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  • 15.06.2021 · IWW-Abrufnummer 222968

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 04.03.2021 – 3 Sa 45/20

    1. Der fehlende Vermerk über das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks (§ 180 Satz 3 ZPO) führt nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.

    2. Versäumt der Zustellungsempfänger wegen eines fehlenden Vermerks nach § 180 Satz 3 ZPO eine Frist, kann ihm bei fehlendem Verschulden an der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden.


    In der Rechtssache
    - Beklagter/Berufungskläger -
    Proz.-Bev.:
    gegen
    - Kläger/Berufungsbeklagter -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vorsitzenden
    Richter am Landesarbeitsgericht Oesterle, den ehrenamtlichen Richter Bohn und den ehrenamtlichen Richter Helgert auf die mündliche Verhandlung vom 04.03.2021
    für Recht erkannt:

    Tenor:
    1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. August 2020 - 24 Ca 4003/20 - wird zurückgewiesen.


    2. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.


    3. Für den Beklagten wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten über den Fortbestand des zwischen ihnen begründeten Arbeitsverhältnisses über den 23. April 2020 hinaus, um Vergütungsansprüche für den Monat April 2020 und die Erteilung einer Entgeltabrechnung für den Monat März 2020. Zweitinstanzlich hat der Beklagte überdies hilfsweise Schadensersatzansprüche gegen den Kläger geltend gemacht.



    Der am XX. XXXXXX 19XX geborene, verheiratete und zwei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger war seit 6. März 2018 beim Beklagten, der ausschließlich im Auftrag der D. P. AG Pakete ausliefert und mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG beschäftigt, als Paketzusteller und Kurierfahrer auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 6. März 2018 (Bl. 5 bis 8 der ArbG-Akte) zu einem Bruttomonatsverdienst von 1.962,00 € tätig. Die Büroräume des Beklagten befinden sich in O., H.-P.-P. 5. Der Beklagte wohnt in der G. 36 in S..



    Als der Kläger am 23. April 2020 um 07.00 Uhr zur Arbeitsaufnahme erschien, schickte ihn der Beklagte mit dem Hinweis nach Hause, eine Kündigung würde folgen. Der Beklagte übermittelte dem Kläger sodann zumindest als Whats-App-Nachricht die Erklärung einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses datiert auf den 23. April 2020 mit dem aus Bl. 9 der ArbG-Akte im Einzelnen ersichtlichen Inhalt. Mit Schreiben vom 24. April 2020 (Bl. 54 der LAG-Akte) erteilte die D. P. AG dem Kläger für alle nicht dem Publikumsverkehr gewidmeten Betriebs- und Verwaltungsstellen der D. P. AG und ihrer Tochterfirmen ein absolutes und unbefristetes Hausverbot.



    Der Kläger erhob am 15. Juni 2020 die vorliegende Klage, die dem Beklagten zusammen mit der Ladung zum auf den 8. Juli 2020 anberaumten Gütetermin am 25. Juni 2020 zugestellt wurde.



    Wegen eines Distorsionstraumas war der Beklagte ab 29. Juni 2020 nur eingeschränkt gehfähig, was ihn daran hinderte, jeden Tag den an seinen Büroräumen befindlichen Briefkasten zu leeren. Aus diesem Grund beauftragte er seinen Innendienstmitarbeiter M., die dort eingegangene Post regelmäßig abzuholen.



    Im Gütetermin vom 8. Juli 2020, in dem für den Beklagten niemand erschien, verkündete die Kammervorsitzende auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil folgenden Inhalts:

    1.Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis über den 23.04.2020 hinaus ungekündigt fortbesteht.2.Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Vergütung für den Monat April 2020 in Höhe von 1.962,00 € brutto nebst Jahreszinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.05.2020 zu bezahlen.3.Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Verdienstabrechnung für den Monat März 2020 herauszugeben.4.Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.5.Der Streitwert wird auf 7.943,00 € festgesetzt.



    Laut dem "Ab"-Vermerk der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts (Bl. 21 der ArbG-Akte) wurde das Versäumnisurteil dem Beklagten am 13. Juli 2020 an die Adresse "H.-P.-P. 5, XXXXX O." übersandt.



    In der am 20. Juli 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Zustellungsurkunde bezüglich des Versäumnisurteils vom 8. Juli 2020 (Kopie Bl. 22 f. der ArbG-Akte), die vom Zusteller mit dem Datum 14. Juli 2020 und seiner Unterschrift versehen wurde, ist vermerkt, dass der Zusteller das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt habe, weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, sowie dass der Tag der Zustellung - gegebenenfalls mit Uhrzeit - vom Zusteller auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt worden sei. Der Vermerk "zugestellt am" auf dem Umschlag, in dem das Versäumnisurteil in den Briefkasten des Beklagten an seinen Büroräumen eingelegt wurde, enthält keine Eintragungen (vgl. Bl. 44 der ArbG-Akte).



    Am 21. Juli 2020 leerte Herr M. den an den Büroräumlichkeiten des Beklagten in O. angebrachten Briefkasten, entnahm zusammen mit weiterer Post den Umschlag samt darin befindlichem Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 und gab ihn noch am selben Tag an den Beklagten weiter.



    Am 22. Juli 2020 zeigte der nunmehrige Prozessbevollmächtigte des Beklagten dessen Vertretung an und legte gegen das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 Einspruch ein.



    Mit Verfügung vom 23. Juli 2020 (Bl. 34 der ArbG-Akte) wies das Arbeitsgericht darauf hin, dass laut Zustellungsurkunde das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 dem Beklagten am 14. Juli 2020 zugestellt worden sei, weshalb der am 22. Juli 2020 eingelegte Einspruch die einwöchige Einspruchsfrist des § 59 Satz 1 ArbGG nicht gewahrt habe und folglich gem. § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen wäre.



    Mit Schreiben vom 7. August 2020 wies der Beklagtenvertreter darauf hin, dass der Beklagte erst bei Erhalt der gerichtlichen Verfügung vom 23. Juli 2020 am 28. Juli 2020 habe erkennen können, dass die Einspruchsfrist versäumt wurde. Denn auf dem Briefumschlag, mit welchem das Versäumnisurteil zugestellt worden war, sei nicht vermerkt gewesen, wer es wann zugestellt habe.



    Gegen eine weitere arbeitgeberseitige Kündigung vom 29. Juli 2020 zum 31. August 2020, die dem Kläger am 30. Juli 2020 zuging, hat der Kläger keine Kündigungsschutzklage erhoben.



    Am 11. August 2020 stellte der Beklagte für den Fall der Versäumung der Einspruchsfrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wegen dessen Begründung auf Bl. 48 bis 54 der ArbG-Akte verwiesen wird.



    Durch Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. August 2020 (Bl. 55 bis 62 der ArbG-Akte) wurde der Einspruch des Beklagten vom 22. Juli 2020 gegen das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt: Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 sei unzulässig, weil die einwöchige Einspruchsfrist des § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 59 Satz 1 ArbGG nicht gewahrt sei. Denn der Beklagte habe gegen das ihm am 14. Juli 2020 zugestellte Versäumnisurteil erst am 22. Juli 2020 Einspruch eingelegt. Am 14. Juli 2020 sei durch das Einlegen in den Briefkasten des Beklagten eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils erfolgt. Der fehlende Vermerk über das Datum der Zustellung und die nicht vorhandene Unterschrift des Zustellers auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks führten nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung. Zur Begründung für diese Auffassung werde auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Januar 2019 (AnwZ (Brfg) 59/17) verwiesen, dessen Ausführungen sich das Arbeitsgericht vollumfänglich anschließe. Da es für die Wirksamkeit der Zustellung unschädlich sei, dass der Zusteller auf dem Briefumschlag weder den Zeitpunkt der Zustellung vermerkt noch unterzeichnet habe, greife die lediglich für zwingende Zustellvorschriften einschlägige Heilungsvorschrift des § 189 ZPO nicht.



    Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 233 ff. ZPO wegen der Versäumung der Einspruchsfrist sei nicht zu gewähren. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Beklagte an der Einhaltung der Einspruchsfrist ohne Verschulden gehindert gewesen sei. Der Vortrag des Beklagten, wonach er "eingeschränkt gehfähig" gewesen sei, er seinen Mitarbeiter beauftragt habe, "regelmäßig" die Post abzuholen und es dieser Mitarbeiter erst am 21. Juli 2020 geschafft habe, den Briefkasten zu leeren, lasse nicht erkennen, dass er die erforderliche Sorgfalt habe walten lassen, damit ihn wichtige Schriftstücke zeitnah erreichten. Selbst wenn der Beklagte auf Grund einer eingeschränkten Gehfähigkeit seinen Mitarbeiter damit beauftragt habe, die Post abzuholen, so wäre es an ihm gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass der Briefkasten in kurzen zeitlichen Abständen von wenigen Tagen geleert wird. Der Vortrag des Beklagten lasse offen, was er damit meine, dass sein Mitarbeiter "regelmäßig" die Post abholen sollte. Dem könne nicht entnommen werden, dass der Beklagte dem Mitarbeiter konkrete Zeitabstände mitgeteilt habe, innerhalb derer die Post abzuholen wäre. Auch sei nicht erkennbar, dass der Beklagte einen ansonsten sehr zuverlässigen Mitarbeiter mit der Abholung betraut oder zumindest überprüft hätte, dass der Mitarbeiter seinen Pflichten auch tatsächlich in kurzen Zeitabschnitten nachkomme. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der mit der Postabholung betraute Mitarbeiter die notwendigen Sorgfaltspflichten gewahrt hätte. So sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen dieser es erst am 21. Juli 2020 geschafft haben solle, den Briefkasten zu leeren. Konkrete Hinderungsgründe für die vorausgehenden Tage würden nicht benannt.



    Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Nichtangabe des Zustellungsdatums auf dem Briefumschlag zur Versäumung der Einspruchsfrist geführt hätte. Im Hinblick auf die Nichtabholung der Post über Tage hinweg habe der Beklagte davon ausgehen müssen, dass das Versäumnisurteil an jedem einzelnen der vorausgehenden Tage, an denen der Briefkasten nicht geleert worden war, zugestellt worden sein konnte. Auch habe der Beklagte mit der Zustellung eines Versäumnisurteils im betreffenden Zeitraum rechnen müssen, nachdem er den Gütetermin am 8. Juli 2020 trotz rechtzeitiger Ladung unentschuldigt nicht wahrgenommen habe.



    Der Beklagte hat gegen das ihm am 17. August 2020 zugestellte arbeitsgerichtliche Urteil am 16. September 2020 per BeA mit einem nicht im Format PDF eingereichten Schriftsatz Berufung eingelegt. Hierauf und auf die Möglichkeit der Heilung gem. § 130 a Abs. 6 Satz 2 ZPO wurde der Beklagtenvertreter mit am 23. September 2020 zugestellter gerichtlicher Verfügung vom 21. September 2020 (Bl. 14 der LAG-Akte) hingewiesen. Daraufhin hat der Beklagtenvertreter am 23. September 2020 die von ihm signierte Berufungsschrift vom 16. September 2020 nochmals als PDF-Datei übersandt und an Eides statt versichert, dass die mit diesem Schriftsatz als PDF-Datei nachgereichte Berufungsschrift mit der zuerst über BeA am 16. September 2020 eingereichten Berufungsschrift vom 16. September 2020 übereinstimmt.



    Der Kläger hat aus Ziffer 2 des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteils vom 8. Juli 2020 vollstreckt und nach Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts E. vom 28. Oktober 2020 am 9. November 2020 vom Konto des Beklagten 2.126,79 € (einschließlich Gerichtskosten, Gerichtsvollzieherkosten für die Zustellung und außergerichtlicher Kosten) eingezogen.



    Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 19. November 2020 durch gerichtliche Verfügung vom 20. Oktober 2020 hat der Beklagte seine Berufung am 19. November 2020 begründet.



    Er trägt vor: Nach § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 130 a Abs. 6 ZPO gelte die Berufungsschrift als am 16. September 2020 eingegangen.



    Die Zustellungsurkunde vom 14. Juli 2020 könne nicht die formgerechte Einlegung des Versäumnisurteils vom 8. Juli 2020 bereits am 14. Juli 2020 in den Briefkasten des Beklagten beweisen, da sie unrichtig sei. Er bestreite, dass das Versäumnisurteil vor dem 21. Juli 2020 in seinen Briefkasten am H.-P.-P. in O. eingelegt worden sei. So sei in der Zustellungsurkunde fehlerhaft vermerkt, dass das Versäumnisurteil in den zur Wohnung des Beklagten gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei, obwohl sich - unstreitig - an der angegebenen Adresse nur seine Büroräume befänden. Weiterhin werde in der Zustellungsurkunde wahrheitswidrig angegeben, dass der Zusteller den Tag der Zustellung auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt habe. Tatsächlich sei der Zustellungstag aber nicht auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt. Somit seien fast alle in der Zustellungsurkunde niedergelegten Tatsachen unrichtig. Insbesondere die objektive Falschbeurkundung des Zustellers, er habe den Tag der Zustellung auf dem Umschlag des Schriftstückes vermerkt, führe dazu, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entfallen sei. Es lasse sich daher keine formgerechte Zustellung des Versäumnisurteils vor dem 21. Juli 2020 im Sinne von § 189 ZPO nachweisen. Gegen ein Einlegen des Versäumnisurteils in den Briefkasten des Beklagten bereits am 14. Juli 2020 spreche auch, dass das Versäumnisurteil vom Arbeitsgericht erst am 13. Juli 2020 zum Zwecke der Zustellung an den Beklagten zur Post gegeben worden sei. Entsprechend der Regelung in § 270 Satz 2 ZPO sei zu vermuten, dass das Poststück, das außerhalb des Ortszustellverkehrs dem Beklagten in O. zugestellt werden musste, innerhalb der üblichen Postlaufzeit erst am zweiten Werktag nach der Aufgabe zur Post beim Beklagten in O. zuging. Dass das Schriftstück dennoch bereits am 14. Juli 2020 beim Beklagten in den Briefkasten eingelegt worden sein solle, sei vor dem Hintergrund, dass die Zustellungsurkunde erst am 20. Juli 2020 wieder beim Arbeitsgericht einging, nicht zu glauben. Warum solle die Zustellung des Versäumnisurteils nur einen Tag gedauert haben, die Rücksendung aber sechs Tage?



    Selbst wenn das Versäumnisurteil aber bereits am 14. Juli 2020 in den Briefkasten des Beklagten gelegt worden sei, sei es dem Beklagten erst an dem Tag zugegangen, da er es in den Händen gehalten habe, also am 21. Juli 2020. Entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Rechtsansicht führe der fehlende Vermerk über das Zustellungsdatum auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zur Unwirksamkeit der Zustellung. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes gehöre die Regelung des § 180 Satz 3 ZPO, die den Zusteller bei der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten dazu verpflichte, auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks einen Vermerk über das Datum der Zustellung anzubringen, zu den zwingenden Zustellvorschriften im Sinne des § 189 ZPO. Fehle der entsprechende Vermerk, sei für die Zustellung nicht der Zeitpunkt der Einlegung in den Briefkasten maßgeblich, sondern der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs, also der, an dem der Adressat das Dokument "in den Händen hält". Ohne die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu würdigen, habe sich das Arbeitsgericht den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in dessen Beschluss vom 14. Januar 2019 (AnwZ (Brfg) 59/17) angeschlossen. Der Beschluss des Bundesgerichtshofs sei mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 22. Juli 2020 (1 BvR 561/19 -) aufgehoben worden.



    Die vom Arbeitsgericht wiedergegebene Begründung des Bundesgerichtshofs überzeuge nicht. Der Bundesgerichtshof und mit ihm das Arbeitsgericht hätten nicht erkannt, dass die nach § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO vorgeschriebene Bemerkung in der Zustellurkunde, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, vermerkt ist, nur auf der Grundlage nach § 180 Satz 3 ZPO zwingend vorgeschriebenen Vollzugs dieser Handlungen denkbar sei. Auch § 180 Satz 3 ZPO sei daher eine zwingende Zustellungsvorschrift. Es wäre auch widersinnig, wenn nach § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO gefordert werde, dass der Zusteller zum Nachweis der Einhaltung der zwingenden Zustellvorschriften in der Zustellungsurkunde angeben muss, dass er den Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, vermerkt hat, der in § 180 Satz 3 ZPO ausdrücklich vorgeschriebene Vermerk des Datums auf dem Umschlag dann aber keine zwingende Zustellvorschrift sein solle.



    Auch die bis zum 1. Juli 2002 geltende Fassung des § 195 Abs. 3 Satz 2 ZPO habe nicht ausdrücklich vorgesehen, dass die Abschrift der Zustellungsurkunde (zusammen mit der zuzustellenden Sendung) übergeben werden muss oder der Tag der Zustellung auf der Sendung vermerkt werden muss. Der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes habe aber in seinem Beschluss vom 9. November 1976 (GmS-OGB 2/75) festgestellt, dass das Gesetz die Einhaltung dieser Regelungen als zwingende Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Zustellung voraussetze. Es gebe keinen Grund, von der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes abzuweichen, da sich die Regelungen in § 195 Abs. 3 Satz 2 ZPO a. F. und §§ 180 Satz 3, 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO nicht unterschieden.



    Aus Wortlaut und Systematik des § 180 ZPO ergebe sich, dass das Schriftstück erst dann als zugestellt gilt, nachdem es in einem Umschlag, auf welchem das Datum der Zustellung vermerkt wurde, in den Briefkasten geworfen wurde. Ohne den Datumsvermerk gelte es somit nicht als zugestellt. Der Vermerk des Datums der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks sei somit ein zwingender Teil der Ersatzzustellung. Schließlich handle es sich bei dem Vermerk des Datums der Zustellung auf dem Umschlag nicht nur um einen Vermerk, der nach der bereits erfolgten Zustellung zur Dokumentation der Zustellung erfolgen (und gegebenenfalls nachgeholt werden) könne, er müsse bereits vor der Einlegung des Umschlags in den Briefkasten erfolgen und sei somit Teil der Zustellungshandlung.



    Vor allem müsse auch beachtet werden, dass es dem Adressaten ohne die Angabe des Zustellungsdatums auf dem Umschlag kaum möglich sei, kurzfristig und rechtssicher festzustellen, wann ihm das Schriftstück zugestellt worden sein soll und ob noch eine Reaktionsmöglichkeit besteht. In diesem Fall sei es ihm auch fast unmöglich, einen von der Datumsangabe in der Zustellungsurkunde abweichenden Zustelltermin nachzuweisen.



    Das Arbeitsgericht habe auch zu Unrecht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Der Beklagte habe erst durch den Zugang der Verfügung des Arbeitsgerichts vom 23. Juli 2020 erfahren, dass das Versäumnisurteil bereits am 14. Juli 2020 zugestellt worden sei und die einwöchige Einspruchsfrist schon am 21. Juli 2020, also einen Tag vor dem Eingang seines Einspruchs am 22. Juli 2020, abgelaufen sei. Erst ab diesem Zeitpunkt habe er die Versäumung der Einspruchsfrist erkennen können, schließlich sei auf dem Briefumschlag kein Zustellungsdatum vermerkt gewesen. Der Wiedereinsetzungsantrag und dessen Begründung seien somit innerhalb der Frist des § 234 ZPO erfolgt.



    Das Arbeitsgericht habe übersehen, dass er sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum über den Fristbeginn bei fehlender Datumsangabe auf dem Umschlag des zugestellten Schriftstücks befunden habe, weil er als rechtlicher Laie davon ausgegangen sei, dass der Lauf der einwöchigen Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil nicht vor dem 15. Juli 2020 begonnen habe. Entsprechend der Regelung in § 270 Satz 2 ZPO sei er nämlich, als er von Herrn M. am 21. Juli 2020 den Umschlag mit dem Versäumnisurteil ausgehändigt erhalten habe, davon ausgegangen, dass die übliche Postlaufzeit zwei Werktage beträgt und der Fristlauf daher erst zwei Werktage nach dem Ausgang des mit einem Schreiben des Gerichts vom 13. Juli 2020 versandten Versäumnisurteils beim Arbeitsgericht beginnt. Er sei daher davon ausgegangen, dass die einwöchige Einspruchsfrist gewahrt wird, wenn er einen Tag nachdem er am 21. Juli 2020 Kenntnis vom Versäumnisurteil erhalten habe, am 22. Juli 2020 seinem Prozessbevollmächtigten das Versäumnisurteil übersende und diesen beauftrage, Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen. Selbst wenn der Beklagte kein rechtlicher Laie gewesen wäre, hätte er sich in einem unvermeidbaren, jedenfalls entschuldbaren Rechtsirrtum über den Fristbeginn bei fehlender Datumsangabe befunden, da er auf die Richtigkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes habe vertrauen dürfen.



    Herr M. habe das vom Kläger vorgelegte Kündigungsschreiben vom 23. April 2020 im Original am 24. April 2020 in den Briefkasten des Klägers eingeworfen. Die Übersendung eines Fotos des Kündigungsschreibens mit einer Whats-App-Nachricht sei nur zusätzlich erfolgt. Diese Kündigung sei nach § 7 KSchG wirksam, weil der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 4 KSchG die Rechtsunwirksamkeit dieser Kündigung geltend gemacht habe.



    Die Kündigung sei ausgesprochen worden, nachdem die Mitarbeiterin B. der D. P. AG den Kläger am 22. April 2020 des Diebstahls zweier Pakete überführt gehabt habe. Der Kläger habe darüber hinaus noch weitere Pakete entwendet und beim Beklagten dadurch einen Schaden in Höhe von 5.229,63 € verursacht. Wegen der Einzelheiten des Beklagtenvortrags hierzu wird auf Bl. 37 bis 39 und 243 bis 253 der LAG-Akte verwiesen.



    Der Kläger habe gegenüber Frau B. in Anwesenheit von Herrn M. am 23. April 2020 eingeräumt, Pakete unterschlagen zu haben, und erklärt, den von ihm verursachten Schaden zu ersetzen. Nachdem der Kläger sich am 23. April 2020 auch schriftlich (zum Inhalt des vom Kläger unterzeichneten Schreibens siehe Bl. 53 der LAG-Akte) zur Schadensersatzleistung bereit erklärt habe, habe er mit seinem Schadenersatzanspruch gegen die abgerechneten Ansprüche des Klägers für den Monat April 2020 (Nettoentgelt in Höhe von 846,29 € und Verpflegungszuschuss in Höhe von 144,00 €) aufgerechnet. Verzugslohn könne der Kläger wegen des vom einzigen Kunden des Beklagten gegen den Kläger verhängten Hausverbots nicht beanspruchen. Überdies habe der Kläger bislang noch keine Auskunft über seinen bis 31. August 2020 erzielten anderweitigen Verdienst erteilt.



    Die Verdienstabrechnung für den Monat März 2020 sei dem Kläger mit Whats-App-Nachricht und somit in Textform im Sinne von § 126 b BGB am 14. Mai 2020 übersandt worden. Mehr verlange § 108 GewO nicht. Spätestens nunmehr werde der Anspruch auf Herausgabe der Abrechnung durch Vorlage der Anlage B 9 (richtig wohl: Anlage B 10, Bl. 56 der LAG-Akte) erfüllt.



    Wenn das Landesarbeitsgericht der Berufung stattgebe, sei der Kläger nach § 62 Abs. 2 ArbGG, § 717 Abs. 2 ZPO dem Beklagten zum Ersatz des durch die Vollstreckung entstandenen Schadens verpflichtet. Der Kläger müsse in diesem Fall die vom Konto des Beklagten im Rahmen der Pfändung eingezogenen 2.126,79 € nebst Prozesszinsen erstatten.



    Der Beklagte beantragt:

    1.Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. August 2020 - 24 Ca 4003/20 - wird das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2020 - 24 Ca 4003/20 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.Hilfsweise:Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. August 2020 - 24 Ca 4003/20 - wird abgeändert. Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt. Unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2020 - 24 Ca 4003/20 - wird die Klage abgewiesen.2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.3.Die Revision wird zugelassen.4.Für den Fall, dass das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 14. August 2020 - 24 Ca 4003/20 - dahingehend abgeändert wird, dass das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2020- 24 Ca 4003/20 - aufgehoben und die Klage abgewiesen wird: Der Kläger wird verurteilt, an den Beklagten 2.126,79 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. November 2020 zu bezahlen.



    Der Kläger beantragt,

    die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.



    Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt ergänzend vor: Der Bundesfinanzhof habe sich mit dem hier maßgeblichen Kern der Zustellungsfrage überhaupt nicht auseinandergesetzt. Auch das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 22. Juli 2020 keine inhaltliche Aussage über die gegenständliche Problematik getroffen. Vielmehr sei angemahnt worden, dass die Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung durch den Bundesgerichtshof den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletze. Mithin stritten die beklagtenseits zitierten Urteile gerade nicht gegen die verspätete Einspruchseinlegung.



    Die nunmehrige Argumentation bezüglich eines "Rechtsirrtums" hätte bereits im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags geltend gemacht werden müssen, was nicht erfolgt sei.



    Im Berufungsverfahren sei die Frage der Rechtmäßigkeit der Kündigung nicht zu prüfen, allerdings lägen auch keine Gründe für eine fristlose Tatkündigung vor. Dem Kläger sei nie ein schriftliches Kündigungsschreiben vom 23. April 2020 zugegangen.



    Es sei unrichtig, dass Frau B. den Kläger des Diebstahls "überführt" hätte. Frau B. gegenüber habe er nicht eingeräumt, Pakete unterschlagen zu haben, sondern darauf hingewiesen, dass er drei Pakete neben sich auf dem Beifahrersitz habe, deren Zustellung nicht möglich war und die ins Verteilzentrum zurückzubringen waren. Frau B. habe diese drei Pakete dann mitgenommen, so dass diese nachweislich nicht von ihm entwendet worden seien. Am 23. April 2020 sei er zur Unterzeichnung des als Anlage B 8 vorgelegten Schriftstücks, das ihm vor Unterzeichnung nicht übersetzt worden sei, genötigt worden. Er habe auch nicht die vom Beklagten angeführten Pakete entwendet. Vielmehr habe er sämtliche Pakete/Lieferungen ordnungsgemäß ausgeliefert.



    Vor Klageerhebung sei ihm die Verdienstabrechnung für März 2020 weder schriftlich noch in Textform zugesandt worden.



    Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in beiden Instanzen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.



    Entscheidungsgründe



    Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.



    A.



    Die gem. § 64 Abs. 2 lit. b und c ArbGG statthafte Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Zwar wurde die als elektronisches Dokument eingereichte Berufungsschrift am 16. September 2020 zunächst nicht wie nach § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 130 a Abs. 2 Satz 2 ZPO, 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV erforderlich, im Format PDF übermittelt. § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ERVV benennt die zulässigen Dateiformate abschließend (OLG Zweibrücken 9. November 2020 - 6 UF 109/20 - FamRZ 21, 529). Dieser Formatfehler ist aber nach § 130 a Abs. 6 ZPO rückwirkend korrigiert worden.



    I.



    Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender nach § 130 a Abs. 6 Satz 1 ZPO unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt gem. § 130 a Abs. 6 Satz 2 ZPO als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt. Damit soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers einer Partei der "Zugang zu den Gerichten durch Anforderungen des formellen Rechts wie etwa Formatvorgaben nicht in unverhältnismäßiger Weise" erschwert werden (BAG 12. März 2020 - 6 AZM 1/20 - NZA 2020, 607). Die Fehlermeldung über ein falsches Dateiformat muss unverzüglich zugehen, damit der Absender das Dokument ohne Zeitverzögerung auf ein zugelassenes Dateiformat umstellen kann (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12634, 26 f. (37)).



    II.



    Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Beklagte wurde mit gerichtlicher Verfügung vom 21. September 2020, die ihm am 23. September 2020 zuging, darauf hingewiesen, dass die elektronische Übermittlung der Berufungsschrift am 16. September 2020 nicht in einem zugelassenen Dateiformat erfolgte. Es wurde auf die technischen Zulässigkeitsvoraussetzungen und die Heilungsmöglichkeit des § 130 a Abs. 6 Satz 2 ZPO hingewiesen.



    Der Beklagtenvertreter hat daraufhin noch am 23. September 2020 und somit unverzüglich im Sinne des § 130 a Abs. 6 ZPO (LAG Hessen 11. November 2020 - 14 Sa 982/20 - juris) die Berufungsschrift im Format PDF nachgereicht und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass die am 23. September 2020 als PDF-Datei nachgereichte Berufungsschrift mit der zuerst über beA am 16. September 2020 eingereichten Berufungsschrift übereinstimmt.



    B.



    Die Berufung des Beklagten ist aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen, denen sich die Berufungskammer gem. § 69 Abs. 2 ArbGG anschließt, wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen. Der vom Beklagten zweitinstanzlich nunmehr verfolgte Zahlungsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen. Im Hinblick auf die Berufungsangriffe sind folgende ergänzenden Ausführungen veranlasst:



    I.



    Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts vom 8. Juli 2020 wurde dem Beklagten am 14. Juli 2020 durch Einlegung in den an den Büroräumlichkeiten des Beklagten an der Adresse H.-P.-P. 5 in O. angebrachten Briefkasten zugestellt.



    1. Das am 8. Juli 2020 verkündete Versäumnisurteil war dem Beklagten gem. § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. §§ 166 Abs. 2, 169 Abs. 2 ZPO von Amts wegen in beglaubigter Abschrift zuzustellen. Eine solche Zustellung ist durch Einlegung in den zu den Büroräumen des Beklagten gehörenden Briefkasten erfolgt. Dies wird durch die vorliegende Zustellurkunde (Kopie Bl. 22 f. der ArbG-Akte) bezeugt. Diese weist aus, dass der Zusteller in seiner Eigenschaft als Postbediensteter am 14. Juli 2020 versuchte, das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 zu übergeben. Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe der Zusteller das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt. Weiterhin ist oberhalb der Unterschrift des Zustellers vermerkt: "Den Tag der Zustellung - gegebenenfalls mit Uhrzeit - habe ich auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt".



    2. Bei dieser Sachlage ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 dem Beklagten am 14. Juli 2020 zugestellt wurde.



    a) Da am 14. Juli 2020 in den Büroräumen des Beklagten, die geschäftlichen Zwecken dienen und wo der Beklagte erreichbar ist, auch wenn die Räume nur zeitweilig besetzt sind, und die somit als Geschäftsräume anzusehen sind (BGH 16. Juni 2011 - III ZR 342/09 - BGHZ 190, 99), keine Person im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO anwesend war, konnte gem. § 180 Satz 1 ZPO eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den zu den Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten erfolgen.



    b) Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte die laut Zustellungsurkunde am 14. Juli 2020 erfolgte Zustellung des Versäumnisurteils gegen sich gelten lassen muss.



    aa) Nach § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO gilt für die Zustellungsurkunde § 418 Abs. 1 ZPO. D. h., dass es sich um eine öffentliche Urkunde handelt, die den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen begründet. Zwar kann der Beweis der Unrichtigkeit geführt werden (§ 418 Abs. 2 ZPO). Allerdings erfordert der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens, der damit ein Fehlverhalten des Zustellers und eine objektive Falschbeurkundung belegt. Notwendig ist der volle Beweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist (BGH 10. November 2005 - III ZR 104/05 - NJW 2006, 150).



    bb) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Beklagten nicht.



    (a) Die Angabe in der Zustellungsurkunde, dass das zuzustellende Schriftstück in den Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt wurde, ist ausreichend. Es bedarf nach dem gem. § 180 ZPO maßgebenden § 182 Abs. 2 Nr. 4 ZPO keiner Beschreibung, in welchen Briefkasten oder in welche ähnliche Vorrichtung das Schriftstück eingelegt wurde. Unschädlich ist auch, dass der Zusteller fälschlicherweise angekreuzt hat, dass der Briefkasten zur Wohnung (statt richtigerweise zum Geschäftsraum) gehöre. Der Briefkasten oder die ähnliche Vorrichtung im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO müssen dem Adressaten eindeutig zuzuordnen, für den Postempfang eingerichtet sowie für eine sichere Aufbewahrung geeignet sein und sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden. In aller Regel wird der Zustellungsadressat nur über eine Einrichtung verfügen, die diese Kriterien erfüllt, und deshalb unschwer erkennen können, welche Vorrichtung der Zusteller mit der Eintragung in der Urkunde gemeint hat, und seine Rechtsverteidigung oder -verfolgung hierauf einrichten können (BGH 10. November 2005 - III ZR 104/05 - NJW 2006, 150). Etwas Anderes macht der Beklagte auch nicht geltend.



    (b) Der fehlende Vermerk über das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Versäumnisurteils führt nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung.



    Die Vorschrift des § 180 ZPO unterscheidet zwischen der Zustellung, die gem. Satz 2 der Bestimmung durch die Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten bewirkt wird, und dem nach Satz 3 durch den Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks anzubringenden Vermerk über das Datum der Zustellung. Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht dagegen, den Vermerk als zwingende Voraussetzung einer Zustellung anzusehen. Demgemäß geht auch die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung (z. B. OLG Karlsruhe 1. August 2018 - 2 Rb8 Ss 387/18 - juris; OLG Hamburg 18. Februar 2005 - 2 Ws 5/05 - NJW 2006, 1685; OVG Schleswig 20. Dezember 2019 - 2 MB 20/19 - NJW 2020, 633; anderer Ansicht BFH 6. Mai 2014 - GrS 2/13 - DStRE 2014, 1002) und Literatur (z. B. Musielak/Voit/Wittschier ZPO 18. Aufl. § 180 Rn. 2; Zöller/Schultzky ZPO 33. Aufl. § 180 Rn. 9; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 42. Aufl. § 180 Rn. 6; Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 180 Rn. 4; anderer Ansicht PG/Tombrink ZPO 8. Aufl. § 180 Rn. 3) davon aus, dass das Fehlen des Vermerks gem. § 180 Satz 3 ZPO keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Zustellung hat.



    Zwar war § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO in der bis 30. Juni 2002 gültigen Fassung als zwingende Zustellvorschrift anerkannt, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung führte, gleichwohl aber eine Heilung des Mangels erst nach Maßgabe von § 187 ZPO in der bis 30. Juni 2002 gültigen Fassung eintrat (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes 9. November 1976 - GmS-OGB 2/75 - BGHZ 67, 355, 358), wobei diese Heilung einen tatsächlichen Zugang beim Zustellempfänger voraussetzte (vgl. Bundesverfassungsgericht 22. Juli 2020 - 1 BvR 561/19 - NVwZ 2020, 1661). Die zitierte Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe ist aber durch die Neuregelung der Zustellungsvorschriften durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz [ZustRG] vom 25. Juni 2001 - Bundesgesetzblatt I 1206) überholt. In der Begründung des Entwurfs des Zustellungsreformgesetzes wird ausgeführt (Bundestagsdrucksache 14/4554, Seite 22 zu § 182 Abs. 2 ZPO - E): "Der Zusteller hat auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, das Datum der Übergabe an den Zustellungsadressaten bzw. an einen Ersatzempfänger oder das Datum des Einlegens in einen zu der Wohnung bzw. zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder das Datum der Niederlegung zu vermerken. Dem Zustellungsadressaten soll damit ein Hinweis gegeben werden, wann eine mit der Zustellung in Gang gesetzte Frist beginnt. Dieser Hinweis ist deshalb erforderlich, weil die Zustellungsurkunde mit dem darauf vermerkten Zustellungsdatum unverzüglich an die Geschäftsstelle zurückgesendet wird. Fehlt der Vermerk des Zustellungsdatums oder weicht dieses von dem auf der Zustellungsurkunde ausgewiesenen Datum ab, ist die Zustellung dennoch wirksam. Das Gericht hat diesen Umstand aber bei der Prüfung, ob und wann das Schriftstück als zugestellt gilt, zu berücksichtigen".



    Damit hat der Bundesgesetzgeber in der Begründung des Entwurfs des Zustellungsreformgesetzes eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass ein Verstoß gegen § 180 Satz 3 ZPO die Wirksamkeit der Zustellung unberührt lässt (OLG Karlsruhe 1. August 2018 - 2 Rb8 Ss 387/18 - juris). Die Gesetzesmaterialien dokumentieren zumindest teilweise die Erwägungen des Gesetzgebers. Ihnen kommt deshalb für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption einem Gesetz zugrunde liegt, eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfG 6. Juni 2018 - 1 BvL 7/14 - 1 BvR 1375/14 - NZA 2018, 774).



    Durch den Vermerk auf dem Umschlag soll dem Empfänger lediglich nachrichtlich das Zustelldatum zur Kenntnis gebracht werden (VGH Mannheim 15. Februar 2016 - 6 S 1870/15 - BeckRS 2016, 43130; VGH München 31. Januar 2011 - 4 ZB 10.3088 - BeckRS 2011, 53048; VG München 13. Mai 2016 - M 23 K 15.180 - juris). Die Annahme der Unwirksamkeit der Zustellung bei einem Verstoß gegen § 180 Satz 3 ZPO ist zum Schutz des Zustellungsempfängers auch nicht erforderlich, denn diesem kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, falls er wegen eines fehlenden oder fehlerhaften Vermerks unverschuldet eine Frist versäumt.



    c) Es ist auch davon auszugehen, dass das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 wie in der Zustellungsurkunde vermerkt am 14. Juli 2020 in den Briefkasten an den Büroräumen des Beklagten eingelegt wurde. Dieser hat den ihm gem. § 418 Abs. 2 ZPO obliegenden Beweis der Unrichtigkeit des Zustelldatums nicht geführt. Soweit er anführt, dass entsprechend § 270 Satz 2 ZPO zu vermuten sei, dass das am 13. Juli 2020 vom Arbeitsgericht Stuttgart zur Post gegebene Schriftstück erst am zweiten Werktag nach Aufgabe zur Post und somit am 15. Juli 2020 bei ihm in O. zugegangen sei, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift des § 270 ZPO nur Schriftsätze und Erklärungen der Parteien betrifft, nicht aber Maßnahmen des Gerichts, insbesondere nicht die im vorliegenden Fall vom Gericht vorzunehmende Urteilszustellung nach § 317 ZPO (Weber/Hunke in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle ZPO 78. Aufl. § 270 Rn. 3). Überdies enthält § 270 Satz 2 ZPO nur die Fiktion, dass eine Postsendung, wozu sowohl einfache Briefe als auch Einwurf-Einschreiben zählen (OLG Stuttgart 3. August 2009 - 1 Ss 1215/09 - NStZ-RR 2010, 15), im Bereich des Ortszustellverkehrs am folgenden, im übrigen am zweiten Werktag nach Aufgabe zur Post als zugestellt gilt, sofern nicht glaubhaft gemacht wird, dass die Mitteilung nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zuging. Zu einem möglichen früheren Zustellzeitpunkt trifft § 270 Satz 2 ZPO keine Aussage (vgl. auch § 2 Nr. 3 Post-Universaldienstleistungsverordnung, wonach von den an einem Werktag eingelieferten inländischen Briefsendungen durchschnittlich mindestens 80 % am ersten und 95 % bis zum zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden müssen). Gegen eine Zustellung am 14. Juli 2020 spricht auch nicht der Umstand, dass die Rücksendung der Zustellungsurkunde an das Arbeitsgericht sechs Tage in Anspruch nahm.



    3. Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass der vom Beklagten gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 8. Juli 2020 jedenfalls unbegründet ist, weil der Beklagte nicht unverschuldet an der Einhaltung der einwöchigen Notfrist des § 59 Satz 1 ArbGG verhindert war. Insofern kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts verwiesen werden, insbesondere dass weder ersichtlich ist, in welchen "regelmäßigen" Abständen Herr M. auftragsgemäß Post abholen sollte noch wann er dies - außer am 21. Juli 2020 - tatsächlich tat. Für den Zeitraum vom 14. bis 20. Juli 2020 behauptet der Beklagte jedenfalls kein entsprechendes Tätigwerden des Herrn M., weshalb er damit rechnen musste, dass das Versäumnisurteil an jedem der in diese Zeitspanne fallenden Werktage zugestellt worden sein konnte. Dies gilt umso mehr, als er wegen Versäumung des Gütetermins am 8. Juli 2020 mit entsprechender Post rechnen musste (vgl. BAG 23. Juli 1970- 5 AZR 166/70 - NJW 1970, 1894).



    Soweit der Beklagte sich nunmehr in seiner Berufungsbegründungsschrift erstmals auf die Regelung in § 270 Satz 2 ZPO berufen hat, um eine unverschuldete Fristversäumnis zu begründen, ist dies zum einen wie bereits dargelegt inhaltlich unbehelflich und zum anderen auch verspätet. Gem. § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss der Wiedereinsetzungsantrag die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten, d. h. alle Tatsachen, die ihn stützen sollen, müssen innerhalb der Antragsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO vollständig angegeben werden (LAG Mecklenburg-Vorpommern 16. Februar 2021 - 2 Sa 203/20 - juris). Der Beklagte hat sich aber erstmals in der Berufungsbegründungsschrift auf sein Vertrauen in die Wahrung der Einspruchsfrist im Hinblick auf die Regelungen in § 270 Satz 2 ZPO berufen. Gleiches gilt bezüglich seines Berufens auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofes und ein hierdurch gewecktes Vertrauen; auch insofern ist das Nachschieben von Gründen nach Fristablauf unzulässig.



    II.



    Der im Rahmen der Berufung hilfsweise gestellte Widerklageantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen.



    C.



    I.



    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



    II.



    Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Kammer hat der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, welche Rechtsfolgen mit einem Verstoß gegen § 180 Satz 3 ZPO verbunden sind, grundsätzliche Bedeutung beigemessen.

    Oesterle
    Bohn
    Helgert

    Verkündet am 04.03.2021

    Vorschriften