· Fachbeitrag · Auslegung
Keine direkte oder analoge Anwendung des § 2270 BGB auf Verfügungen in einem Erbvertrag
von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar
| Die Vorschrift des § 2270 BGB ist nur auf das gemeinschaftliche Testament und nicht ‒ auch nicht entsprechend ‒ auf Verfügungen in einem Erbvertrag anwendbar. Dies hat der BGH entschieden und sich dabei auch ausführlich mit den Grundsätzen der ergänzenden Auslegung eines Erbvertrages befasst. |
Sachverhalt
Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann schlossen mit ihrem verstorbenen gemeinsamen Sohn, dessen einzige Kinder und Enkel der Erblasserin die Beteiligten zu 1 und 2 sind, einen Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und ihren Sohn „erbvertraglich“ zum Erben des Längerlebenden einsetzten. Mit ihren Töchtern, den Beteiligten zu 3, 4 und 5 vereinbarten sie zugleich einen Erbverzicht. Nach Abschluss des Erbvertrages errichtete die Erblasserin ein eigenhändiges Testament, in dem sie wie folgt verfügte: „Ich gebe alles was in meinem Besitz ist, meiner ältesten Tochter Elke.“ Den Antrag der Beteiligten zu 1 und 2 auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zu je 1/2 wiesen das Nachlassgericht und das OLG Oldenburg zurück. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hob der BGH diese Entscheidungen auf. Er wies das Nachlassgericht an, den Beteiligten zu 1 und 2 als Ersatzerben einen Erbschein mit dem Inhalt zu erteilen, dass die Erblasserin von ihnen zu je 1/2 beerbt worden ist (26.3.25, IV ZB 15/24, Abruf-Nr. 248040).
Entscheidungsgründe
Anders als das Beschwerdegericht gemeint habe, vermochte das nach Abschluss des Erbvertrages durch die Erblasserin errichtete Testament an der im Wege der Ersatzerbfolge erlangten Erbenstellung der Beteiligten zu 1 und 2 nichts zu ändern. Diese letztwillige Verfügung sei nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Nach dieser Bestimmung sei eine spätere Verfügung von Todes wegen unwirksam, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde. Vertragsmäßig bedacht sei ein in einem Erbvertrag Begünstigter nur dann, wenn die zu seinen Gunsten in dem Vertrag getroffene Zuwendung nicht auf einer einseitigen Verfügung im Sinne des § 2299 BGB, sondern auf einer vertragsmäßigen im Sinne des § 2278 BGB beruhe, der Erblasser also mit Abschluss des Erbvertrags an diese erbrechtlich gebunden sei.
Der Umfang der Vertragsmäßigkeit und damit der Bindung richte sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen ausschließlich nach dem Willen der Vertragsschließenden, der durch Auslegung des Erbvertrages zu ermitteln sei. Für die Feststellung des in einem Erbvertrag erklärten Erblasserwillens fänden die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB Anwendung. Hiernach sei der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Für die Auslegung vertragsmäßiger Verfügungen im Sinne von § 2278 BGB fänden daneben und modifizierend die Auslegungsregeln für Verträge gemäß §§ 133, 157 BGB Anwendung. Maßgebend sei daher der gemeinsame Wille der Vertragsteile zum Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags. Was die Frage betreffe, ob eine Bestimmung im Erbvertrag eine einseitige Verfügung oder eine vertragliche darstelle, könne für die Auslegung maßgebend sein, ob der Vertragspartner des jeweiligen Verfügenden ein Interesse an der Verfügung habe. Sei dies der Fall, spreche dies für die Vertragsmäßigkeit der Verfügung.
Die Vorschrift des § 2270 Abs. 2 BGB könne nur auf das gemeinschaftliche Testament und nicht (auch nicht entsprechend) auf Verfügungen in einem Erbvertrag angewandt werden. Sie sei schließlich auch von der Verweisungsnorm des § 2279 Abs. 1 BGB nicht erfasst. Die erbrechtliche Bindung des Erblassers an die in einem Erbvertrag vertragsmäßig getroffenen Verfügungen, die sich aus der Vertragsnatur des Rechtsgeschäfts selbst ergeben, gehe über die Bindungswirkungen wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament hinaus. Beim gemeinschaftlichen Testament könnten sich die Testierenden jederzeit einseitig von wechselbezüglichen Verfügungen lossagen: Zu Lebzeiten des anderen Ehegatten durch Widerruf nach den §§ 2271 Abs. 1 S. 1, 2296 BGB und nach dem Tod des anderen Ehegatten durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten nach § 2271 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB.
Demgegenüber könne der Erblasser eine vertragsmäßige Verfügung in einem Erbvertrag in der Regel nur dann einseitig aufheben, wenn er sich den Rücktritt in dem Erbvertrag vorbehalten habe. Die Anwendung der Zweifelsregelung des § 2270 Abs. 2 BGB, bei der ein Bindungswille unterstellt werde, lasse sich mit dem grundlegenden Prinzip des Vertragsrechts nicht in Einklang bringen. Die Vertragsmäßigkeit der Ersatzerbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 folge aus einer ergänzenden Auslegung des Erbvertrages. Der BGH widmet sich sodann ausführlich und lesenswert der ergänzenden Auslegung, deren allgemeine Grundsätze vom Verfasser dieses Beitrags in folgender Checkliste zusammengefasst werden:
Checkliste / Ergänzende Auslegung |
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