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  • · Fachbeitrag · Interview

    „Über Punktwertsteigerung und Ergänzungen von Leistungen wäre die Novellierung der GOÄ erledigt!“

    | Für die GOÄ ‒ zuletzt teilreformiert im Jahr 1996 ‒ mahnt die Bundesärztekammer (BÄK) seit 2005 eine Reform an. Der medizinische Fortschritt müsse einbezogen werden. Obwohl die BÄK seit Jahren mit dem Verband der privaten Krankenversicherungen (PKV-Verband) und den Beihilfestellen über eine Novelle verhandelt, gibt es bisher keine GOÄneu. Auch das Bundesgesundheitsministerium sieht Reformbedarf, hält die Umsetzung während dieser Legislaturperiode aber für unwahrscheinlich. Wie die Freie Ärzteschaft e. V. zu diesem Thema steht, erläutert ihr Vorsitzender Wieland Dietrich, Facharzt für Dermatologie in Essen, gegenüber Ursula Katthöfer ( textwiese.com ). |

     

    Frage: Die Freie Ärzteschaft spricht vom „Debakel GOÄ-Reform“. Was läuft aus Ihrer Sicht falsch?

     

    Antwort: Die Leistungsbewertungen stagnieren seit Jahrzehnten, Honorare werden nicht angehoben. 1996 wurde das Honorarvolumen um vier Prozent erhöht, seitdem hat sich gar nichts getan. Die Ärzteschaft hat bei der Privatliquidation einen ganz erheblichen Inflationsverlust. Zudem kritisieren wir die Art und Weise, wie die GOÄneu durch eine Gebührenordnungskommission aus PKV-Verband und BÄK verhandelt werden soll. Indem der Gesetzgeber fordert, dass die Ärzteschaft sich mit den privaten Krankenversicherern einigt, macht er den Kontrahenten der Ärzteschaft zu dessen „Verhandlungspartner“. Darauf hätte die BÄK sich nicht einlassen sollen. Die Interessen sind gegenläufig. Die Ärzte brauchen einen Inflationsausgleich, der PKV-Verband will Kosten sparen. Besser wäre grundsätzlich, wenn Bundestag und Bundesrat eine Verordnung verabschieden würden, so wie bei anderen freien Berufen wie Tierärzten oder Rechtsanwälten auch.

     

    Frage: Zu Ihren Kritikpunkten im Einzelnen: Wie stehen Sie zur Gemeinsamen Kommission aus BÄK und PKV-Verband, die die Gebührenordnung steuern soll?

     

    Antwort: Wie dieses Gremium in der Lage sein soll, einvernehmlich Beschlüsse zu fassen, ist sehr fragwürdig. Bisher verzögert der PKV-Verband eine Einigung zur GOÄneu. Die BÄK spricht zwar von einer Einigung. Doch solange beide Seiten sich nicht über den Punktwert verständigt haben, kann von Einigkeit keine Rede sein. In einer Gemeinsamen Kommission ähnlich des Gemeinsamen Bundesausschusses hätte die BÄK kaum ein Druckmittel. Formal könnte sie natürlich sagen, dass die Ärzte den Privatpatienten die Behandlung verweigern. Man könnte auch einen Schlichter hinzuziehen. Dennoch ist die Stagnation hier strukturell angelegt. Bei strittigen oder neuen Leistungen wird der PKV-Verband sagen, dass die Leistung zu teuer oder nicht notwendig sei.

     

    Frage: Geräteintensive Leistungen sollen in der GOÄneu abgewertet, die sprechende Medizin soll aufgewertet werden. Da Geräte in den vergangenen Jahren preiswerter geworden sind, ist das nachvollziehbar. Oder nicht?

     

    Antwort: Es fehlt an Transparenz. Wir können nicht beurteilen, inwiefern persönliche Beratung und Untersuchung durch den Arzt tatsächlich deutlich aufgewertet werden. Bisher haben wir nicht den Eindruck, dass es eine deutliche Erhöhung geben wird. Das Arzthonorar ist mit ca. 80 Euro pro Stunde bei galoppierenden Kosten ohnehin zu niedrig! Hinzu kommt noch etwas: Technische Leistungen wie z. B. CT, MRT und Röntgen kann der Arzt delegieren und befunden. Ich will nicht ausschließen, dass manche Leistungen durch Skalierung preiswerter sein können. Doch die Sonografie, sei es eine Schwangeren- oder Hüftsonografie, ist sowohl eine persönliche als auch eine technische Arztleistung. So etwas braucht Zeit. Der Patient muss parallel beraten werden. Es wäre fatal, wenn in Zeiten steigender Kosten diese Leistungen abgewertet würden.

     

    Frage: Die GOÄneu soll Komplexleistungen definieren, in denen einzelne Leistungen zusammengefasst werden. Würde das nicht die Bürokratie erleichtern?

     

    Antwort: Das ist zweischneidig. Wir haben reichlich Erfahrung mit dem EBM. Natürlich lassen mehrere Leistungen sich zu einer Gesamtleistung zusammenfassen. Das wären bei einer Operation z. B. Anästhesie, Eingriff, Wundversorgung und Nachkontrolle. Der Arzt ist verpflichtet, alle Leistungen zu erbringen, sonst darf er den Komplex nicht abrechnen. Manche Patienten verzichten aber auf die Narkose, sondern wünschen etwa Lokalanästhesie, oder verzichten auf Nachbehandlungen. Honorare für die individualisierte Medizin lassen sich über Komplexleistungen nicht gut abbilden. Es besteht die Gefahr, dass Leistungen verkürzt oder überflüssige Leistungen weggelassen werden, um den Komplex formal zu erfüllen.

     

    Frage: Der PKV-Verband will weniger Steigerungsmöglichkeiten. Es soll ‒ von wenigen Ausnahmen abgesehen ‒ der Einfachsatz gelten. Warum macht die BÄK das Ihrer Ansicht nach mit?

     

    Antwort: Das ist mir nicht verständlich. Alles soll über einen Kamm geschoren werden. Das wird dem Bedarf der Patienten und dem individuellen Schweregrad des Behandlungsfalls typischerweise nicht gerecht. Wenn die Differenzierung wegfällt, laufen wir Gefahr, in eine Einheitsmedizin zu geraten. Eine differenzierte Kostenkalkulation mit Berechnung nach Aufwand ist ein Wesensmerkmal von komplexen Dienstleistungen, bereits bei Werkverträgen ist sie grundlegend.

     

    Frage: Wie ließe sich die Inflation jetzt und in Zukunft ausgleichen?

     

    Antwort: Wir fordern, dass der Punktwert in der jetzigen GOÄ angepasst und erhöht wird. Das war bisher in den ärztlichen Gremien nicht durchsetzbar. Doch es ist möglich, wie die Unfallversicherungen zeigen. Sie haben in einem Vertrag mit der KBV den Punktwert in der UV-GOÄ um 18 Prozent angehoben, über vier Jahre verteilt. Wir fordern allein für dieses Jahr einen Inflationsausgleich von neun Prozent. Aus unserer Sicht würde es ausreichen, erstens den Punktwert anzuheben. Zweitens wäre es wichtig, die vorhandenen Analogleistungen ordentlich über Legendierungen zu beschreiben und zu bewerten. Damit wäre über Punktwertsteigerung und Ergänzungen von Leistungen die Novellierung der GOÄ erledigt.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2022 | Seite 7 | ID 48560384