20.07.2018 · IWW-Abrufnummer 202451
Europäischer Gerichtshof: Pressemitteilung vom 13.07.2018 – T-377/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
EuG: 
Schadensersatz für Mobbing-Opfer
Pressemitteilung Nr. 109/2018 des EuG vom 13.07.2018
Das
 Gericht der EU verurteilt das Europäische Parlament und die EIB, 
jeweils Schadensersatz in Höhe von 10 000 Euro an Bedienstete zu zahlen,
 die Opfer von Mobbing geworden sind. Das Gericht präzisiert in diesem 
Zusammenhang den Umfang seiner gerichtlichen Überprüfung im Bereich von 
Mobbing und die Pflicht der Organe, bei erwiesenem Mobbing 
Disziplinarverfahren einzuleiten.
In der 
Rechtssache T-275/17 stellte eine ehemalige Europaabgeordnete für die 
verbleibende Dauer ihres im Mai 2014 auslaufenden Mandats eine 
parlamentarische Assistentin ein. Am 07.11.2013 beantragte die 
Europaabgeordnete beim Europäischen Parlament, den Vertrag aufzulösen. 
Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass ihre Assistentin, ohne um 
Erlaubnis hierfür gebeten zu haben, entschieden habe, eine ganze Woche 
lang nicht zur Arbeit zu erscheinen. Die Europaabgeordnete gab in ihrem 
Antrag an, dass ihre Assistentin sie, als sie sie darauf angesprochen 
habe, beschimpft habe und anschließend verschwunden sei. Im Anschluss an
 die Auflösung des Vertrags durch das Parlament im Dezember 2013 stellte
 die Assistentin einen Antrag auf Beistand - wie im Statut der Beamten 
der EU vorgesehen -, weil sie Opfer von Mobbing seitens der 
Europaabgeordneten gewesen sei, das in Erniedrigungen, Drohungen, 
Geringschätzungen, Beschimpfungen und im Anschreien bestanden habe. 
Das
 Parlament wies diesen Antrag ab, da es der Auffassung war, dass sich 
die streitigen Ereignisse im Kontext von erheblichen Spannungen zwischen
 den beiden Frauen zugetragen hätten. Die Verwendung eines solchen rauen
 Umgangstons sei zwar für sich genommen bedauernswert, gleichzeitig sei 
es aber mitunter schwierig gewesen, im Kontext der stressreichen 
Arbeitsbedingungen, wie sie den parlamentarischen Tätigkeiten eigen 
seien, die Verwendung eines solchen Umgangstons zu vermeiden.
In
 der Rechtssache T-377/17 stellte die Europäische Investitionsbank (EIB)
 am 01.04.2008 eine Referentin ein. Im Anschluss an die Ankunft eines 
neuen Direktors im Oktober 2014 wurde die Dienststelle, in der die 
Referentin tätig war, umstrukturiert, und das Team, für das sie 
verantwortlich war, blieb nicht bestehen. Zwei Jahre später reichte die 
Referentin bei der EIB eine Beschwerde ein, mit der sie die Feststellung
 begehrte, dass die Verhaltensweisen des neuen Direktors ihr gegenüber 
ein Mobbing begründeten. Im Wesentlichen warf die Referentin dem neuen 
Direktor vor, ihre Karriere zu einem abrupten Ende gebracht zu haben, 
indem er sie ohne sachlichen Grund von einer Leitungsfunktion entfernt 
habe, sie angeschwärzt zu haben, sich unangemessen, aggressiv, 
geringschätzig und anschuldigend geäußert zu haben, bestimmte 
Informationen zurückgehalten zu haben, ihr kein Feedback über ihre 
beruflichen Leistungen gegeben und sie gegenüber anderen Personen 
benachteiligt zu haben. Die EIB gab der Referentin nur im Zusammenhang 
mit einigen der behaupteten Tatsachen Recht, dass sie ein Opfer von 
Mobbing gewesen sei. Sie teilte dem neuen Direktor daraufhin mit, dass 
sie im Fall einer erneuten begründeten Beschwerde gegen ihn ein 
Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten werde. Ferner forderte die EIB 
den neuen Direktor dazu auf, sich förmlich bei der Referentin für das 
ihr zugefügte Leid zu entschuldigen, und beauftragte auch die für 
Personalfragen zuständige Dienststelle, die Möglichkeiten für ein 
berufliches Coaching des neuen Direktors in Bezug auf seinen Führungs- 
und Kommunikationsstil zu prüfen. Schließlich wies die EIB die 
Referentin darauf hin, dass das Verfahren - auch in ihrem Umfeld - 
streng vertraulich bleiben müsse. Da die beiden Beschäftigten mit den 
Entscheidungen des Europäischen Parlaments bzw. der EIB unzufrieden 
waren, wandten sie sich an das Gericht der Europäischen Union, um deren 
Aufhebung zu erwirken und um Schadensersatz einzufordern.
Mit
 den Urteilen bejaht das Gericht, dass die beiden in Rede stehenden 
Beschäftigten Opfer von Mobbing waren, und verurteilt das Parlament und 
die EIB, ihnen jeweils Schadensersatz in Höhe von 10 000 Euro zu zahlen.
 Das Gericht ruft zunächst in Erinnerung (EuG, Urteil vom 29.06.2018, 
Az.: T-218/17), dass der Begriff des Mobbings ein ungebührliches 
Verhalten umfasst, das über einen längeren Zeitraum, wiederholt oder 
systematisch in Verhaltensweisen, mündlichen oder schriftlichen 
Äußerungen, Handlungen oder Gesten zum Ausdruck kommt, so dass unter 
Mobbing ein Vorgang zu verstehen ist, der notwendigerweise eine gewisse 
Zeitspanne umfasst und wiederholte oder andauernde Handlungen 
voraussetzt, die vorsätzlich und nicht zufällig sind. Darüber hinaus 
müssen diese Verhaltensweisen, mündlichen oder schriftlichen Äußerungen,
 Handlungen oder Gesten die Persönlichkeit, die Würde oder die physische
 oder psychische Integrität einer Person angreifen (T-275/17). Das 
Gericht hat hierzu klargestellt, dass es in diesem Bereich nicht 
beabsichtigt, sich auf die Überprüfung zu beschränken, ob ein 
offensichtlicher Fehler bei der Beurteilung des Sachverhalts vorliegt. 
Vielmehr ist es seine Aufgabe, im Hinblick auf die beiden oben genannten
 Voraussetzungen eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts 
vorzunehmen.
Was die Rechtssache T-275/17 
angeht, weist das Gericht zunächst darauf hin, dass die 
Europaabgeordneten ungeachtet ihres Status als Mitglieder eines Organs 
verpflichtet sind, die Würde und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu 
wahren, und stellt sodann fest, dass die von der parlamentarischen 
Assistentin behaupteten Tatsachen durch Zeugen bekräftigt werden und 
dass ihr Wahrheitsgehalt letztlich weder vom Parlament noch von der 
Europaabgeordneten in Frage gestellt wird. Der Inhalt und vor allem das 
besonders niedrige Niveau der Äußerungen der Europaabgeordneten 
gegenüber ihrer Assistentin stellen eine Herabwürdigung sowohl der 
Person der Assistentin als auch ihrer Arbeit dar. Das Verhalten der 
Europaabgeordneten ist somit offenbar missbräuchlich und kann in keiner 
Weise als eine einem Mitglied eines Unionsorgans würdige Haltung 
angesehen werden.
Die Missbräuchlichkeit der 
streitigen Verhaltensweisen der Europaabgeordneten kann auch nicht mit 
der Nähe der Beziehung zwischen ihr und ihrer Assistentin oder der 
spannungsgeladenen Atmosphäre, die im Team der für die Europaabgeordnete
 tätigen parlamentarischen Assistenten geherrscht haben soll, 
entschuldigt werden. Daraus folgt, dass das Parlament, indem es der 
Auffassung war, dass das Verhalten der Europaabgeordneten nicht 
missbräuchlich gewesen sei, einen - noch dazu offensichtlichen - Fehler 
bei der Beurteilung der Tatsachen im Hinblick auf die Definition von 
"Mobbing" begangen hat.
Hinsichtlich der 
Entschädigung weist das Gericht darauf hin, dass ein Opfer von Mobbing 
innerhalb eines Unionsorgans eine Schadensersatzforderung gegen den 
Mobber bei einem nationalen Gericht geltend machen muss, wobei die Klage
 gegebenenfalls von dem Organ, das Arbeitgeber des Opfers ist, im Rahmen
 der Beistandspflicht finanziell unterstützt werden kann. Somit spricht 
das Gericht der parlamentarischen Assistentin nur wegen der unangemessen
 langen Dauer bei der Behandlung ihres Antrags auf Beistand 
(einschließlich der Durchführung der Verwaltungsuntersuchung) 
Schadensersatz in Höhe von 10 000 Euro zu.
Was 
die Rechtssache T-377/17 angeht, stellt das Gericht zunächst fest, dass 
die EIB einen Rechtsfehler begangen hat, indem sie für das Vorliegen von
 "Mobbing" gefordert hat, dass eine Verhaltensweise, unabhängig von der 
kumulativen Wirkung der anderen behaupteten Verhaltensweisen auf das 
Selbstwertgefühl dessen, gegen den sie gerichtet sind, in der gleichen 
Weise wiederholt werden müsse. Die EIB hat nämlich nicht geprüft, ob 
jede dem neuen Direktor zur Last gelegte Verhaltensweise in Verbindung 
mit den anderen objektiv eine Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls und
 des Selbstvertrauens der Referentin nach sich ziehen konnte. Was die 
Verhaltensweisen angeht, die aus Sicht der EIB kein Mobbing begründen, 
stellt das Gericht somit fest, dass die EIB die jeweiligen 
Verhaltensweisen des neuen Direktors einer erneuten Prüfung unterziehen 
muss, um zu ermitteln, ob sie insgesamt ein Mobbing begründen.
Das
 Gericht erklärt ferner, dass die EIB, indem sie festgestellt hat, dass 
Disziplinarmaßnahmen gegen den neuen Direktor nur bei wiederholtem 
Verstoß innerhalb von drei Jahren eingeleitet würden, angesichts der 
Schwere des Falles unzureichende und ungeeignete Maßnahmen erlassen hat,
 zumindest in Bezug auf das unmittelbare Vorgehen gegen die von ihr als 
Mobbing eingestuften Verhaltensweisen. Zum einen wäre eine solche 
Sanktion für ein erwiesenes Mobbingverhalten nämlich von der 
Feststellung eines neuen vorwerfbaren Verhaltens abhängig, obwohl diese 
Feststellung gegebenenfalls von der zufälligen Entscheidung des neuen 
Opfers, eine Beschwerde aufgrund der Politik zur Würde am Arbeitsplatz 
einzureichen, abhängen würde. Zum anderen stünde diese Sanktion 
angesichts der jedem Mobbingverhalten anhaftenden Schwere nicht im 
Einklang mit den Zielen der auf die EIB anwendbaren Vorschriften im 
Bereich der Würde am Arbeitsplatz.
Schließlich 
ist das Gericht der Auffassung, dass die EIB ihre Entscheidung und das 
Entschuldigungsschreiben des neuen Direktors nicht mit einem Maß an 
Vertraulichkeit verbinden hätte dürfen, das dazu führte, der Referentin 
zu verbieten, Dritten das Vorliegen dieser Dokumente sowie deren Inhalt 
preiszugeben: Ein einem Mobbing-Opfer auferlegtes Gebot, über das 
Vorliegen solcher Tatsachen zu schweigen, würde dazu führen, dass der 
Betroffene die vom betreffenden Organ getroffenen Feststellungen nicht 
verwenden könnte, und zwar insbesondere nicht im Rahmen eines 
möglicherweise bei einem nationalen Gericht eingeleiteten Verfahrens 
gegen die Person, von der er gemobbt wurde. Eine solche Auslegung würde 
zudem mit dem Ziel kollidieren, jedes Mobbing innerhalb der Unionsorgane
 zu verhindern und zu sanktionieren, wo doch Mobbing eine Missachtung 
von Grundrechten des Arbeitnehmers begründet. Aufgrund dieser dem Opfer 
von der EIB zu Unrecht auferlegten Schweigepflicht spricht das Gericht 
der Referentin Schadensersatz in Höhe von 10 000 Euro zu.