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  • · Fachbeitrag · Befristung

    Kompetenzförderung begründet Befristung

    von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule Bremen

    | Die Zulässigkeit der Befristung des Arbeitsvertrags mit wissenschaftlichem oder künstlerischem Personal setzt neben der Einhaltung einer Höchstbefristungsdauer voraus, dass die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifikation erfolgt. Das ist der Fall, wenn mit der befristeten Tätigkeit eine wissenschaftliche/künstlerische Kompetenz gefördert wird, die in irgendeiner Form zu einer beruflichen Karriere auch außerhalb der Hochschule befähigt. |

     

    Sachverhalt

    Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung. Die ArbN ist Mutter zweier Kinder. Sie war gut neun Jahre auf der Grundlage von fünf mit der beklagten Bundesrepublik geschlossenen befristeten Arbeitsverträgen bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (Forschungseinrichtung) beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung befristet bis zum Ende des Jahres 2019 nach den Vorschriften des WissZeitVG. Die Tätigkeit der ArbN war zur Hälfte auf die Betreuung und Bearbeitung von Forschungsaufgaben des Betonstraßenbaus, zu 30 Prozent auf die konzeptionelle Planung und Betreuung exponentieller Versuchsreihen und zu 20 Prozent auf die Mitarbeit in nationalen und internationalen Gremien gerichtet. Darüber hinaus wurden Qualifizierungsziele für sie vereinbart. Diese sollten neben der fachlichen Qualifizierung auch dazu führen, wissenschaftliche Kompetenzen zu erlangen.

     

    Die ArbN hält die Befristung für unwirksam und begehrt die Entfristung des Arbeitsverhältnisses. Der ArbG meint, die Befristung sei nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG gerechtfertigt. Die ArbN gehöre zum wissenschaftlichen Personal; die von ihr geschuldete fachliche Bearbeitung diene auch dem Ziel, ihre persönliche wissenschaftliche Qualifikation zu fördern. Das LAG Köln (7.10.20, 5 Sa 451/20) gab der Entfristungsklage statt.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Revision des ArbG vor dem BAG (2.2.22, 7 AZR 573/20, Abruf-Nr. 229283) war erfolgreich. Die Befristung sei nach den § 2 Abs. 1, § 5 WissZeitVG gerechtfertigt. Der ArbG sei eine Forschungseinrichtung und die ArbN zähle zum wissenschaftlichen Personal. Es sei unschädlich, dass sie neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auch Arbeiten administrativer Art geschuldet habe, da der Schwerpunkt mit rund 80 Prozent der Arbeitszeit bei wissenschaftlichen Tätigkeiten gelegen habe. Die zulässige Höchstbefristungsdauer sei ebenfalls nicht überschritten. Wegen der unstreitigen Betreuung der beiden Kinder habe sich die insgesamt zulässige Befristungsdauer auf zehn Jahre verlängert.

     

    Die Befristung sei auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beschäftigung der ArbN nicht zur Förderung ihrer eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung erfolgte. Zwar sei mit dem Qualifizierungszweck eine zusätzliche Anforderung an die Zulässigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen des dem WissZeitVG unterfallenden Personals geregelt. Dies folge daraus, dass die jeweils vereinbarte Befristungsdauer der angestrebten Qualifizierung angemessen sein müsse. Angesichts des gesetzlich formulierten Bezugspunkts der entsprechenden wertenden Beurteilung komme dem Qualifizierungszweck eine inhaltlich-eigenständige Bedeutung zu.

     

    Die zu prüfende Befristungsabrede diene jedoch dem gesetzlich geforderten Qualifizierungszweck. Eine befristete Beschäftigung erfolge zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung, wenn die konkret vereinbarte wissenschaftliche Tätigkeit ihrem Inhalt nach auf eine Befähigungsförderung gerichtet sei. Da die ArbN überwiegend Forschungs- und Planungsaufgaben wahrnehme, sei dies vorliegend der Fall. Auch die Dauer der Befristung sei der angestrebten Qualifizierung angemessen. Dies folge aus der Projektbezogenheit der fachlich-wissenschaftlichen Tätigkeiten im Zusammenhang mit den durch sie zu betreuenden Forschungen.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das BAG bestätigt die im Wissenschaftsbetrieb verbreitete Praxis, auch jenseits von Doktoranden- und Habilitandenstellen befristete Arbeitsverhältnisse mit der persönlichen Qualifikationsförderung des ArbN zu begründen.

     

    Dies ist für die zumeist betroffenen Nachwuchswissenschaftler zwar unerfreulich. Die revisionsrechtliche Auslegung des WissZeitVG steht aber im Einklang mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Der Gesetzgeber entschied sich ganz bewusst im Zuge der jüngsten Überarbeitung des Gesetzes dafür, gemäß § 5 i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG die Befristung von Arbeitsverträgen mit nicht promoviertem wissenschaftlichem Personal an Forschungseinrichtungen bis zu einer Dauer von sechs Jahren zuzulassen, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung dient. Diese zeitliche Grenze kann im Falle von Kinderbetreuungszeiten auch noch weiter verschoben werden.

     

    Es ist daher Sache der Tatsachengerichte, die Umstände des Einzelfalls entsprechend zu würdigen. Der 7. Senat gibt für diese Bewertung zutreffend vor, dass dafür zunächst die vertraglichen Abreden zu bewerten sind. Wenn diese auf eine Befähigungsförderung des ArbN gerichtet sind, dienen sie der persönlichen Qualifizierung. ArbG sind daher gut beraten, bereits im Arbeitsvertrag und der dazugehörenden Stellenbeschreibung und weiteren Konkretisierungen klar erkennbare Schwerpunkte auf forschende Tätigkeiten zu legen. Andernfalls könnte es im Streitfall schwer werden, dass Sammeln von Berufserfahrung im jeweiligen Beruf von tatsächlich wissenschaftlicher Tätigkeit abzugrenzen.

     

    Zudem sollte die weitere Entwicklung der gesetzlichen Grundlagen fortlaufend beobachtet werden. Das derzeitige WissZeitVG könnte vor dem Hintergrund seiner bisherigen Anwendungspraxis und erfolgter Evaluierungen auf Ministerialebene vor weiteren Änderungen stehen.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2022 | Seite 188 | ID 48666798