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  • 13.10.2015 · IWW-Abrufnummer 180093

    Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Urteil vom 05.08.2013 – 10 Sa 38/13

    1. Aus der Bezeichnung einer Betriebsvereinbarung als freiwillig ergibt sich kein Verlust, ihre Nachwirkung zu vereinbaren.

    2. Die Fälligkeit einer tariflichen Sonderleistung kann durch betriebliche Übung vorgezogen werden.


    Tenor:

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 22. November 2012 - 2 Ca 307/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.



    Tatbestand



    Die Parteien streiten um die Höhe des dem Kläger zustehenden 13. Monatsentgeltes. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens einschließlich der Anträge sowie der Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 36 bis 46 d. A.) Bezug genommen.



    Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Zahlung eines höheren 13. Monatseinkommens als von der Beklagten geleistet stehe dem Kläger nicht zu, denn die Beklagte und der Betriebsrat hätten zulässigerweise von der tarifvertraglich eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Höhe durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung auf 780,00 Euro zu begrenzen. Die Betriebsvereinbarung sei zwar gekündigt gewesen, wirke jedoch nach, weil dies zulässigerweise vereinbart worden sei. Dass die Öffnungsklausel des Tarifvertrages ausdrücklich nur den Abschluss von freiwilligen Betriebsvereinbarungen zulasse, schließe die Möglichkeit nicht aus, deren Nachwirkung zu vereinbaren. Besondere Regelungen, die einer Nachwirkung entgegenstehen könnten, etwa den Ausschluss des Einigungsstellenverfahrens, enthalte die Öffnungsklausel nicht. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb freiwillige Betriebsvereinbarungen, die auf der Grundlage einer tariflichen Öffnungsklausel abgeschlossen würden, generell anders zu behandeln seien als freiwillige Betriebsvereinbarungen ohne Zusammenhang mit tariflich geregelter Rechtsmaterie. Die betroffenen Arbeitnehmer seien nicht schutzlos, denn es bestehe die Möglichkeit, gegebenenfalls mit Hilfe der Einigungsstelle, auf eine andere Regelung hinzuwirken. Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 244,00 Euro bestehe nicht. Die Beklagte habe das 13. Monatseinkommen wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers gemäß § 2 Abs. 7 des Tarifvertrages kürzen dürfen. Die Betriebsvereinbarung treffe insofern keine abweichenden Regelungen. Sie sei nicht so auszulegen, dass jedem Arbeitnehmer ein Mindestbetrag von 780 Euro zustehen solle.



    Gegen das ihm am 13. Dezember 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Januar 2013 Berufung eingelegt und diese am 11. Februar 2013 begründet.



    Die Berufung bestreitet das Vorliegen eines wirksamen Betriebsratsbeschlusses für den Abschluss der Betriebsvereinbarung einschließlich der Nachwirkungsklausel und meint: Die in der Betriebsvereinbarung geregelte Nachwirkung sei nicht mehr von der Erlaubnis der Tarifvertragsparteien gedeckt. Die Worte "freiwillige Betriebsvereinbarung" in der tariflichen Öffnungsklausel untersagten es den Betriebsparteien, die Betriebsvereinbarung mit einer Nachwirkung zu versehen. Der Betriebsrat habe nicht gezwungen werden sollen, zu Lasten der Arbeitnehmer auf tarifvertragliche Leistungen länger zu verzichten als in der Betriebsvereinbarung vorgesehen.



    Der Kläger beantragt,



    das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 22. November 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 457,85 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.



    Die Beklagte beantragt,



    die Berufung zurückzuweisen.



    Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 15. April 2013 und meint, der Tarifvertrag enthalte keine Einschränkung in Bezug auf den Abschluss einer Betriebsvereinbarung nebst Nachwirkungsklausel. Es bestehe auch kein Erfordernis für ein entsprechendes Verbot, weil der Inhalt der Betriebsvereinbarung nicht einseitig vom Arbeitgeber festgelegt werde. Die Nachwirkung sei erst durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs mit Ablauf des 27. November 2012 beendet worden. Im Übrigen wäre der Anspruch des Klägers auch verfallen. Die tarifliche Ausschlussfrist von zwei Monaten sei nicht eingehalten worden. Nach den tariflichen Bestimmungen sei die Forderung zur Hälfte mit den Arbeitsentgelten für November 2011 und für April 2012 fällig gewesen, mithin am 15. Dezember 2011 und am 15. Mai 2012. Die Beklagte habe jedoch stets den Gesamtbetrag mit dem Novemberentgelt ausgezahlt. Durch betriebliche Übung sei mithin die Fälligkeit vorgezogen worden. Die Geltendmachung im Juni 2012 sei also zu spät erfolgt.



    Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.



    Entscheidungsgründe



    Die Berufung bleibt erfolglos.



    I.



    Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist von diesem fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 und 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO) und damit insgesamt zulässig.



    II.



    Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Anspruch ist zum einen durch die nachwirkende freiwillige Betriebsvereinbarung ausgeschlossen und wäre zum anderen verfallen.



    1.



    Die Betriebsvereinbarung über die Höhe des 13. Monatseinkommens vom 26. November 2008 beschränkt den Anspruch kraft der in § 3 Ziffer 3. geregelten Nachwirkung auf den bereits gezahlten Betrag, so dass der streitbefangene, darüber hinaus gehende Anspruch nicht besteht.



    a)



    Soweit die Berufung bestreitet, dass der Betriebsrat seinen Vorsitzenden zum Abschluss der Betriebsvereinbarung nebst Nachwirkungsklausel ermächtigt habe, ist dies unbehelflich. Zwar sind Vereinbarungen, die der Betriebsratsvorsitzende mit dem Arbeitgeber ohne entsprechenden Beschluss des Betriebsratsgremiums trifft, schwebend unwirksam (BAG 10.10.2007 - 7 ABR 51/06 - BAGE 124, 188 = EzA BetrVG 2001 § 26 Nr. 2 = AP BetrVG 1972 § 26 Nr. 17). Jedoch spricht eine gesetzliche Vermutung dafür, der Vorsitzende habe aufgrund und im Rahmen eines ordnungsgemäßen Beschlusses gehandelt (BAG 24.02.2000 - 8 AZR 180/99 - EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 7 = AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 7; 17.02.1981 - 1 AZR 290/78 - EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 21 = AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 11). Die Darlegungs- und Beweislast liegt also gemäß § 292 ZPO bei demjenigen, der ein unbefugtes Handeln des Betriebsratsvorsitzenden geltend macht (BAG 24.02.2000 - 8 AZR 180/99 - aaO.). Umstände, die hierauf hindeuten, hat der Kläger aber weder dargelegt noch unter Beweis gestellt.



    b)



    Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen für das Jahr 2011 auf den von der Beklagten bereits gezahlten Betrag beschränkt wurde. Das Berufungsgericht macht sich nach eigener Prüfung die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zu eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen. Der Regelung des Tarifvertrages lässt sich eine Einschränkung des Inhalts, dass die Betriebsvereinbarung im Falle der Kündigung eine Nachwirkung nicht vorsehen dürfe, nicht entnehmen.



    aa)



    Der Wortlaut der einschlägigen tariflichen Regelungen, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (vgl. BAG 14.09.2011 - 10 AZR 358/10 - NZA 2011, 1358; 23.02.2011 - 10 AZR 299/10 - ZTR 2011, 491; 24. Februar 2010 - 10 AZR 1035/08 - AP TVG § 1 Auslegung Nr. 220), stützt die Auslegung des Klägers nicht. Allein der Bezeichnung der erlaubten Betriebsvereinbarung als freiwillig lässt sich kein Verbot entnehmen, ihre Nachwirkung zu vereinbaren. Die Nachwirkungsklausel ist vorliegend ebenso "freiwillig" zustande gekommen wie die anderen Normen der Betriebsvereinbarung. Die Formulierung im Tarifvertrag sollte wohl verdeutlichen, dass Arbeitgeber und Betriebsrat den Abschluss einer solchen Betriebsvereinbarung, sei sie günstiger oder ungünstiger als die tarifliche Regelung, nicht erzwingen können. Ein darüber hinausreichender Bedeutungsgehalt lässt sich dem Wortlaute nicht entnehmen.



    bb)



    Die Systematik der Tarifregelung spricht gegen die Auslegung der Öffnungsklausel im Sinne des Klägers. Für den Fall, dass kein Betriebsrat besteht, gestattet der Tarifvertrag es sogar, verschlechternde Regelungen einzelvertraglich zu vereinbaren. Abweichende Regelungen sind also auch an anderer Stelle keinen starken Restriktionen unterworfen.



    cc)



    Sinn und Zweck der Öffnungsklausel sprechen ebenfalls nicht dagegen, dass den Betriebsparteien die Möglichkeit eingeräumt ist, ihre Betriebsvereinbarung im Falle der Kündigung nachwirken zu lassen. Die Argumente der von der Berufung angezogenen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm (18.08.2006 - 10 TaBV 13/06) treffen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Dass der Arbeitgeber mittels des Betriebsverfassungsrechts nicht gezwungen werden könne, eine freiwillige Leistung länger zu erbringen, als dies aufgrund der in der Betriebsvereinbarung selbst eingegangenen Bindung vorgesehen sei, stellt vorliegend kein Problem dar. Die Betriebsvereinbarung, deren Nachwirkung vereinbart wurde, sieht eine Kürzung, nicht eine Erweiterung der Leistung im Vergleich zur tariflichen Regelung vor. Anders als von der Berufung vorgetragen, kann dieses Argument auch nicht mit umgekehrten Vorzeichen auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden. Die Kürzung des 13. Monatsentgelts im Vergleich zum tariflichen Anspruch ist keine "freiwillige Leistung" des Betriebsrats oder der einzelnen Arbeitnehmer. Mithin ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Betriebsrat nicht freiwillig eine Nachwirkungsvereinbarung wie die hier vorliegende eingehen können sollte.



    Auch das weitere Argument des Landesarbeitsgerichts Hamm, durch den Ausschluss des Einigungsstellenverfahrens werde verhindert, dass bei Scheitern der Verhandlungen über eine Neuregelung eine verbindliche Entscheidung herbeigeführt werden könne, greift hier nicht durch. Das Einigungsstellenverfahren ist nicht ausgeschlossen; dies zeigt schon der Umstand, dass die Betriebsparteien vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen zum Aktenzeichen 1 TaBV 104/12 ein Verfahren nach § 98 ArbGG führten und durch Vergleich in der Weise beendeten, dass sie die Nachwirkung einvernehmlich zum 27. November 2012 aufhoben.



    dd)



    Da Wortlaut, systematischer Zusammenhang und sonstige Auslegungsgesichtspunkte zu einem zweifelsfreien Ergebnis führen, bedurfte es keiner Einholung einer Tarifauskunft (vgl. BAG 14.09.2011 - 10 AZR 358/10 - NZA 2011, 1358; 22.04.2010 - 6 AZR 962/08 - ZTR 2010, 417; 04.12.2002 - 10 AZR 138/02 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 245 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 3). Eine Tarifauskunft darf zudem nicht auf die Beantwortung der prozessentscheidenden Rechtsfrage gerichtet sein (BAG 24.02. 2010 - 10 AZR 40/09; 18.08.1999 - 4 AZR 247/98 - BAGE 92, 229).



    c)



    Ebenfalls zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Möglichkeit, das 13. Monatseinkommen gemäß § 2 Abs. 7 des Tarifvertrages für krankheitsbedingte Ausfalltage zu kürzen, durch die Betriebsvereinbarung nicht abbedungen ist. Diese nimmt ausdrücklich nur auf § 2 Abs. 1 Unterabs. 2 des Tarifvertrages Bezug, wonach der Mindestbetrag 780 Euro beträgt, nicht jedoch auf die Kürzungsmöglichkeiten der Folgeabsätze. Diese sollten folglich unberührt bleiben. Da die Berufung sich zu den diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht verhält, verweist das Berufungsgericht nach eigener Prüfung auf sie (§ 69 Abs. 2 ArbGG).



    2.



    Im Übrigen wäre der geltend gemachte Anspruch auch verfallen.



    a)



    Gemäß § 14 Abs. 1 des allgemeinverbindlichen BRTV-Bau verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. In Anwendung von § 6 Abs. 1 des Tarifvertrages über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe wäre der Anspruch für das Jahr 2011 je zur Hälfte am 15. Dezember 2011 und am 15. Mai 2012 fällig gewesen. Die Geltendmachung erfolgte im Juni 2012.



    b)



    Danach wäre für den streitgegenständlichen Teilbetrag die Ausschlussfrist zwar eingehalten, weil der Anspruch im Juni 2012 geltend gemacht wurde. Der Anspruch wäre jedoch im Falle seines Bestehens aufgrund betrieblicher Übung schon am 15. Dezember 2011 fällig gewesen und damit im Zeitpunkt seiner Geltendmachung bereits verfallen.



    Zwischen den Parteien ist außer Streit, dass die Beklagte seit jeher das gesamte 13. Monatseinkommen in Gänze mit der Vergütung für den November, also spätestens am 15. Dezember eines Kalenderjahres, auszahlt. Dadurch ist die Fälligkeit der zweiten Hälfte des 13. Monatseinkommens durch betriebliche Übung vorgezogen worden (vgl. LAG Schleswig-Holstein, 07.01.2009 - 6 Sa 189/08). Dies verstößt nicht gegen das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG. Durch vorzeitige Fälligkeit werden die Arbeitnehmer ausschließlich besser gestellt (LAG Schleswig-Holstein ibid.). Mithin hätte der Anspruch spätestens am 15. Februar 2012 schriftlich geltend gemacht werden müssen; dies ist unstreitig nicht geschehen.



    III.



    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.



    IV.



    Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

    Vorschriften§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG, § 66 Abs. 1, §§ 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO, § 292 ZPO, § 69 Abs. 2 ArbGG, § 98 ArbGG, § 4 Abs. 3 TVG, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG