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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Wirtschaftlichkeitsprüfung: Prüfgremien müssen anerkannte Praxisbesonderheiten quantifizieren

    von RA, FA MedR Dr. Jan Moeck, Kanzlei D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, db-law.de

    | Bei der Bestimmung von Praxisbesonderheiten ist ein pauschaler „Rabatt“ bei einer Kürzungsentscheidung nicht zulässig. Gefordert wird vielmehr die Ermittlung und Quantifizierung der Praxisbesonderheit. Dies gelte insbesondere, wenn die Praxisbesonderheiten durch den Vergleich der Morbidität der Patienten des Arztes mit der Fachgruppe belegt seien. Dieser Vergleich ist laut dem Sozialgericht (SG) Marburg enorm aussagekräftig im Hinblick auf die Bestimmung der Morbidität des Patientenklientels (Urteil vom 17.12.2018, Az. S 17  KA 223/17). |

    Sachverhalt

    Die Prüfungsstelle hatte der Hausärztin nach einer Durchschnittswertprüfung, die vier Quartale umfasste, das Honorar für psychosomatische Leistungen um rund 40.000 Euro gekürzt. Zur Begründung führte die Prüfungsstelle aus, dass die Hausärztin im Vergleich zur Gruppe der Allgemeinmediziner und hausärztlichen Internisten in Hessen diese Leistungen weit überdurchschnittlich häufig abrechne. Die Prüfungsstelle hatte bezüglich der

    • EBM-Nr. 35100 (Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände, 152 Punkte, 16,45 Euro [in 2019]) und der
    • EBM-Nr. 35110 EBM (Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen, 152 Punkte, 16,45 Euro [in 2019])

    eine Prävalenzprüfung durchgeführt, aus der sich anhand der dokumentierten Erkrankungen aus dem Bereich der psychischen Störungen und der Verhaltensstörungen nach Maßgabe bestimmter ICD-Verschlüsselungen eine Mehrversorgung gegenüber der Fachgruppe von +731 Prozent errechnete.

     

    Die Prüfungsstelle äußerte aber Bedenken hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit, da

    • die Ärztin die EBM-Nr. 35100 je Patient mehrmals im Quartal und häufiger als die Therapieziffer Nr. 35110 in Ansatz gebracht habe,
    • die psychosomatische Grundversorgung bei hochbetagten Patienten aufgrund der Vorgaben der Psychotherapierichtlinie zu hinterfragen sei und
    • die Ansatzhäufigkeit der ICD-Kodierungen erhebliche Zweifel an der Korrektheit aufkommen lasse.

     

    Daher sei eine Quantifizierung der Praxisbesonderheiten über ICD-Verschlüsselungen nicht zielführend. Unter Bezugnahme auf die schmerztherapeutische Ausrichtung sei jedoch ein Mehrbedarf an psychosomatischer Grundversorgung in Höhe von +100 Prozent (des Fachgruppendurchschnitts) sowie im Rahmen der Ermessensausübung von weiteren +100 Prozent, also insgesamt +200 Prozent anzuerkennen. Der Beschwerdeausschuss wies den von der Ärztin erhobenen Widerspruch zurück.

    Entscheidungsgründe

    Das SG verurteilte den Beschwerdeausschuss zur Neubescheidung. Die Prüfgremien hätten im Rahmen der Ermessensausübung nicht überzeugend dargestellt, wieso trotz einer sich aus der Prävalenzprüfung ergebenden Mehrversorgung von +731 Prozent lediglich ein Überschreitungsbetrag von +200 Prozent anerkannt werde. Die Bedenken der Prüfgremien hielt das SG nicht für begründet. Der sich aus der Prävalenzprüfung ergebende Mehrversorgungsanteil von +731 Prozent sei vielmehr als Orientierungswert für das der Klägerin zuzugestehende Abrechnungsvolumen anzusehen.

     

    Zudem hat das SG beanstandet, dass sich aus dem Bescheid nicht ersehen lasse, ob in die Vergleichsgruppe nur diejenigen Ärzte aufgenommen wurden, die ‒ wie die Klägerin ‒ über eine Qualifikation zur Abrechnung der psychosomatischen Leistungen verfügen und diese auch abrechnen. Im Rahmen der Neubescheidung müsse jedenfalls gewährleistet sein, dass diese Bedingung bei der Auswahl der Vergleichsgruppe beachtet werde.

     

    MERKE | Bei einem Vergleich der Häufigkeit ärztlicher Leistungen sind in die Vergleichsgruppe nur Ärzte der Fachgruppe einzubeziehen, welche die Leistungen, deren Häufigkeit verglichen werden soll, im Prüfzeitraum überhaupt erbringen durften bzw. erbracht haben.

     

    Pauschalierungen von Praxisbesonderheiten hinterfragen

    In der Regel stehen und fallen Wirtschaftlichkeitsprüfungen mit der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten. Die bloße Anerkennung einer oder mehrerer Besonderheit(en) der Praxis ‒ im Fall der Klägerin: Die Versorgung überdurchschnittlich vieler Patienten mit psychischen Erkrankungen ‒ genügt dabei häufig nicht, um aus der Prüfung zu kommen, wie der dargestellte Fall verdeutlicht. Ganz maßgeblich ist nämlich, dass die Prüfgremien die aus der Praxisbesonderheit resultierenden Mehrkosten auch richtig quantifizieren bzw. berechnen. Häufig berufen sich die Prüfgremien dabei auf das ihnen zustehende weite Schätzungsermessen und nehmen eine „Pi mal Daumen“-Berechnung vor. Es erfolgt dann eine Pauschalierung der anzuerkennenden Mehrkosten, teils unter Berücksichtigung nicht weiter spezifizierter bzw. fallbezogener Bedenken zum wirtschaftlichen Verhalten des geprüften Arztes.

     

    PRAXISTIPP | Sollten für Ihre Praxis im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung Pauschalierungen zu den Praxisbesonderheiten vorgenommen werden, die zu einer deutlich geringeren quantitativen Berücksichtigung der grundsätzlich anerkannten Praxisbesonderheit und damit zu entsprechend höheren Rückforderungsbeträgen führen können, sollten Sie diese hinterfragen.

     

    Weiterführende Hinweise

     

    • „Psychosomatische“ EBM-Nrn. 35100 und 35110 sind mehrmals pro Quartal bzw. Tag abrechenbar (AAA 01/2019, Seite 7)
    Quelle: Ausgabe 06 / 2019 | Seite 10 | ID 45925891