08.01.2010
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 13.12.2000 – 16 K 7483/98 E
Die bei einem Arbeitgeberwechsel im Konzern zugesagte Abfindung wird auch dann wegen der Auflösung des Dienstverhältnisses gezahlt und kann daher teilweise steuerfrei bzw. tarifbegünstigt sein, wenn sie zwar durch die Muttergesellschaft als neuer Arbeitgeber geleistet wird, aber die Nachteile des Arbeitnehmers aus dem Verhalten des bisherigen Arbeitgebers (Tochtergesellschaft) ausgleichen soll.
Der Einkommensteuerbescheid 1996 vom 18.12.1997 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 14.9.1998 wird dahin abgeändert, dass auf die Abfindung (550.000 DM) § 3 Nr. 9, § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1 und 2 EStG Anwendung finden.
Die Steuerberechnung wird dem Beklagten übertragen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute, die vom Beklagten (das Finanzamt --FA--) für das Streitjahr 1996 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger ist Arbeitnehmer (leitender Angestellter).
Streitig ist die Behandlung einer anlässlich eines Arbeitgeberwechels im Konzern --hier: Rückwechsel von einer Tochtergesellschaft (--H-GmbH--) zur Muttergesellschaft (--K-AG--)-- von dem neuen Arbeitgeber (K-AG) gezahlte Abfindung. Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger schloss am 1.8.1994 einen Anstellungsvertrag mit der H-GmbH, der für die H-GmbH von dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, (D) unterzeichnet wurde und auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 24 ff. Gerichtsakte --GA--). Danach war der Kläger durch einen zuvor gefassten Beschluss des Aufsichtsrates vom 17.3.1994 bereits zum ordentlichen Mitglied der Geschäftsführung bestellt worden. Gemäß § 3 erhielt der Kläger ein festes Jahresgehalt von 360.000 DM. Er sollte ferner eine ergebnisabhängige Tantieme erhalten. Die Bemessung dieser Tantieme sollte geregelt werden, sobald die Integration der H-GmbH in den K-Konzern abgeschlossen sei und der Geschäftsverlauf der H-GmbH von dem Integrationsprozess nicht mehr beinflusst werde. In der Zwischenzeit sollte der Kläger eine Ermessenstantieme in der Größenordnung von 240.000 DM erhalten. In § 6 des Vertrages wurde das Ruhegehalt geregelt. Nach § 8 wurde der Vertrag für eine Dauer von fünf Jahren abgeschlossen. Es wurde eine übliche Verlängerungsregelung mit aufgenommen. Ferner enthielt § 10 folgende Regelung:
„1. Bei Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer durch den Aufsichtsrat vor Ablauf des Anstellungsvertrages - ausgenommen bei Kündigung des Vertrages aus wichtigem Grund - bleibt der Anspruch auf das zuletzt gezahlte feste Jahresgehalt (§ 3 Abs. 1) für die Restlaufzeit des Vertrages bestehen. Herr muss sich jedoch gegen diesen Anspruch all das anrechnen lassen, was er bis zum Ende des Dienstvertrages durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erworben oder zu erwerben böswillig unterlassen hat. Herr ... ist verpflichtet, auf Verlangen des Aufsichtsratvorsitzenden die entsprechenden Auskünfte zu erteilen.
2. Erfolgt der Widerruf im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres, so stehen Herrn 50 % seiner Tantieme zu. Erfolgt der Widerruf im zweiten Halbjahr des Geschäftsjahres, so hat er Anspruch auf die volle sich für dieses Geschäftsjahr ergebende Tantieme.”
Mit Schreiben vom 18.4.1996 (Bl. 30 GA) teilte D --lt. Briefkopf in seiner Eigenschaft als Vorsitzender sowohl des Vorstandes der K-AG als auch des Aufsichtsrates der H-GmbH-- dem Kläger mit:
”...
auf unsere Veranlassung haben Sie im Rahmen der Integration und Reorganisation der ... (H-GmbH) Ihr Mandat als Mitglied der Geschäftsführung dieser Gesellschaft mit Wirkung vom 1. März 1996 niedergelegt. Ab diesem Datum sind Sie nunmehr als Einkaufsdirektor bei der ... (K-AG) tätig. Zum Ausgleich der materiellen Verluste, die Sie durch die Änderung Ihres Einsatzes im K-Konzern hinnehmen müssen, wird Ihnen eine einmalige Abfindung in Höhe von DM 550.000,-- ... gewährt, die Ihnen ab 1. Mai 1996 zur Verfügung gestellt wird. Auf die Abfindung kommen § 3 Nr. 9 sowie §§ 24 und 34 EStG zur Anwendung.”
Mit einem weiteren, ebenfalls an den Kläger gerichteten Schreiben vom 18.4.1996 (Bl. 33 f. GA) berechnete D -- lt. Briefkopf in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vorstandes der K-AG-- die „auf Grund Ihres Rückwechsels zu K zu zahlende Abfindung”. Bei der Berechnung wurde die auszugleichende Differenz der H- und K-Bezüge (164.000 DM p.a.) sowie ein Zeitraum von Anfang März 1996 bis Ende März 1999 zu Grunde gelegt.
Die geringeren Bezüge beruhten auf dem am 8.3.1996 mit der K-AG geschlossenen Anstellungsvertrag, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 31 f. GA). Die K-AG beschäftigte den Kläger nunmehr als Einkaufsdirektor. Gemäß Nr. 4 dieses Vertrages betrug das monatlich zu zahlende Gehalt des Klägers nur noch 18.000 DM, also 216.000 DM pro Jahr. Zudem wurde eine Gratifikation vereinbart. Gemäß Nr. 14 sollte es hinsichtlich der Pension „bei der Ihnen als Vorstandsmitglied der ... (H-GmbH) erteilten Zusage” verbleiben.
In ihrer Einkommensteuererklärung 1996 gaben die Kläger den zugeflossenen Betrag in Höhe von 550.000 DM als Abfindung an und beantragten insoweit eine Anerkennung des Betrages gemäß § 3 Nr. 9 und § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Erklärung war u.a. eine Lohnsteuerkarte mit Lohnsteuerbescheinigungen der beiden Arbeitgeber beigefügt. Der Betrag von 550.000 DM war in der Lohnsteuerbescheinigung der K-AG als ermäßigt besteuerte Entschädigungen ausgewiesen.
Im Einkommensteuerbescheid 1996 vom 18.12.1997 versagte das FA sowohl die (teilweise) Steuerbefreiung als auch die Steuerbegünstigung mit der Begründung, es handele sich um die Erfüllung von Ansprüchen, die im ursprünglichen Arbeitsvertrag zugesagt worden seien.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger fristgerecht Einspruch ein. Sie wiesen u.a. auf das Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom 13.8.1997 1 K 3455/97 (neutralisierte Ablichtung Bl. 49 ff. GA) hin. Wegen der Einzelheiten der Einspruchsbegründung wird auf die Schreiben vom 29.12.1997, 30.01.1998 und 8.5.1998 verwiesen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 14.9.1998 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Es führte aus:
Die Leistungen des neuen Arbeitgebers (K-AG, vgl. Lohnsteuerkarte) stellten i.H. von 24.000 DM keine steuerbefreiten Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG dar und seien auch keine nach § 24 Nr. 1 i.V. mit § 34 Abs. 1 und 2 EStG steuerbegünstigten Entschädigungen.
Grund der Abfindung müsse die Auflösung des Dienstverhältnisses sein. § 3 Nr. 9 EStG erfasse Leistungen zur Abgeltung von Interessen, die durch die Auflösung des Dienstverhältnisses beeinträchtigt seien; die Abfindung solle Nachteile des Arbeitnehmers aus dem Verhalten des bisherigen Arbeitgebers ausgleichen. Derartige Leistungen würden im allgemeinen vom bisherigen Arbeitgeber erbracht. Erbringe der neue Arbeitgeber eine Leistung, so stehe diese nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem aufgelösten Dienstverhältnis, sondern maßgeblicher Grund dieser Leistung sei die Begründung eines neuen Dienstverhältnisses (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16.12.1992 XI R 33/91, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 1993, 447). Des weiteren seien die Voraussetzungen des § 3 Nr. 9 EStG deshalb nicht erfüllt, weil es am „erforderlichen Arbeitgeberwechsel” fehle (Versetzung innerhalb des Konzerns).
Der steuerpflichtige Teil einer Abfindung werde gemäß § 34 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 24 Nr. 1 EStG mit dem halben Steuersatz versteuert, wenn die Leistungen des Arbeitgebers (1.) als Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) oder u.a. für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit (§ 24 Nr.1 Buchst. b EStG) gezahlt würden und (2.) zu außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG führten.
Nach Rechtsprechung und Kommentierung sei wesentlich für eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG eine Bezugnahme auf eine „ursprüngliche Tätigkeit”. Kennzeichnend sei insoweit die Verbindung der Entschädigung mit der Auflösung eines ursprünglichen Arbeitsverhältnisses bzw. mit dem Wegfall einer „ursprünglichen” Einkunftsquelle. Keine Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG seien insoweit Entschädigungen bzw. Ersatzleistungen, mit denen der Steuerpflichtige ganz oder teilweise die Erfüllung eines gesetzlichen oder vertraglichen Anspruchs erlange. Im Streitfall sei die Zahlung zum Ausgleich der materiellen Verluste, die der Kläger durch die Änderung des Einsatzes im Karstadt-Konzern habe hinnehmen müssen, erfolgt. Der eigentliche Ansatz der Einmalzahlung liegt weniger im Bereich des „ursprünglichen” Arbeitsverhältnisses als vielmehr im Bereich des „neuen” Arbeitsverhältnisses. Insofern sei der gezahlte Betrag nicht als „Entschädigung” i.S. des § 24 Nr. 1 EStG anzusehen. Eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen oder für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit sei wegen des fehlenden Zusammenhangs mit der Auflösung des Dienstverhältnisses zu verneinen (BFH-Urteil in BStBl II 1993, 447 unter 3.).
Die Zahlung des neuen Arbeitgebers sei eine Leistung für eine mehrjährige Tätigkeit. Eine Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG führe im Streitfall jedoch zu einer höheren steuerlichen Belastung, sodass insoweit von einer Änderung des Bescheides abgesehen werde.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Kläger wird auf den Schriftsatz vom 22.10.1998 Bezug genommen. Die Kläger führen im wesentlichen aus:
Für die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG sei es unschädlich, wenn die Höhe der zu zahlenden Abfindung bereits im Arbeitsvertrag geregelt sei. Dass der Kläger die Auflösung des Dienstverhältnisses veranlasst, verschuldet oder sonst wie mitverursacht hätte, behaupte nicht einmal das FA. Der vom Kläger besetzte Arbeitsplatz sei auf Grund einer Entscheidung des Arbeitgebers (H-GmbH) weggefallen. Es sei auch unerheblich, dass der Kläger bei der K-AG ein neues Dienstverhältnis eingegangen sei. Denn es handele sich unzweifelhaft um eine andere Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber, sodass als gedanklicher Ansatzpunkt keine sog. Änderungskündigung in Betracht komme. Eine solche Änderungskündigung liege nicht vor.
Vergleiche man die beiden Anstellungsverträge, so werde deutlich, dass der Kläger erhebliche finanzielle Einbußen habe inkaufnehmen müssen. Bereits aus diesem Gesichtspunkt könne die vom FA zitierte BFH-Urteil in BStBl II 1993, 447 keine Anwendung finden. In der dortigen Entscheidung hätten die Arbeitnehmer durch Zusatzleistungen (Aktienpaket) veranlasst werden sollen, einem Arbeitsplatzwechsel zuzustimmen. Nicht nur die Zahlung, sondern auch die Veranlassung zum Arbeitsplatzwechsel sei von dem neuen Arbeitgeber erfolgt. Zudem seien den Arbeitnehmern verbesserte Konditionen angeboten worden. Der vorbezeichnete Tatbestand unterscheide sich daher erheblich von dem zu Grunde liegenden Tatbestand. Denn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei von dem „alten” Arbeitgeber veranlasst worden. Auch wenn beide Kapitalgesellschaften einem Konzern angehörten, seien sie doch rechtlich selbstständig. Der Kläger sei auch nicht abgeworben worden. Denn auch für den Fall, dass der Kläger kein neues Dienstverhältnis mit der K-AG eingegangen wäre, wäre sein Arbeitsplatz verloren gegangen. In diesem Fall hätte er erhebliche Zahlungen auf Grund des abgeschlossenen Vertrages erhalten. Durch die Aufnahme der Tätigkeit bei der K-AG habe der Kläger verringerte Leistungen inkaufnehmen müssen. Als Ausgleich hierfür habe man ihm im Verhältnis zu seinen bisherigen Einkünften die Abfindung gewährt. Bereits dies zeige, dass sowohl der gedankliche Ansatz als auch der rechtliche Ansatz nicht bei der K-AG, sondern nur bei der H-GmbH zu sehen sei.
Nach der Rechtsprechung des BFH werde die Steuerfreiheit einer Abfindung nach § 3 Nr. 9 EStG nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Arbeitgeber auf Grund eines nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossenen neuen Dienstvertrages beim selben Arbeitgeber zu anderen Bedingungen weiterbeschäftigt werde. Zwar sei hervorzuheben, dass die Tätigkeit zweier Kapitalgesellschaften für einen Konzern sowohl arbeitsrechtlich wie auch steuerrechtlich nicht dazu führe, dass nur ein Arbeitgeber gegeben sei. Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses bei der K-AG unschädlich. Wie sich aus den Verträgen ergebe, habe der Kläger eine andere Beschäftigung zu anderen Bedingungen aufgenommen.
Die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung seien ebenfalls erfüllt. Dem FA könne insbesondere nicht darin gefolgt werden, dass der eigentliche Ansatz der Abfindung im neuen Arbeitsverhältnis begründet sei. Auf Veranlassung des Arbeitgebers habe der Kläger seine Tätigkeit als ordentliches Mitglied der Geschäftsführung niedergelegt. Hierdurch sei ihm ein Abfindungsanspruch, der bereits in dem Dienstvertrag geregelt gewesen sei, entstanden. Insoweit komme sowohl eine Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG wie auch eine Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG in Betracht.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 18.12.1997 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 14.9.1998 dahin abzuändern, dass auf die 550.000 DM §§ 3 Nr. 9, 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 und 2 EStG Anwendung finden.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es verweist seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Das FA hat zu Unrecht die Steuerbefreiung (24.000 DM) versagt und den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht auf den verbleibenden Teil der Abfindung angewandt.
I. 1. Gemäß § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 24 000 DM, steuerfrei. § 3 Nr. 9 EStG erfasst Leistungen zur Abgeltung von Interessen, die durch die Auflösung des Dienstverhältnisses beeinträchtigt sind; die Abfindung soll Nachteile des Arbeitnehmers aus dem Verhalten des bisherigen Arbeitgebers ausgleichen und wird aus diesem Grund in bestimmtem Umfang von der Steuer freigestellt (vgl. BFH-Urteil vom 24.4.1991 XI R 9/87, BStBl II 1991, 723).
Die Auflösung des Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung; nur unter dieser Voraussetzung ist die aus sozialpolitischen Gründen gewährte Steuerbefreiung, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll, gerechtfertigt.
2. Danach ist die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG bei Umsetzungen im Konzern entgegen der Ansicht des FA nicht generell ausgeschlossen.
a) Ob eine Umsetzung innerhalb eines Konzerns die Beendigung des Dienstverhältnisses zur Folge hat, ist nach Auffassung des BFH davon abhängig, ob das neue Dienstverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses zu beurteilen ist. Der BFH hat dies mit Urteil vom 21.6.1990 X R 48/86 (BStBl II 1990, 1021) damit begründet, dass eine rein formale Betrachtung, die ausschließlich auf den Wechsel der Arbeitgeber abstelle, der Zielsetzung des § 3 Nr. 9 EStG nicht gerecht werde. Die einzelnen Konzern-Unternehmen seien unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst (§ 18 des Aktiengesetzes --AktG--); trotz der rechtlichen Selbstständigkeit der Arbeitgeber könnten das alte und das neue Arbeitsverhältnis in einer Weise verbunden sein, die gegen eine Auflösung spreche. Allerdings entspreche es dem Tatbestand des § 3 Nr. 9 EStG ebenso wenig, jede Umsetzung innerhalb eines Konzerns von vornherein als bloße Änderung des Dienstverhältnisses zu qualifizieren. Entscheidend sei vielmehr, ob die Beteiligten nach den Umständen des einzelnen Falles die Umsetzung als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses ausgestaltet hätten. Der BFH hat dies in dem entschiedenen Fall mit der Erwägung angenommen, dass mehrere Umstände (die Betriebsvereinbarung sprach von einer „Umwandlung” des Arbeitsvertrages; es bestand ein Rückkehrrecht der Arbeitnehmer; die beim bisherigen Arbeitgeber anerkannten Dienstzeiten wurden angerechnet; die Pensionsordnung des bisherigen Arbeitgebers galt weiterhin) eine so enge Verflechtung zwischen dem „alten” und dem „neuen” Dienstverhältnis bewirkten, dass das Dienstverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses einzuordnen sei. „Identische” Konditionen allein seien nicht ausschlaggebend; entscheidend sei die Verknüpfung von altem und neuem Dienstverhältnis.
Dementsprechend hat auch der BFH mit Urteil vom 16.7.1997 XI R 85/96 (BStBl II 1997, 666) ausgesprochen, dass dann, wenn das bestehende Dienstverhältnis zwar mit einem neuen Arbeitgeber, aber im übrigen in Bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstandes im wesentlichen unverändert fort-gesetzt werde, ein die Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG rechtfertigender Arbeitsplatzverlust nicht gegeben sei.
b) Danach ist es im Streitfall entgegen der Ansicht des FA nicht nur zu einem Arbeitgeberwechsel, sondern auch zu einer Auflösung des Dienstverhältnisses i.S. des § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG gekommen.
Das FA hat Gründe dafür, dass die Umsetzung als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses ausgestaltet wäre, nicht genannt. Solche Gründe sind hier auch nicht ersichtlich. Der einzige Umstand, der für die Annahme einer „Verknüpfung” zwischen dem „alten” und dem „neuen” Dienstverhältnis spricht, ist die Regelung, dass es hinsichtlich der Pension bei der „Hertie-Zusage” verbleiben sollte. Der Senat teilt deshalb die Ansicht der Kläger, dass die Änderungen in Bezug auf den Arbeitsbereich und die Entlohnung die Annahme einer Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses ausschließen.
3. Auch die übrigen Voraussetzungen des § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG sind erfüllt.
a) Die Auflösung des Dienstverhältnisses wurde durch den Arbeitgeber (H-GmbH) veranlasst. Dass dieses Tatbestandsmerkmal hier unter Berücksichtigung der Konzernverbundenheit (§ 18 AktG) der Arbeitgeber zu prüfen ist, wird durch die Formulierung in dem Schreiben vom 18.4.1996 verdeutlicht, wonach der Kläger „auf unsere Veranlassung das Mandat niedergelegt” habe. Soweit eine Veranlassung durch die K-AG in Rede steht, ist sie jedenfalls deshalb der H-GmbH zuzurechnen, weil sie unter der Leitung des „herrschenden Unternehmens” steht.
b) Die Abfindung wurde schließlich auch „wegen” der Auflösung des Dienstverhältnisses gezahlt. Das FA hat sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf das BFH-Urteil in BStBl II 1993, 447 berufen.
aa) Weder dem Wortlaut des § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG noch dem BFH-Urteil in BStBl II 1993, 447 lässt sich etwas für die Annahme entnehmen, dass die Steuerbefreiung nur dann eingreift, wenn der bisherige Arbeitgeber die Abfindung zahlt. Dementsprechend hat der BFH im Urteil in BStBl II 1993, 447 auch nur ausgesprochen, dass derartige Leistungen „im allgemeinen” vom bisherigen Arbeitgeber erbracht würden. Der Streitfall verdeutlicht, dass gerade unter Berücksichtigung der Besonderheiten eine Konzerns eine Abfindung, die Nachteile des Arbeitnehmers aus dem Verhalten des bisherigen Arbeitgebers ausgleichen soll, durch die Muttergesellschaft (hier zugleich neuer Arbeitgeber) gezahlt werden kann.
Wie sich dem Leitsatz des BFH-Urteils in BStBl II 1993, 447 entnehmen lässt, liegt eine Abfindung nicht vor, „wenn maßgeblicher Grund der Leistung die Begründung eines neuen Dienstverhältnisses ist und sie vom neuen Arbeitgeber erbracht wird.” Demzufolge kann entgegen der Ansicht des FA aus dem Umstand, dass die Leistung vom neuen Arbeitgeber erbracht wurde, nicht kurzerhand geschlossen werden, dass maßgeblicher Grund der Leistung die Begründung eines neuen Dienstverhältnisses ist. Im Streitfall war maßgeblicher Grund der Leistung, wie sich aus der Berechnung der Abfindung eindeutig ergibt, nicht die Begründung des neuen Dienstverhältnisses, sondern die Auflösung des alten Dienstverhältnisses. Denn die Begründung des neuen Dienstverhältnisses war danach nur insoweit von Bedeutung, als die auf Grund des neuen Dienstverhältnisses zu zahlenden Bezüge die Abfindung minderten.
bb) Soweit das FA --gestützt auf eine allerdings missverständliche Formulierung in den Gründen des BFH-Urteils in BStBl II 1993, 447 (s. dort unter II. 1. mit dem Hinweis auf das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 10.1.1990 1 K 213/88, nicht veröffentlicht
--NV--)-- etwas anderes angenommen hat, ist dem nicht folgen. Hierzu wird klarstellend auf folgendes hingewiesen: Das BFH-Urteil in BStBl II 1993, 447 betraf die Revision gegen das Urteil des Hessischen FG vom 27.5.1991 11 K 826/88 (in juris dokumentiert). Das Hessische FG hatte in jenem Urteil u.a. ausgeführt: Aus diesem Anlass (Arbeitsplatzwechsel) geleistete Zuwendungen stünden nur dann in einem die Steuerfreiheit begründenden kausalen Zusammenhang mit der Auflösung des Dienstverhältnisses, wenn sie durch den alten Arbeitgeber --und nicht den neuen Arbeitgeber-- auf Grund einer eigenständigen rechtlichen Verpflichtung erbracht würden. Der Senat folge insoweit den Grundsätzen des nicht veröffentlichten Urteils des FG Rheinland-Pfalz vom 10.1.1990 1 K 213/88, mit dem es in einem gleich gelagerten Fall die Klage eines von der B übernommenen Mitarbeiters der A abgewiesen habe (ebenso offenbar Offerhaus, StBp 1991, 16, 17 linke Spalte).
cc) Im Streitfall war im übrigen schon mit Rücksicht auf die Regelung in § 10 des Anstellungsvertrages mit der H-GmbH der Schluss unangebracht, maßgeblicher Grund der Leistung sei die Begründung des neuen Dienstverhältnisses.
II. Das FA hat auch zu Unrecht den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht auf den verbleibenden Teil der Abfindung angewandt.
1. Danach sind u.a. (vgl. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen als außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG begünstigt zu besteuern. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Urteil vom 20.10.1978 VI R 107/77, BStBl II 1979, 176) setzt der Begriff der Entschädigung in diesem Sinne voraus, dass der Steuerpflichtige, der bei der Auflösung des Dienstverhältnisses mitwirkt, unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt hat. Ferner muss die Zuwendung einen Schaden ausgleichen, der durch den Wegfall von Einnahmen entstanden ist. Von einer Entschädigung „als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen” (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) kann danach nur gesprochen werden, wenn der Anspruch auf Bezug von früheren oder künftigen Einnahmen weggefallen ist; der „Ersatz” muss auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen (s. z.B. BFH-Urteil vom 25.8.1993 XI R 8/93, BStBl II 1994, 167, mit Nachweisen der Rechtsprechung). Sofern die vertragliche Anspruchsgrundlage nicht wegfällt, erhält der Steuerpflichtige von dem Vertragspartner keinen „Ersatz” für die ihm laut Vertrag zustehende Leistung, sondern diese Leistung selbst.
2. Diese Voraussetzungen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG liegen nach der Auffassung des Senats hier vor.
a) Soweit das FA eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG wegen eines fehlenden Zusammenhangs mit der Auflösung des Dienstverhältnisses verneint hat, ist dem aus den unter I. erwähnten Gründen nicht zu folgen.
b) Die Zahlung erfolgte auch nicht in Erfüllung eines Anspruchs des Klägers, sondern beruhte auf einer neuen Billigkeitsgrundlage.
Die K-AG hat nicht auf Grund der Regelung in § 10 des Anstellungsvertrages mit der H-GmbH gezahlt, und zwar deshalb nicht, weil es weder zu einem „Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer” noch zu einer „Kündigung” gekommen ist. Der Kläger hat das Amt bzw. „Mandat niedergelegt”.
Für eine neue Rechtsgrundlage in Bezug auf die Abfindung (z.B. Verträge des Klägers mit der H-GmbH oder der K-AG) ist nichts ersichtlich. Der Kläger hat nur zwei die Abfindung betreffende Schreiben vom 18.4.1996 erhalten. Aus diesen Schreiben ergibt sich aber, dass die Zahlung auf einer neuen Billigkeitsgrundlage beruhte. Als Billigkeitsgrundlage können eine sittliche Verpflichtung, der Grundsatz von Treu und Glauben oder die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht dienen (vgl. Seeger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 24 Rz. 13, m.w.N.). Eine solche Billigkeitsgrundlage ist hier deshalb, weil der Kläger das Amt bzw. Mandat „auf unsere Veranlassung” niedergelegt hat und dadurch Einbußen hinnehmen musste, gegeben. Die Zahlung beruhte demnach auch auf einer neuen Billigkeitsgrundlage.
III. Der Klage war danach in vollem Umfang stattzugeben.
Da die Festsetzung der Einkommensteuer einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert, wird die Änderung des Einkommensteuerbescheids durch Angabe der zu Unrecht nicht berücksichtigten Steuerbefreiung (s. unter I.) und Steuerbegünstigung (s. unter II.) so bestimmt, dass das FA den Betrag auf Grund des Urteils errechnen kann (§ 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.