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  • · Fachbeitrag · Prozessfähigkeit

    Die Beweislast bei Zweifeln an der Prozessfähigkeit aufgrund von sogenanntem „Querulantenwahn“

    von Ass. jur. Petra Wronewitz, Bonn

    | Liegen Zweifel an der Prozessfähigkeit aufgrund eines sogenannten Querulantenwahns vor und wirkt der Kläger nicht an der Feststellung seiner Prozessfähigkeit mit, folgt daraus, dass insoweit nach Beweislast zu entscheiden ist. Damit ist von der Prozessunfähigkeit des Klägers auszugehen. |

     

    Sachverhalt

    Das beklagte Unternehmen schrieb ein Stellengesuch für einen Software Entwickler/in JEE aus. Die Bewerberin, eine Frau aus Russland, bewarb sich online mit dem zur Verfügung gestellten Formular. Das Unternehmen sagte ihr ab. Daraufhin erhob die abgelehnte Bewerberin fristgerecht Klage vor dem Arbeitsgericht und machte Ansprüche nach dem AGG geltend. Sie verlangte eine Entschädigung in Höhe von 14.000 EUR, weil sie die fachlichen Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle erfülle und sich zudem ernsthaft beworben habe. Ihre Nichtberücksichtigung durch das Unternehmen benachteilige sie mehrfach wegen ihres Alters, ihres Geschlechts und ihrer russischen Herkunft. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, weil die Frau für die Stelle nicht geeignet sei.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Berufung hat keinen Erfolg, weil die Prozessfähigkeit der Bewerberin und damit eine wesentliche Prozessvoraussetzung nicht festgestellt werden kann (LAG Hamburg, 9.8.17, 3 Sa 50/16, Abruf-Nr. 196170). Das mögliche Fehlen der Prozessfähigkeit ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Verbleiben trotz Erschöpfung sämtlicher Erkenntnisquellen hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit, gehen nach ständiger Rechtsprechung etwa noch vorhandene Zweifel zulasten der betroffenen Partei.

     

    Es liegen ausreichend Anhaltspunkte dafür vor, dass bei der abgelehnten Bewerberin eine wahnhafte Entwicklung im Sinne eines sogenannten Querulantenwahns vorliegt. Dieser ist ein dauerhafter, die freie Willensbestimmung ausschließender, Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit hinsichtlich der Führung von Rechtsstreitigkeiten.

     

    Die Frau führte allein am LAG Hamburg seit 2007 mehrere hundert Rechtsmittelverfahren oder Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren, überwiegend ohne Erfolg. Gegenstand der Verfahren waren stets von ihr angenommene Diskriminierungen in Einstellungsverfahren. Kennzeichnend für die Verfahrensführung der Frau ist, dass sie gerichtliche Entscheidungen auf keinen Fall zu akzeptieren bereit ist, regelmäßig Richter als befangen ablehnt und meint, sich gegen nachteilige gerichtliche Entscheidungen durch Anhörungsrügen wehren zu müssen, ohne dass diese Erfolg haben.

     

    Als weiteren Beleg für die mangelnde Steuerungsfähigkeit führt das Gericht an, dass sich die Frau mit ihrem Verhalten massiv selbst wirtschaftlich schädigt. Mittlerweile sind durch die Prozesse Gerichts-und Anwaltskosten in einer die wirtschaftliche Existenz der Frau bedrohenden Höhe entstanden. Sie hatte alleine gegenüber der Gerichtskasse Hamburg mit Stand vom 3.7.17 Verbindlichkeiten von 115.389,11 EUR.

     

    Die Zweifel der Kammer an der Prozessfähigkeit der Klägerin sind durch ein vom Arbeitsgericht Hamburg im Verfahren 29 Ca 63/16 eingeholtes ärztliches Gutachten bestätigt worden. Darin wird eine Prozessfähigkeit bis auf Weiteres verneint. Diese gutachterliche Stellungnahme ist im vorliegenden Verfahren verwendbar, da sie relevante Aussagen zur entscheidungserheblichen Frage der Prozessfähigkeit trifft.

     

    Die Frau hätte die Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit ausräumen und sich erneut begutachten lassen können. Sie weigerte sich jedoch. Die fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung an der Feststellung ihrer Prozessfähigkeit hat zur Folge, dass bezüglich der Prozessfähigkeit nach der Beweislast zu entscheiden und von der Prozessunfähigkeit auszugehen war.

     

    Relevanz für die Praxis

    In der Praxis kommt es häufig vor, dass sogenannte AGG-Hopper versuchen, für sich einen Vorteil aus dem AGG zu ziehen, indem sie wegen einer vermeintlichen Diskriminierung mittels einer nicht ernsthaften Bewerbung finanzielle Entschädigungen einklagen. Seit seinem rund elfjährigen Bestehen liefert das AGG immer wieder auch berechtigte Gründe zur prozessualen Auseinandersetzung.

     

    • Übersicht: Die wichtigsten aktuellen Urteile zum AGG

    BAG

     26.1.17, 8 AZR 73/16

    Abruf-Nr. 193786

    Wer eine Entschädigung wegen nicht benachteiligungsfreier Bewerberauswahl aufgrund seines Alters verlangt, muss Indizien vortragen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem Merkmal „Alter“ nach § 1 AGG der erforderliche Kausalzusammenhang besteht.

    LAG Hamburg

     19.2.14, 3 Sa 39/13

    Abruf-Nr. 171533

    Hat eine Bewerberin denselben ArbG bereits in mehreren Prozessen erfolglos auf Entschädigungszahlungen aufgrund von Einstellungsdiskriminierung verklagt und ist sie ihm darüber hinaus die Erstattung von Prozesskosten aus den Vorprozessen schuldig geblieben, kann sie nicht im Ernst davon ausgehen, bei einer erneuten Stellenausschreibung dieses ArbG berücksichtigt zu werden. Werden bundesweit von dieser Bewerberin Prozesse gegen weitere ArbG wegen Einstellungsdiskriminierung geführt, deutet das darauf hin, dass sie nicht ernsthaft an einem Arbeitsplatz interessiert ist.

    LAG Rheinland-Pfalz

    27.3.17, 3 Sa 487/16Abruf-Nr. 196663

    Der Ausdruck „Bürofee“ bezieht sich sowohl auf männliche als auch weibliche Bewerber. Zudem sind weitere Umstände heranzuziehen, wenn eine Stellenausschreibung als diskriminierend bezeichnet wird.

    BAG

     27.4.17, 6 AZR 119/16

    Abruf-Nr. 195700

    Liegt die altersdiskriminierende Wirkung einer Regelung nur in einer Altersstaffelung, führt dies dazu, dass nun alle ArbN die Vorteile genießen wie die Angehörigen der privilegierten Gruppe.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2018 | Seite 23 | ID 45057910