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  • · Fachbeitrag · Interview

    Cannabis: „Wir sind keine Dealer auf Rezept, sondern helfen Schwerstkranken“

    | Seit März 2017 darf medizinisches Cannabis als Therapeutikum verordnet werden. Die Wirkstoffe sind zahlreich, das Anwendungsgebiet ist groß und Cannabis kann in Form von Blüten, Extrakten sowie Ölen als Arzneimittel verordnet werden. Um eine effiziente und bezahlbare Patientenversorgung mit Cannabis sicherzustellen, gründete sich im Januar 2019 der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken e. V. (VCA). Apothekerin Astrid Staffeldt ist Gründungsmitglied und stellvertretende Vorsitzende. Im Gespräch mit Ursula Katthöfer ( www.textwiese.com ) blickt sie auf das erste Jahr zurück. |

     

    Frage: Cannabis war lange als Droge verboten. Wie reagierte die Apothekenwelt auf Ihren Verband?

     

    Antwort: Die Kollegen haben die Verbandsgründung wohlwollend aufgenommen. Wir hatten auf der expopharm einen eigenen Stand. Einige Verbandsmitglieder hielten Vorträge. Hinzu kam ein Meet and Greet für alle Interessierten. Das war sehr gut besucht, es gab einen konstruktiven Austausch.

     

    Frage: Wissen Ihre Kollegen schon genug über medizinisches Cannabis?

     

    Antwort: Wir wissen alle nicht genug. Wegen des 70 Jahre währenden Verbots wurde nur auf Minimalniveau geforscht. Deshalb ist die Evidenz heute nicht so gut, wie wir es gerne hätten. Wir handeln eher nach dem Prinzip „trial and error“.

     

    Frage: Welche Fragen haben Ihre Kollegen typischerweise?

     

    Antwort: Meistens geht es um das Handling in der Apotheke. Wie wird Cannabis geprüft, etikettiert oder berechnet? Manchmal geht es um spezielle Fälle, wenn Patienten mit einer bestimmten Indikation kommen. Im ersten Halbjahr 2017 nach der Legalisierung hatte ich allein über 1.000 Beratungen von Patienten und Kollegen. Anderen Kollegen ging es ähnlich, sodass die Idee zum Verband entstand.

     

    Frage: Sie machen eine Gratwanderung, denn Cannabis hat immer noch ein Geschmäckle. Wie gehen Sie damit um?

     

    Antwort: Diese Gratwanderung müssen Apotheker, die Cannabis abgeben, alle erst einmal durchmachen. Als Verband betrachten wir medizinisches Cannabis als ein Medikament wie viele andere auch. Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind wir keine Dealer auf Rezept, sondern verhelfen Schwerstkranken zu mehr Lebensqualität. Dabei haben wir bei onkologischen Patienten und bei Schmerzpatienten bisher die beste Evidenz. Bei neurologischen und psychiatrischen Indikationen sowie Autoimmunerkrankungen ist die Evidenz noch nicht so abgesichert. Es ist ein Problem, dass fehlende Evidenz heutzutage immer mit mangelnder Seriosität gleichgesetzt wird.

     

    Frage: Wie reagieren die gesetzlichen Krankenversicherungen darauf, dass die Verordnung von Cannabis zunimmt?

     

    Antwort: Sie wurden geradezu überrollt. Denn die Legalisierung kam ja recht überraschend als Reaktion auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem der Eigenanbau erlaubt wurde. Da der Gesetzgeber den Eigenanbau nicht zulassen wollte, musste er Cannabis als Medikament legalisieren. Bis dahin hatten deutschlandweit nur gut 1.000 Personen eine Ausnahmeerlaubnis von der Bundesopiumstelle zum Erwerb von Cannabis in einer Apotheke. Man dachte, das Gesetz sei für diese relativ kleine Personengruppe gemacht. Inzwischen sind die Patientenzahlen deutlich höher und verursachen mehr Kosten als von den Kassen eingeplant.

     

    Frage: Wie viele Patienten sind es denn?

     

    Antwort: Vorsichtig geschätzt etwa 100.000. Es geht um die Kränksten der Kranken. Diese Menschen sind austherapiert und haben keine anderen Optionen mehr. Ich arbeite seit 20 Jahren in der Apotheke und hätte es nie für möglich gehalten, dass es eine so schwer kranke Klientel geben kann. Wir haben außerdem eine statistische Auffälligkeit zu sehr seltenen Erkrankungen.

     

    Frage: Sparen die Kassen an anderer Stelle?

     

    Antwort: Zunächst einmal sind die Ausgaben für cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel und Zubereitungen nicht horrend. Dem aktuellen Bericht der GKV zufolge lagen die Bruttoumsätze im ersten Halbjahr 2019 bei gut 54 Mio. Euro. Es gab 122.450 Verordnungen. Zum Vergleich: Im Jahr 2016 lagen die Marketingausgaben der Kassen bei 194 Mio. Euro. Wird Cannabis verordnet, sparen die Kassen bei anderen Medikamenten. Gerade bei den Schmerzmedikamenten kann man durchschnittlich zwei Drittel der Opioide weniger verordnen. Bei einigen Patienten konnten wir Opioide oder Antidepressiva sogar ausschleichen.

     

    Frage: Könnte medizinisches Cannabis für Apotheken zu einem gewinnbringenden Standbein werden?

     

    Antwort: Allein wird das niemals gelingen. Es hat zwar zurzeit ein großes Potenzial, da noch die alten Abrechnungspreise gelten. Doch es gibt seit einiger Zeit Gespräche zwischen dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und den Apothekerverbänden. Ich gehe davon aus, dass der Preis reduziert wird. Ob wir in Zukunft eine Kostendeckung haben, weiß ich nicht, denn die Kosten sind hoch. Die Beratung ist aufwendig, die Ware ist nur maximal drei Monate haltbar und wir benötigen die Tresorlagerung. Wenn das Risiko zu groß wird, könnten Kollegen sich zurückziehen. Wir haben jetzt schon das Problem, das nur zehn Prozent aller Kollegen Cannabis abgeben.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 05 / 2020 | Seite 10 | ID 46271138