Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Testamentsauslegung

    Deutung verwendeter Fachbegriffe vor dem Verständnishorizont des Verfassers

    von RA und VRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar

    | Hat ein juristischer Laie ein privatschriftliches Testament formuliert, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass er Fachbegriffe im Sinn der tatsächlichen Terminologie verwendet hat. In der Praxis wird z.B. häufig festgestellt, dass als „Nacherbe“ ein „Ersatzerbe“ oder „Schlusserbe“ gemeint ist. Gewährleistet die Mitwirkung eines Notars hingegen, dass der Erblasserwille zweifelsfrei nierdergelegt worden ist? Der Autor geht im Folgenden der Frage nach, welchen Einfluss die Errichtungsform von Testamenten auf ihre einfache/erläuternde Auslegung hat.  |

     

    1. Gebrauch von Fachbegriffen durch juristische Laien

    Im Rahmen der Auslegung ist zu prüfen, ob der Erblasser die juristischen Fachbegriffe tatsächlich im Sinne der juristischen Terminologie verstanden und verwendet hat (OLG Düsseldorf FamRZ 11, 1980). Laien sind sich etwa in der Regel nicht bewusst, dass einzelne Gegenstände nicht vererbt, sondern nur durch Vermächtnis oder Teilungsanordnung zugewandt werden können.

     

    Als Folge verwechseln Laien häufig das Begriffspaar „erben“ und „vermachen“ (vgl. § 2087 BGB als gesetzliche Auslegungsregel). Auch sind sie sich zum Teil nicht bewusst, dass bei der Anordnung von Vor- und Nacherbschaft der Vorerbe vielen gesetzlichen Beschränkungen unterliegt. Dies erklärt das Vertauschen der Worte „Nacherbe“, „Ersatzerbe“ oder „Schlusserbe“. Dem Gebrauch der Begriffe „Vorerbe“ und „Nacherbe“ kommt keine entscheidende Bedeutung im Rahmen der Auslegung zu (OLG München FamRZ 12, 581: Bewertung der Einsetzung zum „befreiten Vorerben“ als „Alleinerbe“ beim gemeinschaftlichen Testament). Mit der Formulierung „Pflichtteil“ kann der gesetzliche Erbteil gemeint sein (BayObLG FamRZ 02, 269).

     

    Der auslegende Rechtsanwalt/Richter muss die Überlegung anstellen, was der Erblasser mit den verwendeten Begriffen tatsächlich gemeint hat. Gerade der ausgebildete Jurist soll sich davor hüten, sein ihm zur selbstverständlichen Gewohnheit gewordenes juristisches Sprachverständnis zu verallgemeinern. Bei Vorfinden von Fachbegriffen darf er nicht ohne Weiteres von der gesetzlichen Rechtsfolge ausgehen. Worte, die fachsprachlich eine feste Bedeutung haben, können umgangssprachlich unscharf oder in mehrfacher Bedeutung verwendet werden. Das gilt auch, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Erblasser vor Testamentserrichtung „juristische Erkundigungen“ eingezogen hatte. Dann ist entscheidend, „ob juristische Kenntnisse in der letztwilligen Verfügung derart Niederschlag gefunden haben, dass davon auszugehen wäre, sie seien so qualifiziert gewesen, dass bestimmte Begriffe schlechterdings nur in dem juristisch-technischen Sinne gemeint sein könnten“ (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Zu prüfen ist, ob die gebrauchten juristischen Formulierungen juristisch sinnlos oder fehlerhaft waren.

     

    In einem anwaltlichen Schriftsatz könnten die Schritte einer vorgenommenen

    Auslegung wie folgt formuliert werden:

     

    Musterformulierung /  Schriftsatz in Nachlasssachen

    ... Im vorliegenden gemeinschaftlichen Testament haben sich die Ehegatten gegenseitig als befreite Vorerben und die gemeinsamen Kinder als Nacherben eingesetzt. Sie haben weiter in dem Testament geschrieben, dass der überlebende Ehegatte von sämtlichen im Gesetz vorgeschriebenen Beschränkungen befreit ist und frei und unbeschränkt über den Nachlass verfügen kann.

     

    Verwendet der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung juristische Fachbegriffe, ist nicht zwingend davon auszugehen, dass er diese im Sinne der juristischen Terminologie verstanden hat und die sich aus dem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen bezwecken wollte. Gerade bei Laientestamenten ist zu ermitteln, ob der Erblasser die Begriffe und ihre Bedeutung tatsächlich verstanden hat und entsprechend testieren wollte (BGH FamRZ 82, 1206; BayObLG FamRZ 99, 1392; OLG Düsseldorf FamRZ 11, 1980).

     

    Hier ist davon auszugehen, dass die Eheleute den Begriff der Vorerbschaft fehlerhaft verwendet haben und eine Alleinerbeneinsetzung des überlebenden Ehegatten und die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder wollten. Dies geht aus folgenden Erwägungen hervor: Der überlebende Ehemann hat nach dem Tod seiner Ehefrau das Testament an das Nachlassgericht gesandt. Bei der Eröffnung desselben gab er gegenüber dem Nachlassgericht an, dass seiner Frau und ihm der Begriff der Vor- und Nacherbschaft nicht bekannt gewesen sei. Die Formulierung hätten sie aus einer erbrechtlichen Broschüre übernommen. Tatsächlich hätten sie sich gegenseitig als Alleinerben und als Erben des Letztversterbenden die gemeinschaftlichen Kinder einsetzen wollen. Bereits die Erklärung des überlebenden Ehegatten ergibt, dass die Bedeutung der juristischen Begriffe Vor- und Nacherbschaft nicht erkannt und deren Rechtsfolgen unerwünscht waren. Es ist von einer Alleinerbeneinsetzung auszugehen.

     

     

    2. Fachbegriffe im notariellen Testament/Erbvertrag

    Liegt ein notarielles Testament oder ein Erbvertrag vor, spricht wegen der Beratungs- und Belehrungspflicht des Notars aus § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG die größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Erblasser Begriffe mit bestimmter juristischer Bedeutung auch in diesem Sinne gemeint hat (OLG Hamm FamRZ 02, 201; BayObLG FamRZ 96, 1037). Der dagegen verstoßende Notar kann sich aus § 19 BNotO schadensersatzpflichtig machen.

     

    Wichtig | In der Rechtsprechung ist indes seit langem anerkannt, dass auch notarielle Testamente oder Erbverträge auslegungsbedürftig sein können (zuletzt: OLG München ZErb 12, 235). Trotz der Befassung durch einen Notar kann auch ein juristischer Fachbegriff unrichtig und unpräzise verwendet worden sein. Der Testamentsauslegung ist selbst in Fällen „klaren und eindeutigen“ Wortlauts bei Mitwirkung eines Notares keine Grenzen gesetzt. Die Mitwirkung eines Notars gewährleistet nicht, dass „der Erblasserwille zweifelsfrei niedergelegt worden ist“ (BayObLG FamRZ 97, 1243).

     

    Es bedarf konkreter Anhaltspunkte, um die Vermutung der Richtigkeit zu entkräften (OLG Hamm FamRZ 02,201). Solche können darin bestehen, dass

    • der Wortlaut des notariellen Testaments eine naheliegende Regelung nicht enthält (OLG Frankfurt 11.2.10, 20 W 234/09, n.v., juris),
    • die maßgebliche Formulierung „sprachlich unklar“ ist (BayObLG, a.a.O.),
    • der Notar juristische Fachbegriffe falsch oder unpräzise verwendet hat (OLG Hamm FamRZ 94, 188).

     

    PRAXISHINWEIS | Zu beachten ist, dass bei der Auslegung nicht die Auffassung des beurkundenden Notars, sondern die des Erblassers maßgebend ist. Das Verständnis des Notars und dessen Belehrungen haben aber eine Indizwirkung.

     

    Im Schriftsatz könnte es heißen:

     

    Musterformulierung /  Schriftsatz in Nachlasssachen

    ... Auch wenn ein Notar eine letztwillige Verfügung beurkundet und an ihr mitgewirkt hat, kann diese auslegungsbedürftig sein (OLG Hamm ZEV 11, 427). Bei notariellen Testamenten und Erbverträgen spricht zwar aufgrund der Pflicht des Notars aus § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG eine gewisse Vermutung dafür, dass der objektive Erklärungsinhalt mit dem Willen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung übereinstimmt (OLG München FamRZ 11, 65). Diese Indizwirkung entfällt jedoch, wenn in der notariellen Urkunde juristische Begriffe unrichtig verwendet wurden (OLG Hamm FamRZ 94, 188). Bei der Auslegung der notariellen letztwilligen Verfügung ist nur der Verständnishorizont des Erblassers maßgebend, nicht die Auffassung des beurkundenden Notars.

     

    Die gilt insbesondere, wenn der Notar, wie hier, eine naheliegende Regelung nicht in den Wortlaut des Testaments aufgenommen hat. Bei einem gemeinschaftlichen Testament, das der Trennungslösung folgt, ist sprachlich neben der Anordnung der Vor- und Nacherbfolge für den Nachlass des erstversterbenden Ehegatten eine zusätzliche Regelung für die Erbfolge nach dem letztversterbenden Ehegatten erforderlich, wenn sie von den Ehegatten gewollt ist. Nach dem letztversterbenden Ehegatten kommt es gerade nicht zu einer Vor- und Nacherbfolge. Wenn allerdings der überlebende Ehegatte sich nach notarieller Belehrung eine gesonderte Regelung für seinen Nachlass vorbehalten will, wird dies regelmäßig in der notariellen Urkunde zum Ausdruck kommen. Ist dies nicht der Fall, ist das Testament auslegungsbedürftig. Bei Nacherbeneinsetzung der beiden gemeinsamen Kinder nach dem Tod des Letztversterbenden (Vorerben) würden die Nacherben nur in den Nachlass des Erstversterbenden (als Nacherben) eintreten. Bezüglich des Eigenvermögens des überlebenden Ehegatten würde die gesetzliche Erbfolge gelten. Es ist hier allerdings davon auszugehen, dass die beiden Kinder zugleich zu Ersatzerben des Letztversterbenden für den jeweils umgekehrten Fall des Wegfalls des eingesetzten Vorerben eingesetzt sind (OLG Frankfurt 11.2.10, 20 W 234/09, n.v., juris).

     

    Weiterführender Hinweis

    • In EE 13, 49 und EE 13, 68 erläuterte der Autor bereits weitere Grundzüge der Auslegung.
    Quelle: Ausgabe 05 / 2013 | Seite 84 | ID 37903140