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  • · Fachbeitrag · Sonderthema: Personenbedingte Kündigung

    Die wichtigsten Fragen zur krankheitsbedingten Kündigung

    von VRiLAG Dr. Wilfried Berkowsky, Halle

    | Im vorherigen Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ haben wir über die wichtigsten Fragen zu diesem Thema berichtet. Im folgenden Beitrag geht es um den Hauptanwendungsfall der personenbedingten Kündigung: die sog. krankheitsbedingte Kündigung. Er gibt einen Überblick zu den wichtigsten Fragen. |

    1. Wie sind die Erfolgsaussichten?

    Dieser Begriff umfasst alle Fallgestaltungen, in denen eine Erkrankung des ArbN und der hierdurch verursachte Ausfall der Arbeitskraft das entscheidende Motiv für den ArbG ist, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Diese Kündigungsart verursacht oft erhebliche prozessuale Probleme. So nennt Schiefer (in Anm. zu BAG AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969) einen Prozess um eine krankheitsbedingte Kündigung „Glücksspiel bzw. Vabanque-Spiel“. Die Erfolgsaussichten, so Schiefer, ließen sich kaum einschätzen. Daher ist die Kenntnis der Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung notwendig, um solche Kündigungsschutzprozesse mit einiger Aussicht auf Erfolg führen zu können.

    2. Wann kann gekündigt werden?

    In der betrieblichen Praxis ist die Vorstellung weit verbreitet, während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit dürfe nicht gekündigt werden. Hierbei handelt es sich um ein fundamentales Missverständnis, das immer wieder zu Irritationen führt. Dabei folgt aus der geltenden Gesetzeslage, dass ein solches Kündigungshindernis nicht besteht. Nach § 8 EFZG wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nämlich dadurch nicht berührt, dass der ArbG das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Damit setzt der Gesetzgeber als selbstverständlich voraus, dass ein Arbeitsverhältnis auch während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gekündigt werden kann.

     

    Vor allem, wenn das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil etwa die sechsmonatige Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht erfüllt ist oder aber der Beschäftigungsbetrieb ein Kleinbetrieb i.S.v. § 23 Abs. 1 KSchG mit weniger als 10 ArbN ist, führt der Umstand, dass der gekündigte ArbN gerade arbeitsunfähig krank ist, nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

    3. Ist die Krankheit als solche ein Kündigungsgrund?

    Allerdings ist umgekehrt darauf hinzuweisen, dass Krankheit als solche kein Kündigungsgrund ist. Ein ArbG kann deshalb eine Kündigung vor dem Arbeitsgericht nicht mit dem schlichten Hinweis rechtfertigen, dass der ArbN arbeitsunfähig erkrankt sei. Es müssen eine Reihe weiterer Kriterien erfüllt sein, damit eine solche Kündigung als sozial gerechtfertigt anzuerkennen ist.

     

    4. Was ist der eigentliche Grund für die Kündigungsmöglichkeit?

    Die krankheitsbedingte Kündigung ist eine fehlzeitbedingte Kündigung. Eine Arbeitsunfähigkeit des ArbN führt nämlich zu einer Vakanz des Arbeitsplatzes, die ihrerseits betriebliche Störungen bedingen kann. Letztlich liegt der Grund für die Zulässigkeit krankheitsbedingter Kündigungen in den betrieblichen Störungen, die durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten hervorgerufen werden. Fehlt es im Einzelfall an solchen betrieblichen Störungen, wäre eine krankheitsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt (LAG Köln 31.3.11, 6 Sa 1433/10).

    5. Welche Bedeutung hat die Fehlzeitenprognose?

    Die krankheitsbedingte Kündigung ist, wie grundsätzlich jede Kündigung, zukunftsbezogen. Sie ist keine Sanktion für vergangenheitsbezogene Umstände. Vielmehr will sie künftigen Störungen des Verhältnisses zwischen Arbeitsleistung und Entgelt vorbeugen. Deshalb ist nicht entscheidend, welche Krankheitszeiten der ArbN in der Vergangenheit aufzuweisen hatte. Vielmehr kommt es darauf an, ob der ArbN auch künftig Fehlzeiten in einem solchen Umfang aufweisen wird, dass infolgedessen mit (weiteren) erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu rechnen ist. Dies ist anhand tragfähiger Indizien festzustellen (hierzu BAG NZA 11, 1084; NZA 11, 39).

    6. Wie muss die Fehlzeitenprognose begründet werden?

    Der ArbG ist aber mangels hellseherischer Fähigkeiten nicht in der Lage, die künftig zu erwartenden Fehlzeiten des ArbN substanziiert darzulegen. Daher lässt es das BAG zu, dass der ArbG seine Kündigung zunächst auf die bekannten vergangenheitsbezogenen Fehlzeiten stützt, um die Prognose entsprechender künftiger Fehlzeiten begründen zu können. Das gilt aber nur, wenn aus der Art der Erkrankung der Schluss gezogen werden kann, dass Fehlzeiten auch künftig auftreten werden. Ist dies nicht der Fall, sind die früheren Erkrankungen nicht geeignet, die erforderliche Fehlzeitenprognose zu begründen.

    • Beispiel

    So kann z.B. selbst ein schwer heilender Beinbruch nicht als Indiz dafür gelten, dass der betreffende ArbN auch künftig immer wieder an solchen Erkrankungen leiden wird. Anders aber könnte es sein, wenn der betreffende ArbN trotz mehrfacher früherer Beinbrüche, die jeweils auf Skiunfällen beruhen, stets wieder Ski fährt und hierbei des Öfteren zu verunglücken pflegt (Wiederholungsgefahr).

    7. Wann ist eine Betriebsstörung kündigungsrelevant?

    Die krankheitsbedingten Fehlzeiten des ArbN müssen zu betrieblichen oder wirtschaftlichen Störungen führen. Diese können betrieblich (etwa erhebliche Betriebsablaufstörungen, weil die Arbeitskraft des ArbN längere Zeit ausfällt) oder wirtschaftlich bedingt sein (der ArbG muss etwa unzumutbare Entgeltfortzahlungskosten leisten). Dies ist z.B. bei Kurzerkrankungen erst der Fall, wenn der 6-Wochen-Zeitraum der Entgeltfortzahlung im Jahr überschritten ist.

    8. Was muss bei der Interessenabwägung beachtet werden?

    Wie stets im Kündigungsrecht ist auch bei krankheitsbedingten Kündigungen eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen (BAG NZA 11, 39). Dabei sind die Interessen des ArbG an der alsbaldigen Wiederbesetzung des vakanten Arbeitsplatzes bzw. die Vermeidung ständiger Arbeitsausfälle oder an der Vermeidung überdurchschnittlich hoher Entgeltfortzahlungskosten gegen das Weiterbeschäftigungsinteresse des ArbN abzuwägen. Dies sind inkommensurable Größen, die ein erhebliches Prozessrisiko des kündigenden ArbG darstellen. Die sich hieraus ergebenden Unwägbarkeiten sind auch für den erfahrenen Praktiker nur schwer zu beherrschen.

    9. Was gilt bei der Betriebsratsbeteiligung?

    Die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG ist sorgfältig vorzunehmen. Denn Umstände, die der ArbG dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren nicht mitteilt, werden im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt! Vor allem ist stets zu beachten, dass es hier um die Begründung einer Prognose geht! Es ist daher darauf zu achten, dass dem Betriebsrat alle auch noch so unbedeutend erscheinenden Fakten unterbreitet werden, die in ihrer Gesamtschau zum einen die negative Fehlzeitenprognose begründen können. Dies gilt zum anderen für die Umstände, die die betrieblichen Störungen bedingen. Schließlich sind auch alle die Umstände mitzuteilen, die im Rahmen der Interessenabwägung für die eine, aber auch für die andere Partei sprechen könnten. Letzteres ist besonders bedeutsam, weil der kündigende ArbG damit rechnen muss, dass sich der ArbN darauf beruft, der ArbG habe dem Betriebsrat nicht alle für die notwendige Interessenabwägung relevanten Fakten mitgeteilt.

    10. Was gilt für das BEM?

    Es gelten hier die im letzten Newsletter unter 7. dargestellten Punkte.

     

    Checkliste / Sachvortrag des ArbG bei krankheitsbedingter Kündigung

    Die Verteidigung einer krankheitsbedingten Kündigung im Kündigungsschutzprozess ist für ArbG eine mit erheblichem Risiko behaftete Tätigkeit. Es ist in der Regel ein hochkomplexes Verfahren, dessen Ausgang nur schwer zu prognostizieren ist. Im Rahmen des Prozessvortrags sind insbesondere folgende Punkte zu beachten:

     

    • Kündigungsgrund: Die Prüfung der krankheitsbedingten Kündigung ist zukunftsbezogen. Der ArbG muss daher anhand konkreter Fakten darlegen, dass mit künftigen erheblichen Fehlzeiten des gekündigten ArbN zu rechnen ist.
    • Betriebliche Auswirkungen: Die prognostizierten Fehlzeiten müssen zu erheblichen negativen betrieblichen oder finanziellen (Entgeltfortzahlungskosten!) Auswirkungen führen.
    • Interessenabwägung: Der ArbG muss anhand von Fakten belegen, dass sein Interesse an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des ArbN an dessen Fortführung überwiegt.
    • Betriebsratsanhörung: Dem Betriebsrat sind im Rahmen des § 102 BetrVG alle i.d.S. relevanten Fakten darzulegen. Sonst läuft der ArbG Gefahr, dass nicht mitgeteilte Fakten vom Arbeitsgericht nicht berücksichtigt werden.
    • BEM: Ist nach § 84 Abs. 1 SBG IX stets vor einer krankheitsbedingten Kündigung durchzuführen. Ein Verstoß führt zu einer erhöhten Darlegungs- und Beweislast des ArbG.
     

    Weiterführender Hinweis

    • Im nächsten Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ beantworten wir die wichtigsten Fragen zu lang anhaltenden Krankheiten als Kündigungsgrund.
    Quelle: ID 43313399