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  • 01.10.2006 | Anfechtung

    In welchen Fällen kann die Annahme der Erbschaft angefochten werden?

    von RA und Notar Jürgen Gemmer, FA für Steuerrecht, Braunschweig

    Bezüglich der Anfechtung der Erbschaftsannahmeerklärung oder der Anfechtung wegen Versäumung der Ausschlagungsfrist ist häufig große Unsicherheit anzutreffen. Der folgende Beitrag zeigt anhand eines praktischen Falls, worauf Sie bei diesen Mandaten besonders achten müssen.  

     

    Der Fall des OLG Hamm 20.9.05, 15 W 188/05 (n.v.)

    Ein Alleinerbe war mit Vermächtnissen beschwert, so dass er schlechter stand, als wenn er nur den Pflichtteil erhalten hätte. Er hatte die Fehlvorstellung, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um sich sein Pflichtteilsrecht zu erhalten. Deswegen hat er die sechswöchige Ausschlagungsfrist gemäß § 1944 BGB verstreichen lassen, ohne ausdrücklich oder konkludent die Erbschaft anzunehmen. Nach ca. acht Wochen hat er die Versäumung der Ausschlagungsfrist angefochten. Mit Erfolg?  

     

    Das OLG hat die Anfechtung durchgreifen lassen (Abruf-Nr. 062735): Die Fehlvorstellung, die Erbschaft nicht ausschlagen zu dürfen, um sich sein Pflichtteilsrecht zu erhalten, ist ein Inhaltsirrtum i.S. des § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB, der die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist begründet.  

     

    Checkliste: Grundsätze der Anfechtung der Erbschaftsannahme nach OLG Hamm
    • Die Fehlvorstellung des Erben betrifft die Rechtsfolgen der Annahme der Erbschaft durch Versäumung der Ausschlagungsfrist.
    • Ein Irrtum über Rechtsfolgen kann einen Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 1. Alt. BGB) begründen, wenn
    • die Willenserklärung (ausdrücklich oder in Form der Erklärungsfiktion gemäß § 1943 2. HS. BGB) nicht die erstrebten, sondern davon wesentlich verschiedene Rechtsfolgen erzeugt;
    • die rechtlichen Auswirkungen der Annahme bzw. Ausschlagung der Erbschaft auf das Pflichtteilsrecht Inhalt des Rechtsgeschäfts sind und keine nur mittelbare Nebenwirkung. Dies ist eine Bewertungsfrage, die unterschiedlich beantwortet wird. Das OLG hält daran fest, dass die Fehlvorstellung über die rechtlichen Auswirkungen der Erbschaftsannahme auf das Pflichtteilsrecht zu den Hauptwirkungen des Rechtsgeschäfts gehört:
    • Das Wahlrecht nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB, die Erbschaft mit den Beschränkungen und Beschwerungen anzunehmen oder den Erbteil auszuschlagen und den Pflichtteil zu verlangen, schafft eine rechtliche Verknüpfung zwischen Ausschlagung und dem Pflichtteilsrecht.
    • Da das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigten ein Wahlrecht zwischen belastetem Erbteil und Pflichtteilsrecht einräumt, müssen die rechtlichen Auswirkungen der Ausschlagung bzw. umgekehrt Annahme der Erbschaft den Hauptwirkungen des Rechtsgeschäfts zugeordnet werden.
    • Ist dem Erben – wie hier – unbekannt, dass er durch die Annahme der Erbschaft sein Pflichtteilsrecht verliert, unterliegt er einem Irrtum hinsichtlich dieser spezifischen Verknüpfung, die durch § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB hergestellt wird.