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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Wie hoch darf eine Honorarkürzung ausfallen? Über das Schätzungsermessen der KV

    von RA, FA MedizinR Dr. Jan Moeck, Kanzlei D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, db-law.de

    | In der Abrechnungsprüfung geht es nicht nur um die Frage, ob Leistungen zu Unrecht abgerechnet wurden, sondern auch darum, wie die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Höhe des Schadens und damit des zurückzufordernden Honorars berechnet. In den seltensten Fällen kann die Anzahl derjenigen Leistungen, die nicht oder nicht vollständig erbracht wurden, exakt bestimmt werden. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass die KV zur Schätzung des Schadens berechtigt ist und das Honorar in Höhe des Durchschnitts der Fachgruppe festgesetzt werden darf. Eine möglichst genaue Alternativberechnung könne der Vertragsarzt nicht beanspruchen. Der Fall liegt zwar bereits einige Jahre zurück, verdeutlicht aber eindrücklich die möglichen Folgen bei einer grob fahrlässigen Falschabrechnung (Beschluss vom 22.12.2020, Az. L 7 KA 10/20 WA). |

    Sachverhalt

    Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die KV stellte im Rahmen einer Abrechnungsprüfung fest, dass der Kläger für die Erbringung der abgerechneten ärztlichen Leistungen im betreffenden Quartal im Jahr 1996 täglich über 15,76 Stunden hätte tätig sein müssen. Sie verpflichtete den Kläger zur Schadenswiedergutmachung in Höhe von rund 60.000 DM. Es sei davon auszugehen, dass nahezu alle Gebührenpositionen nach einigen Abrechnungsziffern des (zu der Zeit geltenden) EBM nicht vollständig erbracht worden seien.

     

    Dagegen hatte der Arzt Klage erhoben. Die Kürzungen seien zu hoch. Er habe auch nicht eingestanden, grob fahrlässig falsch abgerechnet zu haben, sondern lediglich, sich mit den Leistungslegenden nicht ausreichend befasst zu haben. Insbesondere habe er verkannt, dass diese nur bei Einhaltung von Mindestzeiten abrechenbar gewesen seien. Eine Kürzung der Abrechnung um 90 Prozent sei nicht gerechtfertigt. In den 2.654 Fällen hätte zumindest eine aus seiner Sicht dann zutreffende, niedriger bewertete EBM-Ziffer in Ansatz gebracht werden müssen. Das SG hat die Klage abgewiesen.

    Entscheidungsgründe

    Das LSG hat die Berufung des Arztes zurückgewiesen. Die KV habe von ihrem Schätzungsermessen in zutreffender Weise Gebrauch gemacht. Die Aufhebung eines gesamten Honorarbescheids hat zur Folge, dass das Honorar insgesamt neu festgesetzt werden kann. Die KV darf den Umfang der Unrichtigkeit schätzen, wenn der Vertragsarzt grob fahrlässig gehandelt hat. Davon durfte die KV hier Gebrauch machen, weil der Kläger die Abrechnungssammelerklärung für das Quartal falsch abgegeben hat und dies nach den Feststellungen zumindest grob fahrlässig erfolgte. Der Kläger hat gewusst oder sich zumindest der naheliegenden Erkenntnis verschlossen, dass die Abrechnung der betreffenden EBM-Positionen eine Zeitvorgabe von mindestens 15 Minuten erfordert. Der KV kommt insoweit das für jede Schätzung kennzeichnende Ermessen zugute. Es ist i. d. R. nicht zu beanstanden, wenn die KV das Honorar in der Höhe des Durchschnitts der Fachgruppe festsetzt. Die KV durfte sich am Fachgruppendurchschnitt orientieren, obwohl der Kläger mehr Patienten als die Fachgruppe hatte. Dabei sei zu differenzieren:

    • Zunächst ist im Rahmen der Neufestsetzung der Fachgruppendurchschnitt ein geeigneter Maßstab im Fall solcher Vertragsärzte, deren Abrechnungsvolumen deutlich über dem Durchschnitt ihrer Fachgruppe lag.
    • Bei unterdurchschnittlich abrechnenden Vertragsärzten ist hingegen nach anderen Gesichtspunkten zu suchen.

     

    MERKE | Das Kriterium, dass die Fallzahl des Arztes in dem streitigen Quartal über dem Fachgruppenwert lag, führt nicht dazu, dass er zwingend mit dem verbleibenden Honorar ebenfalls über dem Fachgruppendurchschnitt liegen muss. Dieses Kriterium rechtfertigt allein nicht, dass ihm ein höherer Honoraranspruch (aus Gründen der Verhältnismäßigkeit) verbleiben muss. Es sei gerade nicht auszuschließen, dass der Kläger deshalb viel mehr Patienten als der Fachgruppendurchschnitt behandeln konnte, weil er die Mindestzeit für die zeitgebundenen Leistungen nicht eingehalten hat.

     

    Zwar besteht bei Schätzungen kein Beurteilungsspielraum, der der Gerichtskontrolle entzogen ist. Vielmehr gehören sie zu den Tatsachenfeststellungen. Das Gericht hat deshalb die Schätzung entweder selbst vorzunehmen oder selbst nachzuvollziehen. Die Verpflichtung zur eigenen Schätzung bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht nunmehr erneut alle Schätzungsgrundlagen erhebt und eine völlig eigene Schätzung vornimmt. Sofern der Neufestsetzungsbescheid überzeugende Ausführungen zur Schätzung enthält, reicht es aus, wenn das Gericht sich diese Ausführungen zu eigen macht und sie in seinen Entscheidungsgründen nachvollzieht.

     

    Der Arzt hat keinen Anspruch darauf, anstatt der falsch berechneten EBM-Positionen zumindest eine passende andere Position vergütet zu bekommen. Denn der Vertragsarzt, der grob fahrlässige Falschabrechnungen zu verantworten hat, kann gerade keine möglichst genaue Alternativberechnung beanspruchen. Er muss sich als Folge seines gravierenden Fehlverhaltens auf eine mehr oder weniger grobe Schätzung verweisen lassen. Ein Anspruch des Klägers auf Umsetzung in eine niedriger bewertete, alternative EBM-Position würde dazu führen, dass er trotz seines Fehlverhaltens kein Risiko bei der Falschabrechnung tragen würde. Dies würde die Pflicht eines Vertragsarztes zur peinlich genauen Abrechnung ad absurdum führen und die Steuerungswirkung der Neufestsetzung verhindern.

     

    FAZIT | Es kann nur immer wieder auf die Wichtigkeit einer sorgfältigen Quartalsabrechnung hingewiesen werden: Ist die unrichtige Abrechnung von Leistungen erst einmal nachgewiesen, gehen KVen und Sozialgericht i. d.  R. von einem grob fahrlässigen Verhalten des Arztes aus. Die drastische Folge ist, dass der Honorarbescheid insgesamt aufgehoben und das neu festzusetzende Honorar von der KV im Wege einer Schätzung ermittelt werden darf. Dabei darf grundsätzlich auch dann auf den Fachgruppendurchschnitt „heruntergekürzt“ werden, wenn die Praxis eine deutlich höhere Fallzahl als der Durchschnitt aufweist.

     
    Quelle: Ausgabe 12 / 2021 | Seite 9 | ID 47819048