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  • · Fachbeitrag · Berufsrecht

    Nr. 420 GOÄ: Abrechnungsbetrug zieht berufsgerichtliches Verfahren nach sich

    von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de

    | Gegen einen Arzt, der des jahrelangen Abrechnungsbetrugs mit einem Schaden im fünfstelligen Bereich verdächtig ist, ist das berufsgerichtliche Verfahren zu eröffnen. Dies gilt auch, wenn das Strafrechtsverfahren im Rahmen eines Deals beendet wurde. Es besteht nämlich ein Bedürfnis für eine zusätzliche berufsrechtliche Disziplinierung (sogenannter „berufsrechtlicher Überhang“). Im vorliegenden Fall hat der Arzt durch seine Erklärungen im Strafverfahren alles noch schlimmer gemacht (Oberverwaltungsgericht [OVG] Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.03.2019, Az. 6t E 757/18.T). |

    Sachverhalt

    Ein Facharzt für Innere Medizin umging bei der Privatliquidation von Ultraschalluntersuchungen die Beschränkungen der Nr. 420 GOÄ.

     

    • Abrechnungsbeschränkungen zu Nr. 420 GOÄ (Ultraschalluntersuchung)

    Nach Nr. 420 GOÄ können Ultraschalluntersuchungen von bis zu drei weiteren Organen im Anschluss an eine Ultraschalluntersuchung nach den Nrn. 410 bis 418 abgerechnet werden. Die untersuchten Organe sind in der Rechnung anzugeben. Die Leistung nach Nr. 420 kann je Sitzung höchstens dreimal berechnet werden. Erfolgen in einer Sitzung Ultraschalluntersuchungen von mehr als drei Organen, sind die über diese Anzahl hinausgehenden Ultraschalluntersuchungen nicht abrechnungsfähig. Lesen Sie hierzu auch den Beitrag „Ultraschall-Untersuchungen Nrn. 410 bis 420 GOÄ“ (AAA 09/2015, Seite 13).

     

    Der Arzt erstellte Abrechnungen über Sonografieleistungen auch für Tage, an denen die Patienten tatsächlich nicht untersucht worden waren. Aufgrund der Anzeige eines Patienten leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Arzt ein Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrugs ein. Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den Internisten Anklage wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 572 Fällen mit einem Gesamtschadensbetrag von 79.765,52 Euro. Das Verfahren wurde gegen Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von insgesamt 90.000 Euro eingestellt.

     

    Nach Anhörung des Beschuldigten stellte die zuständige Ärztekammer den Antrag auf Eröffnung eines berufsgerichtlichen Verfahrens beim Berufsgericht für Heilberufe. Die Ärztekammer legte dem Internisten zur Last, durch sein Verhalten seine Berufspflichten verletzt zu haben. Er habe die ihm als Arzt obliegende Verpflichtung nicht erfüllt, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben, dem ihm bei der Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen (§ 2 BO) und für die Berechnung die GOÄ zugrunde zu legen. Die strafrechtliche Verurteilung sei nicht ausreichend. Zunächst lehnte das Berufsgericht die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens ab, wogegen die Ärztekammer Beschwerde einlegte ‒ mit Erfolg.

    Entscheidungsgründe

    Der angefochtene Beschluss wurde geändert und das berufsgerichtliche Verfahren vor dem Berufsgericht für Heilberufe eröffnet, denn ein „berufsrechtlicher Überhang“ liege laut OLG vor. Bei der Beurteilung der Frage, ob neben der grundsätzlich ausreichenden strafrechtlichen Sanktion eine berufsrechtliche Ahndung erforderlich sei, seien alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls in den Blick zu nehmen. Hierzu gehörten auch, aber nicht nur, die von dem Berufsgericht herangezogenen Aspekte:

    • Die Schwere der Tat,
    • die Einsicht des Beschuldigten in sein Fehlverhalten,
    • das Verhalten des Arztes in der Zwischenzeit und die sich daraus ergebende Prognose hinsichtlich seines künftigen berufsrechtmäßigen Verhaltens,
    • das Erfordernis, einer etwaigen Minderung des Ansehens der Ärzteschaft entgegenzuwirken oder verlorenes Vertrauen der Öffentlichkeit in die Ärzteschaft wiederherzustellen.

     

    Des Weiteren sei aber auch zu berücksichtigen, inwieweit die Tat den Kernbereich der Berufstätigkeit betraf, und ob eine Ahndung aus generalpräventiven Erwägungen erforderlich sei. Die Abwägung ergebe ein Bedürfnis für eine zusätzliche berufsrechtliche Disziplinierung. Zwar sei zugunsten des Arztes zu berücksichtigen, dass er die Vorwürfe umfassend eingeräumt, sich einsichtig gezeigt habe und in der Zwischenzeit augenscheinlich nicht erneut berufsrechtlich in Erscheinung getreten sei.

     

    Für eine weitere berufsrechtliche Ahndung spreche jedoch der lange Zeitraum seines betrügerischen Abrechnungsverhaltens und die erhebliche Höhe des Schadens. Zudem spreche der Umstand, dass sich das Fehlverhalten zwar nicht auf den Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit im engeren Sinn, so doch auf deren wirtschaftlichen Komplementärbereich beziehe, ebenfalls für eine Ahndung. Die betrügerische Abrechnung ärztlicher Leistungen beeinträchtige auch nachhaltig die für die ärztliche Tätigkeit unverzichtbare Vertrauensbasis und lasse negative Auswirkungen auf das Ansehen der Ärzteschaft befürchten (Bay. VGH, Urteil vom 08.11.2011, Az. 21 B 10.1543).

     

    FAZIT | Grundsätzlich ist ein Arzt mit einer strafrechtlichen Verurteilung etc. hinreichend „bestraft“. Nur ausnahmsweise erfordert die Tat auch eine (eigene) berufsrechtliche Strafe. Dass zwischen dem Ende der fehlerhaften Abrechnungen und dem Antrag auf Eröffnung des Disziplinarverfahrens rund sechs Jahre lagen, ändert daran aus Sicht des Gerichts nichts, weil die Eröffnung aus präventiven Gründen erforderlich sei. Pikant ist dabei, dass der Einwand des Arztes, viele Ärzte rechneten so ab wie er, das Gericht davon überzeugte, hier zur Abschreckung das Disziplinarverfahren zu eröffnen.

     

    Weiterführender Hinweis

    Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 14 | ID 46123406