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  • 04.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211014

    Oberlandesgericht Naumburg: Beschluss vom 06.05.2019 – 2 Wx 43/18

    1. Im Rahmen einer nach § 78 Abs. 2 FamFG zu treffenden Entscheidung über die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Vertretung in einem Nachlassverfahren ist zu prüfen, ob entweder die Sach- oder die Rechtslage nach den konkreten objektiven und subjektiven Umständen des Einzelfalls als schwierig zu bewerten ist.

    2. Zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine Beiordnung in einem Verfahren über die Erteilung eines Erbscheins, in dem die Testierfähigkeit der Erblasserin im Streit steht.


    Oberlandesgericht Naumburg

    Beschl. v. 06.05.2019


    Tenor:

    Auf die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 5) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Wittenberg vom 7. Juni 2018 teilweise aufgehoben, soweit mit ihm der Antrag der Beteiligten zu 5) auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin H. zurückgewiesen worden ist.

    Der Beteiligten zu 5) wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug, rückwirkend ab dem 5. Mai 2018, bewilligt. Im Umfange der Bewilligung wird ihr Rechtsanwältin H. zur Vertretung in der Nachlassangelegenheit beigeordnet.

    Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.

    Gründe

    A.

    Die Erblasserin war verwitwet. Die Beteiligten zu 2) bis zu 5) sind ihre Kinder, die Beteiligte zu 1) ist ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts - Nachlassgericht - Wittenberg vom 21.06.2018 (12 VI 852/18) die alleinige Erbin des bisherigen Beteiligten zu 1) F. Sch. und führt das Verfahren an seiner Stelle fort.

    Die Erblasserin errichtete gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen Ehemann W. Sch. zu UR Nr. 237/2001 der Notarin S. K. in W. vom 27.03.2001 ein gemeinschaftliches Testament, mit welchem sie sich wechselseitig zu Alleinerben einsetzten. Sie bestimmten den bisherigen Beteiligten zu 1) zu ihrem alleinigen Schlusserben und brachten Vermächtnisse zugunsten ihrer weiteren vier Kinder aus. Zugleich bestimmten sie, dass der überlebende Teil über das beiderseitige Vermögen jederzeit frei verfügen könne.

    Nach dem Tode ihres Ehemannes und nach Einrichtung einer Betreuung für sie errichtete die Erblasserin zu UR Nr. 373/2015 des Notars St. L. in W. vom 19.03.2015 ein weiteres Testament, mit dem sie ihre fünf Kinder zu jeweils gleichberechtigten Erben bestimmte.

    Beide Testamente wurden am 11.07.2016 vom Amtsgericht - Nachlassgericht - Wittenberg eröffnet (Az.: 12 IV 195/15). Alle fünf Nachkommen der Erblasserin nahmen die Erbschaft an.

    Am 28.09.2017 hat der bisherige Beteiligte zu 1) unter anwaltlicher Mitwirkung zur Niederschrift des Nachlassgerichts die Erteilung eines Erbscheins beantragt, welcher ihn als den Alleinerben der Erblasser ausweise. Er hat sich darauf berufen, dass das Testament der Erblasserin vom 19.03.2015 unwirksam sei, weil die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt testierunfähig gewesen sei. Die Beteiligte zu 5) hat dem Antrag widersprochen.

    Ebenfalls am 28.09.2017 hat die Beteiligte zu 5) mit anwaltlichem Schriftsatz, jedoch u.a. ohne Beifügung der erforderlichen eidesstattlichen Versicherung, die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, welcher den Bestimmungen des Testaments vom 19.03.2015 Rechnung trägt.

    Das Nachlassgericht hat - zunächst ohne weitere Amtsermittlung - am 01.02.2018 die für die Erteilung des vom bisherigen Beteiligten zu 1) beantragten Erbscheins notwendigen Tatsachen für festgestellt erachtet.

    Gegen diesen, ihr am 20.02.2018 zugegangenen Beschluss hat die Beteiligte zu 5) am 19.03.2018 Beschwerde eingelegt und für ihre Behauptung, dass die Erblasserin am 19.03.2015 testierfähig gewesen sei, zwei Zeugen benannt sowie darauf verwiesen, dass der beurkundende Notar aufgrund eigener, in der Urkunde dokumentierter Testfragen von der Testierfähigkeit der Erblasserin ausgegangen sei.

    Daraufhin hat das Nachlassgericht im Rahmen des sog. Abhilfeverfahrens, d.h. vor einer Entscheidung über die Abhilfe bzw. Nichtabhilfe auf das Rechtsmittel, einen Beweisbeschluss erlassen und die Einholung eines schriftlichen nervenärztlichen Gutachtens angeordnet.

    Mit ihrem Schriftsatz vom 03.05.2018 hat die Beteiligte zu 5) u.a. die Bewilligung von "Prozesskostenhilfe" unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragt und eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen eingereicht.

    Das Nachlassgericht hat mit seinem Beschluss vom 07.06.2018 u.a. auch den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen.

    Der Richter hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass das Verfahren keine besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten aufwerfe, insbesondere auch deswegen, weil es genüge, dem Gericht die Tatsachen mitzuteilen, auf die es ihrer Ansicht nach ankomme; rechtliche Ausführungen seien nicht erforderlich.

    Gegen diese, ihr am 18.06.2018 zugestellte Entscheidung wendet sich die Beteiligte zu 5) mit ihrer am 13.07.2018 vorab per Fax beim Nachlassgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde.

    Das Nachlassgericht hat nach Anhörung aller Beteiligten und unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Beteiligten zu 1) dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 10.08.2018 dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.

    Im Beschwerdeverfahren hatten alle Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme.

    B.

    I. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 5) ist nach § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden.

    II. Über das Rechtsmittel entscheidet der Senat nach § 568 Satz 1 ZPO durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter.

    III. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

    1. Das Nachlassgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in dem eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, wie hier im Nachlassverfahren auf Erteilung eines Erbscheins, am Maßstab des § 78 Abs. 2 FamFG auszurichten ist. Der Richter hat zu Recht auf die Auslegung dieser Vorschrift i.S. der Grundsatzentscheidung des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs verwiesen (BGH, Beschluss v. 23.06.2010, XII ZB 232/09, BGHZ 186, 70). Die darin ausführlich dargelegten Auslegungsgrundsätze (vgl. BGH, a.a.O., in juris Tz. 12 bis 25) macht sich der erkennende Senat zu Eigen. Danach verlangt § 78 Abs. 2 FamFG, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts im konkreten Einzelfall erforderlich ist, d.h. dass das Gericht die Notwendigkeit anhand der konkreten objektiven und subjektiven Umstände im Hinblick auf die Schwierigkeit der Sachlage oder auf die Schwierigkeit der Rechtslage prüft.

    2. In der Bewertung dieser zu prüfenden Umstände folgt der Senat dem Nachlassgericht indessen nicht.

    a) Der Senat lässt offen, ob der vorliegende Fall in materiell-rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist. Dies mag zweifelhaft sein, weil der Senat in seiner Entscheidungspraxis auch häufig bei Juristen ein Missverständnis des § 2229 Abs. 4 BGB, insbesondere auch in Fragen der Verteilung der Feststellungslast, erlebt hat.

    b) Der vorliegende Fall weist jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht aus der objektivierten Sicht der Beteiligten zu 5) erhebliche Schwierigkeiten auf.

    Die Feststellung einer Testierunfähigkeit i.S. von § 2229 Abs. 4 BGB erfordert, wenn sie - wie hier - mit Gründen angegriffen wird, regelmäßig aufwändige Ermittlungen sowie die tatsächliche Bewertung komplexer Sachverhalte.

    Im vorliegenden Verfahren ist abzusehen, dass allein die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens noch keine abschließende Beurteilung erlauben wird. Die Akte des Betreuungsverfahrens und ggf. die Dokumentation der Betreuung sind auszuwerten, mehrere Zeugen sind benannt, u.U. kommt die Vernehmung weiterer Auskunftspersonen zur Verfassung der Erblasserin im zeitlichen Umfeld der Errichtung des zweiten Testaments (beurkundender Notar, Hausarzt etc.) in Betracht. Es steht in Aussicht, dass diese Anhörungen bzw. Vernehmungen in Gegenwart des nervenärztlichen Sachverständigen zu führen sind und dessen abschließende Anhörung erforderlich wird. Zwar werden die Ermittlungen von Amts wegen geführt, zur Wahrnehmung ihrer Beteiligtenrechte wird die gerichtsunerfahrene Beteiligte zu 5) z.B. in einer nichtöffentlichen Sitzung jedoch allein nicht in der Lage sein.

    Schließlich kommt hinzu, ohne allein entscheidend zu sein, dass die Beteiligte zu 1), welche die Erteilung des Erbscheins nach dem Antrag des bisherigen Beteiligten zu 1) betreibt, von Anfang an anwaltlich vertreten ist und der bisherige Beteiligte zu 1) offenkundig in seiner parallelen Bewertung ebenfalls der Ansicht gewesen ist, dass er ein solches Nachlassverfahren nicht ohne anwaltlichen Beistand wird führen können.

    Weswegen für die Beteiligte zu 5) etwas anderes gelten sollte, ist nicht ersichtlich.

    3. Die weiteren Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe liegen vor.

    Insbesondere ist der Beteiligten zu 5) nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Verfahrenskostenhilfe ohne eine Verpflichtung zur Ratenzahlung zu gewähren.

    C.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO; die Nichterhebung von Gerichtsgebühren ergibt sich im Umkehrschluss aus KV Nr. 1912 FamGKG, welcher eine Pauschalgebühr nur für den Fall der Verwerfung bzw. Zurückweisung des Rechtsmittels vorsieht.

    Die Festsetzung des Kostenwerts des Beschwerdeverfahrens ist aus dem vorgenannten Grunde entbehrlich.