27.11.2024 · IWW-Abrufnummer 245088
Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Urteil vom 05.11.2024 – 10 Sa 817/23
1. Auch in der gesetzlichen Wartezeit ist der Betriebsrat vor der beabsichtigten Kündigung zu hören.
2. Bei einer Kündigung in der Wartezeit ist die Substantiierungspflicht allerdings nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG , sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet.
3. Der Betriebsrat ist immer dann ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind. Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 26. Oktober 2023 - 10 Ca 93/23 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt 10.743,12 Euro.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Wartezeitkündigung. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien nebst Anträgen sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils (Bl. 137 bis 141 d.A. I. Instanz Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Kündigung verstoße nicht gegen das Maßregelungsverbot. Dafür habe die Klägerin keine hinreichenden Umstände dargelegt. Zwar komme eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis in Betracht, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und Rechtsausübung bestehe, was bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Maßnahme und der Rechtsausübung der Fall sein könne. Zwischen der Mitteilung der Klägerin von dem Arbeitsplatzkonflikt und der Kündigung bestehe jedoch kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang. Wann sich die Klägerin an den Betriebsrat gewandt habe, sei nicht vorgetragen. Aus der Betriebsratsanhörung ergebe sich zudem, dass die Kündigung wegen des Verhaltens der Klägerin und nicht wegen ihrer Beschwerden bei Stationsleitung oder Betriebsrat erfolgt sei. Letzterer sei zur Kündigung ordnungsgemäß angehört worden.
Gegen das ihr am 20. November 2023 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 18. Dezember 2023 Berufung eingelegt und sie nach bis zum 17. März 2024 bewilligter Fristverlängerung am Montag, den 18. März 2024 begründet.
Die Berufung führt aus: Zumindest im Hinblick auf die fehlerhafte Betriebsratsanhörung hätte das Arbeitsgericht der Klage stattgeben müssen. Die Begründung der Kündigung in der Betriebsratsanhörung sei formelhaft und reiche auch für eine Wartezeitkündigung nicht aus. Die Beklagte hätte erklären müssen, wann und wo und mit welchen Kollegen es zu Streitigkeiten gekommen sei sowie wann welche Gespräche zu dieser Thematik geführt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. April 2023 nicht aufgelöst worden ist.Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 13. Juni 2024 (Bl. 112 bis 114 d.A. II. Instanz) und macht insbesondere geltend: Sie habe dem Betriebsrat ihre subjektiven Gründe für ihren Kündigungsentschluss mitgeteilt; mehr sei nicht erforderlich.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anträgen Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung durch die Kammer gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt erfolglos.
I.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.
1.
Die Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot unwirksam. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Das Berufungsgericht folgt insoweit den Gründen des angefochtenen Urteils, stellt dies hierdurch fest und nimmt auf sie Bezug (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Berufung zeigt neue Aspekte hierzu nicht auf.
2.
Die Kündigung ist auch nicht wegen einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung unwirksam; diese ist nicht zu beanstanden.
a)
Die Kündigung ist unstreitig in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG erfolgt. Auch in der gesetzlichen Wartezeit ist der Betriebsrat vor der beabsichtigten Kündigung zu hören. Bei einer Kündigung in der Wartezeit ist die Substantiierungspflicht allerdings nicht an den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern allein an den Umständen zu messen, aus denen der Arbeitgeber subjektiv seinen Kündigungsentschluss herleitet (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 828/08 - Rn. 26). Der Betriebsrat ist immer dann ordnungsgemäß angehört, wenn der Arbeitgeber ihm die Gründe mitgeteilt hat, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblich sind. Diesen Kündigungsentschluss hat er regelmäßig unter Angabe von Tatsachen so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann (BAG 23. Februar 2012 - 2 AZR 773/10 - Rn. 30).
Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber bei Wartezeitkündigungen zu stellen sind, ist deshalb zwischen Kündigungen, die auf substantiierbare Tatsachen gestützt werden, und Kündigungen, die auf personenbezogenen Werturteilen beruhen, die sich in vielen Fällen durch Tatsachen nicht näher belegen lassen, zu differenzieren. In der ersten Konstellation genügt die Anhörung den Anforderungen des § 102 BetrVG nur, wenn dem Betriebsrat die zugrundeliegenden Tatsachen bzw. Ausgangsgrundlagen mitgeteilt werden. In der zweiten Konstellation reicht die Mitteilung allein des Werturteils für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung aus. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall nicht verpflichtet, im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG sein Werturteil gegenüber der Arbeitnehmervertretung zu substantiieren oder zu begründen (BAG 12. September 2013 - 6 AZR 121/12 - Rn. 22).
Der erst nach Ablauf der Wartezeit eintretende Kündigungsschutz darf durch die Anforderungen, die an eine Anhörung nach § 102 BetrVG gestellt werden, nicht vorverlagert werden. Eine Vermengung der formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Anhörung mit der Überprüfung der Kündigungsgründe aufgrund der Prozesssituation bezweckt § 102 BetrVG nicht (BAG 12. September 2013 - 6 AZR 121/12 - Rn. 26 mwN).
b)
Im Streitfall hat die Beklagte die Kündigung gegenüber dem Betriebsrat wie folgt begründet:
c)
Hierbei handelt es sich im Sinne der zitierten Rechtsprechung zwar um substantiierbare Tatsachen und nicht um ein bloßes Werturteil. Näherer Angaben bedurfte es gleichwohl nicht, um es dem Betriebsrat zu ermöglichen, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen. Hierfür ist es zum Beispiel unerheblich, an welchen Tagen und mit welchen Kollegen die Klägerin stritt oder wann und mit wem hierzu Gespräche geführt wurden. Der Betriebsrat war darüber informiert, dass die Beklagte mehrere laute Streitereien unter Beteiligung der Klägerin zum Anlass für die Kündigung nehmen wollte, nachdem sie den Eindruck gewonnen hatte, dass hierzu mit ihr geführte Gespräche die Situation nicht verbessert hatten. Dies stellt für den Betriebsrat eine ausreichende Tatsachengrundlage dar, um - gegebenenfalls nach Anhörung der Klägerin gemäß § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG - Stellung zu beziehen, ohne weitere Nachforschungen anstellen zu müssen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Betriebsrat vorsätzlich falsch oder irreführend unterrichtet hätte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.