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  • · Fachbeitrag · Erbscheinsverfahren

    Keine Verfahrensaussetzung beim Prozessgericht bis zum Ende des Erbscheinsverfahrens

    von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar

    | Das LG Braunschweig (21.10.21, 8 T 500/21, Abruf-Nr. 229854 ) hat die Frage entschieden, ob ein Erbscheinsverfahren ein vorgreifliches Rechtsverhältnis i. S. d. § 148 ZPO ist und deshalb das Verfahren vor dem Prozessgericht auf Antrag nach § 148 ZPO einzustellen ist. |

     

    Sachverhalt

    Vor dem AG Salzgitter klagte der Kläger mit der Behauptung, alleiniger Erbe der Erblasserin zu sein, auf Zahlung einer an die Beklagte ausgekehrten Versicherungsleistung. Die Beklagte behauptet, neben dem Kläger zu 1/4 Erbin zu sein. Beim Nachlassgericht des AG Euskirchen hatte die Beklagte beantragt, den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückzuweisen und einen (gemeinschaftlichen) Erbschein dahingehend zu erteilen, dass die Erblasserin vom Kläger und von ihr zu 1/4 beerbt worden ist. Die Beklagte beantragte zudem, das Verfahren vor dem AG Salzgitter bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Erbscheinsverfahrens vor dem AG Euskirchen gem. § 148 ZPO auszusetzen.

     

    Das AG Salzgitter setzte daraufhin den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Beendigung des Erbscheinsverfahrens aus. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Kläger mit der sofortigen Beschwerde. Zur Begründung führte er aus, dass die Begründung des Amtsgerichts bereits deswegen nicht trage, weil das Erbscheinsverfahren kein Rechtsstreit i. S. d. ZPO sei. Es handele sich um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, welches zudem auf einen Beschluss ziele, der aus der Natur der Sache heraus nicht in Rechtskraft erwachsen könne, sodass sich die Frage der Rechtskrafterstreckung nicht stelle. Durch einen Erbschein werde das Erbrecht nicht festgestellt, sondern lediglich aufgrund des zum Zeitpunkt des Beschlusses gegebenen Anscheins ein Dokument erstellt, welches durch seine Legitimationswirkung den Rechtsverkehr mit Bezug auf das Nachlassvermögen ermögliche.

     

    Das AG Salzgitter hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem LG Braunschweig zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat den Beschluss des AG Salzgitter aufgehoben und den Antrag der Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens zurückgewiesen.

     

    Entscheidungsgründe

    Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass mit dem Erbscheinsverfahren kein vorgreifliches Rechtsverhältnis vorliege. Die Entscheidung im Erbscheinsverfahren habe keine präjudizielle Wirkung auf das streitige Verfahren vor dem Prozessgericht. Dieses könne von den Feststellungen des Nachlassgerichts abweichen. Unbeachtlich sei in diesem Zusammenhang, wenn die in dem anderen Prozess zu treffende Entscheidung auf das vorliegende Verfahren lediglich Einfluss ausüben könne, wie z. B. auf die Beweiswürdigung. § 148 ZPO stelle nicht auf bestehende sachliche oder tatsächliche Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verfahren ab, sondern darauf, ob die Entscheidung in dem einen Rechtsstreit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses die Entscheidung in dem anderen Prozess rechtlich beeinflussen könne (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 148 Rn. 9 m. w. N.; a. A. OLG München NJW-RR 95, 779). Deshalb könne die vom AG Salzgitter angeführte Beweiserleichterung durch die Vermeidung einer doppelten Beweiserleichterung aufgrund im Erbscheinsverfahren erhobener Beweise die Aussetzung des hiesigen Verfahrens nicht rechtfertigen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung entspricht der h. M. und wägt die Voraussetzungen für die Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit sorgfältig und mit zutreffendem Ergebnis ab. Der entgegenstehenden Entscheidung des OLG München (OLGR München 95, 92) liegt eine unzutreffende Ermessensabwägung zugrunde, weil davon ausgegangen wird, im Hinblick auf eine erleichterte Beweisführung durch den Erbschein sei die Vorgreiflichkeit i. S. d. § 148 ZPO zu bejahen. Vielmehr ist festzuhalten, dass das Rechtsverhältnis den Gegenstand des anderen Verfahrens bilden muss und dort nicht nur Vorfrage sein darf. Es genügt damit nicht, wenn die im anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung lediglich geeignet ist, einen Einfluss auf die Entscheidung im auszusetzenden Verfahren auszuüben (OLG München MDR 96, 197; OLG Köln MDR 83, 848; vgl. auch: Zöller/Greger, a. a. O., Rn. 5a m. w. N.).

     

    MERKE | Das Gesetz sieht eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPOallein aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht vor (Zöller/Greger, a. a. O., Rn. 1).

     

    Die Problematik der Aussetzung bei Verfahren vor dem Prozess- und dem Nachlassgericht ist darauf zurückzuführen, dass das deutsche Recht zwei getrennte Verfahren zur Feststellung des Erbrechts zur Verfügung stellt.Dabei handelt es sich um eine „Kuriosität des deutschen Rechts“ (Zimmermann, ZEV 10, 461).

     

    PRAXISTIPP | Der Vorrang der Erbenfeststellungsklage gegenüber einer Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen des Nachlassgerichts im Erbscheinsverfahren gilt nicht nur in den Fällen, in denen es allein um eine inhaltliche Überprüfung des Ergebnisses des Erbscheinsverfahrens geht (BVerfG 29.8.05,1 BvR 219/05), sondern auch, wenn − wie hier − Verfahrensfehler im Erbscheinsverfahren gerügt werden. Das stellt auch den beratenden Anwalt vor die Entscheidung der Frage, welchen Weg er zur Erbenfeststellung im Einzelfall wählen muss. Dabei hat er die Interessen des Mandanten vollumfänglich und bestmöglichst zu vertreten (vgl. Steiner, ZEV 19, 450). Hierbei sind nicht nur Kostengesichtspunkte zu berücksichtigen, sondern es ist auch zu beachten, dass beide Verfahren parallel betrieben werden können, wobei allerdings das Nachlassgericht das Erbscheinsverfahren nach § 21 FamFG wegen Vorgreiflichkeit des Verfahrens auf Feststellung des Erbrechts vor dem Prozessgericht aussetzen kann.

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2022 | Seite 112 | ID 48301518