtigen Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Eine unrichtige Sachbehandlung in diesem Sinne liege vor, wenn dem Gericht ein offen zutagetretender Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Normen oder ein offensichtliches Versehen unterlaufen sei. Dies könne dann anzunehmen sein, wenn das Nachlassgericht bei der Bemessung des Geschäftswerts im Erbscheinsverfahren bei fehlender Mitwirkung des hierzu verpflichteten Erben anstatt eigene Ermittlungen (§ 26 FamFG) anzustellen eine erkennbar unrealistisch überhöhte Schätzung des Nachlasswertes vornehme. Denn die Schätzung des Nachlasswertes stelle kein Mittel zur Sanktionierung der fehlendenMitwirkung des Erben dar.

     

    Nach dem Sachverhalt läge die Annahme einer unrichtigen Sachbehandlung durch Festsetzung des Geschäftswertes in Höhe von 2.000.000 EUR mindestens sehr nahe. Soweit bekannt, bestehe der Aktivnachlass aus einem 1/4-Miteigentumsanteil an einer Immobilie im L-Weg in D sowie Geldvermögen in unbekannter Höhe. An Nachlassverbindlichkeiten seien Kosten für ärztliche Behandlungen des Erblassers in Höhe von ca. 12.000 EUR bekannt. Diese aus der Akte ersichtlichen Informationen stellten erkennbar keine ausreichende Grundlage für eine Festsetzung des Geschäftswerts in Höhe von 2.000.000 EUR dar. Dies insbesondere deshalb nicht, weil es sich bei den wenigen Immobilien im L-Weg in D lediglich um Wohnbebauung, teils mit Doppelhäusern, handele, was unschwer anhand einer Recherche etwa bei Google Maps festzustellen sei. Es gebe daher nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass der Wert des Nachlasses durch die vorgenommene Schätzung in etwa realistisch abgebildet werde.

     

    Da zudem aus der Akte nicht erkennbar sei, dass das Nachlassgericht eigene Ermittlungen zur Feststellung des Nachlasswertes angestellt habe, kommt eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 21 Abs. 1 S. 1 GNotKG aufgrund eines offen zutage tretenden Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 26 FamFG in Betracht.

    Relevanz für die Praxis

    Das OLG schiebt mit seiner Entscheidung der groben hohen Schätzung des Geschäftswertes durch die Anwendung des § 21 Abs. 1 S. 1 GNotKG einen Riegel vor. Allerdings wäre es hilfreich gewesen, wenn es nähere Ausführungendazu gemacht hätte, wie der Wert des Nachlasses in solchen Fällen realistisch zu schätzen ist und welche „eigenen Ermittlungen“ das Nachlassgericht hätte anstellen sollen. Lehrreich und interessant sind indes auch die Ausführungen des OLG zur Fristberechnung für die Beschwerde gegen die Festsetzung des Geschäftswerts nach den § 83 Abs. 1 S. 3, § 79 Abs. 2 S. 2 GNotKG.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 183 | ID 47730066