In dem Rechtsstreit
- Beklagte/Berufungsklägerin/Berufungsbeklagte -
Proz.-Bev.:
gegen
- Kläger/Berufungskläger/Berufungsbeklagter -
Proz.-Bev.:
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 11. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bernhard, den ehrenamtlichen Richter Meyer und den ehrenamtlichen Richter Tritschler auf die mündliche Verhandlung vom 20.06.2013
für Recht erkannt:
Tenor:
1.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 21.09.2012, Az. 14 Ca 61/12 wird zurückgewiesen.
2.
Auch die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 21.09.2012, Az. 14 Ca 61/12 wird zurückgewiesen.
3.
Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 3/4, die Beklagte zu 1/4.
4.
Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Arbeitgeberkündigung.
Der nunmehr 36-jährige Kläger war seit 15.06.2005 bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen richteten sich zuletzt nach dem Arbeitsvertrag vom 22.06.2007, daraus resultierte ein durchschnittlicher monatlicher Bruttoverdienst von 3.572,70 EUR, eingesetzt war der Kläger als Sachbearbeiter Leistungsgewährung im Bereich SGB II.
Mit Schreiben vom 18.07.2011 teilte die Staatsanwaltschaft F. der Beklagten unter Beifügen der Anklageschrift gleichen Datums mit, dass der Kläger gemeinsam mit einem Herrn F. beschuldigt werde, aufgrund gemeinsam gefassten Tat- und Willensentschlusses dem unerlaubten Handel mit Kokain nachgegangen zu sein, um sich durch den gewinnbringenden Weiterverkauf der Betäubungsmittel eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (Bl. 74 - 77 R der arbeitsgerichtl. Akte).
Am 15.08.2011 kam es daraufhin zu einem Mitarbeitergespräch mit dem Kl äger, in dem dieser die ihm zur Last gelegten Sachverhalte bestritt und behauptete, weder mit Betäubungsmitteln gehandelt noch solche konsumiert zu haben, allerdings vermerkte, dass dies aufgrund der vermeintlichen Beweise nur sehr schwer widerlegt werden könne, zumal ein weiterer Mitangeklagter belastende Aussagen gemacht habe. Auf eine Verurteilung aus dem Jahre 2001 wegen vorsätzlich unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel und der Beihilfe hierzu zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und im Jahre 2003 erlassen worden war, angesprochen, erklärte der Kläger, er habe daraus seine Lehren gezogen, alle Kontakte zum bisherigen Freundeskreis habe er abgebrochen. Der das Mitarbeitergespräch für die Beklagte führende Herr N. verlangte, vom Ausgang des Verfahrens unterrichtet zu werden, und wies darauf hin, dass man sich arbeitsrechtliche Schritte vorbehalte und gegebenenfalls bei der Staatsanwaltschaft weitere Informationen anfordern werde.
Am 26.01.2012 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Vorausgegangen war ein Geständnis des Klägers, der von den sieben Anklagepunkten fünf vollumfänglich sowie einen beschränkt auf eine geringere Grammzahl erworbenen und weiterveräußerten Kokains einräumte.
Nachdem der Kläger unter dem 26.01.2012 die Beklagte über den Ausgang des Strafverfahrens informiert hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Anhörung des Personalrats, der hierzu keine Stellungnahme abgab, zunächst mit Schreiben vom 06.02.2012 fristlos und sodann nach weiterer Anhörung des Personalrats, der dagegen keine Einwendungen erhob, mit Schreiben vom 28.02.2012 zum 30.06.2012 hilfsweise ordentlich.
Der Kläger hat die Kündigungen der Beklagten für unwirksam gehalten und die Auffassung vertreten, Straftaten, die aus dem privaten Bereich stammten, seien nicht geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Weder würden sie das Ansehen der beklagten Bundesagentur für Arbeit in der Öffentlichkeit schädigen noch liege ein dienstlicher Bezug vor. Behauptungen der Beklagten, der Kläger habe sich am 13.07.2010 an seinem Arbeitsplatz mit Herrn M. getroffen, um dort Betäubungsmittelgeschäften nachzugehen, sei durch nichts belegt. Ebenso wenig ergebe sich aus dem Urteil des Amtsgerichts Freiburg, dass ein H. Leistungsbezieher der Beklagten und Stammkunde des Klägers bei der Veräußerung von Betäubungsmitteln gewesen sei. Dem Kläger könne auch keine Wahrheitspflichtverletzung im Mitarbeitergespräch vorgeworfen werden, denn er habe mit Rücksicht auf die Belastungssituation, wie sie sich aus dem strafrechtlichen Verfahren ergeben habe, im Vorfeld mit seinem Verteidiger abgesprochen, dass es in verfahrensrechtlicher Hinsicht für den Kläger günstiger sei, sich auf eine Verfahrensabsprache einzulassen, als nach einer Beweisaufnahme, die womöglich seine Unschuld erschüttert hätte, mit einem weitaus ungünstigeren Strafmaß abgeurteilt zu werden. Beim Kläger sei auch kein Eignungsmangel ersichtlich, nachdem ihn Mitarbeiter und Vorgesetzte außerordentlich schätzten. Die Kündigung scheitere im Übrigen schon am Fehlen vorausgegangener Abmahnungen, daran, dass die Vollmacht nicht vorgelegt worden sei und an einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats, dem die zur Begründung der Kündigungen herangezogenen Auszüge aus den Ermittlungsakten nicht vorgelegt worden seien.
Der Kläger hat den Antrag gestellt:
1.
Es wird festgestellt, dass das die Parteien verbindende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung vom 06. Februar 2012, dem Kläger zugegangen am 06. Februar 2012, noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 28. Februar 2012, dem Kläger zugegangen am 02. März 2012, aufgelöst worden ist.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 06. Februar 2012 hinaus als Sachbearbeiter Leistungsgewährung im Bereich SGB II gegen eine Vergütung nach der Tarifgruppe TE IV, Tarifstufe 2 weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat
Klagabweisung
beantragt
und sich auf den Standpunkt gestellt, die sich aus der Verurteilung vom 26.01.2012 ergebenden Straftaten stellten einen außerordentlichen, jedenfalls ordentlichen Kündigungsgrund dar. Der Kläger habe sich einer schwerwiegenden Pflichtverletzung schuldig gemacht, die sich nicht nur im privaten Bereich bewegt, sondern auch in dienstlichem Bezug gestanden habe. So habe der Kläger unter anderem an H. Betäubungsmittel verkauft, der im gleichen Zeitraum Leistungen nach dem SGB III bezogen habe und Stammkunde des Klägers gewesen sei. Am 13.07.2010 sei der Kläger an seinem Arbeitsplatz von M. aufgesucht worden, um dort Betäubungsmittelgeschäften nachzugehen. Durch die Straftaten des Klägers sei das Ansehen der Beklagten in der Öffentlichkeit geschädigt worden, denn der Kläger habe Kundenkontakt gehabt und es komme nicht selten vor, dass Kunden der Beklagten Drogenprobleme hätten und die Beklagte dann in der Regel mit Suchtberatungsstellen zusammenarbeite. Indem der Kläger die Tatvorwürfe bestritten habe, habe er im Personalgespräch vom 15.08.2011 seine Wahrheitspflicht verletzt. Aus der Verurteilung sowie den der Verurteilung zugrundeliegenden Taten ergebe sich des Weiteren ein Eignungsmangel des Klägers, der jedenfalls die personenbedingte Kündigung begründe.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze und die beigefügten Anlagen verwiesen sowie auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils.
Das Arbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung für unwirksam, die ordentliche jedoch für wirksam gehalten. Dabei ist es von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, wonach die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer durch Straftaten im privaten Bereich grundsätzlich nur beeinträchtigt sind, wenn diese einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit aufweisen, etwa weil der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht, sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen oder in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht werden. Ferner hat das Arbeitsgericht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrundegelegt, wonach die außerdienstliche Begehung von Straftaten Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Arbeitnehmers begründen kann mit der Folge, dass es diesem an der Eignung für die künftige Erledigung seiner Aufgaben mangelt, woraus ein personenbedingter Kündigungsgrund folgen könne.
Gestützt hierauf hat das Arbeitsgericht eine außerordentliche Kündigung (noch) nicht bejaht, jedoch eine ordentliche Kündigung als sozial gerechtfertigt angesehen, weil eine arbeitsrechtliche Prognose ergebe, dass im Gegensatz zur strafrechtlichen Prognose der Bewährung die Eignung des Klägers für eine hoheitliche Tätigkeit in der Zukunft entfallen sei. Zu den vorstehenden Umständen hoheitliche Tätigkeit, "Deal", einschlägige Vorstrafe mit 16 Fällen, fehlendem Unrechtbewusstsein, kommt nach Ansicht der Kammer erschwerend hinzu, dass der Kläger gegenüber dem Arbeitgeber die Wahrheitspflicht verletzt habe. Zwar müsse der Arbeitnehmer und zugleich Angeklagte nicht zu seiner Überführung beitragen, er dürfe aber auch nicht lügen. Auch eine Schädigung des Ansehens der Beklagten ergebe sich aus der Ausübung hoheitlicher Tätigkeit zum einen und der Verquickung von Straftaten und hoheitlicher Tätigkeit in der Öffentlichkeit zum anderen. Auch der offensive Umgang mit der Vorstrafe bei Einstellung entschuldige den Kläger nicht. Vielmehr wiege eine einschlägige Zweittat umso schwerer. Die Veräußerung der Betäubungsmittel an den Kunden der Beklagten H. müsse der Kläger sich nach Mittäterschaftsgrundsätzen zurechnen lassen. Auf eigenes Tun komme es bei arbeitsteiligem Handeln mehrerer nicht an. Selbst wenn der Arbeitnehmer nicht wisse, dass Kunden des Arbeitgebers von seinen strafrechtlichen Handlungen betroffen seien, werde die Integrität des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit konkret verletzt.
Die ordentliche Kündigung scheitere nicht an wirksamer Personalratsbeteiligung, die die Beklagte schlüssig dargelegt habe, woraufhin der Kläger nicht weiter ins Einzelne gehend bestritten habe. Die Kammer habe die Entscheidung allein auf Tatsachen gestützt, die unstreitig oder offenkundig seien und dem Personalrat nach dem Vortrag der Beklagten bekannt gewesen seien. Gegebenenfalls überschießende Tatsachen aus Strafakten lägen der Entscheidung nicht zugrunde.
Gegen das ihm am 23.11.2012 zugestellt Urteil des Arbeitsgericht hat der Kläger am 18.12.2012 Berufung eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 23.02.2013 am 30.01.2013 begründet. Auch die Beklagte hat gegen das ihr am 22.11.2012 zugestellte Urteil am 12.12.2012 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis 22.02.2013 am 21.02.2013 begründet. Beide Parteien verfolgen ihr erstinstanzliches Begehren weiter, soweit ihm vom Arbeitsgericht nicht entsprochen wurde.
Der Kläger geht davon aus, dass ihm die zur Last gelegten Straftaten auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht nachgewiesen worden seien. Da die Verurteilung durch das Strafgericht lediglich auf einem "Deal" beruht habe, könne von einer Aufklärung des Sachverhalts in keinem Falle ausgegangen werden. Der Kläger bestreite weiterhin jeglichen dienstlichen Bezug seines Handelns, insbesondere was den Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Herren M. und H. angehe. Das Arbeitsgericht habe keinerlei belastbare Feststellungsgrundlagen gefunden. Soweit die angegriffene Entscheidung die ordentliche Kündigung auf einen Eignungswegfall stütze, liege ein solcher personenbedingter Kündigungsgrund nicht vor, sei jedenfalls nicht sozial gerechtfertigt. Weder sei die vom Arbeitsgericht getroffene Prognoseentscheidung nachvollziehbar, noch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt, noch eine ausreichende Interessenabwägung vorgenommen worden. Zu keiner Zeit seien die damals maßgeblichen Vorgesetzten des Klägers, Herr N. und Herr L., von einem Eignungsmangel des Klägers ausgegangen. Selbst nachdem Herr N. von einer anstehenden Verurteilung Kenntnis erlangt habe, sei der Kläger noch für höhere Aufgaben vorgesehen worden. Unterm Strich seien sämtliche den Kläger belastenden Umstände rechtsfehlerhaft in die Interessenabwägung eingeflossen. Schließlich bleibe der Kläger dabei, die Personalratsanhörung für fehlerhaft zu halten, nachdem die Beklagte mit keiner Silbe den personenbedingten Kündigungsgrund des angeblich eingetretenen Eignungswegfalls dem Personalrat gegenüber erwähnt habe.
Der Kläger stellt den Antrag:
1.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 21. September 2012, Az. 14 Ca 61/12 abgeändert, soweit es die Klage abgewiesen hat.
2.
Es wird festgestellt, dass das die Parteien verbindende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Februar 2012 aufgelöst worden ist.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 06. Februar 2012 hinaus als Sachbearbeiter Leistungsgewährung im Bereich SGB II gegen eine Vergütung nach der Tarifgruppe TE IV Tarifstufe 2 weiter zu beschäftigen.
4.
Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen
und stellt zugleich den Antrag,
die Klage insgesamt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Freiburg vom 21.09.2012, Az. 14 Ca 61/12, soweit darin festgestellt wird, dass das die Parteien verbindende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 06. Februar 2012, dem Kläger zugegangen am 06. Februar 2012, aufgelöst worden ist, abzuweisen.
Sie ist weiterhin der Meinung, die außerdienstlichen Straftaten des Klägers rechtfertigten die außerordentliche Kündigung, weil sie einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit aufwiesen. Ein solcher liege darin, dass der Kläger unter anderem an H. Betäubungsmittel verkauft habe, was im Urteil des Amtsgerichts Freiburg aufgrund des Geständnisses des Klägers festgestellt sei. Den Beweiswert dieser Feststellung könne der Kläger nicht durch den bloßen Hinweis, er sei tatsächlich unschuldig, erschüttern. Ein weiterer Verbindungspunkt zwischen dienstlicher Tätigkeit und Straftaten bestehe darin, dass der Kläger bei seiner dienstlichen Tätigkeit mit Menschen zu tun habe, die sich durchweg in einer prekären finanziellen Lage befänden und in einigen Fällen an Suchterkrankungen litten. Es sei jedenfalls nicht hinnehmbar, dass eine Person, die wiederholt derartigen Rechtsbruch begangen habe, mit Entscheidungsbefugnis in der Leistungsverwaltung tätig werde. Der Öffentlichkeit und der Beklagten müsse sich in einem solchen Fall die Sorge aufdrängen, dass der Kläger möglicherweise versuchen würde, bei seiner dienstlichen Tätigkeit Mittäter und Kunden zu akquirieren. Die Feststellung eines Eignungsmangels durch das Arbeitsgericht sei jedenfalls zutreffend, denn der Wegfall der Eignung ergebe sich aus Art und Schwere der Straftat und aus der Position des Klägers in der Behörde, in der der Kläger in der Form des Erlasses von Leistungsbescheiden hoheitliche Aufgaben wahrgenommen habe. Das Verhalten des Klägers auch im Hinblick auf die frühere Verurteilung erweise, dass der Kläger sich schon damals nicht dazu habe bewegen lassen, sich rechtstreu zu verhalten. Auch die Interessenabwägung der Beklagten bzw. deren Kontrolle durch das Arbeitsgericht unterliege keinen Fehlern. Insoweit spiele es keine Rolle, dass der Kläger seine Vorgesetzten über den Gang des Strafverfahrens informiert habe. Entscheidend sei, dass er ihnen gegenüber stets behauptet habe, die Straftaten nicht begangen zu haben, während er in dem Geständnis gegenüber dem Strafrichter zugab, dass die Vorwürfe zutreffend seien.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die Behauptung der Beklagten, dass sich im Strafurteil die Feststellung wiederfinde, der Kläger hätte Betäubungsmittel an Herrn H. veräußert, für schlicht unzutreffend. Unter keinem der zu Lasten des Klägers angeführten sechs Vorfälle im Strafurteil finde sich auch nur ein einziger, der Herrn H. betreffe. Darüber hinaus habe der Kläger keinerlei Kenntnis davon gehabt, dass der benannte Herr H. Leistungen nach den SGB II und III beziehen würde. Was sein Geständnis im Strafverfahren anbelange, sei darauf hinzuweisen, dass es für Angeklagte durchaus Motive dafür gebe, sich einer Verfahrensabsprache zu unterwerfen, auch wenn sie von ihrer Unschuld überzeugt seien. Dies werde immer und spätestens dann der Fall sein, wenn sich die sogenannte Sanktionsschere weit öffne, wenn also ein Strafgericht einem Angeklagten deutlich mache, dass es von seiner Schuld überzeugt sei und ihm im Falle der Durchführung einer streitigen Verhandlung ein weitaus höheres Strafmaß in Aussicht stelle als das, welches er zu erwarten hätte, wenn er sich auf eine Absprache einließe.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens in der Berufung wird auf deren Begründungen und die jeweiligen Erwiderungen hierauf nebst Anlagen verwiesen. Des Weiteren wird verwiesen auf die Erklärungen des Klägers in den Berufungsverhandlungen vom 18.04. und 30.06.2013. Das Berufungsgericht hat im Übrigen die Strafakten 20 Ls 620 Js 18540/10 beigezogen, die der Beklagten bekannt waren und in die der Klägervertreter Einsicht erhielt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingereichten Berufungen von Kläger und Beklagter, die innerhalb der gesetzlichen bzw. verlängerten Fristen ausgeführt wurden, sind zulässig. Sie sind jedoch beide nicht begründet, weil das Arbeitsgericht mit der angegriffenen Entscheidung zum richtigen Ergebnis kam. Auch das Berufungsgericht geht davon aus, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zwar nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten mit sofortiger Wirkung, jedoch durch die hilfsweise als ordentliche ausgesprochene Kündigung mit Ablauf der unstreitig geltenden Kündigungsfrist am 30.06.2012 endete. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.02.2012 beendete das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht mit sofortiger Wirkung, weil es der Beklagten nach umfassender Interessenabwägung zumutbar gewesen wäre, den Kläger bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die außerordentliche Kündigung in zwei Stufen zu überprüfen. Zunächst ist festzustellen, ob ein arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung zu geben, sodann ist in einer zweiten Prüfungsstufe zu klären, ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen zumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen (BAG 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 - NZA 2006, 977). Besteht der Kündigungsvorwurf aus einer Straftat des Arbeitnehmers, so ist zwischen dienstlichen Straftaten, also beispielsweise solchen, die sich gegen den Arbeitgeber selbst richten, und außerdienstlichen Straftaten zu unterscheiden. Außerdienstliche Straftaten des Arbeitnehmers können die berechtigten Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer grundsätzlich nur dann beeinträchtigen, wenn sie einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit aufweisen. Dies kann der Fall sein, weil etwa der Arbeitnehmer die Straftat unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begeht, weil sich der Arbeitgeber oder andere Arbeitnehmer staatlichen Ermittlungen ausgesetzt sehen oder auch, weil der Arbeitgeber in der Öffentlichkeit mit der Straftat in Verbindung gebracht werden kann (vgl. BAG 28.10.2010 - 2 AZR 293/09 - NZA 2011, 112 ff.).
b) Unter Berücksichtigung des Vorstehenden geht das Berufungsgericht davon aus, dass das strafrechtlich relevante Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Handel mit Betäubungsmitteln an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellt.
Erstmals in der zweiten Berufungsverhandlung vor dem Landearbeitsgericht hat der Kläger zugegeben, die ihm in der Anklageschrift unter Ziffer 1 bis 6 vorgeworfenen Straftaten begangen zu haben, wenn er auch den Tatvorwurf Ziffer 4 insoweit mit Nichtwissen bestritt, als er meinte, die Mengenangaben der diesbezüglich angekauften und weiter veräußerten Rauschgiftware seien zu hoch gegriffen gewesen. Für das Berufungsgericht stellte sich somit nicht mehr die Frage, ob das Geständnis des Klägers vor dem Strafgericht lediglich im Wege eines sogenannten Deals abgegeben wurde und welche Gesichtspunkte strafrechtstheoretisch ein Geständnis in welcher Ermittlungs- oder Verhandlungssituation sinnvoll erscheinen lassen. Erstmals im arbeitsgerichtlichen Verfahren konnte und musste vielmehr davon ausgegangen werden, dass der Kläger die ihm zur Last gelegten Taten auch begangen hat und dass, so auch die eigene Einlassung des Klägers, das Amtsgericht Freiburg ihn zu Recht und verdientermaßen verurteilt hat. Dies gilt umso mehr, als der Kläger nach seiner Einlassung in der zweiten Berufungsverhandlung selbst gar nicht davon ausging, einen Deal mit dem Strafrichter eingegangen zu sein, sieht man davon ab, dass er im Anklagepunkt 4 eine größere Menge gehandelten Kokains einräumte, als er glaubte angekauft und weiterveräußert zu haben.
Das Berufungsgericht ist aber darüber hinaus auch der Überzeugung, dass die vom Kläger verübten Straftaten, wegen derer er strafrechtlich verurteilt wurde, auch einen Bezug zu seiner dienstlichen Tätigkeit aufwiesen. Zwar hat der Kläger den Vorwurf der Beklagten bestritten, er habe sich am 13.07.2010 mit seinem Kokainlieferanten M. am Arbeitsplatz getroffen, um dem Betäubungsmittelhandel nachzugehen und er hat auch bestritten, dem Leistungsbezieher H. Rauschgift verkauft zu haben. Ob dem im Detail zu folgen ist, erscheint jedoch dem Berufungsgericht nicht erheblich, weil es den dienstlichen Bezug der klägerischen Straftaten auch anderweitig feststellen konnte.
(1) M. war mit dem Kläger aufgrund seiner eigenen Einlassung seit mehreren Jahren befreundet. Nach dem Geständnis im Strafverfahren, das er in der Berufungsverhandlung insoweit jedenfalls als zutreffend einräumte, hat der Kläger von M. Kokain geliefert bekommen und weiterverkauft. Ob es sich dabei um 17 oder um 50 Gramm handelte, ist unerheblich. Angesichts des feststehenden Sachverhalts insoweit gewinnt die unstreitige SMS des Klägers an M. vom 08.06.2010, in der er schrieb "mein Freund, komm bitte morgen um 9.00, ich muss heute Abend noch zu den Leuten, das ganze Geld zusammensammeln" eindrucksvoll an Bedeutung im Hinblick auf den dienstlichen Bezug der Straftaten des Klägers. Unbestrittenermaßen befand sich der Kläger am 09.06.2010 um 9.00 Uhr am Arbeitsplatz. Eine andere Erklärung, als dass der Kläger Geld für verkauftes Rauschmittel bei "den Leuten" zusammensammeln musste, um es dem Lieferanten M. zu übergeben, wird dem Berufungsgericht nicht ersichtlich. Das Erklärungsmuster des Klägers für den 13.07.2010, er habe Herrn M. etwas übersetzen müssen, lässt sich mit dem Inhalt der SMS nicht in Einklang bringen, betrifft aber auch einen anderen Zeitpunkt. Ob Herr M. am fraglichen Tag das zugesagte Geld in den Räumen der Beklagten tatsächlich in Empfang nahm, ist dabei nicht ausschlaggebend. Allein das Angebot des Klägers, seinem Rauschgiftlieferanten Geld für den BTM-Handel in den Räumlichkeiten der Beklagten zu übergeben, stellt schon den dienstlichen Bezug der klägerischen Straftat her.
Angesichts des Geständnisses des Klägers in der zweiten Berufungsverhandlung ist dann aber auch nicht mehr entscheidend, dass auf den beim Kläger anlässlich der Hausdurchsuchung gefundenen Notizzetteln der Vermerk "MPol 300 x 50" erscheint, den die Ermittlungsbehörden dahingehend auslegten, dass damit der Erwerb von 300 Gramm Kokain zum Grammpreis von 50,00 EUR von M., polnischem Staatsangehörigen, festgehalten wurde. Angesichts des eingeräumten Ankaufs von Kokain vom 30.07.2010 bei M. und der nicht bestrittenen SMS vom 08.06.2010, mit der M. eingeladen wurde, am 09.06.2010, 9.00 Uhr Geld beim Kläger - während dessen Arbeitszeit - abzuholen, nachdem der Kläger es bei "den Leuten" eingesammelt hatte, bestehen genügend Hinweise auf den dienstlichen Bezug der Straftaten des Klägers.
Dass M. am 09.06.2010 um 9.00 Uhr dann offenbar tatsächlich auch beim Kläger an dessen Arbeitsplatz erschienen ist und das Geld abgeholt hat, wie die Beklagte mit Schriftsatz vom 18.06.2013 behauptet, der Kläger in seinem nachfolgenden Schriftsatz aber nicht bestritten hat, bestätigt eindrucksvoll den dienstlichen Bezug, der schon in der Verabredung der Geldübergabe, die bereits erstinstanzlich vorgetragen und nicht bestritten war, zu sehen war.
(2) Das Berufungsgericht geht auch davon aus, dass der Leistungsempfänger H. zu den Rauschmittelkunden des Klägers zählte. Ob der Kläger diesem persönlich Betäubungsmittel übergab und persönlich den Kaufpreis entgegennahm, spielt dabei für den dienstlichen Bezug keine Rolle. Der Kläger kannte H. seit vielen Jahren. Nach seiner Einlassung in der ersten Berufungsverhandlung vom 18.04.2013 wusste er auch, dass H. jedenfalls zeitweise arbeitslos und damit Leistungsbezieher war. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 22.05.2012 ergab die Auswertung überwachter Gespräche zwischen dem Kläger und seinem Mittäter F., dass Herr H. des Öfteren Kokain beim Kläger erworben hat und dass H. als Stammkunde bezeichnet wurde. Der Kläger kann sich also nicht darauf zurückziehen, er habe selbst Herrn H. kein Rauschgift verkauft oder er habe nicht gewusst, dass H. Leistungsbezieher gewesen sei. Damit, dass Herr H. Leistungsbezieher gewesen sein könnte, musste der Kläger aufgrund seiner eigenen Einlassung in der ersten Berufungsverhandlung rechnen, dass Herr H. als Stammkunde der gemeinschaftlich handelnden Mittäter F. und Kläger in dem Kläger zurechenbarer Weise mit Rauschmittel beliefert wurde, ist dem Strafurteil zu entnehmen, in dem es heißt, "die Betäubungsmittel veräußerten die Angeklagten in der Folgezeit gewinnbringend unter anderem an die oben genannten Personen ...", wobei es sich bei den oben genannten Personen unter anderem um H. handelte.
Um den Rückgriff auf den dienstlichen Bezug herzustellen, bedarf es damit nicht einmal des Hinweises auf den Umstand, dass ausweislich der Anklageschrift, nachdem sich im Rahmen der Telefonüberwachung ergeben hatte, dass der Kläger und sein Mittäter F. immer wieder von den auf dem Zettel stehenden Betäubungsmittelabnehmern sprachen, anlässlich der Durchsuchung in der Wohnung des Klägers ein Notizzettel gefunden wurde auf dem unter anderem sich der Leistungsbezieher H. fand, wenn auch nicht unter seinem richtigen Namen, sondern unter seinem Spitznamen "B.", versehen mit den Angaben 70 (1), was nach Überzeugung auch des Berufungsgerichts nur den Schluss zulässt, dass H., ob beim Kläger oder dessen Mittäter F., 1 Gramm Kokain für 70,00 EUR gekauft hat.
Auch insoweit kommt es aufgrund der eigenen Einlassung des Klägers nicht mehr darauf an, dass der Leistungsbezieher H. bei seiner Vernehmung am 04.04.2011 angab, er wisse, dass der Kläger beim Arbeitsamt F. arbeite und dass er in diesem Zusammenhang ihm auch mal geholfen habe, Formulare für das Arbeitsamt auszufüllen. Ist aber von einer Parallelbeziehung auszugehen, also einerseits einer Kenntnis des Klägers von der Leistungsbeziehereigenschaft des H., andererseits einer jedenfalls über die Mittäterschaft zu verantwortenden Handelsbeziehung im Rauschgiftgeschäft, so kommt es nicht darauf an, ob der Kläger H. persönlich Rauschgift übergeben und hierfür Geld kassiert hat und ob dies zu Zeiten erfolgte, als H. Leistungen der Bundesagentur bezog und der Kläger damit dienstlich befasst war. Ein dienstlicher Bezug der Straftaten des Klägers ergibt sich schon aus der Kenntnissituation des Klägers und den Zurechenbarkeitsfaktoren nicht zuletzt deshalb, weil, wie die Beklagte zutreffend formuliert, der Handel mit stark abhängig machendem Kokain an einen Leistungsbezieher der Beklagten eine Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten darstellt, indem dadurch die Wiedereingliederung des Rauschgiftkunden und Leistungsbeziehers in das Arbeitsleben und die Einstellung des Leistungsbezugs gefährdet werden kann. Auch dadurch ist ein dienstlicher Bezug zu bejahen.
c) Ist also, wie vorliegend, von einem an sich für eine außerordentliche Kündigung geeigneten Grund auszugehen, kommt es für die Frage, ob das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt werden konnte oder nicht, aber auch, ob die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt ist, auf die Interessenabwägung an. Also darauf, ob die Interessen des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder gar darüber hinaus oder die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit sofortiger Wirkung oder aber nach Ablauf der mit der hilfsweise ausgesprochen ordentlichen Kündigung eingehaltenen Kündigungsfrist überwiegen.
Bei dieser Interessenabwägung kam das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten zumutbar war, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum 30.06.2012 fortzusetzen, nicht aber darüber hinaus.
(1) Eine umfassende Interessenabwägung verlangt die Berücksichtigung aller vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles. Zu den regelmäßig im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen werden insbesondere die folgenden Gesichtspunkte gezählt: Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers einerseits und die vertragsbezogenen Interessen des Arbeitgebers andererseits. Soweit das Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses wenigstens bis zum Fristablauf auf Faktoren beruht, die mehr oder weniger aus seiner Privatsphäre stammen, kommt ihnen umso weniger Gewicht zu, je weiter sie vom Arbeitsvertrag entfernt sind. Für die vertragsbezogenen Interessen des Arbeitgebers sind insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragsverletzung des Arbeitnehmers sowie eine mögliche Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Maßstab für die Interessenabwägung ist, ob unter Berücksichtigung der im konkreten Fall schutzwürdigen personenbezogenen Interessen des Gekündigten eine so starke Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen des Kündigenden vorliegt, dass das Kündigungsinteresse gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des Gekündigten überwiegt.
(2) So gesehen sprechen weder die vertragsbezogenen Interessen des Klägers noch die aus seiner privaten Sphäre für dessen besondere Schutzwürdigkeit. Dagegen wiegen die vertragsbezogenen Interessen der Beklagten erheblich.
aa) Die Betriebszugehörigkeit von sechs Jahren ist nicht außergewöhnlich hoch, schon gar nicht im Bereich des öffentlichen Dienstes, in dem der durchschnittliche Arbeitnehmer zeitlebens zu verbleiben pflegt. Auch das Lebensalter des Klägers weist keine besonderen Nachteile aus. Arbeitnehmer Mitte 30 gehören nicht zu einer Altersgruppe, die besonderen Erschwernissen bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle am Arbeitsmarkt ausgesetzt sind. Dies zeigt auch die Relation zwischen Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit beim Kläger, der noch mit 29 Jahren den Einstieg in ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst finden konnte. Der Kläger unterliegt keinen Unterhaltspflichten. Dass er nunmehr verlobt ist, kann als Kriterium für eine besondere Schutzbedürftigkeit schon deshalb nicht gewertet werden, weil seine Verlobte in einem gesicherten Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst steht.
bb) Durch die abgeurteilten Taten hat der Kläger sich nicht nur außerdienstlich strafbar gemacht, sondern durch den festgestellten betrieblichen Bezug auch erhebliche Vertragsverletzungen begangen, die sich nicht zuletzt durch den Verlust der Glaubwürdigkeit des Klägers unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkten, was schon deshalb auch eine mögliche Wiederholungsgefahr nicht ausschloss.
Gerade aber die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses durch die Erkenntnis der Beklagten, vom Kläger im Mitarbeitergespräch vom 15.08.2011 angelogen worden zu sein, war deren Hauptmotiv für die ausgesprochenen Kündigungen, wie dies auch dem Personalrat bei seiner Anhörung am 31.01.2013 vermittelt worden ist. Mit der Kenntniserlangung von der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers konnte und musste die Beklagte davon ausgehen, dass der Kläger sie anlässlich des Personalgesprächs vom 15.08.2011 mit der dortigen Beteuerung der Unschuld irregeführt hatte. Zwar hat der Kläger behauptet, die Beklagte stets hinsichtlich des Strafverfahrens auf dem Laufenden gehalten zu haben. Seinem Vortrag insoweit fehlt es aber an jeglicher Substanz. Das Mitarbeitergespräch vom 15.08.2011 wurde seitens der Beklagten gesucht, erst nachdem dieser von der Staatsanwaltschaft Kenntnis der Anklageschrift gegeben worden war. Von sich aus hat der Kläger das über Monate hinweg geführte Ermittlungsverfahren gegen ihn offensichtlich nicht erwähnt, auch nicht die Hausdurchsuchung oder die Beschuldigtenvernehmung vom 02.12.2010, obwohl der Kläger zu deren Zweck während seiner Arbeitszeit und an seinem Arbeitsplatz bei der Beklagten abgeholt worden war.
Inwieweit der Kläger die Beklagte nach dem Personalgespräch vom 15.08.2011 über den Fortgang des Strafverfahrens in Kenntnis gesetzt hat, ergibt sich seinem Vortrag ebenfalls nicht. Es lässt sich den arbeitsgerichtlichen Akten nicht entnehmen, ob und gegebenenfalls wann der Kläger seine Vorgesetzten von der Tatsache und dem Inhalt seines Geständnisses im Strafverfahren informiert hat. Den Schein, das Geständnis nur einem strafverfahrensrechtlichen Deal geschuldet abgegeben zu haben, hat er im arbeitsgerichtlichen Verfahren bis zur zweiten Berufungsverhandlung aufrechterhalten. Erst dort hat er eingeräumt, dass sein Geständnis gegenüber dem Amtsgericht der Wahrheit entsprach. Erst dort konnte die Beklagte sich der Richtigkeit ihrer Annahme, mit dem Geständnis im Strafverfahren und der darauf basierenden Verurteilung sei die Unwahrheit der klägerischen Angaben im Personalgespräch vom 15.08.2011 erwiesen, sicher sein.
Ob der Kläger tatsächlich bei Beginn des Arbeitsverhältnisses seine Verurteilung aus dem Jahre 2001 bekannt gegeben hat, wie dies das Arbeitsgericht annahm, mag offenbleiben. Aus dem Protokoll des Mitarbeitergesprächs vom 15.08.2011 lässt sich eher vermuten, dass jedenfalls der Vorgesetzte N. von der Vorstrafe erst aus der Anklageschrift erfahren hat. Letztlich kommt es hierauf nicht an. Hätte der Kläger schon bei seiner Einstellung im Jahr 2005 auf die Verurteilung aus dem Jahre 2001 hingewiesen, so wäre seine dennoch erfolgte Einstellung als Vertrauensvorschuss zu werten gewesen, dem der Kläger mit seinen Straftaten, die der Verurteilung im Jahre 2012 zugrunde lagen, nicht gerecht geworden wäre. Hätte die Beklagte erst aus der vorgelegten Anklageschrift von der Verurteilung aus dem Jahre 2001 erfahren, so wäre die Äußerung des Klägers beim Personalgespräch, wonach er aus der damaligen Verurteilung seine Lehren gezogen habe, angesichts der Verurteilung im Jahre 2012 wiederum Grund genug für die Beklagte, um das Vertrauensverhältnis mangels Glaubwürdigkeit des Klägers als zerrüttet anzusehen.
Der Umgang des Klägers mit der Wahrheit schließt auch die Möglichkeit einer Wiederholungsgefahr mit ein. Gerade weil der Kläger im Personalgespräch am 15.08.2011 erklärte, er habe aus der Verurteilung aus dem Jahre 2001 seine Lehren gezogen, was nachgewiesenermaßen unzutreffend ist, und weil er im Berufungsverfahren mit annähernd den gleichen Worten auf die Verurteilung aus dem Jahre 2012 reagierte, kann es als durchaus offen bezeichnet werden, ob der Kläger sich die Warnungen des Amtsgerichts wirklich dauerhaft zu Herzen nehmen wird. Dafür könnte sprechen, dass der Kläger am 15.08.2011 im Personalgespräch angab, er habe alle Kontakte zum bisherigen "Freundeskreis" abgebrochen. Nur scheint auch diese Angabe nicht den Tatsachen zu entsprechen, was sich zumindest daraus ergibt, dass der Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 20.06.2013 eine Erkl ärung des polizeilich gesuchten und sich offenbar in Polen aufhaltenden M. vorlegte, wonach dieser bestätigte, den Kläger am 13.07.2010 an seinem Arbeitsplatz besucht zu haben und ihm an diesem Tag einen Brief des Finanzamts zum Übersetzen gebracht zu haben, woraus sich aber noch nicht einmal ergibt, dass die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe Herrn M. an diesem Tag eingesammelte Gelder aus Drogengeschäften übergeben, unzutreffend wäre.
(3) Ungeachtet des erheblichen Gewichts der vorstehend gelisteten vertragsbezogenen Interessen der Beklagten, die für eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien sprechen, stehen diesen im Rahmen der Interessenabwägung in erster Linie zwei Gesichtspunkte zugunsten des Kl ägers gegenüber, die es der Beklagten letztlich dennoch zumutbar machten, den Kläger nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst zum Ablauf der Kündigungsfrist zu entlassen.
aa) Die Beklagte hatte angesichts der von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Anklageschrift genaue Kenntnisse von den Vorwürfen erhalten, die den Kläger der beschriebenen Straftaten als überführt erscheinen ließen. Dennoch hat sie den Kläger weiter beschäftigt, auf sein bloßes Tatbestreiten hin, das schon verbunden war mit dem einschränkenden Hinweis, dem Kläger sei klar, dass der Vorwurf, Betäubungsmittel konsumiert und damit gehandelt zu haben, nur sehr schwer widerlegt werden könne. Schon dies ist eine eher ungewöhnliche Formulierung angesichts des Umstandes, dass im Strafverfahren die Unschuldsvermutung gilt, Straftäter sich also nicht entlasten müssen. Dennoch ging die Beklagte offenbar davon aus, der Kläger stelle durch seine weitere Tätigkeit während des fortlaufenden Strafverfahrens keine Gefahr für Kunden und Ansehen der Agentur dar. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Vorgesetzten des Klägers mit seiner Arbeitsleistung stets zufrieden waren und dass sogar die Übertragung höherwertigerer Tätigkeiten angedacht war. Unter diesen Umständen zeigt die Tatsache, dass die Beklagte in Kenntnis einer deutlichen Beweislage für die angeklagten Straftaten des Klägers diesen weiterbeschäftigen konnte, dass ihr auch eine Weiterbeschäftigung im Rahmen der dreimonatigen Kündigungsfrist möglich und zumutbar war. Im Zweifel wäre insoweit auch ein reiner Innendienst ohne Kundenkontakt in Betracht gekommen.
bb) Zugunsten des Klägers war auch zu berücksichtigen, dass die fristlose Entlassung aus einem Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst den Anschein eines besonders schweren Fehlverhaltens beinhaltet, der schon die Suche nach einem anderen Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft erheblich erschwert, nach einem solchen im öffentlichen Dienst selbst aber nahezu unmöglich erscheinen lässt.
2. Die vorstehenden Ausführungen führen jedoch auch zu dem Ergebnis, dass die Interessen der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger an sich dessen Interessen an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Kündigungsfrist hinaus überwiegen, weshalb die ordentliche Kündigung der Beklagten als verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt und nicht rechtsunwirksam ist.
Die Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus wird insbesondere nicht durch die vorläufige Weiterbeschäftigung in Kenntnis der Anklageschrift impliziert. Dem steht schon entgegen, dass dem Kläger nach dem Personalgespräch zum einen aufgegeben war, die Beklagte vom Ausgang des Strafverfahrens zu unterrichten, und dass zum anderen die Beklagte sich arbeitsrechtliche Schritte vorbehielt und den Kläger hierauf ausweislich des Protokolls des Mitarbeitergesprächs vom 15.08.2011 auch ausdrücklich hingewiesen hat. Die Weiterbeschäftigung in Kenntnis der Anklageschrift schuf für den Kläger also keine Vertrauenssituation, in der er annehmen durfte, auch nach seiner Verurteilung durch das Strafgericht werde er dauerhaft im Arbeitsverhältnis verbleiben können.
3. Die ordentliche Kündigung der Beklagten ist auch als personenbedingte Kündigung unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Eignung sozial gerechtfertigt. Im Hinblick auf den festgestellten dienstlichen Bezug der abgeurteilten Straftaten des Klägers bedarf dies keiner weiteren Erörterungen, insoweit wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts in I. Ziffer 11 der Entscheidungsgründe verwiesen. Für die auch hier erforderliche Interessenabwägung gilt das Vorstehende. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass der Kläger nach seiner eigenen Einlassung keine Drogen konsumiert. Wäre er drogenabhängig, könnte in Anlehnung an die Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung wegen Alkoholabhängigkeit über Therapiemaßnahmen nachgedacht werden. Liegt das Motiv für den Betäubungsmittelhandel aber allein im Bereich des Geld"verdienens", gibt es für solche Überlegungen keinen Raum.
4. Die Verhältnismäßigkeit der ordentlichen Kündigung ergibt sich bereits aus der Interessenabwägung. Eine Abmahnung war nicht erforderlich. Dies gilt sowohl hinsichtlich der verhaltensbedingten als auch hinsichtlich der personenbedingten Kündigung. Einem in der Leistungsverwaltung tätigen Mitarbeiter mit Kundenkontakt, dem es noch nicht einmal gelingt, den dienstlichen Bezug seiner Taten zu vermeiden, muss beim Handel mit Betäubungsmitteln klar sein, dass sein Verhalten arbeitsgerichtlich nicht zu entschuldigen ist und keine weitere Chance zulässt. Eine Abmahnung ist deshalb entbehrlich. Für die personenbedingte Kündigung eines im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmers mit hoheitlichen Aufgaben gilt nichts anderen, schon gar nicht, wenn er von der Erkenntnis des Arbeitgebers weiß, dass auch eine einschlägige Vorstrafe von einem Jahr und neun Monaten ihn nicht daran hinderte, trotz bestehenden Arbeitsverhältnisses und nach seiner Behauptung fehlender eigener Drogenabhängigkeit Dritte, vielleicht auch Leistungsempfänger, durch sein strafbares Verhalten gerade in die Gefahr zu bringen, in eine solche Abhängigkeiten zu geraten.
5. An der Personalratsanhörung scheitert die Kündigung der Beklagten nicht, dem Personalrat wurde mit Anhörung vom 31.01. und 03.02.2012 mitgeteilt, dass der Kläger wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetztes verurteilt wurde, dass er zuvor in einem Personalgespräch die ihm zur Last gelegten Anschuldigen bestritten und seine Unschuld beteuert hat und dass die Beklagte aufgrund dieses Verhaltens des Klägers das Vertrauensverhältnis als zerrüttet ansieht. Da genau dies aber die Gründe für die Kündigung darstellten, auf die die Beklagte sich auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren beruft, bestehen gegen die Rechtswirksamkeit der Anhörung unter dem Gesichtspunkt der subjektiven Determination keine Bedenken.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 92 ZPO, die Quotelung richtete sich angesichts der zwischenzeitlichen Arbeitslosigkeit des Klägers von über einem Jahr gegenüber der dreimonatigen Kündigungsfrist nach dem wirtschaftlichen Interesse der Parteien am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bzw. aus dessen sofortiger Beendigung.
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, in welchem Umfang ein dienstlicher Bezug außerdienstlicher Straftaten die außerordentliche/ordentliche Kündigung rechtfertigt, zugelassen.
Hinweise:
Verkündet am 20.06.2013