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  • 27.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113441

    Oberlandesgericht Thüringen: Beschluss vom 09.05.2011 – 6 W 51/11

    Die in der Versäumung der Ausschlagungsfrist liegende Annahme der Erbschaft kann wegen Irrtums angefochten werden, wenn der als Erbe Berufene die Erbschaft in Wirklichkeit nicht hat annehmen wollen und die Ausschlagungsfrist nur deshalb versäumt hat, weil er davon ausging, bereits jegliche Rechte am Nachlass des Erblassers verloren zu haben.


    6 W 51/11

    Tenor:
    Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgerichts - Heilbad Heiligenstadt vom 28.12.2010, Az. VI 371/10, abgeändert und der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2. abgelehnt.

    Eine Kostenerstattung zwischen den Beteiligten findet nicht statt.

    Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

    Gründe
    I. Am 05.08.1991 verstarb der Erblasser, ohne eine letztwillige Verfügung hinterlassen zu haben. Der Erblasser war verheiratet mit der am 04.02.2009 verstorbenen M. D.. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. Die Eltern des Erblassers sind vorverstorben. Der Beteiligte zu 1) ist der Bruder des Erblassers. Zwei weitere Geschwister des Erblassers sind ohne Hinterlassung von Abkömmlingen vorverstorben.

    Der Beteiligte zu 1) ist unter dem 31.08.2010 zur Aufklärung der Erbfolge nach dem Erblasser durch das Nachlassgericht angeschrieben worden und hat so erstmals erfahren, dass sein Bruder verstorben ist und er zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört (vgl. Bl. 18 d.A.). Mit einem am 10.09.2010 bei Gericht eingegangenen Schreiben wies der Beteiligte zu 1) darauf hin, dass er beim Tode seiner Eltern zu Gunsten seines Bruders (des Erblassers) auf seinen Erbteil verzichtet habe, ein Anrecht auf das Erbe nach seinem Bruder stehe ihm nicht zu. Er werde keinen Antrag auf das Erbe stellen (vgl. Bl. 31 d.A.).

    Unter dem 15.09.2010 wandte sich das Nachlassgericht erneut an den Beteiligten zu 1) und wies nochmals darauf hin, dass der Beteiligte zu den gesetzlichen Erben des Erblassers gehöre. Eine Ausschlagungserklärung oder ein wirksamer Erbverzicht liege nicht vor (vgl. Bl. 33 d.A.).

    Am 03.11.2010 beantragte der Freistaat Thüringen - vertreten durch die Thüringer Landesfinanzdirektion Erfurt - die Erteilung eines Erbscheines nach dem Erblasser, der die von dem Freistaat beerbte Ehefrau des Erblassers als Erbin zu ? Anteil und den Beteiligten zu 1) als Erben zu ? Anteil ausweist.

    Eine Abschrift des Erbscheinsantrages ist am 17.11. 2010 zum Zwecke der Zustellung an den Beteiligten zu 1) zur Post aufgegeben worden.

    Durch notarielle Urkunde vom 25.11.2010, bei Gericht eingegangen am 02.12.2010, hat der Beteiligte zu 1) die Anfechtung der Annahme der Erbschaft nach dem Erblasser erklärt und diese zugleich ausgeschlagen (Bl. 39f d.A.). Er sei aufgrund seines Schreibens an das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass er mit dem Nachlass seines Bruders nichts zu tun habe. Erst durch den Erbscheinsantrag der Thüringer Landesfinanzdirektion habe er erfahren, dass er nach wie vor gesetzlicher Erbe seines Bruders sei.

    Das Amtsgericht - Nachlassgericht - Heilbad Heiligenstadt hat am 28.12.2010 beschlossen, dass es die zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Zur Begründung hat das Nachlassgericht ausgeführt, der Beteiligte zu 1) habe die Erbschaft weder fristgemäß ausgeschlagen noch habe er die Annahme der Erbschaft fristgemäß angefochten. Die sechswöchige Anfechtungsfrist habe mit Erhalt des den Beteiligten zu 1) über seine fortdauernde Erbenstellung aufklärenden Schreibens vom 15.09.2010 begonnen und sei daher im Zeitpunkt der Anfechtung der Annahme gegenüber dem Nachlassgericht (02.12.2010) bereits abgelaufen gewesen.

    Gegen den ihm am 11.01.2011 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 1) am 14.01.2011 Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, das Schreiben des Amtsgerichts Heilbad Heiligenstadt vom 15.09.2010 nicht erhalten zu haben. Zum Beweis seiner Behauptung hat der Beteiligte zu 1) eine schriftliche Versicherung an Eides statt (vgl. Bl. 50 d.A.) abgegeben.

    Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

    II. 1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss nach § 352 Abs. 1, 2 FamFG ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgemäß eingelegt worden, §§ 63, 64 FamFG.

    2. Der Rechtsbehelf hat auch in der Sache Erfolg. Er führt zur Abänderung des angefochtenen Feststellungsbeschlusses nach § 352 Abs. 1 FamFG und zur Ablehnung des Erbscheinsantrages des Antragstellers. Entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts hat der Beteiligte zu 1) die Versäumung der Ausschlagungsfrist wirksam nach § 1956 BGB angefochten und durch die darin liegende Ausschlagung (§ 1957 Abs. 1 BGB) seine Erbenstellung rückwirkend beseitigt.

    a. Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 1) als Bruder des Erblassers zunächst gesetzlicher Erbe (§§ 1925 Abs. 1, 1930, 1931 Abs. 1 Satz 1, 1371 Abs. 1 BGB) geworden ist, weil die Erbschaft mangels frist- und formgerechter Ausschlagungserklärung (§§ 1944 Abs. 1, 2, 1945 Abs. 1 BGB) als angenommen gegolten hat (§ 1943, 2. Halbs. BGB).

    Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft begann mit Zugang des Schreibens des Nachlassgerichts vom 31.08.2010, durch welches der Beteiligte zu 1) erstmals vom Tod seines Bruders und seiner Erbenstellung erfahren hat (§ 1944 Abs. 2 BGB).

    Ob das innerhalb der Ausschlagungsfrist des § 1945 Abs. 2 BGB beim Nachlassgericht eingegangene Schreiben des Beteiligten zu 1) unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass dieser nicht Erbe nach seinem Bruder, dem Erblasser, sein möchte, kann dahin stehen, da das handschriftliche Schreiben des Beteiligten zu 1) den Formanforderungen des § 1945 Abs. 1, 2 BGB nicht genügt. Weitere Erklärungen des Beteiligten zu 1) sind innerhalb der Ausschlussfrist nicht beim Nachlassgericht eingegangen.

    b. Entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts hat der Beteiligte zu 1) die Versäumung der Ausschlagungsfrist wirksam angefochten und so seine Erbenstellung rückwirkend wieder beseitigt (§§ 1956, 1957 Abs. 1 BGB).

    Gemäß § 1956 BGB kann die Versäumung der Ausschlagungsfrist, mit der die Erbschaft als angenommen "gilt" (§ 1943, 2. Halbs.BGB), in gleicher Weise wie die Annahme angefochten werden. Auf die Fristversäumung finden die §§ 119 ff BGB mit der Maßgabe Anwendung, dass anstelle des Tatbestandsmerkmals "Abgabe einer Willenserklärung" zu lesen ist "Versäumung der Ausschlagungsfrist" (vgl. Palandt-Edenhofer, BGB, 69. Aufl., 2010, § 1956, Rn. 1 m.w.N.; vgl. auch Burandt/Rojahn/Trimborn von Landenberg, Erbrecht, 2011, § 1956, Rn. 1). Die in der Fristversäumung liegende Annahme kann deshalb wegen Irrtums angefochten werden, wenn der als Erbe Berufene die Erbschaft in Wirklichkeit nicht hat annehmen wollen und die Ausschlagungsfrist nur deshalb versäumt hat, weil er davon ausging, die Erbschaft bereits wirksam ausgeschlagen zu haben (so OLG Zweibrücken, Beschluss vom 23.02.2006, Az. 3 W 6/06 = NJW-RR 2006, 1594; BayObLG, Beschluss vom 13.10.1993, Az. 1Z BR 54/93 = NJW-RR 1994, 586;OLG Hamm, Beschluss vom 10.06.1985, Az. 15 W 131/85 = OLGZ 1985, 286).

    Nach diesen Rechtsgrundsätzen war der Beteiligte zu 1) zur Anfechtung der Fristversäumung berechtigt. Der Beteiligte zu 1) ging irrtümlich davon aus, die Erbschaft nach seinem Bruder nicht mehr ausschlagen zu müssen, weil er beim Tod der Eltern zu Gunsten seines Bruders auf den Nachlass verzichtet hatte; er glaubte, damit zugleich jegliche Rechte am Nachlass seines Bruders verloren zu haben.

    Die Anfechtung ist von dem Beteiligten zu 1) auch innerhalb der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 1954 BGB erklärt worden, die mit seiner Kenntnis von dem Anfechtungsgrund begann.

    Kenntnis vom Anfechtungsgrund hat der Beteiligte zu 1) entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts erst durch den Erbscheinsantrags der Landesfinanzdirektion Erfurt erlangt, der ihn als gesetzlichen Erben seines Bruders zu ? Anteil ausweist. Erst durch den Inhalt dieses Antrages hat der Beteiligte zu 1) Kenntnis davon erlangt, dass die Erbschaft nach seinem Bruder ungeachtet seines Verzichts auf das Erbe der Eltern als angenommen gilt.

    Der Erbscheinsantrag ist dem Beteiligten zu 1) am 20.11.2010 zugestellt worden (§ 15 Abs. 2 FamFG). Die Anfechtungserklärung ist am 02.12.2010, d.h. innerhalb der Anfechtungsfrist, bei dem zuständigen Nachlassgericht eingegangen; sie entspricht dem Formerfordernis der §§ 1955, 1945 BGB.

    Entgegen dem Nachlassgericht begann die Anfechtungsfrist nicht bereits mit Zugang des Schreibens des Nachlassgerichts vom 15.09.2010. Der Senat hält es aufgrund der von dem Beteiligten zu 1) vorgelegten eidesstattlichen Versicherung (Bl. 50 d.A.) für erwiesen (§§ 29, 30 FamFG), dass ihm das Schreiben des Nachlassgerichts vom 15.09.2010, in welchem ihn das Nachlassgericht darüber informiert hat, dass er - weiterhin - zu den gesetzlichen Erben seines Bruders gehöre, weil weder eine Ausschlagungserklärung noch ein wirksamer Erbverzicht nach seinem Bruder vorliege, nicht zugegangen ist und er deshalb bis zur Anhörung zu dem Erbscheinsantrag der Landesfinanzdirektion Erfurt irrtümlich davon ausging, ihm stehe ein Erbteil nach seinem Bruder nicht zu.

    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

    Gründe, gemäß § 70 Abs. 1 und 2 FamFG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 1956 BGB