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  • · Fachbeitrag · Telemedizin

    Das BGH-Urteil zum Verbot allgemeiner Werbung für Fernbehandlungen und die Folgen

    von RAin, FAin für MedizinR Taisija Taksijan, LL.M., Hamburg, legal-point.de

    | Nach einer mit Spannung erwarteten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist Werbung für Fernbehandlungen nur begrenzt möglich. Nun sind die Fachgesellschaften gefragt, allgemein anerkannte fachliche Standards zu telemedizinischen Behandlungen weiterzuentwickeln und festzulegen. Dieser Beitrag gibt Ihnen einen Überblick zur aktuellen Rechtslage und zu den Folgen für Arztpraxen, die mit Fernbehandlungen werben wollen (BGH-Urteil vom 09.12.2021, Az. I ZR 146/20). |

    Über das Werbeverbot für Fernbehandlungen

    Bis 2019 war Werbung für Fernbehandlungen gemäß § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG) verboten. Fernbehandlung steht für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, die nicht auf „eigener Wahrnehmung“ (des Arztes) am Patienten ‒ ohne gleichzeitiger physischer Präsenz von Arzt und Patient ‒ beruht. Wegen der grundsätzlich noch bestehenden Bedenklichkeit von lediglich auf fernmündlicher oder schriftlicher Mitteilung von Krankheitssymptomen beruhenden (Fern-)Behandlungen sollte diese nicht durch Werbung gefördert werden. Im Jahr 2019 wurde ein Satz in § 9 HWG eingefügt und ‒ mit dem Ziel der Liberalisierung ‒ für das Werbeverbot eine Ausnahme geschaffen. Seither ist Werbung dafür erlaubt, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem Patienten nicht erforderlich ist.

     

    MERKE | Die Fernbehandlung selbst wurde und wird durch § 9 HWG nicht untersagt, es geht „nur“ um die Werbung dafür. Ein Verbot der Fernbehandlung an sich ergab sich insbesondere aus dem Berufsrecht. Seit der Novellierung der Musterberufsordnung im Jahr 2018 und den entsprechenden Anpassungen in den Kammerberufsordnungen ist die ausschließliche Fernbehandlung inzwischen nicht mehr verboten, sondern in Einzelfällen erlaubt. Die Lockerung erfolgte unter der Prämisse, dass der persönliche Kontakt unter physischer Präsenz von Arzt und Patient weiterhin den „Goldstandard“ des ärztlichen Handelns darstellt.

     

    Sachverhalt

    Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Der beklagte private Krankenversicherer warb auf seiner Internetseite mit der Aussage „Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App“ für die angebotene Leistung eines „digitalen Arztbesuchs“ mittels einer App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten. Die Klägerin sah in dieser Werbung einen Verstoß gegen das Verbot der Werbung für Fernbehandlungen nach § 9 HWG und verklagte die Versicherung auf Unterlassung.

    Entscheidungsgründe

    Der BGH sieht in der beanstandeten Werbung einen Verstoß gegen § 9 HWG ‒ auch unter Berücksichtigung der Liberalisierung durch den Gesetzgeber in Satz 2 des Verbots-Paragrafen. Die Versicherung wurde daher zur Unterlassung der Werbung verpflichtet. Ein Verstoß gegen das Werbeverbot liege vor, weil es beim beworbenen digitalen Arztbesuch an der „eigenen Wahrnehmung“ fehle. Für diese eigene Wahrnehmung sei die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient erforderlich. Der Arzt müsse den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch ‒ etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise einem Ultraschallgerät ‒ untersuchen können.

     

    Die Ausnahme vom Werbeverbot (§ 9 Satz 2 HWG) greift laut BGH nicht, insbesondere weil die Werbung für den digitalen Arztbesuch nicht auf Fernbehandlungen begrenzt war, für die nach anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem Patienten nicht erforderlich ist. Wann Letzteres der Fall ist, richte sich nach dem BGH unter Zugrundelegung der zum Behandlungsvertrag bestehenden Regelungen (§ 630a Abs. 2 BGB) sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Daraus sei abzuleiten, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht eines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Bei den Bestimmungen des anerkannten fachlichen Standards sind die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften und die des G-BA zu berücksichtigen. Fachliche Standards können sich aber auch unabhängig davon bilden.

     

    Erfreulich sind die Ausführungen des BGH zu der Annahme, die Behandlung in physischer Präsenz des Arztes und der Patienten stelle weiterhin den „Goldstandard“ des ärztlichen Handelns dar. Diese Annahme lasse unberücksichtigt, dass der Gesetzgeber mit Liberalisierung des Werberechts der Weiterentwicklung telemedizinischer Möglichkeiten Rechnung tragen wollte und sich mit dem Fortschritt der technischen Möglichkeiten auch der anerkannte fachliche Standard ändern könne.

    Folgen für die Praxis

    Ärzte, die telemedizinische Leistungen anbieten und dafür werben wollen, müssen weiterhin differenzieren und genau auf das Wording achten. Werbung für konkrete Behandlungen, für die kein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt erforderlich ist, ist weiterhin möglich. Es existieren z. B. im dermatologischen Bereich bereits durch die Leitlinie zur Teledermatologie (iww.de/s6168) Anhaltspunkte zu fachlichen Standards bei Fernbehandlungen.

     

    Hilfreich wären die Entwicklung und Festlegung objektiver fachlicher Standards für möglichst viele konkrete Behandlungen. Daneben wäre auch die weitere Liberalisierung der Werbemöglichkeiten durch den Gesetzgeber zu begrüßen, damit es flächendeckend verlässliche Anhaltspunkte zulässiger Werbung für Fernbehandlungen gibt. Und bis dahin gilt wie schon immer bei Werberecht durch Ärzte: Nichts ist in Stein gemeißelt! Vor 20 Jahren war Ärzten Werbung noch gänzlich untersagt. Wer nun auf dem „neuen“ Markt Fuß fassen möchte, muss kreativ und aktiv sein. Die Grenzen, wann eine konkrete Fernbehandlung den fachlichen Standards entspricht und wann nicht, sind weiter auszuloten.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2022 | Seite 15 | ID 48091261