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  • 07.06.2011 | Testament

    Erbeinsetzung bei gleichzeitigem Versterben kann auch bei größerem Zeitabstand gelten

    von RA Dr. Gudrun Möller, FA Familienrecht, Münster

    Haben Ehegatten in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament im Anschluss an die gegenseitige Einsetzung zu Alleinerben bestimmt: „Für den Fall, dass wir gleichzeitig versterben sollten, soll unser Nachlass an unsere gemeinsame Nichte fallen“, setzt die Andeutungstheorie der richterlichen Auslegung des Testaments im Hinblick auf die Möglichkeit, dass diese Erbeinsetzung auch für den Fall des in zeitlich größerem Abstand aufeinanderfolgenden Versterbens der Ehegatten gewollt ist, keine Grenze. Das Gericht muss deshalb in Ermittlungen von Umständen eintreten, die für eine solche Auslegung maßgebend sein können (OLG Hamm 6.1.11, I-15 Wx 484/10, n.v., Abruf-Nr. 111630).

     

    Sachverhalt

    Die Beteiligten zu 2) bis 11) sind die gesetzlichen Erben der Erblasserin E. Die Beteiligte zu 1) ist die Tochter der Beteiligten zu 11). E und ihr Ehemann haben ein gemeinschaftliches notarielles Testament errichtet. Darin haben sie sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Laut Ziff. 2 soll für den Fall, dass sie gleichzeitig versterben, ihr Nachlass an ihre Nichte fallen. Deren Mutter soll das Erbe verwalten, bis diese volljährig wird. Der Ehemann der E ist vorverstorben. Zu diesem Zeitpunkt war E nach dem Vortrag der Beteiligten zu 1) und 11) bereits nicht mehr testierfähig. Die Beteiligten streiten darüber, ob Ziff. 2 dahingehend ausgelegt werden kann und muss, dass die Beteiligte zu 1) nicht allein für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Eheleute als Schlusserbin eingesetzt sein sollte. Die Beteiligte zu 1) hat einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweisen soll, die Beteiligte zu 2) einen solchen, der die gesetzliche Erbfolge ausweisen soll. Durch Beschlüsse hat das AG den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen und im Wege des Vorbescheids den Erlass eines Erbscheins entsprechend dem Antrag der Beteiligten zu 2) angekündigt. Die Beschwerden der Beteiligten zu 1) hat das LG zurückgewiesen. Ihre weitere Beschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung an das LG.  

     

    Entscheidungsgründe

    Die weitere Beschwerde ist begründet. Das LG hat den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Begründung: Das gemeinschaftliche Testament enthalte keine Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1), sodass nach der Erblasserin die gesetzliche Erbfolge eingetreten sei. Die Einsetzung der Beteiligten zu 1) beziehe sich dem Wortlaut nach allein auf den Fall des gleichzeitigen Ablebens der Eheleute, der jedoch nicht eingetreten sei. Eine Auslegung dahingehend, dass die Schlusserbeneinsetzung auch für den Fall gelten solle, dass ein Ehegatte den anderen um mehrere Jahre überlebe, sei nicht möglich. Denn hierfür finde sich im Wortlaut des Testaments kein hinreichender Anhaltspunkt.  

     

    Entgegen der Ansicht des LG müssen sich Anhaltspunkte dafür, dass die testierenden Eheleute von einem Wortverständnis ihrer Verfügung ausgegangen sind, das von dem allgemeinen Begriffsverständnis abweicht, nicht aus der Urkunde selbst ergeben. Vielmehr setzt der Wortlaut einer Verfügung ihrer Auslegung keine absoluten Grenzen (BGHZ 86, 41 ff. = DNotZ 84, 38). Der Tatrichter muss daher zunächst versuchen, anhand aller zur Verfügung stehender Erkenntnisquellen den tatsächlichen Erblasserwillen bzw. im Fall des gemeinschaftlichen Testaments den der Testatoren zu ermitteln, §§ 133, 2084 BGB. Nach Ansicht des LG dagegen ist der Begriff des „gleichzeitigen Versterbens“ eindeutig. Daher bedürfe es besonderer Anhaltspunkte im Wortlaut des Testaments selbst, wenn damit auch der Fall gemeint sein soll, dass der Längerlebende erhebliche Zeit nach dem anderen versterbe. Der Ausgangspunkt dieser Argumentation, dass der Wortlaut eindeutig sei, ist jedoch unzutreffend.