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  • 28.10.2011 · IWW-Abrufnummer 120414

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 21.07.2011 – 3 K 203/11

    Zur Verzinsung nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO.


    § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO ist eine Verweisungsnorm nicht nur hinsichtlich der Rechtsfolgen sondern auch bezüglich des Rechtsgrund der Verzinsung.


    Die Verweisung nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO auf Abs. 1 hat daher zur Folge, dass Prozesszinsen nur zuerkannt werden können, wenn der angestrengte Rechtsstreit ursächlich für die Herabsetzung der Steuer oder für die zu verzinsende Steuererstattung war.


    Wird eine Steuer auch ohne Klageverfahren herabgesetzt, greift § 236 AO nicht ein.


    Zur Rechtsfrage, ob eine mittelbare Ursächlichkeit einer Klage für die Gewährung von Prozesszinsen nach § 236 AO ausreicht.


    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten über die Verzinsung eines Steuererstattungsanspruches.
    Die Klägerin ist Alleinerbin der im Jahr 2004 verstorbenen Frau G., mit der sie im Jahre 2002 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen war.
    Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 17. Oktober 2005 unter Zugrundelegung der Steuerklasse III Erbschaftsteuer gegen die Klägerin i.H.v. 35.645 € fest.
    Nach erfolglosem Vorverfahren erhob die Klägerin gegen die Steuerfestsetzung am 20. Dezember 2005 Klage bei dem Niedersächsischen Finanzgericht (3 K 529/05) und begehrte die Anwendung der Steuerklasse I. Mit abänderndem Bescheid vom 16. Februar 2006 wurde die Steuer auf 40.337 € erhöht und die Steuerfestsetzung gleichzeitig im Hinblick auf die bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden zur Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsbesteuerung von eingetragenen Lebenspartnern (1 BvR 611/07) in vollem Umfang für vorläufig erklärt. Das Klageverfahren bei dem Finanzgericht wurde daraufhin durch beiderseitige Erledigungserklärungen beendet.
    Nachdem das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 21. Juli 2010 mit positivem Ausgang für die Beschwerdeführer beendet worden und die Erbschaftsbesteuerung eingetragener Lebenspartner für unvereinbar mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (im Folgenden: GG) erklärt worden war, erließ der Beklagte Anfang 2011 einen undatierten Bescheid, der der Klägerin am 31. Januar 2011 zuging und in dem die Erbschaftsteuer auf 0 € festgesetzt wurde. Auf Grundlage dieses Bescheides wurde der Klägerin die überzahlte Steuer i.H.v. 40.337 € durch Abrechnungsmitteilung vom 8. Februar 2011 erstattet.
    Mit Schreiben vom 15. Februar 2011 beantragte die Klägerin die Festsetzung von Prozesszinsen nach § 236 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO) auf den Erstattungsbetrag. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 3. März 2011 ab.
    Nach erfolglosem Vorverfahren hat die Klägerin am 27. Mai 2011 Klage erhoben.
    Sie geht davon aus, ihr stünden für den Zeitraum ab Rechtshängigkeit der Klage gegen den Erbschaftsteuerbescheid bis zur Auszahlung des überzahlten Steuerbetrages nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO Prozesszinsen auf den Erstattungsbetrag von 40.337 € zu. Der Rechtsstreit habe sich durch Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes erledigt, so dass die Voraussetzungen der Verzinsung vorlägen.
    Die Klägerin beantragt,
    den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3. März 2011 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 27. April 2011 zu verpflichten, zu Gunsten der Klägerin Prozesszinsen gem. § 236 AO auf den Erstattungsbetrag in Höhe von 40.337 € festzusetzen.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Er ist der Auffassung, eine Verzinsung des Erstattungsanspruches komme nicht in Betracht. Voraussetzung für die Verzinsung eines Erstattungsanspruches nach § 236 AO sei die Herabsetzung der Steuer durch eine oder aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung. Das (finanz-)gerichtliche Verfahren müsse unmittelbar ursächlich für die Steuerherabsetzung gewesen sein. Im Streitfall sei für die Herabsetzung der Steuer nicht der Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens, sondern die Änderung des Erbschaftsteuergesetzes infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ursächlich gewesen.
    Die Beteiligten haben einvernehmlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung) erklärt.
    Gründe
    I. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 AO für den Zeitraum ab Rechtshängigkeit der Klage bei dem Finanzgericht am 20. Dezember 2005 bis zur Erstattung der überzahlten Erbschaftsteuer am 8. Februar.
    1. Nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO ist der zu erstattende Betrag zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO ist diese Vorschrift entsprechend anzuwenden, wenn sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts erledigt.
    § 236 Abs. 2 Nr. 1 ist eine Verweisungsnorm nicht lediglich hinsichtlich der Rechtsfolgen – Verzinsung des zu erstattenden Betrags vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag –, sondern auch bezüglich des Rechtsgrunds der Verzinsung. Soweit die Vorschrift keine eigenständige Regelung enthält, nimmt sie den Regelungsgehalt der Bezugsnorm voll in sich auf. Die Verweisung in § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO auf Abs. 1 hat deshalb zur Folge, dass Prozesszinsen nur dann zuerkannt werden können, wenn der angestrengte Rechtsstreit ursächlich für die Herabsetzung der Steuer und für die nach § 236 AO zu verzinsende Steuererstattung war. Wird die Steuer auch ohne Klageverfahren herabgesetzt, greift § 236 AO nicht ein (BFH, Urteil vom 15. Oktober 2003 – X R 48/01, BFHE 204, 1; BStBl. I 2004, 169).
    2. a. Im Streitfall wurde die zunächst festgesetzte Erbschaftsteuer i.H.v. 40.337 € auf 0 € herabgesetzt.
    b. Der angestrengte Rechtsstreit vor dem Finanzgericht (3 K 529/05), in dem diese Herabsetzung von der Klägerin beantragt worden war, hat sich durch Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes erledigt. Nachdem der Beklagte die Steuerfestsetzung im Hinblick auf das zur Streitfrage anhängige Verfahren bei dem Bundesverfassungsgericht für vorläufig erklärt hatte, erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt.
    c. Der Rechtsstreit vor dem Finanzgericht war auch (im Sinne der sog. Bedingungs- oder Äquivalenztheorie) ursächlich für die Herabsetzung der Erbschaftsteuer. Nach der Bedingungs- oder Äquivalenztheorie ist jede Bedingung ursächlich, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass zugleich der Erfolg entfiele. Ohne den Rechtsstreit wäre es nicht zur Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerkes und ohne diesen nicht zur Herabsetzung der Erbschaftsteuer nach der Gesetzesänderung infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gekommen.
    Die Herabsetzung der Steuer war keine unmittelbare Folge des Rechtsstreits vor dem Finanzgericht, denn hierzu kam es erst, nachdem dieser abgeschlossen worden war und weil das Bundesverfassungsgericht die Erbschaftsbesteuerung von eingetragenen Lebenspartnern für unvereinbar mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG erklärt und der Gesetzgeber im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2010 die Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit Eheleuten herbeigeführt hatte. Es bedurfte also der Erfüllung weiterer Bedingungen, um den Erfolg, also die Herabsetzung der Steuer, herbeizuführen.
    Es ist ungeklärt, ob eine solche nur mittelbare Ursächlichkeit des von dem Steuerpflichtigen selbst geführten Rechtsstreits als Voraussetzung für die Verzinsung des Erstattungsanspruches ausreichend ist:
    (1) Das Finanzgericht München hat eine mittelbare Kausalität als Voraussetzung für die Verzinsung nach § 236 AO in einem Urteil (vom 21. Oktober 2004 – 14 K 4438/01, ZfZ 2005, 135) ausdrücklich verneint. In dem dortigen Streitfall hatte die Klägerin in einem Gerichtsverfahren erreicht, dass die beklagte Behörde sie wegen einer fehlerhaften Ermessensausübung neu über die ursprünglich versagte Erlaubnis zur Verwendung steuerbegünstigten Mineralöls zu bescheiden hatte. Daraufhin erteilte die Behörde die angestrebte Erlaubnis und erstattete die überzahlte Mineralölsteuer. Eine Verzinsung des Erstattungsanspruchs nach § 236 AO lehnte das Finanzgericht München ab, weil der aufgrund der Erlaubniserteilung erstattete Steuerbetrag zu keiner Zeit rechtshängig gewesen sei und daher „aufgrund der bloßen mittelbaren Kausalität” kein Anspruch auf Prozesszinsen bestehe. Eine ähnliche Sachverhaltskonstellation lag dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 9. Oktober 1974 (VII R 11/72, BFHE 116, 301, BStBl II 1975, 826) zugrunde.
    (2) Der Bundesfinanzhof verneint ebenfalls die Verzinsung von Erstattungsansprüchen, wenn diese nicht selbst rechtshängig gemacht worden sind (BFH, vom 16. Dezember 1987 – I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl. II 1988, 600; vom 2. März 1998 – I R 72/84, BFH/NV 1988, 619). In den Sachverhalten, die den Entscheidungen zugrunde liegen, ruhte das von den Steuerpflichtigen angestrengte Einspruchsverfahren im Hinblick auf ähnlich gelagerte finanzgerichtliche Musterverfahren. Nach dem für die Kläger erfolgreichen Ausgang der Musterverfahren änderte das Finanzamt die Steuerbescheide der Steuerpflichtigen außergerichtlich. Zu einem Klageverfahren über die Erstattungsansprüche war es gar nicht gekommen.
    (3) Loose (in Tipke/Kruse, AO/FGO. Kommentar, § 236 AO Rz. 13) stellt darauf ab, dass der Steuerpflichtige die gerichtliche Entscheidung, aufgrund deren die Steuer herabgesetzt wird, selbst erstritten haben muss. Führe ein anderer Steuerpflichtiger erfolgreich einen Musterprozess und würden aufgrund der im Musterprozess erstrittenen Entscheidung die Steuern anderer Steuerpflichtiger herabgesetzt, so seien deren Erstattungsansprüche nicht zu verzinsen. Etwas anderes gelte jedoch, wenn der Steuerpflichtige selbst Klage erhebe und das Klageverfahren bis zur Entscheidung eines Musterprozesses ausgesetzt werde.
    (4) Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat in einem Beschluss (vom 15. Dezember 2005 – 3 A 2123/03, juris) ausgeführt, dass „im Hinblick auf Normzweck und Interessenlage der Beteiligten einschließlich prozessökonomischer Erwägungen unter einer ,Änderung eines Verwaltungsaktes' im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 5b des Kommunalabgabengesetzes Nordrhein-Westfalen i.V.m. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO auch die während eines anhängigen verwaltungsgerichtichen Streitverfahrens erfolgte verbindliche Zusage einer künftigen Änderung des durch Klagerücknahme bestandskräftig werdenden Erschließungsbeitragsbescheides in Abhängigkeit von einem im Sinne der Klägerseite positiven Ausgang eines ,Musterklageverfahrens' zu verstehen” sei. Es hat damit – entgegen der Vorinstanz (VG Düsseldorf, Urteil vom 25. Februar 2003 - 17 K 8930/02, KStZ 2004, 78) – eine mittelbare Kausalität in einem Sachverhalt als ausreichend angesehen, der dem im Streitfall zugrundeliegenden vergleichbar war.
    (5) Auf Grundlage dieser Überlegungen hat im Streitfall eine Verzinsung des Erstattungsanspruches nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO zu erfolgen.
    Die Klägerin hat in ihrem ersten finanzgerichtlichen Verfahren (3 K 529/05) eine Erstattung der überzahlten Erbschaftsteuer beantragt. Der Erstattungsanspruch selbst ist damit rechtshängig gemacht worden. Infolge des für die Beschwerdeführer erfolgreichen Ausgangs des bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens hat die Klägerin den angestrebten Erstattungsanspruch erlangt.
    Dass das eigene Klageverfahren infolge der Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks beendet worden ist, ist unschädlich. Für die Verzinsung nach § 236 AO macht es nach Auffassung des erkennenden Gerichts keinen Unterschied, ob der Erstattungsanspruch durch den Steuerpflichtigen selbst – auf dem Instanzenweg und ggf. vor dem Bundesverfassungsgericht – erstritten wird, ob das Klageverfahren des Steuerpflichtigen bis zur Entscheidung eines Musterprozesses ausgesetzt wird, ob eine Klagerücknahme nach verbindlicher Zusage einer künftigen Änderung bei positivem Ausgang eines Musterprozesses erfolgt oder ob das Klageverfahren – wie im Streitfall – überstimmend für erledigt erklärt wird, nachdem die Steuerfestsetzung durch einen Vorläufigkeitsvermerk im Hinblick auf den Ausgang des Musterprozesses offen gehalten worden ist. Erforderlich ist nur, dass der zu verzinsende Erstattungsanspruch von dem Steuerpflichtigen rechtshängig gemacht und letztlich durch das Finanzamt gewährt wird.
    Diese Lösung entspricht auch dem Zweck des § 236 AO, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der mit diesem verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. BFH-Urteile vom vom 13. Juli 1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37; vom 16. November 2000 XI R 31/00, BFHE 194, 76, BStBl II 2002, 119; vom 15. Oktober 2003 – X R 48/01, BFHE 204,1, BStBl II 2004, 169).
    3. Der Erstattungsanspruch ist nach § 236 Abs. 1 Satz 1 AO vom Tag der Rechtshängigkeit bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Die Klage bei dem Finanzgericht wurde am 20. Dezember 2005 rechtshängig gemacht. Die Auszahlung des Steuererstattungsanspruchs erfolgte laut Abrechnungsmitteilung am 8. Februar 2011. Zinsen nach § 233a AO, die für denselben Zeitraum festgesetzt werden oder wurden, sind nach § 236 Abs. 4 AO anzurechnen.
    II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.
    III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
    V. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen, weil die Rechtsfrage, ob eine mittelbare Ursächlichkeit einer Klage für die Gewährung von Prozesszinsen nach § 236 AO ausreicht, noch nicht (höchst-)richterlich geklärt ist. Die Entscheidung konnte trotz Vorliegens der Revisionsvoraussetzungen nach § 115 FGO durch den konsentierten Berichterstatter ergehen, da Gründe, die hiergegen sprechen könnten, nicht vorliegen (vgl. BFH, Beschluss vom 9. Juli 2003 - IX B 34/03, BFHE 202, 408, BStBl. II 2003, 858; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO. Kommentar, § 79a FGO Rz. 102).

    VorschriftenAO § 236