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  • 23.09.2021 · IWW-Abrufnummer 224839

    Bundesgerichtshof: Urteil vom 09.07.2021 – V ZR 30/20

    Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies - vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen - zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Der Übertragende kann die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.


    Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 2021 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf
    für Recht erkannt:

    Tenor:

    Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Januar 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung hinsichtlich des Hilfsantrags (Rückauflassung und Zustimmung zur Eigentumsübertragung) zurückgewiesen worden ist.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.



    Tatbestand

    1


    Mit notariellem Vertrag vom 20. November 2013 übertrug der 1944 geborene Kläger, der zuvor einen schweren Herzinfarkt erlitten hatte, sein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück auf die Beklagte, seine Schwester. Als Gegenleistung bestellte diese dem Kläger ein Wohnrecht an bestimmten Räumen des Hauses und verpflichtete sich, ihn lebenslang zu betreuen und zu pflegen. Die Beklagte wurde als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen und bezog das Haus zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. In der Folgezeit kam es zu Streitigkeiten zwischen den Parteien. Ab Februar oder März 2014 erbrachte die Beklagte keine Pflegeleistungen mehr. Im März 2014 erklärte der Kläger den Rücktritt von dem Vertrag, weil die Beklagte von ihm Miete verlange und ihn bedrängt und genötigt habe.


    2


    Der Kläger nimmt die Beklagte, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, auf Rückübertragung des Grundstücks in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.




    Entscheidungsgründe



    I.

    3


    Das Berufungsgericht meint, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks gemäß § 323 Abs. 1 BGB. Zwar habe die Beklagte die im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Grundstücksübertragung stehende Pflegeverpflichtung nicht mehr erfüllt. Der Kläger hätte aber von der Beklagten unter Fristsetzung konkrete Pflegeleistungen verlangen müssen. Daran fehle es. Eine Rückabwicklung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB scheide ebenfalls aus. Da der Kläger in erheblicher Weise die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der Beklagten verletzt habe, sei der Rücktritt vom Vertrag nicht zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen geboten. Vielmehr erscheine es unbillig, wenn das schuldhaft pflichtwidrige Handeln des Klägers diesem die Möglichkeit eröffne, sich von dem Vertrag zu lösen.




    II.

    4


    Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.


    5


    1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es für den geltend gemachten Rückübertragungsanspruch auf die Erwägungen zu § 323 Abs. 1 BGB nicht an. Der Vertrag, in dem der Kläger der Beklagten das Grundstück übertragen und diese dafür eine Pflegeverpflichtung übernommen hat, ist zwar ein gegenseitiger Vertrag, auf den die Regelungen der §§ 320 ff. BGB anwendbar sind. Die Vorschrift des § 323 Abs. 1 BGB ist aber dennoch für das Verlangen des Klägers auf Rückübertragung des Grundstücks nicht einschlägig. Der Kläger hat den Rücktritt nämlich nicht darauf gestützt, dass die Beklagte die geschuldeten Pflegeleistungen seit Februar oder März 2014 nicht mehr erbringt. Er macht vielmehr geltend, es sei ihm aufgrund eines heillosen Zerwürfnisses nicht länger zumutbar, Pflegeleistungen der Beklagten anzunehmen. Dass zwischen den Parteien ein tiefgreifendes Zerwürfnis besteht, ist für das Revisionsverfahren zugunsten des Klägers zu unterstellen. Ist Grundlage des Anspruchs des Klägers auf Rückübertragung aber nicht die Nicht- oder Schlechtleistung der Pflege, sondern die Unzumutbarkeit der persönlichen Leistungen durch die Beklagte, bestimmt sich die Frage, ob ein Anspruch auf Rückübertragung des Grundstücks besteht, nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 3 BGB (vgl. auch Senat, Urteil vom 1. Februar 2002 - V ZR 61/01, NJW-RR 2002, 853, 854).


    6


    2. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der Anspruch des Klägers auf Rückübertragung des Grundstücks gemäß § 313 Abs. 3 BGB nicht verneint werden.


    7


    Der Anspruch auf Rückübertragung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage des Grundstücksübertragungsvertrags mit Pflegeverpflichtung kommt nicht nur in Betracht, wenn dies zur Vermeidung „untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarere Folgen unabweisbar erscheint“. Soweit das Berufungsgericht zur Begründung seiner Rechtsansicht auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verweist (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - X ZR 246/98, juris Rn. 33), übersieht es, dass diese zu der früheren Rechtslage ergangen ist. Die durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138) eingeführte Vorschrift des § 313 Abs. 3 BGB sieht bei Wegfall der Geschäftsgrundlage die Rechtsfolge der Auflösung des Vertrags nunmehr dann vor, wenn eine Anpassung nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 BGB). Die Auflösung des Vertrags hat durch Rücktritt oder Kündigung zu erfolgen, je nachdem, ob das Schuldverhältnis rückwirkend oder -wie etwa ein Dauerschuldverhältnis - nur für die Zukunft beseitigt werden kann (vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 176 unter Hinweis auf Senat, Urteil vom 12. Juni 1987 - V ZR 91/86, BGHZ 101, 143, 150). Sie ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht auf „Extremfälle“ beschränkt. Dass bei dem Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Grundstücksübertragungsvertrags mit Wohnrechtsgewährung und Pflegeverpflichtung ein Rückübertragungsanspruch besteht, wenn eine Vertragsanpassung nicht möglich ist, hat der Senat im Übrigen auch unter Geltung des alten Rechts angenommen (vgl. Urteil vom 24. Oktober 2003 - V ZR 24/03, NJW-RR 2004, 229, 230 und Urteil vom 23. September 1994 - V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78).


    8


    3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.


    9


    Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung geltend, das Risiko der Zerrüttung sei dem Kläger deshalb zugewiesen, weil für ihn in § 7 des Übertragungsvertrags bestimmte Rücktrittsgründe vereinbart sind (Veräußerung oder Belastung des Grundstücks ohne Zustimmung des Klägers; Vorversterben und wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Beklagten), zu denen das Zerwürfnis zwischen ihm und der Beklagten nicht gehört. Richtig ist zwar, dass für die Berücksichtigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kein Raum ist, wenn sich damit ein Risiko verwirklicht hat, das nach der vertraglichen Regelung in den Risikobereich der betroffenen Partei fällt (vgl. Senat, Urteil vom 23. Mai 2014 - V ZR 208/12, NJW 2014, 3439 Rn. 22; Urteil vom 1. Juni 1979 - V ZR 80/77, BGHZ 74, 370, 373; BGH, Urteil vom 25. Februar 1993 - VII ZR 24/92, BGHZ 121, 378, 392). Eine Übernahme des Risikos der Zerrüttung durch den Kläger liegt aber nicht schon darin, dass die Parteien für diesen Fall ein vertragliches Rücktrittsrecht nicht vereinbart habe. Die Aufzählung der Rücktrittsgründe in § 7 des Übertragungsvertrags ist nicht in dem Sinne abschließend, dass der Kläger bei heilloser Zerrüttung des Verhältnisses zu seiner Schwester nicht nach § 313 Abs. 3 BGB zurücktreten könnte. Für diesen Fall haben die Parteien vielmehr gerade keine Regelung getroffen, weil sie ihn erkennbar nicht bedacht haben. Das Ergebnis, dass der Kläger das Risiko der Zerrüttung zu tragen hätte, ließe sich auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung herleiten. Zwar hat diese Vorrang vor den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - VII ZR 157/17, NJW 2018, 2469 Rn. 36 mwN). Es sind aber keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Parteien - hätten sie die Möglichkeit der Zerrüttung ihres Verhältnisses bedacht - das Risiko einer solchen Entwicklung allein dem Kläger zugewiesen hätten.




    III.

    10


    Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben, soweit es mit der Revision angegriffen worden ist. In diesem Umfang ist es aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da er nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:


    11


    1. Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies - vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen - zu dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dafür kommt es nicht darauf an, welche Vertragspartei welchen Anteil an dem Zerwürfnis trägt. In der Regel tragen nämlich beide Vertragsparteien ihren Anteil daran und es lässt sich auch durch eine Beweisaufnahme kaum aufklären, ob der Anteil des einen oder des anderen überwiegt. Grund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage ist die eingetretene Zerrüttung, die ein Festhalten an dem Vertrag unzumutbar macht.


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    2. Der Übertragende kann in diesem Fall die Rechte aus § 313 BGB geltend machen, es sei denn, die Zerrüttung ist eindeutig ihm allein anzulasten.


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    a) Es ist anerkannt, dass sich die betroffene Partei auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn sie nicht schutzwürdig ist (vgl. MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 Rn. 75; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 313 Rn. 22, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Dafür reicht es bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung jedoch nicht aus, dass der Übertragende überhaupt zu dem Zerwürfnis beigetragen hat oder dass dieses ihm in stärkerem Maße zurechenbar ist als dem Übernehmenden. Weil typischerweise beide Vertragsparteien mit ihrem Verhalten zu der Zerrüttung des Verhältnisses beitragen und ein eindeutiger Schwerpunkt der Verursachung hierfür auch durch eine Beweisaufnahme regelmäßig nicht bestimmt werden kann, ist dem Übertragenden das Festhalten an dem Vertrag trotz der Zerrüttung nur dann zumutbar, wenn feststeht, dass ihm diese ausnahmsweise allein anzulasten ist.


    14


    b) Für diesen Ausnamefall ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Für die Umstände, auf die die Anwendung der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützt werden soll, trägt zwar derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich darauf beruft (vgl. Senat, Urteil vom 8. November 2002 - V ZR 398/01, NJW 2003, 510). Steht bei einem Grundstücksübertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung aber fest, dass das Verhältnis der Beteiligten zerrüttet ist, muss der Übernehmende die für ihn günstige Tatsache darlegen und beweisen, dass der Übertragende sich ausnahmsweise nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann (zur Beweislast bei § 323 Abs. 6 BGB vgl. MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl., § 323 Rn. 293; Staudinger/Schwarze, BGB [2020], § 323 Rn. E 9).


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    3. Sollten danach die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben sein, hat das Berufungsgericht - auf der Grundlage des gegebenenfalls noch zu ergänzenden Sachvortrags der Parteien - zu prüfen, ob der Kläger die Auflösung des Vertrags verlangen kann, weil ihm die vorrangige Vertragsanpassung nicht möglich oder ihm bzw. der Beklagten nicht zumutbar ist (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB). Als eine solche vorrangige Vertragsanpassung könnte eine Zahlung in Geld durch die Beklagte anstelle der Sach- und Dienstleistungen in Betracht kommen, entweder in Form einer Rentenzahlung, wenn sie gesichert ist (vgl. Senat, Urteil vom 20. März 1981 - V ZR 152/79, WM 1981, 657; Urteil vom 23. September 1994 - V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78; Urteil vom 1. Februar 2002 - V ZR 61/01, NJW-RR 2002, 853, 854; zur Sicherung einer Leibrente durch Reallast vgl. BayObLG, DNotZ 1980, 94, 95), oder in Form eines Kapitalbetrags, was die Zahlung eines „nachträglichen Kaufpreises“ bedeuten würde. Dabei wäre gegebenenfalls zu berücksichtigen, ob, was in der mündlichen Revisionsverhandlung zur Sprache gekommen ist, auch das Wohnrecht des Klägers durch eine Geldzahlung abgegolten werden müsste, weil das Verhältnis zwischen den Parteien derart zerrüttet sein könnte, dass es ihm nicht mehr zumutbar ist, mit der Beklagten unter einem Dach zusammenzuleben.


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    Sollte eine Vertragsanpassung in Form von Geldleistungen nicht möglich bzw. dem Kläger wegen der finanziellen Verhältnisse der Beklagten nicht zumutbar sein, könnte er die Rückübertragung des zugewendeten Eigentums an dem Hausgrundstück von der Beklagten verlangen (§ 313 Abs. 3 BGB; vgl. auch Senat, Urteil vom 23. September 1994 - V ZR 113/93, NJW-RR 1995, 77, 78 mwN). Das bedeutete nicht die Entstehung eines Rückgewährschuldverhältnisses nach § 346 BGB (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB), sondern, weil der Vertrag wegen der Pflegeverpflichtung Elemente eines Dauerschuldverhältnisses enthält (§ 313 Abs. 3 Satz 2 BGB), die Auflösung des Vertrags mit Wirkung ex nunc mit der Folge, dass die Beklagte das Grundstück zurückzuübertragen hätte und von ihrer Pflegeverpflichtung befreit würde (vgl. Senat, Urteil vom 23. September 1994 - V ZR 113/93, aaO).


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    Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass nur die Auflösung des Vertrags in Betracht kommt, weil die vorrangige Anpassung nicht möglich ist, trägt der Kläger (vgl. BeckOGK/Martens, BGB [1.4.2021], § 313 Rn. 162).


    Stresemann
    Schmidt-Räntsch
    Kazele
    Haberkamp
    Hamdorf

    Von rechts Wegen

    Vorschriften