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  • · Fachbeitrag · Verteilung der Arbeitszeit

    Anspruch einer Krankenschwester auf Nichteinteilung in Nachtschichten

    von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen

    | Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden (BAG 9.4.14, 10 AZR 637/13, Abruf-Nr. 141172 ). |

     

    Sachverhalt

    Die ArbN ist als Krankenschwester beim ArbG angestellt, welcher ein Krankenhaus mit ca. 2.000 Mitarbeitern betreibt. Sie ist dort seit 1983 im Schichtdienst beschäftigt und arbeitsvertraglich im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten verpflichtet, Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht- und Schichtarbeit zu leisten. Im Rahmen bestehender Betriebsvereinbarungen erfolgt die Verteilung der entsprechenden Schichten im Rahmen einer gleichmäßigen Planung für die Beschäftigten.

     

    Im Rahmen eines arbeitsmedizinischen Attests wurde festgestellt, dass die ArbN aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, Nachtdienste zu leisten, weil sie medikamentös behandelt wird.

     

    Der Pflegedirektor des ArbG schickte nach Erhalt der medizinischen Bescheinigung die ArbN nach Hause, weil sie aufgrund der Nachtdienstuntauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die ArbN bot ihre Arbeitsleistung jedoch auch weiterhin ausdrücklich unter Ausnahme von Nachtdiensten an. Der ArbG beschäftigte sie indes nicht, sodass die ArbN ihren Beschäftigungs- und Entgeltanspruch gerichtlich geltend machte. Die hierauf gerichtete Klage der ArbN war in allen Instanzen erfolgreich.

     

    Entscheidungsgründe

    Der ArbG habe sich in Annahmeverzug befunden, so der 10. Senat des BAG. Die ArbN sei weder arbeitsunfähig krank gewesen, noch sei ihr die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich geworden. Sie könne alle vertraglich geschuldeten Leistungen erfüllen. Eine arbeitsmedizinische Bescheinigung zur Untauglichkeit für Nachtarbeit sei keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

     

    Die Einschränkung hinsichtlich der Nachtarbeit sei seitens des ArbG bei der Schichteinteilung zu berücksichtigen. Dringende betriebliche Erfordernisse, die einem Einsatz auf einem Tagesarbeitsplatz entgegenstehen, seien nicht ersichtlich gewesen.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung des BAG bestätigt die bisherige gerichtliche Linie. Der Argumentation des ArbG ist das BAG erwartungsgemäß nicht gefolgt.

     

    Die Entscheidung bestätigt, was sich schon aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 4 ArbZG herleiten lässt. Ist ein ArbN aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, Nachtarbeit zu leisten, hat dies keine Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zur Folge. Hieraus erwächst vielmehr ein Anspruch des ArbN auf Umsetzung auf einen Arbeitsplatz in der Tagschicht.

     

    Nach § 6 Abs. 4 S. 1 a ArbZG hat der ArbG den ArbN in der Nachtschicht auf dessen Verlangen auf einen geeigneten Tagesarbeitsplatz zu versetzen, wenn nach arbeitsmedizinischer Feststellung die weitere Verrichtung von Nachtarbeit den ArbN in seiner Gesundheit gefährdet. Dies gilt nur dann nicht, wenn dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen. Diese können sich aus einer Unzumutbarkeit der Umsetzung für den Betrieb ergeben. Die Schwelle der Unzumutbarkeit ist jedoch stark vom Einzelfall abhängig, sodass es umfangreicher richterlicher Ausformung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs bedarf. Erforderlich ist stets eine umfassende Interessenabwägung zwischen den Belangen des ArbG und denen des ArbN.

     

    In einem Betrieb mit einer so hohen Mitarbeiterzahl wie im hier streitgegenständlichen Verfahren ist es kaum vorstellbar, dass es im Rahmen der tatsächlichen Schichteinteilung unzumutbare Hindernisse für eine Berücksichtigung der gesundheitlichen Belange der ArbN gibt. Lehnt der ArbG eine Umsetzung auf einen Tagesarbeitsplatz aufgrund dringender betrieblicher Gründe ab, muss er seine überwiegenden Interessen umfassend darlegen. Dies ist bei einer Vielzahl von austauschbaren Arbeitsplätzen und ArbN kaum möglich.

     

    Der Parteivertreter auf Arbeitgeberseite sollte seinen Mandanten ausdrücklich auf das Risiko hinweisen, bei Ablehnung einer Umsetzung des/der betroffenen ArbN die Vergütung aus dem Aspekt des Annahmeverzugs nach §§ 615, 293 ff. BGB gleichwohl zahlen zu müssen. Der Verlust der Fähigkeit, zu bestimmten Zeiten tätig zu werden, führt nämlich weder zu einer Arbeitsunfähigkeit des/der ArbN noch zu einem Wegfall der Vergütungspflicht.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Praxistest: Arbeitsunfähigkeit und deren Bescheinigung in AA 14, 68
    • Vorlage einer AUB am ersten Krankheitstag: BAG in AA 13, 8
    • Annahmeverzug bei Kündigung mit falsch berechneter Kündigungsfrist: BAG in AA 13, 183
    • Verzugslohn und Geltendmachung durch Bestandsschutzklage: BAG in AA 13, 56
    • Kein Verzugslohn trotz Zuweisung einer nicht vertragsgemäßen Arbeit: BAG in AA 12, 112
    • ArbN muss Indizien für fehlenden Leistungswillen erschüttern: BAG in AA 12, 152
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 96 | ID 42698294