· Fachbeitrag · Pflichtteilsanspruch
Entstehung und Verjährung des Pflichtteilsanspruchs im Falle einer Rechtsausübungssperre
von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar
| Im Revisionsverfahren hat sich der BGH mit der Frage der Entstehung und Verjährung des Pflichtteilsanspruchs eines nicht ehelichen Kindes bei Geltung einer Rechtsausübungssperre vor rechtskräftiger, postmortaler Entscheidung über die Feststellung der Vaterschaft befasst. |
Sachverhalt
Die Klägerin, die nicht eheliche Tochter des Erblassers, macht gegen den Beklagten, den der Erblasser als Alleinerben eingesetzt hatte, im Wege der Stufenklage einen Pflichtteilsanspruch geltend. Der Erblasser ist im August 2017 verstorben. Die Klägerin erhielt noch im selben Jahr Kenntnis vom Erbfall. Am 5.5.22 leitete sie ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren ein. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 30.6.22 wurde festgestellt, dass die Klägerin die leibliche Tochter des Erblassers ist. Nach erfolglosem Auskunftsverlangen hat die Klägerin die Stufenklage erhoben. Der Beklagte hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen.
Das LG Aachen hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Pflichtteilsanspruch sei verjährt. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG Köln den Beklagten auf der 1. Stufe unter Zurückweisung des Antrages auf Beifügung von Belegen zur Auskunftserteilung und Wertermittlung verurteilt und das Verfahren hinsichtlich des Zahlungsantrags an das LG zurückverwiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der BGH hat das Urteil des OLG Köln aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
Zur Begründung hat der BGH (12.3.25, IV ZR 88/24, Abruf-Nr. 247371) ausgeführt, dass das OLG mit der von ihm gegebenen Begründung eine Verjährung nicht habe verneinen dürfen. Der Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB sowie die Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche aus § 2314 Abs. 1 BGB unterlägen der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginne die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2).
Nach § 2317 Abs. 1 BGB entstehe der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall (hier: 5.8.17). Entgegen der Auffassung des OLG Köln führe der Umstand, dass die Vaterschaft des Erblassers erst postmortal im Jahre 2022 gerichtlich festgestellt worden sei, in Ansehung des § 1600d Abs. 5 BGB nicht dazu, dass der Pflichtteilsanspruch (erst) im Jahr 2022 entstanden sei. Aus § 1600d Abs. 5 BGB folge zwar, dass auch der auf die Vaterschaft eines Erblassers gestützte Pflichtteilsanspruch erst mit wirksamer Feststellung derselben mit Erfolg geltend gemacht werden könne. Dies führe aber nicht dazu, dass der Zeitpunkt der Entstehung des Pflichtteilsanspruchs bis zur Rechtskraft der postmortalen Vaterschaftsfeststellung hinausgeschoben sei (wird ausgeführt). Hiergegen spreche bereits der eindeutige Wortlaut des § 2317 Abs. 1 BGB, wonach der Anspruch auf den Pflichtteil mit dem Erbfall entstehe.
Sinn und Zweck der Vorschrift erforderten keine vom Wortlaut abweichende Auslegung. § 2317 Abs. 1 BGB bestimme einschränkungslos, dass der Anspruch mit dem Erbfall entstehe. Hieran knüpften dann die beiden Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Entstehung des Anspruchs) und Nr. 2 (Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände und der Person des Schuldners) an.
Die Klägerin habe erst mit rechtskräftigem Abschluss des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens Kenntnis i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners gehabt. Da § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB die grob fahrlässige Unkenntnis der Kenntnis gleichstelle, beginne die Verjährungsfrist eines entstandenen Anspruchs aber auch dann, wenn die den Anspruch begründenden Umstände und die Person des Schuldners dem Gläubiger nur deshalb nicht bekannt sind, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit müsse es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteige.
Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin wäre angesichts der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB) und der Klageerhebung im Jahr 2023 verjährt, wenn ihr vor dem 1.1.20 grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen wäre, weil sie das gerichtliche Feststellungsverfahren nicht schon früher betrieben und damit ihre Kenntnis von der Vaterschaft des Erblassers hinausgeschoben habe, und wenn während des Laufs der Verjährungsfrist kein Hemmungstatbestand nach den §§ 203 ff. BGB vorgelegen hätte, der eine Verjährung bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung gehindert hätte.
Die Angelegenheit sei nicht zur Endentscheidung reif, weil sich das Berufungsgericht nicht mit der Frage beschäftigt habe, ob der Anspruch verjährt sei, insbesondere weil der Klägerin die den Anspruch begründenden Umstände zu einem Zeitpunkt vor dem 1.1.20 aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen seien (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB).
MERKE | Die für die Beratungspraxis lesenswerte Entscheidung stellt klar, dass
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