Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Anfechtung des Arbeitsvertrags

    Frage nach Vorstrafe und Ermittlungen bei der Einstellung?

    | Es besteht beim Einstellungsverfahren kein allgemeines Fragerecht des ArbG nach Vorstrafen und Ermittlungsverfahren jedweder Art. Der ArbG darf vielmehr nur Informationen zu solchen Vorstrafen und Ermittlungsverfahren einholen, die für den zu besetzenden Arbeitsplatz relevant sein können. Dies gilt auch im Bewerbungsverfahren für den öffentlichen Dienst. |

     

    Sachverhalt

    Der Auszubildende steht beim ArbG seit dem 1.8.18 in einem Ausbildungsverhältnis zur Fachkraft für Lagerlogistik. Im Rahmen seiner Tätigkeit hat er Zugriff auf verschiedene hochwertige Vermögensgüter des ArbG. Im Rahmen seines Einstellungsverfahrens füllte er ein „Personalblatt“ aus. Dort hatte er bei den Angaben zu „Gerichtlichen Verurteilungen/schwebende Verfahren“ die Antwortmöglichkeit „Nein“ ausgewählt. Tatsächlich war ihm zu diesem Zeitpunkt jedoch bekannt, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Raubes anhängig war und die Hauptverhandlung eröffnet werden sollte. Im Juli 2019 wandte er sich an seinen Vorgesetzten und teilte ihm mit, dass er eine Haftstrafe antreten müsse. Zudem benötige er eine Erklärung der ArbG, dass er seine Ausbildung während seines Freigangs fortführen könne. Der ArbG hat daraufhin mit Schreiben vom 20.11.19 den Ausbildungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten.

     

    Entscheidungsgründe

    Das Arbeitsgericht Bonn (20.5.20, 5 Ca 83/20, Abruf-Nr. 216244) gab der Klage statt. Der ArbG konnte den Ausbildungsvertrag nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten.

     

    Grundsätzlich dürfe der ArbG im Einstellungsverfahren beim Bewerber Informationen zu Vorstrafen einholen, wenn und soweit diese für die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes relevant seien können. Bei einer Bewerbung um ein öffentliches Amt dürfe sich der ArbG nach anhängigen Straf- und Ermittlungsverfahren erkundigen, wenn ein solches Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Bewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit begründen könne. Sei die Frage nach gerichtlichen Verurteilungen und schwebenden Verfahren bei einer Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerbers zu weit, sei diese unzulässig. Dann müsse der Bewerber nicht wahrheitsgemäß antworten.

     

    Die vom ArbG im Personalblatt gestellte unspezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren jedweder Art sei bei einer Bewerbung um eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik zu weitgehend und damit unzulässig. Es könne nicht jede denkbare Straftat Zweifel an der Eignung des ArbN für die Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik begründen. Dies gelte auch, wenn die Ausbildung durch einen öffentlichen ArbG erfolge. Damit könne der ArbG den Ausbildungsvertrag nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten.

     

    Relevanz für die Praxis

    Vorsicht bei der Formulierung der Fragen im Einstellungsbogen. Zu weitgehende Fragen nach Ermittlungen, Vorstrafen ohne Stellenbezug sind unzulässig. Falsche Antworten bleiben also ohne Konsequenzen.

     

    • Ausgewählte Beispiele zum Fragerecht bei Einstellungen
    zulässig
    unzulässig

    Ausbildung, Qualifizierung, beruflicher Werdegang, Erfahrungen

    Gewerkschaftszugehörigkeit

    Person und Ausbildung

    Familienstand, Absicht einer Eheschließung

    Gegenwärtige Krankheiten, wenn Verbindung zum Beruf

    frühere Krankheiten

    Körperbehinderungen, wenn berufsrelevant und ab 50% Behinderung

    Religionszugehörigkeit (außer bei Tendenzbetrieben)

    Vermögensverhältnisse bei sogenannten Vertrauensstellungen

    Vermögensverhältnisse (ansonsten)

    Lohn- und Gehaltspfändungen, wenn noch aktuell

    Parteienzugehörigkeit(außer bei Tendenzbetrieben)

    Zeugnis und Prüfungsnoten

    Schwangerschaft, auch geplante

    Wehrdienst

    Höhe der bisherigen Vergütung

    Wettbewerbsverbote

    Sexuelle Ausrichtung

    Sprachkenntnisse (auch Muttersprache)

    Alter

    Bereitschaft zum Schichtdienst

    Rauchereigenschaft

    Führerschein (sofern Mobilität für die Stelle erforderlich ist)

    Herkunft

    Vorstrafen, sofern diese in Bezug zur besetzenden Stelle relevant sind

    Polizeiliches Führungszeugnis (Ausnahme: öffentlicher Dienst oder Sicherheitsdienste)

    Motivation für den Jobwechsel (zur Ermittlung der Karriereplanung und Selbsteinschätzung des Bewerbers)

    Tätigkeit des Partners

    Akute, bereits ausgebrochene Infizierungserkrankung? Wohl schon!

    Schwere Krankheiten in der Familie

    Scientology (bei Führungspositionen und Tendenzbetrieben)

    Frage nach Kopftuch

     

     

     

    Quelle: Ausgabe 07 / 2020 | Seite 116 | ID 46649003