14.08.2024 · IWW-Abrufnummer 243216
Arbeitsgericht Siegburg: Urteil vom 26.06.2024 – 3 Ca 386/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Arbeitsgericht Siegburg
Tenor:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.02.2024 nicht aufgelöst worden ist.
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.02.2024 aufgelöst worden ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Filialleiter-Stellvertreter bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge weiter zu beschäftigen.
- Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- Streitwert: 17.153,90 €.
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Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.
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Der am 1982 geborene Kläger ist seit dem 01.10.2017 bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 01.10.2018 als stellvertretender Filialleiter zu einem Monatsgehalt in Höhe von zuletzt 3.430,78 € brutto. Bei der Beklagten sind mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit tätig.
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Mit Schreiben vom 08.09.2023 wurde der Kläger abgemahnt, da am 04.09.2023 von der für seine Filiale zuständigen Regionalleiterin um 15:55 Uhr verschimmeltes bzw. verfaultes Obst und Gemüse in der entsprechenden Theke gefunden wurde. Diese beauftragte den Kläger die Frischetheke daher erneut zu überprüfen. Dennoch fand sie um 17:00 Uhr weiterhin nicht verkaufsfähige Lebensmittel dort vor. Weitere Abmahnungen erfolgten im August 2023, zum einen mit der Begründung, der Kläger habe gegenüber einer Mitarbeiterin über den Filialleiter geäußert, dieser könne ihn mal „am Arsch lecken“, zum anderen mit der Begründung der Kläger habe eine Mitarbeiterin trotz Vorhandensein von genügend Arbeit früher nach Hause geschickt, gegenüber der Beklagten jedoch behauptet, diese habe nicht länger arbeiten können, wobei er die Mitarbeiterin um Bestätigung dieser (falschen) Aussage gebeten habe, und schließlich eine, weil der Kläger eigene Fahrtkosten ohne Genehmigung der Regionalverkaufsleitung zur Auszahlung freigegeben hatte. Unter dem 23.01.2024 wurde der Kläger erneut wegen verschiedener Vorkommnisse vom 22.01.2024 abgemahnt. Grund hierfür war, dass an diesem Tag zum einen Frischfleisch- und Frischfischwaren trotz Ablaufs des Mindesthaltbarkeitsdatums am nächsten Tag nicht im Preis reduziert angeboten wurden, fehlende, zu dieser Zeit beworbene Ware im Tiefkühlbereich trotz Vorhandenseins im Lager nach Abverkauf mehr als 2,5 Stunden nicht nachgefüllt wurde sowie zum anderen wiederum bei um 14:30 Uhr verschimmeltes Obst und Gemüse vorgefunden wurde. Nachdem am 24.02.2024, als der für die Filiale des Klägers zuständige Filialleiter erkrankt war, erneut verschimmeltes Obst und Gemüse vorgefunden worden war, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 27.02.2024 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Hiergegen richtet sich die am 11.03.2024 erhobene Klage des Klägers, mit der er zusätzlich ein Zeugnis und seine Weiterbeschäftigung als stellvertretender Filialleiter verlangt.
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Der Kläger behauptet, am 04.09.2023 habe er von 12:00 bis 21:00 Uhr Dienst gehabt. Die Regionalleiterin sei um etwa 15:00 Uhr eingetroffen und habe ihn zunächst mit einigen kleineren Aufgaben betraut. Nach deren Erledigung sei sie zur Obst- und Gemüseabteilung gegangen, wo sie gezielt aus einer hinteren Kiste verdorbenes Obst herausgeholt habe, obwohl normalerweise eine Kontrolle vorne beginne. Um 18:00 Uhr habe sie ihm gegenüber erklärt, er sei für die Position nicht geeignet. Er solle von alleine kündigen. Sie werde keine Ruhe lassen, bis der Kläger das Unternehmen verlassen habe. Er sei „zu dumm“ für die Position Filialleiter-Stellvertreter und er würde nicht zum Konzern A passen. Der Kläger behauptet weiter, die abgemahnte Äußerung über den Filialleiter habe er nicht getätigt und auch keine Mitarbeiterin früher nach Hause geschickt. Dass er seine Fahrtkosten nicht selbst habe freigeben dürfen, sei ihm nicht bekannt gewesen. Am 22.01.2024 habe er wieder Dienst von 12:00 bis 21:00 Uhr gehabt. Er sei zunächst vom Filialleiter beauftragt worden, Getränke in den Laden zu fahren, während sich andere Arbeitnehmer und das Obst und Gemüse bzw. Frischfleisch kümmern sollten. Anschließend habe er im Lager er noch Aktionsware ausgepackt, was normalerweise Aufgabe einer anderen Mitarbeiterin sei. Gegen 14:00 Uhr sei er an die Kasse gerufen worden, da der Filialleiter vorzeitig und ohne Information an ihn gegangen sei. Bei dieser Gelegenheit habe er einen der Ladendiebstahl entdeckt, die Polizei gerufen und sei hierdurch bis etwa 16:00 Uhr beansprucht gewesen. Als die Polizei den Laden verlassen habe, sei die Regionalleiterin schon anwesend gewesen und habe ihn aufgefordert, mit ihr die Obst- und Gemüsetheke zu inspizieren, wobei verdorbene Ware entdeckt worden sei. Am 24.02.2024 habe er schließlich Dienst von 5:30 bis 14:00 Uhr gehabt. Morgens habe er Bestellungen bearbeitet und anschließend die Arbeit der für die alle zwei Stunden erfolgende Kontrolle der Obst- und Gemüsetheke zuständigen Mitarbeiterin kontrolliert. Der Regionalverkaufsleiter habe danach gezielt nach verdorbener Ware gesucht, indem er jede einzelne Kiste, auch solche ganz und im Regal befindliche herausgeholt und jede einzelne Packung kontrolliert habe. Die ihm selbst obliegende stichprobenartige Kontrolle der Arbeit der zuständigen Mitarbeiterin habe er durchgeführt. Er meint, jedenfalls sei aber eine mögliche Entbindung von seiner Führungsrolle als milderes Mittel vorrangig. Ein Zwischenzeugnis stehe ihm zu.
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Der Kläger beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten vom 27.02.2024 nicht aufgelöst worden ist;
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2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.02.2024 aufgelöst worden ist;
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3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.05.2024 hinaus ungekündigt fortbesteht;
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4. die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;
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5. die Beklagte zu verurteilen, ihn im Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen zu 1. und 2. zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Filialleiter-Stellvertreter bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge weiter zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, die am 04.09.2023 gefundene verdorbene Ware habe oben gelegen. Auch habe der Kläger die abgemahnten Äußerungen über den Filialleiter sowie gegen über der tatsächlich früher nach Hause geschickten Mitarbeiterin getätigt. Schließlich sei am 24.02.2024 keine gezielte Suche, sondern eine routinemäßige Kontrolle erfolgt, bei der massive Mengen, zum Teil oben liegenden Gemüses wie Avocado, Spargel und Ingwer gefunden worden sei. Sie meint, der Kläger werde den Anforderungen, die an einen stellvertretenden Filialleiter zu stellen seien nicht gerecht, da er, wie sie behauptet, hinsichtlich der mangelnden Frischekontrolle, der unzureichenden Prüfung des Mindesthaltbarkeitsdatums, der Orderung von zu wenig Süßwaren zur Weihnachtszeit sowie seiner nicht nachvollziehbaren Personaleinsatzplanung und Führungsstils bei Kritikgesprächen keine Einsicht gezeigt habe. Auch ein Einsatz als Verkäufer sei ihr nicht zumutbar, da dem Kläger auch auf dieser Position Verantwortung übertragen werden können müsse. Das notwendige Vertrauensverhältnis sei zerstört.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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A. Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten nicht durch andere Beendigungstatbestände als die streitgegenständliche Kündigung beendet worden ist und über den 31.05.2024 hinaus ungekündigt fortbesteht, im Übrigen ist sie begründet.
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I. Der als Antrag zu 3. gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig. Stellt der Arbeitnehmer diesen sogenannten Schleppnetzantrag neben einem Kündigungsschutzantrag, ist ausgehend vom sogenannten erweiterten punktuellen Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage Gegenstand des allgemeinen Feststellungsantrags der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den in der daneben angegriffenen Kündigung avisierten Beendigungstermin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Die Klage soll, soweit sie neben der Klage gemäß § 4 Satz 1 KSchG erhoben wird, klären, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund von Beendigungstatbeständen aufgelöst worden ist, die vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage nicht erfasst sind. Es wird der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, und zwar unter Einbeziehung eventueller Kündigungen geprüft; es sind deshalb alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe zu erörtern. Die Rechtskraft eines positiven Feststellungsurteils erfasst alle diese Beendigungsgründe und schließt eine auf ihnen beruhende Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus (BAG, Urteil vom 16.12.2021 ‒ 6 AZR 154/21 ‒, Rn. 16, juris). Der Antrag ist nur dann im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zulässig, wenn mit ihm weitere Beendigungstatbestände in den Prozess eingeführt werden sollen, die zeitlich nach Erhebung der Klage entstanden sind und auf die sich der jeweilige Klagegegner zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruft (vgl. grundlegend BAG, Urteil vom 21.01.1988, 2 AZR 581/86, NZA 1988 S. 651; BAG, Urteil vom 27.01.1994, 2 AZR 484/93, NZA 1994, S. 812 jeweils m. w. N.). Gleichwohl wird bereits mit der Erhebung einer ‒ wenn auch zunächst noch unzulässigen ‒ allgemeinen Feststellungsklage für eine vor Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz erklärte und mit dem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG außerhalb der Dreiwochenfrist angegriffene Nachkündigung angenommen, dass diese Frist durch einen allgemeinen Feststellungsantrag gewahrt wird, weil der Arbeitgeber bereits durch diesen hinreichend gewarnt sei (BAG, Urteil vom 16.12.2021 ‒ 6 AZR 154/21 ‒, Rn. 24, juris). Bislang jedoch hat weder der Kläger derartige weitere mögliche Beendigungstatbestände in den Prozess eingeführt noch hat sich die Beklagte auf solche berufen, sodass der Antrag unzulässig ist und die Klage insoweit abzuweisen war.
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II. Im Übrigen ist die Klage jedoch begründet.
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1. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist zunächst nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.02.2024 aufgelöst worden. Es fehlt an dem für solche Kündigungen erforderlichen wichtigen Grund.
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a) Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (BAG, Urteil vom 12.05.2010 ‒ 2 AZR 845/08 ‒ juris, Rn 19). Liegt eine solche Pflichtverletzung vor, ist nach § 626 Abs. 1 BGB weiter zu prüfen, ob nicht eine ordentliche Kündigung genügt hätte, um künftige Vertragsstörungen seitens des Arbeitnehmers zu vermeiden. Dazu ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist abzuwägen. Es hat eine Bewertung des konkreten Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkung einer Vertragspflichtverletzung ‒ etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen ‒ der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber angesichts der Gesamtumstände sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam, wenn schon eine ordentliche Kündigung geeignet war, das Risiko künftiger Störungen zu vermeiden. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt auch bei Vertragsstörungen im Vertrauensbereich (zum gesamten Vorstehenden BAG, Urteil vom 09.06.2011 ‒ 2 AZR 284/10 ‒, Rn. 21 - 22, juris). Als Vertragspflichtverletzung, die grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag, ist ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers anzusehen (BAG, Urteil vom 12.05.2010 ‒ 2 AZR 845/08 ‒ juris, Rn 20).
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Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Kündigung wirksam ist, gilt das Prognoseprinzip. Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht eine Sanktion für die begangene Pflichtverletzung, sondern die Vermeidung künftiger Pflichtenverstöße ‒ ggf. selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Die fragliche Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken. Eine entsprechende Prognose ist berechtigt, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch künftig erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzten. Das ist häufig ungewiss. Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine solche Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer gleichwohl erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Außerdem ist in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Abmahnung als milderes Mittel einer Kündigung vorzuziehen, wenn schon durch ihren Ausspruch das Ziel, die künftige Einhaltung der Vertragspflichten zu bewirken, erreicht werden kann (BAG, Urteil vom 26.11.2009 ‒ 2 AZR 751/08 ‒ juris, Rn. 10). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich (auch für den Arbeitnehmer erkennbar) ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 15.12.2016 ‒ 2 AZR 42/16 ‒, Rn. 11, juris). Bei einer schweren Pflichtverletzung ist nämlich regelmäßig dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne Weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 23.06.2009 ‒ 2 AZR 283/08 ‒ juris, Rn. 18). Zu prüfen ist das Abmahnungserfordernis bei jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Verhaltens des Arbeitnehmers oder aus einem Grund in seiner Person ausgesprochen wurde, den er durch sein steuerbares Verhalten beseitigen, wenn also eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden konnte (BAG, Urteil vom 04.06.1997 ‒ 2 AZR 526/96 ‒, BAGE 86, 95-105, Rn. 20).
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b) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat die Beklagte keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung dargetan.
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aa) Soweit Grund für die Kündigung sein soll, dass der Kläger am 24.02.2024 seiner Kontrollpflicht bezüglich der für die Obst- und Gemüsetheke zuständigen Mitarbeiterin nicht genügt hat, liegt hierin ‒ das Vorliegen der Pflichtverletzung unterstellt ‒ kein derart schwerwiegender Verstoß, dass der Beklagten nicht die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist, die spätestens zum 31.05.2024 auslaufen würde, zumutbar wäre. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Kläger über einen Zeitraum von etwa einem halben Jahr vor der Kündigung bereits mehrfach von der Beklagten durch Abmahnungen zur Einhaltung dieser Pflicht angehalten wurde. Dass es während dieses Zeitraums nur die Kontrollen gegeben hat, die zu den abgemahnten oder als Kündigungsgrund angeführten Beanstandungen geführt haben, hat die Beklagte nicht dargetan. Gab es dazwischen jedoch Kontrollen, die keinen Anlass zur Beanstandung der Arbeitsleistung des Klägers gaben, ist ein besonders nachhaltiger Verstoß nicht feststellbar. Zudem darf der Kläger die Kontrolle der Ware in der Obst- und Gemüsetheke durchaus anderen Mitarbeitern überlassen, die er dann jedoch selbst kontrollieren muss. Dies hat zur Folge, dass er nur Stichprobenkontrollen durchführen muss, da sonst die Delegation der Arbeit überflüssig wäre. Nicht auszuschließen ist daher, dass Stichprobenkontrollen keinen Grund zur Beanstandung gaben, während tatsächlich jedoch durchaus verdorbenes Obst oder Gemüse vorhanden war. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich um zum Teil schnell verderbliche Ware handelt, sodass die Gefahr des Vorhandenseins verdorbener Ware groß ist. Bei einer gründlichen Kontrolle kann diese dann aufgefunden werden, nicht unbedingt jedoch bei einer Stichprobenkontrolle. Dies darf ‒ jedenfalls nicht ohne entsprechende Anweisungen der Beklagten ‒ nicht zu übermäßigen Anforderungen an die Kontrollpflicht des Klägers und einer damit verbundenen Bestandsgefährdung für sein Arbeitsverhältnis führen. Ohne Darlegung einer wiederholten, nachhaltigen, offensichtlichen und schwerwiegenden Verletzung der Kontrollpflicht, wie etwa einem nachhaltigen vollständigen Unterlassen der Kontrolle, woran es vorliegend fehlt, kommt eine außerordentliche Kündigung nicht in Betracht.
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bb) Auch hinsichtlich der Nichterfüllung der Anforderungen an eine stellvertretende Filialleitung ist ein Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht erkennbar. Hinsichtlich anderer Fehlleistungen des Klägers fehlt es nämlich an einer Abmahnung (wie etwa bei der unzureichenden Bestellung von Süßwaren in der Weihnachtszeit, der nicht nachvollziehbaren Personaleinsatzplanung oder des Führungsstils) oder aber an einer Wiederholung des Fehlverhaltens.
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2. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung aufgelöst worden. Die Kündigung ist unwirksam gemäß § 1 Abs. 1 KSchG, nach dem sozial ungerechtfertigte Kündigungen keine Wirksamkeit entfalten.
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a) Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG Anwendung, da das streitgegenständliche Beschäftigungsverhältnis länger als 6 Monate besteht und mehr als 10 Arbeitnehmer von der Beklagten beschäftigt werden.
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b) Die Kündigung ist auch nicht wirksam gem. §§ 7, 4 KSchG, da die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG eingehalten wurde.
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c) Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt gem. § 1 Abs. 2 KSchG, da keine Gründe erkennbar sind, die sie sozial rechtfertigen könnten.
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aa) Soweit die Kündigung auf die mangelnde Eignung des Klägers gestützt wird kann auf die Ausführungen oben unter A II 1 b) bb) verwiesen werden, die hier ebenso Geltung beanspruchen können.
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bb) Es bleibt mithin allein das Verhalten des Klägers am 24.02.2024, das die Kündigung allerdings ebenfalls nicht sozial rechtfertigen kann.
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aaa) Eine Kündigung ist i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist (BAG, Urteil vom 19.11.2015 ‒ 2 AZR 217/15 ‒ Rn. 24; Urteil vom 03.11.2011 ‒ 2 AZR 748/10 ‒ Rn. 20). Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt auch eine ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2007 ‒ 2 AZR 818/06 ‒, Rn. 38, juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es für eine negative Prognose ausreichend, wenn die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnung und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2007 ‒ 2 AZR 818/06 ‒, Rn. 41, juris). Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers ‒ wie etwa eine Abmahnung ‒ geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG, Urteil vom 31.07.2014 ‒ 2 AZR 434/13 ‒ Rn. 19).
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bbb) Vorliegend ist zwar davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls für sein Verhalten am 04.09.2023 zu Recht wegen einer unzureichenden Kontrolle der Obst- und Gemüsetheke abgemahnt wurde, da er an diesem Tag nach dem Fund von verdorbenen Obst bzw. Gemüse explizit angehalten wurde, eine Nachkontrolle durchzuführen, bei der danach erfolgenden Nachkontrolle durch die Regionalleiterin dann aber erneut verdorbene Ware entdeckt wurde. Der Kläger hat nichts dazu vorgetragen, was dies erklären kann oder eine Pflichtverletzung seinerseits ausschließt. Vielmehr trägt selbst vor, dass bei der Nachkontrolle durch die Regionalleiterin ein gezielter Griff in den hinteren Bereich der Theke zum Auffinden der verdorbenen Ware führte. Mithin bedurfte es keiner größeren und aufwändigen Suche, sodass davon auszugehen ist, dass auch der Kläger bei einer ordnungsgemäßen Kontrolle, zu der selbst angehalten war, sich also nicht auf Stichproben beschränken durfte, die verdorbene Ware hätte finden müssen, er mithin seine Pflicht verletzt hat.
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ccc) Allerdings hat die Beklagte eine Wiederholung eines vergleichbaren Verhaltens nicht hinreichend dargetan. Das Auffinden verdorbener Ware rechtfertigt für sich genommen noch keinen Schluss auf eine Pflichtverletzung des Klägers. Am 24.02.2024 konnte sich der Kläger nämlich, wie bereits ausgeführt, auf eine Stichprobenkontrolle beschränken. Dass er diese nicht durchgeführt hat, vermag die Beklagte nicht darzutun. Eine mangelhafte Stichprobenkontrolle ist jedoch ebenso wenig erkennbar. Zwar hat die Beklagte dargetan, es seien massive Mengen an verdorbenen Obst und Gemüse gefunden worden, genauere Angaben hierzu fehlen jedoch. Es wird nicht deutlich, was die Beklagte unter einer massiven Menge versteht. Allein aus der Menge der verdorbenen Ware kann daher noch nicht auf eine mangelhafte Kontrolle geschlossen werden. Auch sind sonstige Umstände, aus denen eine Verletzung der Kontrollpflicht abgeleitet werden könnte, nicht dargetan. So hat die Beklagte nicht vorgetragen, welche Anweisungen zur Durchführung von Stichprobenkontrollen existieren und inwieweit sich der Kläger hieran nicht gehalten hat. Des Weiteren hat sie auch nicht im Einzelnen dargetan, warum bereits eine Stichprobenkontrolle zwingend zum Auffinden von verdorbener Ware hätte führen müssen. Zwar hat die Beklagte im Kammertermin vorgetragen, verdorbene Ware hätte obenauf gelegen. Genauere Angaben hierzu fehlen jedoch, sodass sich nicht feststellen lässt, dass bereits eine (oberflächliche) Kontrolle zwingend zum Auffinden der Waren geführt hätte. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Ware zum Teil schnell verderblich ist. Insofern ist von Bedeutung, wie lange die letzte Kontrolle durch die zuständige Mitarbeiterin oder den zuständigen Mitarbeiter, an die oder den die Aufgabe der Kontrolle der Ordnungsgemäßheit der Ware vom Kläger delegiert war, und wie lange die letzte Kontrolle dieser Arbeit durch den Kläger selbst zum Zeitpunkt des Auffindens der verdorbenen Ware bereits zurücklag. Auch ist nicht dargetan, ob die aufgefundene Ware zum Zeitpunkt der letzten Kontrolle durch den Kläger, soweit die Pflichtverletzung nicht bereits darin liegt, dass diese zeitlich zu weit zurücklag (was ebenfalls nicht dargetan ist), überhaupt schon in der entsprechenden Theke auslag, also von ihm entdeckt werden konnte. Soweit der Beklagten hierzu die notwendigen Kenntnisse fehlen, hätte sie zur Feststellung einer Pflichtverletzung zunächst die entsprechenden Nachforschungen anstellen müssen.
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3. Der Kläger hat auch Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Nach den Grundsätzen, die der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 27.02.1985 (DB 1985, 2197) aufgestellt hat, besteht nach einem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung, wenn nicht zu der Ungewissheit des Prozessausgangs hinzutretende Umstände das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung das Interesse des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung entfallen lassen. Derartige Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Der Klage war daher auch insoweit stattzugeben.
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4. Der Kläger hat schließlich auch Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses. Zwar hat der Kläger in seinem Antrag lediglich ein qualifiziertes Arbeitszeugnis verlangt, sodass diesem nicht mit der hinreichenden Eindeutigkeit entnehmen lässt, ob ein Endzeugnis oder ein Zwischenzeugnis verlangt wird. Eine entsprechende Klarstellung dahingehend, dass ein Zwischenzeugnis verlangt wird, ist jedoch der Begründung des Klageantrags zu entnehmen, sodass der Antrag entsprechend ausgelegt werden konnte. Der Anspruch auf ein Zwischenzeugnis ist gesetzlich nicht geregelt. Ein Arbeitnehmer hat dennoch einen Anspruch auf ein Zwischenzeugnis, wenn er einen triftigen Grund geltend machen kann (vgl. LAG Köln vom 02.02.2000, NZA-RR 2000, 419, 420; ArbG Münster, Urteil vom 29.06.2018 ‒ 4 Ca 289/18 ‒, Rn. 46, juris). Ein solcher Grund ist vorliegend dadurch gegeben, dass derzeit durch die Kündigung der Beklagten Unsicherheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses besteht, sodass dem Kläger Gelegenheit gegeben werden muss, sich mithilfe eines Zwischenzeugnisses anderweitig zu bewerben.
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III. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Lediglich hinsichtlich des unzulässigen Feststellungsantrags, war der Kläger unterlegen. Da dieser nicht ins Gewicht fällt, konnten der Beklagten die gesamten Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden.
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IV. Der Streitwert wurde gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 42 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO festgesetzt.