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  • 19.12.2019 · IWW-Abrufnummer 213133

    Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 29.10.2019 – 5 Sa 67/19

    1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Nicht mehr angemessen ist eine Ausbildungsvergütung regelmäßig dann, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 v. H. unterschreitet.

    2. Hat der Ausbildende mit dem Auszubildenden eine zu geringe, weil nicht mehr angemessene, Vergütung vereinbart, ist diese Vereinbarung nichtig ( § 25 BBiG ). Die vertragliche Vergütungsregelung ist nicht auf den niedrigsten, eben noch zulässigen Betrag anzupassen.


    Tenor:

    1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 24.01.2019 - 6 Ca 1414/18 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    2. Die Revision wird nicht zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten über die Angemessenheit der vereinbarten Ausbildungsvergütung.



    Der im September 1997 geborene Kläger schloss am 01.06.2015 mit der Beklagten, die in C-Stadt ein Audi-Autohaus betreibt, einen Berufsausbildungsvertrag für den Zeitraum vom 01.09.2015 bis zum 28.02.2019 mit dem Ziel der Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker. Die Parteien vereinbarten bei einer regelmäßigen wöchentlichen Ausbildungszeit von 40 Stunden eine monatliche Ausbildungsvergütung in Höhe von brutto



    € 400,00 im 1. Ausbildungsjahr,



    € 435,00 im 2. Ausbildungsjahr,



    € 475,00 im 3. Ausbildungsjahr und



    € 510,00 im 4. Ausbildungsjahr.



    Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.



    Der zwischen der Tarifgemeinschaft Mitteldeutsches Kraftfahrzeuggewerbe e. V. und der IG Metall Bezirksleitung Küste abgeschlossene Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen für die Unternehmen des KFZ-Gewerbes im Land Mecklenburg-Vorpommern vom 23.06.2015, rückwirkend in Kraft getreten zum 01.06.2015, regelt unter § 2 die Ausbildungsvergütungen wie folgt:

    ... ab 01.08.2015 ab 01.08.2016 1. Ausbildungsjahr ... € 587,00 € 603,00 2. Ausbildungsjahr ... € 613,00 € 630,00 3. Ausbildungsjahr ... € 654,00 € 672,00 4. Ausbildungsjahr ... € 695,00 € 714,00



    Der ab dem 01.06.2017 gültige Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen im KFZ-Gewerbe Mecklenburg-Vorpommern legt folgende Sätze fest:

    bis 31.07.2017 ab 01.08.2017 ab 01.08.2018 1. Ausbildungsjahr € 603,00 € 633,00 € 663,00 2. Ausbildungsjahr € 630,00 € 660,00 € 690,00 3. Ausbildungsjahr € 672,00 € 702,00 € 732,00 4. Ausbildungsjahr € 714,00 € 744,00 € 774,00



    Das Ausbildungsverhältnis endete vorzeitig am 14.10.2018.



    Mit der Klage vom 18.10.2018 hat der Kläger unter Hinweis auf die Unangemessenheit der gezahlten Vergütung die Differenzbeträge zum tarifvertraglichen Ausbildungsentgelt für die Zeit vom 01.09.2015 bis zum 30.09.2018 gerichtlich eingefordert.



    Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,



    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger



    1. für den Zeitraum 01.09.2015 bis 31.08.2016 (erstes Lehrjahr) € 2.260,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz



    aus jeweils € 187,00 seit dem



    01.10.2015,



    01.11.2015,



    01.12.2015,



    01.01.2016,



    01.02.2016,



    01.03.2016,



    01.04.2016,



    01.05.2016,



    01.06.2016,



    01.07.2016 und



    01.08.2016



    sowie aus € 203,00 seit dem



    01.09.2016,



    2. für den Zeitraum 01.09.2016 bis 31.08.2017 (zweites Lehrjahr) € 2.370,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz



    aus jeweils € 195,00 seit dem



    01.10.2016,



    01.11.2016,



    01.12.2016,



    01.01.2017,



    01.02.2017,



    01.03.2017,



    01.04.2017,



    01.05.2017,



    01.06.2017,



    01.07.2017 und



    01.08.2017



    sowie aus € 225,00 seit dem



    01.09.2017,



    3. für den Zeitraum 01.09.2017 bis 31.08.2018 (drittes Lehrjahr) € 2.754,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz



    aus jeweils € 227,00 seit dem



    01.10.2017,



    01.11.2017,



    01.12.2017,



    01.01.2018,



    01.02.2018,



    01.03.2018,



    01.04.2018,



    01.05.2018,



    01.06.2018,



    01.07.2018 und



    01.09.2018



    sowie aus € 257,00 seit dem



    01.09.2018,



    4. für den Zeitraum 01. bis 30.09.2018 € 264,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.10.2018



    zu zahlen.



    Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Parteien hätten sich im Berufsausbildungsvertrag vom 01.06.2015 verbindlich über die Höhe der Ausbildungsvergütung verständigt. Verträge seien einzuhalten. Selbst wenn die gezahlte Vergütung unangemessen sei, folge daraus aber nicht, dass der Kläger 100 % der tarifvertraglich festgelegten Vergütung fordern könne. Ein Anspruch könne allenfalls in Höhe von 80 % des Tarifentgelts bestehen.



    Das Arbeitsgericht hat den Klageanträgen entsprochen. Die Beklagte sei nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) verpflichtet, Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren. Eine Ausbildungsvergütung sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr angemessen, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 v. H. unterschreite. Vereinbare der Arbeitgeber mit dem Auszubildenden eine Vergütung unterhalb dieser Schwelle, sei diese Vertragsbestimmung nach § 25 BBiG unwirksam und deshalb nicht mehr maßgeblich. An die Stelle der unwirksamen Vereinbarung trete die nach § 17 BBiG zu zahlende angemessene Vergütung. Das seien im vorliegenden Fall die Vergütungssätze aus dem Tarifvertrag über die Ausbildungsvergütungen im KFZ-Gewerbe für das Land Mecklenburg-Vorpommern.



    Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Vergütungsvereinbarung im Ausbildungsvertrag nicht gültig sei. Der Kläger habe das Vertragsangebot seinerzeit angenommen, ohne Einwendungen zu erheben. Auch angesichts der erbrachten Arbeitsleistungen sei eine höhere Vergütung nicht gerechtfertigt. Unabhängig davon schulde die Beklagte allenfalls 80 % der tarifvertraglichen Ausbildungsvergütung.



    Die Beklagte beantragt,



    das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 24.01.2019 - 6 Ca 1414/18 - abzuändern und die Klage abzuweisen.



    Der Kläger beantragt,



    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.



    Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts, die sich zutreffend auf die höchstrichterliche Rechtsprechung stütze. Gründe, hiervon abzuweichen, gebe es nicht.



    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.



    Entscheidungsgründe



    Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit der zutreffenden Begründung der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht macht sich die Ausführungen des Arbeitsgerichts vollumfänglich zu eigen. Das Arbeitsgericht hat die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausführlich wiedergegeben und auf den vorliegenden Rechtsstreit zutreffend angewandt. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine andere rechtliche Beurteilung.



    Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem einschlägigen Tarifvertrag ausrichtet, gilt stets als angemessen. Nicht mehr angemessen ist eine Ausbildungsvergütung regelmäßig dann, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 v. H. unterschreitet (BAG, Urteil vom 16. Mai 2017 - 9 AZR 377/16 - Rz. 18, juris = NZA 2017, 1129; BAG, Urteil vom 29. April 2015 - 9 AZR 108/14 - Rn. 20, juris = ZTR 2015, 663; BAG, Urteil vom 26. März 2013 - 3 AZR 89/11 - Rn. 11, juris = EzA § 17 BBiG 2005 Nr. 1).



    Eine Vereinbarung, die zuungunsten des Auszubildenden von der Vorschrift des § 17 BBiG abweicht, ist nichtig (§ 25 BBiG). Die vertragliche Vergütungsregelung ist danach insgesamt unwirksam und nicht auf den niedrigsten, eben noch zulässigen Betrag anzupassen. Eine sog. geltungserhaltende Reduktion der vertraglichen Vereinbarung bis zur Grenze dessen, was noch als angemessen anzusehen wäre, kommt nicht in Betracht (BAG, Urteil vom 19. Februar 2008 - 9 AZR 1091/06 - Rn. 50 = NZA 2008, 828; BAG, Urteil vom 25. Juli 2002 - 6 AZR 311/00 - Rn. 30, juris = EzA § 10 BBiG Nr. 9; LAG Sachsen, Urteil vom 16. November 2010 - 7 Sa 254/10 - Rn. 36, juris = LAGE § 17 BBiG 2005 Nr. 2). Das widerspräche dem Schutzzweck der Norm, da eine Anpassung der Vereinbarung auf den untersten, eben noch zulässigen Wert dem Arbeitgeber einen Anreiz böte, möglichst geringe Ausbildungsvergütungen zu vereinbaren. Weder ist die Vergütungsvereinbarung auf den niedrigsten zulässigen Betrag noch umgekehrt auf den höchsten in der Branche und im Gebiet gezahlten Betrag anzupassen. Vielmehr kann der Auszubildende im Falle einer nichtigen Vergütungsvereinbarung die angemessene Vergütung beanspruchen. Angemessen sind jedenfalls die in einem einschlägigen Tarifvertrag festgelegten Sätze.



    Die Vergütungsvereinbarung der Beklagten mit dem Kläger weicht mehr als 20 v. H. von den einschlägigen Tarifsätzen ab. Die Vereinbarung ist deshalb nichtig, sodass der Kläger die Differenzbeträge zu den tarifvertraglichen Vergütungssätzen beanspruchen kann, deren Berechnung nicht im Streit ist.



    Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB).



    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

    Vorschriften§ 17 Abs. 1 Satz 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG), § 25 BBiG, § 17 BBiG, § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB, § 97 Abs. 1 ZPO