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  • 05.01.2009 | Testament

    So legen Sie den Begriff „gleichzeitiges Versterben“ richtig aus

    von RA Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster

    Eheleute treffen in ihren letztwilligen Verfügungen oft Regelungen für den Fall des gleichzeitigen Versterbens. Ob bzw. wie dieser Begriff auszulegen ist, darüber lässt sich streiten, wie der Fall des OLG München zeigt:  

     

    Der Fall des OLG München (FamRZ 08, 921)

    Die Erblasserin hinterließ vier Kinder, die Beteiligten zu 1 bis 4. Ihr Ehemann war vorverstorben. Die Eheleute hatten ein gemeinschaftliches Testament verfasst. Darin haben sie sich gegenseitig zum alleinigen Erben ihres gesamten Nachlasses eingesetzt. Für den Fall, dass beide gleichzeitig ableben, haben sie bestimmt, dass ihr Sohn, der Beteiligte zu 3, das Haus sowie Grundstück mit Garage bekommen sollte. Er sollte an seine Schwestern, die Beteiligten zu 1 und 4, je 40.000 DM zahlen. Der weitere Sohn, der Beteiligte zu 2, sollte nur seinen Pflichtteil erhalten, da er sich von den Eltern abgewandt hatte. Der Beteiligte zu 3 war der Ansicht, dass er einziger Schlusserbe geworden sei und beantragte die Ausstellung eines Erbscheins als Alleinerbe. Dagegen vertrat der Beteiligte zu 2 die Auffassung, dass seine Eltern eine Schlusserbeneinsetzung nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens getroffen hätten und beantragte einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1 bis 4 zu Miterben zu je 1/4 ausweist. Das Nachlassgericht kündigte einen Erbschein mit dem Inhalt an, wonach die Erblasserin von dem Beteiligten zu 3 allein beerbt worden sei. Gegen diese Entscheidung legte der Beteiligte zu 2 erfolgreich Beschwerde ein. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3. Mit Erfolg?  

     

    Lösung: Das OLG München hat der weiteren Beschwerde des Beteiligten zu 3 stattgegeben. Er ist alleiniger Schlusserbe geworden, auch wenn seine Eltern ihn im Testament nicht als Alleinerbe bezeichnet haben. Sie haben ihm aber die wesentlichen Vermögensgegenstände zugewendet, sodass die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen ist, vgl. § 2087 Abs. 1 BGB.  

     

    Das gemeinschaftliche Testament enthält eine Schlusserbeneinsetzung auch für den Fall, dass die Eheleute nicht gleichzeitig versterben. Das Testament ist auslegungsbedürftig. Die Auslegung ergibt, dass die Eheleute die Einsetzung des Beteiligten zu 3 als Alleinerben, die Beteiligten zu 1 und 4 als Vermächtnisnehmer und die Enterbung des Beteiligten zu 2 nicht auf den Fall des gleichzeitigen Versterbens beschränkt wissen wollten.  

     

    Eine Auslegung nach dem strengen Wortsinn des Wortes „gleichzeitig“ könnte wohl nur greifen, wenn sich die Eheleute ohne weitere Erläuterung auf die Erbeinsetzung, die Enterbung und die Vermächtnisanordnung beschränkt hätten. Hier ergänzten sie ihre Verfügung zur Enterbung des Beteiligten allerdings um die Angabe des Motivs. Diese beruhte darauf, dass sich der Beteiligte zu 2 von den Eltern abgewandt hatte. Die Angabe dieses Grundes für die getroffene einschneidende Verfügung zu dessen Lasten lässt die Schlussfolgerung naheliegend erscheinen, dass die Enterbung eine bewusste Entscheidung der Eheleute für alle Versterbensfälle sein sollte. Denn das Abwenden von der Familie steht in keinem logischen Zusammenhang zur Gleichzeitigkeit des Ablebens. Auch die Fassung des Textteils: „Denn wer von uns zu Lebzeiten nichts wissen will, braucht auch nach unserem Ableben nichts“, legt die Auslegung nahe, dass die Eheleute die Rechtsfolge der Enterbung nicht nur für den höchst seltenen Fall des gleichzeitigen Ablebens aufgrund eines besonderen Ereignisses herbeigeführt sehen wollten, sondern auch bei üblicher Abfolge des Versterbens nacheinander gelten lassen wollten.  

     

    Ferner ist zu berücksichtigen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Ehegatten eine größere gemeinsame Reise oder ein bevorstehendes gefährliches Ereignis bei Abfassen des Testaments ins Auge gefasst hatten.  

     

    Es ist nicht mehr aufklärbar, weshalb sie die Verfügung in dem Begriff des gleichzeitigen Ablebens bei der Bestimmung der Schlusserbfolge gewählt haben. Die Lebenserfahrung spricht unter Berücksichtigung des Gesamtdokuments dafür, dass die Eheleute eine Schlusserbenregelung für alle Versterbensfälle treffen wollten. Auch die Einsetzung des Beteiligten zu 3 als Alleinerben steht der Annahme einer solchen Regelung nicht entgegen. Nachdem die beiden Töchter, die Beteiligten zu 1 und zu 4 nicht vor Ort lebten und der Beteiligte zu 2 von der Erbfolge ausgeschlossen sein sollte, lag es nicht fern, den Beteiligten zu 3 als Erben einzusetzen, der verpflichtet wurde, die Geschwister auszubezahlen.  

     

     

    Der Begriff „gleichzeitiges Versterben“ in einer letztwilligen Verfügung ist unter Umständen auszulegen. Dabei ist auf Folgendes zu achten:  

     

    Checkliste: Auslegung des Begriffs „gleichzeitiges Versterben der Ehegatten“ (OLG München)
    • Im Hinblick auf den scharf umgrenzten Wortsinn ist der Begriff „gleichzeitiges Versterben“ grundsätzlich eindeutig: Die Formulierung des gleichzeitigen Ablebens besitzt einen engen Anwendungsbereich. Der Begriff „gleichzeitig“ bedeutet seinem Wortsinn nach, dass mehrere Ereignisse zur selben Zeit eintreten. Der gleichzeitige Tod mehrerer untereinander erbberechtigter Personen führt dazu, dass keiner des anderen Erbe werden kann. In erbrechtlicher Hinsicht kann vom gleichzeitigen Tod daher nur die Rede sein wenn die untereinander erbberechtigten Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde (zur selben Zeit) sterben (BayObLGZ 96, 243, 247; BayObLG FGPrax 04, 80).

     

    • Der Wortlaut des Begriffs „gleichzeitig“ setzt jedoch keine Grenze bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung: Denn es geht stets um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers. Dieser hat auch in den seltenen Fällen klaren und eindeutigen Wortlauts Vorrang vor diesem Wortlaut (BGHZ 80, 246; 86, 41). Der Richter ist daher auch bei einer ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeutigen Willenserklärung an den Wortlaut nicht gebunden, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als dies dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, sofern der wirkliche Wille der Verfügung von Todes wegen zum Ausdruck gekommen ist (BGHZ 80, 246, 249; 86, 41, 46). Dies hat in der obergerichtlichen Rechtsprechung dazu geführt, dass dem Begriff des gleichzeitigen Versterbens oder vergleichbaren Formulierung eine über den strengen Wortsinn hinausreichende Bedeutung beigemessen worden ist (OLG Frankfurt FamRZ 98, 1393).