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  • 21.01.2014 · IWW-Abrufnummer 140545

    Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 09.10.2013 – 2 Sa 49/13

    Tarifliche Ausschlussfrist - Urlaubsabgeltung

    Wird bei Vorliegen einer zweistufigen Ausschlussfrist der Arbeitnehmer gekündigt und auf eine entsprechende Klage hin auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses erkannt, kann Urlaubsabgeltung nicht verlangt werden. Für die Wahrung der 2. Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist ist daher die Erhebung einer bezifferten Klage auf Urlaubsabgeltung solange nicht erforderlich, bis die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig entschieden ist (vgl. Beschluss des BVerfG vom 01.12.2010, 1 BV 1682/07 sowie BAG vom 19.09.2012, 5 AZR 627/11 für die Annahmeverzugsvergütung).


    Tenor:

    I.

    Das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 04.12.2012 - 2 Ca 150/11 - wird wie folgt abgeändert:

    II.

    Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

    III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    1

    Die Parteien streiten noch um Urlaubsabgeltung.

    2

    Hierzu heißt es im Sachverhalt des Urteils des Arbeitsgerichtes Stralsund vom 04.12.2012 - 2 Ca 150/11 - unter anderem wie folgt:

    3

    Die Klägerin war vom 01.01.2005 bei der Beklagten bis zum 31.03.2011 als Raumpflegerin beschäftigt. Gegen die am 15.03.2011 zugegangene Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2011 erhob die Klägerin vorerst Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Stralsund.

    4

    Mit der am 29. September 2011 beim Arbeitsgericht Stralsund zum Aktenzeichen 2 Ca 407/11 eingegangenen Klage begehrte die Klägerin Urlaubsabgeltung. Die Klägerin war vom 15.07.2010 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchgängig krankgeschrieben. Beide Verfahren vor dem Arbeitsgericht Stralsund zu den Aktenzeichen 2 Ca 150/11 und 2 Ca 407/11 wurden nach Gewährung rechtlichen Gehörs durch Beschluss vom 24.01.2011 zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.

    5

    Mit dem am 20. Dezember 2011 eingegangenen Schriftsatz erklärte die Klägerin teilweise Klagerücknahme bezüglich der unter dem 01.04.2011 erhobenen Kündigungsschutzklage, so dass die Klägerin lediglich Urlaubsabgeltung für das Kalenderjahr 2010 begehrt.

    6

    Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der ab dem Zeitraum vom 01.04.2004 bis 31.12.2011 für allgemeinverbindlich erklärte "Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003" Anwendung. Dort sind in § 22 die Ausschlussfristen wie folgt geregelt:

    7

    "
    § 22 Ausschlussfristen

    8

    Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

    9

    Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird."

    10

    In der mündlichen Verhandlung vom 24.01.2012 (Blatt 42, 43 d. A.) unterbreitete das Gericht den Parteien einen Vergleichsvorschlag, wonach die Beklagte an die Klägerin Urlaubsabgeltung in Höhe von 600,00 EUR brutto zahlen sollte. Der Prozessvertreter der Klägerin nahm den Vergleichsvorschlag des Gerichts an (Blatt 46 d. A.). Der Prozessvertreter der Beklagten nahm mit Schriftsatz vom 15.02.2012 den Vergleichsvorschlag des Gerichts nicht an (Blatt 48 d. A.).

    11

    Mit Schriftsatz vom 29.03.2012 - eingegangen am 30.03.2012 - erhob die Beklagte und Widerklägerin Widerklage über 478,65 EUR netto zuzüglich Zinsen, da die Beklagte nach dem Vergleichsvorschlag des Gerichtes einen Bruttobetrag in Höhe von 600,00 EUR abgerechnet und den sich daraus ergebenden Nettobetrag in Höhe von 478,65 EUR versehentlich an die Klägerin überwiesen hat. Mit Schreiben vom 07.03.2012 wurde die Klägerin durch die Beklagte aufgefordert, den überwiesenen Betrag zurückzuerstatten (Blatt 56 d. A.).

    12

    Mit Schreiben vom 01.08.2011 (Blatt 6 d. A., 2 Ca 407/11) wurden durch die beauftragte Gewerkschaft Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin in Höhe von 651,84 EUR geltend gemacht. Mit Schreiben vom 29.09.2011 wurde wegen der Urlaubsabgeltung Klage vor dem Arbeitsgericht Stralsund erhoben.

    13

    Das Gericht hat in dem vorgenannten Urteil für Recht erkannt:

    14

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    15

    2. Die Klägerin und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin 478,65 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.03.2012 zu zahlen.

    16

    3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin und Widerbeklagte zu tragen.

    17

    4. Der Streitwert beträgt 651,84 EUR.

    18

    In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei gemäß § 22 des Rahmentarifvertrages für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung verfallen. Zur Rückzahlung des Betrages von 478,65 EUR netto nebst Zinsen sei die Klägerin verpflichtet, da es sich um eine irrtümliche Zahlung gehandelt habe. Anspruchsgrundlage sei § 812 Abs. 1 BGB.

    19

    Gegen dieses Urteil hat die Klägerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Bundesarbeitsgericht verkennen, dass die Annahme einer Frist von vier Monaten für die Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs aufgrund tarifvertraglicher Normen nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes - insbesondere in dem Urteil vom 03.05.2012 C-337/10 (Neidel) - unzulässig sei. Die Widerklage sei unzulässig. Im Übrigen sei die Klägerin entreichert.

    20

    Die Klägerin beantragt:

    21

    1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 04.12.2012 zum Aktenzeichen 2 Ca 150/11 wird aufgehoben.

    22

    2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 651,84 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent seit dem 01.02.2011 zu zahlen.

    23

    3. Die Widerklage ist abzuweisen.

    24

    Die Beklagte beantragt,

    25

    die Berufung zurückzuweisen.

    26

    Sie tritt der angefochtenen Entscheidung bei.

    27

    Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    1.

    28

    Die Klage auf Urlaubsabgeltung ist entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Stralsund begründet. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist zwischen den Parteien im Grundsatz und in der Höhe nicht im Streit.

    29

    Der Anspruch ist entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts Stralsund nicht gemäß § 22 des Rahmentarifvertrages verfallen. Die Klägerin ist von der Beklagten zum 31.03.2011 gekündigt worden. Die 1. Stufe der Ausschlussfrist hat die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 14.4.2011 eingehalten. Die Beklagte ist dem entsprechenden Vortrag, dass eine derartige Geltendmachung erfolgt sei ( vgl. S. 2 der Berufungsbegründung) nicht entgegengetreten.

    30

    Auch die 2. Stufe der Ausschlussfrist hat die Klägerin eingehalten. Mit einer Bestandsschutzklage macht ein Arbeitnehmer die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche im Sinne der 2. Stufe einer tarifvertraglich geregelten Ausschlussfrist "gerichtlich geltend". Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 01.12.2010 - 1 BVR 1682/07 - entschieden, dass der Arbeitnehmer in seinem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt werde, wenn er gezwungen werde, Ansprüche wegen Annahmeverzuges einzuklagen, bevor die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig abgeschlossen sei. Damit erhöhe sich sein Kostenrisiko im Rechtsstreit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

    31

    Entsprechend verhält es sich mit der Urlaubsabgeltung. Wird nämlich später gerichtlich festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht, besteht kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung mit der Folge dass die Klage abgewiesen wird. Damit hat die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage vom 01.04.2011 auch die 2 Stufe eingehalten. Dass damit die gerichtliche Geltendmachung vor der schriftlichen Geltendmachung erfolgte, ist unerheblich.

    2.

    32

    Die Widerklage ist zulässig. Die Beklagte hatte hierzu ein Rechtsschutzbedürfnis. Trotz des Erhaltes des Nettobetrages aus dem Bruttobetrag von 600,00 EUR im Februar 2012 hat die Klägerin ihre Klageforderung auf Urlaubsabgeltung nicht entsprechend ermäßigt. Bei dieser Sachlage konnte die Beklagte ihren Anspruch gerichtlich geltend machen.

    33

    Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch festgestellt, dass die Zahlung des Nettobetrages in Höhe von 478,65 EUR rechtsgrundlos erfolgt. Der Vergleich ist von den Parteien nicht genommen worden.

    34

    Auch von einer Entreicherung der Klägerin ist nicht auszugehen. Nach Erhalt des Schriftsatzes vom 15.02.2012, der vom Gericht am 20.02.2012 an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gesandt worden ist, war die Klägerin bösgläubig. Dass sie das Geld zuvor verbraucht hat, hat sie nicht behauptet.

    35

    Von einem Hinweis, die Klage auf den Restbetrag von 51,84 EUR brutto zu reduzieren, hat das Gericht trotz der Anregung in der Berufungsbegründungsschrift abgesehen, da die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, die Klägerin habe den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch zwischenzeitlich erfüllt.

    36

    Zinsen für den Urlaubsabgeltungsanspruch sind ab vermutetem Zugang des Anspruchsschreibens vom 01.08.2011 zuerkannt worden.

    3.

    37

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

    38

    Zur Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand kein Anlass.

    Vorschriften§ 812 Abs. 1 BGB, § 92 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG