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  • · Fachbeitrag · Erbschein

    So wirkt sich die Testamentsanfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten aus

    von RiOLG Dr. Andreas Möller, Hamm

    | Nach § 2079 S. 1 BGB ist eine letztwillige Verfügung anfechtbar, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, der erst geboren worden ist, nachdem das Testament errichtet worden ist. Folge: Die gesamte letztwillige Verfügung ist nichtig. Einzelne Verfügungen bleiben nur wirksam, wenn nach § 2079 S. 2 BGB positiv feststellbar ist, dass sie der Erblasser so auch getroffen hätte, falls er von dem weiteren Pflichtteilsberechtigten gewusst hätte, als er die letztwillige Verfügung errichtet hat. Dazu ein Fall des OLG Schleswig. |

     

    Sachverhalt

    Der Erblasser (E) war mit der Beteiligten zu 1) (F) verheiratet. Aus ihrer Ehe sind der Beteiligte zu 2) (S1) und der Beteiligte zu 3) (S2) hervorgegangen. S2 ist geboren worden, nachdem E das Testament errichtet hatte. In diesem Testament hatte der E S1 zum Alleinerben eingesetzt, die F enterbt und X als Testamentsvollstreckerin eingesetzt, falls er vor dem 21. Geburtstag von S1 versterbe. Der Ergänzungspfleger von S2 focht das Testament unter Verweis auf §§ 2079 f. BGB an und beantragte einen Erbschein. Dieser sollte S1 als Erben zu 3/4 und S2 zu 1/4 ausweisen, wobei die Anordnung von Testamentsvollstreckung nur für den Erbteil S2 bis zu dessen 21. Lebensjahr, hilfsweise entsprechend auch für seinen Erbteil aufgenommen werden sollte.

     

    Das AG hat gemeint, S1 sei zu 3/4 und S2 sei zu 1/4 Erbe geworden. Die Testamentsvollstreckung beziehe sich auf beide Erben jeweils bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Dagegen wendet sich F mit dem Ziel, einen Erbschein zu erlangen, der sie als Erbin zu 1/2 ausweist. (OLG Schleswig 7.12.15, 3 Wx 108/15, Abruf-Nr. 185712).

     

     

    Entscheidungsgründe

    Der Erbscheinsantrag von S2 ist zurückzuweisen. F bleibt zwar auch nach der wirksamen Anfechtung des Testaments enterbt. S1 und S2 sind gem. § 1924 BGB gesetzliche Erben zu je 1/2. Da ein solcher Erbscheinsantrag nicht gestellt wurde, ist der Erbscheinsantrag von S2 insgesamt zurückzuweisen.

     

    Da S2 geboren wurde, nachdem E das Testament errichtet hatte, ist er anfechtungsberechtigt, § 2079 S. 1 BGB. Nach § 2079 S. 2 BGB wird vermutet, dass der Erblasser bei Kenntnis der Existenz eines weiteren Pflichtteilsberechtigten anders testiert hätte. Die Vermutung wird nicht dadurch widerlegt, dass er sein Testament nicht ändert, nachdem er von dem weiteren Pflichtteilsberechtigten erfahren hat (OLG Brandenburg FamRZ 98, 59).

     

    Die Anfechtung gem. § 2079 S. 1 BGB erfasst nicht nur die Verfügungen, um dem Pflichtteilsberechtigten zu seinem gesetzlichen Erbteil zu verhelfen. Soweit die Verfügungen den gesetzlichen Erbteil des Pflichtteilsberechtigten nicht beeinträchtigen, sollen sie nach einer Mindermeinung bestehen bleiben (so MüKo/Leipold, BGB, 6. Aufl., § 2079 Rn. 24). Warum S1 Erbe zu 3/4 und S2 nur Erbe zu 1/4 sein soll, ist aber nicht nachvollziehbar. Dies entspricht regelmäßig nicht dem Erblasserwillen.

     

    Nach einer vermittelnden Meinung soll die Anfechtung nur diejenigen Erbeinsetzungen und Vermächtnisse vollständig vernichten, die auch den anfechtenden Pflichtteilsberechtigten als gesetzlichen Erben beschweren, soweit nicht ein entgegenstehender Erblasserwille nach S. 2 der Norm feststellbar ist. Diese Ansicht ist unzutreffend. Andere Anordnungen, insbesondere auch Enterbungen, würden von der Anfechtung nicht erfasst, weil sie den gesetzlichen Erbteil des Übergangenen ohnehin nicht schmälern (so z. B. Staudinger/Otte, BGB, 2013, § 2079 Rn. 17). Nach dieser Ansicht bliebe F enterbt. Es entfällt aber die testamentarische Berufung von S1. Folge: Im Übrigen tritt gesetzliche Erbfolge ein. S1 und S2 sind als Erben zu je 1/2 berufen.

     

    Aus dem Wortlaut und der Systematik lässt sich dies nicht ableiten. Die wirksame Anfechtung führt zur Gesamtnichtigkeit. Einzelne Verfügungen bleiben nur wirksam, wenn nach § 2079 S. 2 BGB positiv feststellbar ist, dass sie der Erblasser so auch getroffen hätte (h.M., vgl. nur BayObLG FamRZ 05, 140 = ZErb 04, 389). Hier hätte E die F auch enterbt, wenn ihm im Testierzeitpunkt die Existenz von S2 bekannt gewesen wäre, § 2079 S. 2 BGB. Der E hat die F enterbt, auch wenn dies nicht notwendig gewesen wäre, weil er S1 zum Alleinerben eingesetzt hat. Es gibt keinen Grund dafür, warum der E die F wegen der Geburt von S2 nicht enterbt hätte. Die steuerlichen Gründe, die nach dem Vorbringen von F den E beeinflusst haben, sind im Wesentlichen dieselben. Durch steuerfreien Zugewinn und Pflichtteil habe er ihr mehr zuwenden wollen als durch eine Erbeinsetzung, bei der der steuerfreie Zugewinn auf 1/4 der Erbmasse begrenzt wäre, § 1371 Abs. 1 BGB. Die erbrechtlichen Ansprüche von F und ihr Anspruch auf Zugewinnausgleich ändern sich durch ein zweites Kind nicht.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung zeigt, dass die Auswirkungen der vermittelnden Meinung und der h.M. oft gering sind (Palandt/Weidlich, BGB, 75. Aufl., § 2079 Rn. 6).

    Quelle: Ausgabe 06 / 2016 | Seite 92 | ID 44044763