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  • 16.12.2020 · IWW-Abrufnummer 219493

    Oberlandesgericht München: Beschluss vom 18.06.2020 – 31 Wx 553/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht München

    Beschluss vom 18.06.2020


    In Sachen
    ...
    verstorben am 15.04.2018
    - Erblasser -
    Beteiligte:
    1) ...
    - Beschwerdeführerin -
    2) ...
    3) ...
    - Nachlasspflegerin -
    4) ...
    5) ...
    Verfahrensbevollmächtigter zu 1:
    Rechtsanwalt ...
    Verfahrensbevollmächtigte zu 2:
    Rechtsanwälte ...
    Verfahrensbevollmächtigte zu 4 und 5:
    Rechtsanwältin ...

    wegen Nachlassbeschwerde

    erlässt das Oberlandesgericht München - 31. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 18.06.2020 folgenden

    Beschluss

    Tenor:

    1.

    Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Traunstein - Nachlassgericht - vom 05.08.2019 aufgehoben.

    Gründe

    I.

    Der geschiedene Erblasser ist am 15.4.2018 verstorben. Aus der geschiedenen Ehe entstammen zwei Töchter, die Beteiligten zu 4 und 5.

    Der Erblasser hat ein Testament vom 15.10.2017 hinterlassen, in dem er die Beteiligten zu 1 und 2 je zur Hälfte als seine Erben eingesetzt hat.

    Das Nachlassgericht hat diesen daraufhin am 7.8.2018 einen entsprechenden Erbschein erteilt.

    In der Folgezeit äußerten die Beteiligten zu 4 und 5 Zweifel an der Eigenhändigkeit des Testaments, woraufhin das Nachlassgericht ein Sachverständigengutachten zur Frage der eigenhändigen Errichtung des Testaments vom 15.10.2017 eingeholt hat, das am 16.9.2019 erstattet wurde.

    Am 24.9.2019 erhob der Beteiligte zu 2 vor dem Landgericht Traunstein - Zivilkammer - gegen die Beteiligten zu 4 und 5 Klage auf Feststellung, dass er den Erblasser zu 1/2 beerbt habe.

    Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 24.10.2019 "das Verfahren" ausgesetzt.

    Bereits mit Beschluss vom 5.8.2019 hatte das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger bestellt.

    Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2 vom 14.8.2019.

    II.

    Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis erfolgreich.

    Der Senat teilt nicht die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach die Voraussetzungen für die Bestellung eines Nachlasspflegers im vorliegenden Falle gegeben sind; jedenfalls ist der Erbe nicht unbekannt im Sinne des § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB.

    1. Der Erbe ist unbekannt, wenn sich das Nachlassgericht - oder ihm nachfolgend im Beschwerdeverfahren das Beschwerdegericht - nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen kann, wenn von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist (BGH ZEV 2013, 36 [BGH 17.07.2012 - IV ZB 23/11]). Das gilt auch dann, wenn nur zwei Personen als Erben in Frage kommen, sich das Nachlassgericht aber nicht davon überzeugen kann, wer von beiden Erbe ist (BayObLGZ 1960, 405).

    Die Vermutung des § 2365 schließt im Regelfall das Unbekanntsein des Erben aus, wenn ein Erbschein erteilt ist (Leipold in: MüKo/BGB 8. Auflage <2020> § 1960 Rn. 19). Der Erbe kann gleichwohl unbekannt sein, wenn zwar bereits ein Erbschein erteilt ist, aber ein wohlbegründeter Antrag auf dessen Einziehung vorliegt (BayObLG a.a.O.; BeckOK/Höger Stand <1.2.2020> § 1960 Rn. 4). Liegt ein solcher Antrag auf Einziehung des Erbscheins vor, hat das Nachlassgericht die Frage, ob seine Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert ist, als Vorfrage für die Anordnung der Nachlasspflegschaft selbständig zu prüfen (BayObLG a.a.O.).

    2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze teilt der Senat zunächst die Ansicht, dass allein der Umstand, dass die Beteiligten zu 1 und 2 am 7.8.2018 einen Erbschein erteilt bekommen haben, der Bestellung eines Nachlasspflegers nicht grundsätzlich entgegensteht. Vielmehr ist als Vorfrage vor der Bestellung des Nachlasspflegers zu prüfen, ob die Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert ist (BayObLG a.a.O.).

    Letzteres ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall.

    a) Das Nachlassgericht hat am 7.8.2018 einen Erbschein erteilt, der auf dem Testament des Erblassers vom 15.10.2017 basiert.

    aa) Der erteilte Erbschein wäre einzuziehen (§ 2361 BGB), wenn er unrichtig ist. Das ist dann der Fall, wenn das Gericht das bezeugte Erbrecht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr als gegeben ansieht, wobei bloße Zweifel nicht genügen (Palandt/Weidlich BGB, 79. Auflage <2020> § 2362 Rn. 9; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 39 Rn. 1). Das Nachlassgericht muss sich dabei in die Lage versetzen, als hätte es den Erbschein erstmals zu erteilen (Palandt/Weidlich a.a.O.).

    bb) Zuständig für diese Vorprüfung ist der Rechtspfleger, der beabsichtigt, einen Nachlasspfleger zu bestellen, 16 Abs. 1 Nr. 1 RpflG (Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 41 Rn. 65). Dies gilt auch dann, wenn für das Einziehungsverfahren der Nachlassrichter zuständig wäre (§§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, Abs. 2 RpflG).

    cc) Es kann dahinstehen, ob für das Verfahren auf Bestellung eines Nachlasspflegers im Hinblick auf die Zweifel an der Richtigkeit des erteilten Erbscheins derselbe Überzeugungsmaßstab wie im Einziehungsverfahren nach § 2361 BGB gilt. Jedenfalls ist die Überzeugung von der Richtigkeit des erteilten Erbscheins nicht in einem Maße erschüttert, das die Bestellung eines Nachlasspflegers rechtfertigen würde.

    (1) Soweit seitens der Beteiligten zu 4 und 5 im - mittlerweile ausgesetzten - Einziehungsverfahren Zweifel geäußert wurden, ob das Testament vom 15.10.2017 eigenhändig errichtet wurde, wurden diese durch das vom Nachlassgericht eingeholte Sachverständigengutachten der Schriftsachverständigen Dipl. Psychologin S. vom 16.9.2019 ausgeräumt. Diese kommt in einem fundierten und sachkundigen Gutachten zu dem Ergebnis, dass sowohl der Text der Urkunde als auch die Unterschrift mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Erblasser stammen, was bedeutet, dass Zweifel an der Urheberschaft lediglich noch in einer Größenordnung von < 0,01% bestehen.

    Mithin steht die Urheberschaft des Erblassers für die fragliche Verfügung mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit (BGH NJW 1993, 935 [BGH 14.01.1993 - IX ZR 238/91]), der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2014, 71 [BGH 16.04.2013 - VI ZR 44/12]; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 39. Auflage <2019> § 286 Rn. 2) fest. Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (BGH NJW 1994, 1348).

    (2) Soweit zuletzt seitens der Beteiligten zu 4 und 5 vorgetragen wurde, der Erblasser sei "zum Zeitpunkt der vermeintlichen Testamentserrichtung ... gesundheitlich bereits sehr angeschlagen" gewesen, vermag auch dies keine erheblichen Zweifel an der Richtigkeit des erteilten Erbscheins zu begründen.

    Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers im Errichtungszeitpunkt, die nach der Konzeption des § 2229 Abs. 4 BGB die Regel ist, begründet dieser Vortrag nicht.

    In welchem Umfang das Nachlassgericht Ermittlungen für eine mögliche Testierunfähigkeit bei einem Erblasser anstellen muss, hängt von den Einzelheiten des jeweiligen Falles ab. Zunächst müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass überhaupt eine krankheitsbedingte Aufhebung der Testierfähigkeit vorgelegen haben könnte. Für die Annahme derart konkreter Anhaltspunkte reichen weder ein fortgeschrittenes Alter an sich, noch pauschale Aussagen von Beteiligten (Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 38 Rn. 71).

    Ergeben sich für das Nachlassgericht keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser bei Errichtung der Verfügung testierunfähig gewesen sein könnte, kann es ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens in der Sache entscheiden (BayObLG NJW-RR 1990, 1419).

    So liegt der Fall hier: Es sind bislang weder Umstände vorgetragen noch ersichtlich, die für eine Testierunfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments am 15.10.2017 sprechen würden. Die behauptete Unfähigkeit des Erblassers, Verrichtungen des täglichen Lebens alleine zu bewältigen, reicht dafür jedenfalls ersichtlich nicht aus.

    Mithin ist auch insoweit die Überzeugung von der Richtigkeit des Erbscheins vom 7.8.2018 nicht erschüttert. Auch dieser Gesichtspunkt führt demzufolge nicht dazu, dass die Erben unbekannt im Sinne des § 1960 Abs. 1 S. 2 BGB wären.

    Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben, da die Voraussetzungen für die Bestellung eines Nachlasspflegers nicht vorliegen.

    III.

    Gerichtskosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an (§ 25 GNotKG).

    Für die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten sieht der Senat keine Veranlassung.

    IV.

    Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

    RechtsgebieteBGB, RpflGVorschriftenBGB § 1960; BGB § 2361; BGB § 2365; RpflG § 16; RpflG § 19