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  • · Fachbeitrag · Pflichtteilsstrafklausel

    Pflichtteilsstrafklausel: Einschränkende Auslegung nur beim Behindertentestament

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    • 1.Wenn Eltern in einer gemeinschaftlich errichteten letztwilligen Verfügung ihre Kinder gleichmäßig als Schlusserben eingesetzt haben ohne ausdrückliche Regelungen i.S. eines sog. Behindertentestaments zu treffen, und bestimmt haben, dass dasjenige ihrer Kinder, das nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils seinen Pflichtteil fordert, auch nach dem Tod des später versterbenden Elternteils auf den Pflichtteil beschränkt sein soll, greift diese „Pflichtteilsstrafklausel“ auch ein, wenn nicht das (behinderte) Kind selbst, sondern der Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht die Pflichtteilsansprüche geltend macht.
    • 2.Die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder für den Schlusserbfall ist nicht von der Pflichtteilsstrafklausel zu trennen. Ein Abweichen von der wechselbezüglich verfügten Schlusserbeneinsetzung der Kinder nach Maßgabe der Pflichtteilssanktionsklausel durch eine eigene letztwillige Verfügung ist dem überlebenden Elternteil gemäß § 2271 Abs. 2 BGB nicht gestattet.
     

    Sachverhalt

    Die Erblasserin (M) hat gemeinsam mit ihrem vorverstorbenen Mann (V) vier Töchter. Eine Tochter (T4) ist seit der Geburt behindert und erhält seit Jahren Sozialhilfe. Der Kläger, ein Träger der Sozialhilfe, macht gegen die weiteren drei Töchter aus übergegangenem Recht der T 4 als Leistungsempfängerin erbrechtliche Ansprüche nach dem Tod von M geltend.

     

    M und V haben ein 1979 Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzten und verfügten, dass der Überlebende von ihnen frei - auch letztwillig - über den Nachlass verfügen können sollte. Ferner nahmen sie eine Pflichtteilsstrafklausel auf. 1995 errichteten sie ein privatschriftliches Testament, in dem sich V und M gegenseitig zu Vollerben einsetzten und bestimmten, dass Erben des Überlebenden ihre Kinder sein sollten. Auch in diesem Testament nahmen sie eine Pflichtteilsstrafklausel auf.

     

    1997 machte der Kläger nach dem Tod von V aus übergegangenem Recht ­gegen M erfolgreich Pflichtteilsansprüche geltend. Daraufhin errichtete M 1998 ein notarielles Testament. In diesem Testament setzte sie alle vier Töchter zu Erben zu gleichen Teilen ein, die behinderte T4 jedoch nur als nicht befreite Vorerbin. Zu Nacherben (und Ersatzerben) zu gleichen Teilen setzte sie die weiteren drei Töchter ein. Die Nacherbfolge trete mit dem Tod der Vorerbin ein. Ferner ordnete sie Dauertestamentsvollstreckung bzgl. des Erbteils von T4 mit ­einer detaillierten Verwaltungsanordnung an.

     

    Nach dem Tod von M erwirkten die Beklagten einen gemeinschaftlichen Erbschein, der alle Töchter der Erblasserin als Miterbinnen zu je 1/4-Anteil ausweist - die Leistungsempfängerin T4 allerdings nur als Vorerbin. Nachdem dem Kläger der Tod von M bekannt geworden war, forderte er Auskünfte über den Nachlassumfang an und erhob eine Stufenklage, mit der er vorrangig Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche der T4 aus übergegangenem Recht verfolgt. Hilfsweise begehrte er die Feststellung, dass T4 nach Maßgabe des Ehegattentestaments 1995 unbeschränkte Miterbin zu 1/4 nach ihrer Mutter geworden sei. Die Beklagten sind dem entgegengetreten.

     

    Das LG hat in dem angefochtenen Urteil dem Auskunfts- und Wertermittlungsbegehren stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war erfolglos.

    Entscheidungsgründe

    Die titulierte Auskunfts- und Wertermittlungspflicht der Beklagten als Erben ihrer Mutter gegenüber dem klagenden Sozialleistungsträger folgt aus § 2314 Abs. 1 BGB. Danach kann ein Pflichtteilsberechtigter von den Erben Auskunftserteilung über den Nachlassbestand verlangen und fordern, dass der Wert der Nachlassgegenstände ermittelt wird. Diesen Anspruch kann der Kläger aufgrund der wirksamen Überleitung geltend machen. Hierbei kann der Kläger den übergeleiteten Anspruch unabhängig davon geltend machen, ob die Pflichteilsberechtigte selbst oder ihre gesetzlichen Betreuer dies billigen (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 71. Aufl., § 2317 BGB Rn. 9).

     

    T4 ist infolge der auf sie anzuwendenden Pflichtteilsstrafklausel im Testament aus 1995 nicht Miterbin, sondern nur gem. § 2303 BGB pflichtteilsberechtigt. Nach der Pflichtteilsstrafklausel sollte dasjenige ihrer Kinder, das nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil fordert, auch nach dem Tod des später Versterbenden auf den Pflichtteil beschränkt sein. Diese Pflichtteilsstrafklausel erfasst entgegen der Ansicht der Berufung auch den Fall, dass anstelle von T4 der Sozialhilfeträger den Pflichtteil nach dem erstversterbenden Ehegatten fordert.

     

    Einschränkende Auslegung beim Behindertentestament

    Eine einschränkende Anwendung einer Pflichtteilsstrafklausel (Pflichtteilssanktionsklausel) ist nach der BGH-Rechtsprechung zwar bei der Auslegung von Pflichtteilssanktionsklauseln im Rahmen von sog. Behindertentestamenten möglich und anzunehmen (BGH ZEV 05, 117 ff. = FamRZ 05, 448; ZEV 06, 76 ff.). Dieser Rechtsprechung liegen folgende Erwägungen zugrunde:

     

    • Bei einer Pflichtteilssanktionsklausel ohne behinderte Kinder sollen diese von der Geltendmachung des Pflichtteils nach dem ersten Erbfall abgehalten werden, da sie sonst ihren Erbteil nach dem zweiten Erbfall verlieren.

     

    • Bei einem behinderten Kind wird durch ein sog. Behindertentestament (mit Beschränkungen für den Schlusserbfall) dafür Sorge getragen, das Erbe des behinderten Kindes vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers im Schlusserbfall zu bewahren. Bei einem Eingriff der Pflichtteilssanktionsklausel könnte der Sozialhilfeträger entgegen dem Elternwillen nach dem letzten Erbfall erneut auf den Pflichtteil zugreifen. Die Beschränkungen im Schlusserbfall entfielen. Der Sozialhilfeträger würde bei Anwendung der Sanktionsklausel geradezu dazu motiviert, beim ersten Erbfall den Pflichtteil geltend zu machen. Bei Eingreifen der Sanktionsklausel würden ihn ­- entgegen dem Willen der Testierenden - die Beschränkungen im Schluss­erbfall nicht treffen. Er könnte vielmehr beim zweiten Todesfall erneut den Pflichtteil fordern. Um den Elternwillen aufrecht zu erhalten, greift nach der Rechtsprechung des BGH die Pflichtteilsstrafklausel nicht ein, soweit für das behinderte Kind der Pflichtteil im ersten Erbfall durch den Sozialhilfeträger gefordert worden ist. Es bleibt bei der (unter den verfügten ­Beschränkungen des Erbfalls im Schlusserbfall) angeordneten Schluss­erbenstellung des behinderten Kindes.

     

    Keine einschränkende Auslegung beim „normalen“ Testament

    Vorliegend kann die Pflichtteilsstrafklausel aus dem Jahr 1995 aber nicht so einschränkend ausgelegt werden. Die Ehegatten haben in diesem Jahr gerade kein sog. Behindertentestament errichtet. Es finden sich keine Unterscheidungen, was die behinderte Tochter T4 einerseits und die übrigen Töchter andererseits betrifft. Weder diesem Testament noch dem Testament aus dem Jahr 79 kann entnommen werden, dass dem Sozialhilfeträger durch die testamentarischen Anordnungen der Zugriff auf den Erbteil der T4 erschwert oder entzogen werden sollte. Zu einer solchen Anordnung hätte bereits im Jahr 95 durchaus Veranlassung bestanden, weil T4 zu diesem Zeitpunkt ­bereits Leistungen vom Kläger erhalten hat.

     

    Da dem Testament aus dem Jahr 1995 keine Andeutung entnommen werden kann, dass die für den Schlusserbfall angeordnete Miterbenstellung von T4 dem Zugriff des Sozialhilfeträgers entzogen sein sollte, ist es ohne Bedeutung, ob die testierenden M und V dies tatsächlich gewollt haben oder es ­gewollt haben würden, wenn sie daran gedacht hätten. Ein solcher ermittelter wirklicher Wille wäre formnichtig, weil er in dem Testament selbst nicht wenigstens einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat, in dem er dort angedeutet ist (vgl. Palandt, a.a.O., § 2084 BGB, Rn. 4 m.w.N.).

     

    Die Pflichtteilsstrafklausel aus dem Testament aus dem Jahr 1995 ist nicht sinnentleert. Der Kläger stand als Sozialhilfeträger vor derselben Entscheidung wie die anderen Schlusserben. Machte er nach dem erstversterbenden Vater den Pflichtteil geltend, verlor er durch den Eintritt der auflösenden ­Bedingung gem. § 2074 BGB die für den Schlusserbfall vorgesehene Erbbeteiligung der Leistungsempfängerin am Nachlass. Unterließ er die Pflichtteilsforderung im ersten Erbfall, wahrte er die Chance auf das womöglich größere Erbe der Leistungsempfängerin beim Schlusserbfall.

     

    Das Eingreifen einer testamentarisch angeordneten Pflichtteilssanktion für den Fall eines Pflichtteilsverlangens im ersten Erbfall erfordert auch kein zusätzliches subjektives Element in dem Sinn, dass der Pflichtteilsberechtigte sich bewusst gegen den Erblasserwillen „auflehnt“ (vgl. OLG München ZEV 06, 411 ff. = ZErb 06, 203).

     

    Nachfolgendes Testament wegen Bindung unwirksam

    Das nachfolgende Testament aus 1998 ist unbeachtlich, weil es der wechselbezüglichen Verfügung im Testament aus 1995 widerspricht.

     

    Letztwillige Verfügungen in einem Ehegattentestament, von denen anzunehmen ist, dass der eine Ehegatte sie nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten ­getroffen haben würde, sind mit dem Tod des Erstversterbenden nach § 2271 Abs. 2 S. 1, 1. HS. BGB unwiderruflich. Dies gilt vorliegend für die mit der Pflichtteilsstrafklausel verbundene Erbeinsetzung der Töchter für den Schlusserbfall nach M. Diese Erbeinsetzung war mit der von dem (vorverstorbenen) V angeordneten Vollerbfolge seiner Ehefrau für den Fall seines eigenen Vorversterbens wechselbezüglich und damit verbindlich.

     

    MERKE | Die mit einer Pflichtteilsstrafklausel verbundenen Schlusserbenbestimmung gemeinsamer Kinder und deren Erbeinsetzung für den Schlusserbfall kann nicht von der Pflichtteilsklausel getrennt werden. Denn sie bewirkt, dass denjenigen Kindern, die im ersten Erbfall (wie von den Testierenden beabsichtigt) zugewartet haben, im Schlusserbfall der Anteil solcher weiteren ­Abkömmlinge anwächst, die die Pflichtteilsklausel ihrerseits verwirkt haben. Weil die Pflichtteilsstrafklausel in den Fällen einer zugleich erfolgten Schluss­erbeneinsetzung gemeinsamer Abkömmlinge der Testierenden Auswirkungen auf die Erbeinsetzung der anderen Abkömmlinge hat, kann auch sie an der Bindungswirkung ­einer wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung in einem Ehegattentestament teilhaben (vgl. OLG Hamm NJW-RR 11, 1097 = ZEV 11, 592 = ZErb 11, 162).

     

    Der Wechselbezüglichkeit der mit der Erbeinsetzung verbundenen Pflichtteilsklausel steht nicht entgegen, dass eine Pflichtteilsentziehung als solche gem. § 2270 Abs. 3 BGB nicht wechselbezüglich sein kann (vgl. dazu Palandt, a.a.O., § 2270 BGB Rn. 13).

     

    M und V hatten 1995 privatschriftlich ein Berliner Testament errichtet. Bei dem ist typischerweise davon auszugehen, dass jeder Ehegatte für den ersten Erbfall den anderen gerade deshalb unter Enterbung der gemeinsamen Abkömmlinge zum Vollerben eingesetzt hat, weil diese Abkömmlinge von dem anderen Ehegatten als seine Schlusserben eingesetzt wurden (OLG München ZEV 06, 411 ff. m.w.N.). Es liegt nach der Lebenserfahrung Folgendes nahe: In dem Ehegattentestament steht die Anordnung der Vollerbschaft zugunsten des überlebenden Ehegatten für den ersten Todesfall in einer Wechselwirkung dazu, dass der Überlebende im Gegenzug dafür die Schluss­erbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder verfügt (vgl. OLG Hamm NJW-RR 11, 1097 ff.). Wer sein Vermögen an die eigenen Kinder weitergeben will, sie aber trotzdem für den eigenen ersten Erbfall enterbt, tut dies im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der Schlusserbeneinsetzung des ­anderen zugunsten dieser Kinder das gemeinsame Vermögen einmal auf diese gemeinsamen Kinder übergehen wird (OLG Hamm, a.a.O., m.w.N.).

     

    Hiernach besteht eine Wechselbezüglichkeit zwischen der Schlusserbeneinsetzung aller vier aus der Ehe stammenden Töchter durch M nach Maßgabe der Pflichtteilsstrafklausel einerseits und der eigenen alleinigen Erbeinsetzung durch den (vorverstorbenen) V. Gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB waren deshalb nach dem Tod des mittestierenden V solche letztwilligen Verfügungen der M unwirksam, die die Erbrechte der durch die wechselbezügliche Verfügung bedachten Töchter im Schlusserbfall beeinträchtigten. Durch das Testament aus 1998 wurden die Rechte aller Töchter beeinträchtigt:

     

    • Die Erbquote der beklagten Töchter sank von 1/3-Anteil mit verwirkter Pflichtteilsstrafklausel nach dem Testamt aus 1995 auf 1/4 nach dem Testament aus 1998.

     

    • Das Testament aus 1998 benachteiligte aber auch T4, da sie durch das Ehegattentestament aus 1995 für den Schlusserbfall als unbeschränkte Miterbin zu 1/4  Anteil berufen war.

     

    Im vorliegenden Fall ist keine Änderungsermächtigung gegeben

    Eine abweichende Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht unter dem ­Gesichtspunkt, dass V der M das abweichende spätere Testat von 1998 gestattet haben würde, wenn er die Sach- und Rechtslage gekannt hätte. Zwar können sich wechselbezüglich testierende Ehegatten auch letztwillig das Recht einräumen, eigene wechselbezügliche Verfügungen nach dem Erbfall aufzuheben oder abzuändern (sog. Änderungsermächtigung; vgl. Palandt, a.a.O., § 2271 BGB Rn. 20 ff.). Eine solche Befugnis kann sich dabei auch im Wege ergänzender Testamentsauslegung ergeben. Sie muss allerdings in der letztwilligen Verfügung der testierenden Eheleute irgendeinen - wenn auch nur unvollkommenen - Anklang gefunden haben (vgl. OLG Frankfurt ZFE 04, 95 m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend. Zu Recht weist der klagende Sozialträger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die M und V noch in dem ­notariellen Testament von 1979 eine Abänderungsbefugnis ausdrücklich vereinbart hatten, eine entsprechende Regelung in ihrem letzten privatschriftlichen Testament aus dem Jahr 95 aber fehlt. Für einen seitens des V letztwillig verfügten Änderungsvorbehalt zugunsten der M - was die Schlusserbenbestimmung betrifft - fehlt es demgemäß an jeder Grundlage.

    Praxishinweis

    Diese Entscheidung ist für die Beratungs- und Testamentsgestaltungspraxis wichtig. Denn eine einschränkende Auslegung von Pflichtteilsstrafklauseln ist nur möglich, wenn es sich um ein Behindertentestament handelt. Bei den „normalen“ - häufig ohne rechtliche Beratung entstandenen - Testamenten kommt diese Auslegung nicht in Betracht.

     

    Für die Gestaltungspraxis ist auch wichtig, dass der Sozialhilfeträger das Ausschlagungsrecht nicht auf sich überleiten kann.

     

    Weiterführender Hinweis

    • EE 11, 55, dazu, dass nach der Rechtsprechung des BGH auch behinderte Sozialleistungsbezieher auf ihren Pflichtteil verzichten dürfen. Dies ist grundsätzlich nicht sittenwidrig. Persönlich können sie dies aber nur, wenn sie nicht in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt sind. Hierbei muss der Notar gem. § 11 Abs. 1 S. 2 BeurkG Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten in der Niederschrift feststellen. Sinnvoll ist es, zumindest für die Handakte, ggf. eine ärztliche Stellungnahme zur ­Geschäftsfähigkeit zu nehmen.
    Quelle: Ausgabe 01 / 2014 | Seite 5 | ID 42430057