Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Leiharbeitnehmer

    Die Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb: Ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechung

    von RA und VRiLAG a.D. Dr. Lothar Beseler, Meerbusch

    | Nach § 14 Abs. 1 AÜG bleiben Leih-ArbN während der Zeit ihrer Arbeitsleistung bei einem Entleiher Angehörige des entsendenden Betriebs des Verleihers. Andererseits sind sie in den Betrieb des Entleihers eingegliedert und arbeiten gemeinsam mit den dort tätigen Stamm-ArbN zusammen. Der Gesetzgeber hat deshalb dem Betriebsrat des Entleiherbetriebs in § 14 Abs. 2 AÜG einzelne, aus der Einordnung der Leih-ArbN in den Entleiherbetrieb abzuleitende Mitbestimmungsrechte und sonstige Rechte eingeräumt. |

    1. Wann sind Leih-ArbN bei der Unternehmensgröße zu berücksichtigen?

    Noch bis Anfang 2004 hat das BAG die Leih-ArbN nur in den in § 14 Abs. 2 AÜG genannten Fällen berücksichtigt und eine weitergehende Teilhabe nach den Bestimmungen des BetrVG abgelehnt. Betriebsangehörige ArbN i.S. des 
BetrVG seien nur die, die in einem Arbeitsverhältnis zu dem Betriebsinhaber ständen und die in die Betriebsorganisation des ArbG eingegliedert seien (sogenannte Zwei-Komponenten-Lehre). Als Konsequenz dieser These hat das BAG es abgelehnt, die Leih-ArbN bei der Größe des Betriebsrats nach § 9 BetrVG zu berücksichtigen (BAG 20.3.04, 7 ABR 49/03, NZA 04, 1836).

     

    Das BAG hat diese Rechtsauffassung in der Entscheidung vom 18.10.11, (1 ABR 335/10, NZA 12, 221) aufgegeben. Dort ging es um die Frage, ob Leih-ArbN bei der Größe des Unternehmens i.S. des § 111 BetrVG zu berücksichtigen sind. Geklagt hatte ein ArbN auf Zahlung von Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG wegen einer ohne den Versuch eines Interessenausgleichs durchgeführten Betriebsänderung. Zur Begründung führte er aus, der Unternehmer beschäftige zwar nur 20 Stamm-ArbN, er hätte aber bei der Größe des Unternehmens einen Leih-ArbN berücksichtigen müssen. In der durchgeführten Maßnahme sei eine Betriebsänderung i.S. des § 111 BetrVG zu sehen.

     

    Das BAG ist der Auffassung des ArbN gefolgt. Es hat geurteilt, dass bei der Ermittlung der maßgeblichen Unternehmensgröße in § 111 S. 1 BetrVG Leih-ArbN die länger als drei Monate im Unternehmen eingesetzt sind, mitzuzählen sind, wenn sie regelmäßig beschäftigt werden. Es begründet seine Auffassung damit, dass Leih-ArbN wie betriebsangehörige ArbN Arbeitsplätze besetzen und dem Weisungsrecht des Entleihers unterliegen. Dieser zahle den Leih-ArbN zwar kein Arbeitsentgelt. Er habe jedoch dem Verleiher das vereinbarte Entgelt für die Arbeitnehmerüberlassung zu entrichten. Auch insoweit entstünden dem ArbG personenbezogene Personalkosten. Für die Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens mache es deshalb keinen Unterschied, ob die Arbeitsplätze mit eigenen ArbN oder Leih-ArbN besetzt seien. Maßgeblich sei allein die „Kopfzahl“ der ArbN.

     

    Der Zweck des Schwellenwerts in § 111 S. 1 BetrVG stehe deshalb einer Berücksichtigung von Leih-ArbN bei der Ermittlung der Belegschaftsstärke nicht entgegen, er verlange dieses vielmehr. Nur so werde sichergestellt, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats und die Rechte der betriebsangehörigen ArbN aus §§ 111, 112 BetrVG bei einem nach der gesetzlichen Wertung als ausreichend leistungsfähig anzusehenden Unternehmen in 
Anspruch genommen werden könnten.

    2. Wann gehören Beschäftigungszeiten als Leih-ArbN zur Betriebszugehörigkeit?

    Mit Beschluss vom 10.10.12 (7 ABR 53/11, NZA 13, 863) hat das BAG erkannt, dass Beschäftigungszeiten als Leih-ArbN im entleihenden Betrieb auf die in § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG vorausgesetzte sechsmonatige Dauer der Betriebszugehörigkeit anzurechnen sind, wenn der ArbN im unmittelbaren Anschluss an die Überlassung ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher begründet.

     

    Für eine solche Auslegung spreche der Wortlaut des § 8 BetrVG als auch Sinn und Zweck der Norm:

     

    • Durch die von § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG für die Wählbarkeit zum Betriebsrat vorausgesetzte Dauer der Betriebszugehörigkeit solle gewährleistet werden, dass ein potenzielles Betriebsratsmitglied den zur sachgerechten Ausübung des Betriebsratsamts erforderlichen Überblick über die Verhältnisse des Betriebs besitzt.

     

    • Dem Gesetzeszweck werde Rechnung getragen, wenn Einsatzzeiten als Leih-ArbN in die Berechnung der sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit einbezogen würden. Der Erwerb tatsächlicher Kenntnisse über die betrieblichen Gegebenheiten durch eine sechsmonatige Betriebszugehörigkeit sei von der vertraglichen Bindung des ArbN unabhängig.

    3. Sind Leih-ArbN bei der Betriebsgröße mitzuzählen?

    Mit Urteil vom 24.1.13 (2 AZR 140/12, NZA 13, 726) hat das BAG entschieden, dass bei der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG im Betrieb beschäftigte Leih-ArbN zu berücksichtigen sind, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht. Sinn und Zweck der Herausnahme von Kleinbetrieben aus dem allgemeinen Kündigungsschutz nach § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG geböten nach Art. 3 Abs. 1 GG die Berücksichtigung von Leih-ArbN im Entleiherbetrieb, wenn ihr Einsatz einen „in der Regel“ vorhandenen Beschäftigungsbedarf abdecke. Es sei schon aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, bei der für die Bestimmung der Betriebsgröße zu berücksichtigenden Zahl von im Betrieb beschäftigten ArbN nicht danach zu differenzieren, ob diese in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen oder nicht. Rechtfertige es die Beschäftigung von mehr als zehn ArbN nicht mehr, den Betrieb aus dem Anwendungsbereich des KSchG herauszunehmen, gelte dies sowohl, wenn mehr als zehn eigene ArbN beschäftigt seien, als auch dann, wenn der weitere regelmäßige Beschäftigungsbedarf durch Leih-ArbN abgedeckt werde.

     

    Der Grad der Zusammenarbeit, die Finanzausstattung des Betriebs und dessen Belastbarkeit durch erhöhten Verwaltungsaufwand hängen nicht davon ab, ob der ArbG eigene ArbN oder Leih-ArbN beschäftigt. Leih-ArbN besetzen die Arbeitsplätze wie eigene ArbN und unterliegen dem Weisungsrecht des Entleihers (BAG 18.10.11, 1 AZR 335/10). Durch den Einsatz von Leih-ArbN entstehen vergleichbare Personalkosten, da der Entleiher zwar den Leih-ArbN kein Arbeitsentgelt, jedoch dem Verleiher das vereinbarte Entgelt für die Überlassung zu entrichten hat. Auch die Erwägung, dass jenseits der Grenze von zehn ArbN typischerweise nicht mehr von einer für Kleinbetriebe kennzeichnenden engeren persönlichen Zusammenarbeit auszugehen sei, gilt unabhängig davon, ob die Beschäftigten eigene ArbN oder Leih-ArbN sind.

     

    Allerdings hat das LAG Niedersachsen (5.4.13, 12 Sa 50/13, Abruf-Nr. 131818) entschieden, dass nach Übernahme eines Leih-ArbN durch den Entleiherbetrieb die Beschäftigung als Leih-ArbN nicht auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen sei. Hierfür sei die Beschäftigungszeit aufgrund eines Arbeitsvertrags mit dem Entleiher entscheidend.

    4. Sind Leih-ArbN bei der Betriebsratsgröße zu berücksichtigen?

    Das BAG hat seine Auffassung aufgegeben, wonach Leih-ArbN bei der Größe des Betriebsrats nicht mitzuzählen sind. Mit Beschluss vom 13.3.13 (7 ABR 69/11, NZA 13, 789) hat es aufgeführt, dass im Entleiherbetrieb regelmäßig beschäftigte Leih-ArbN bei der Größe des Betriebsrats grundsätzlich zu berücksichtigen seien.

     

    • Nach der sogenannten „Zwei-Komponenten-Lehre“ gehöre nach den konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit einerseits ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber, andererseits die tatsächliche Eingliederung in dessen Betriebsorganisation.

     

    • Beim sogenannten „drittbezogenen Personaleinsatz“, also beim Arbeitseinsatz von ArbN in Drittbetrieben führe dies nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Vielmehr sei die Folge, dass der ArbN einerseits dem Betrieb seines Verleihers mangels Eingliederung nicht zugeordnet werden könnte, während es andererseits zum Entleiher an einem arbeitsvertraglichen Band fehle.

     

    In Fällen der aufgespaltenen Arbeitgeberstellung bedürfe es einer differenzierten Beurteilung der betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung von ArbN (BAG 5.12.12, 7 ABR 48/11, NZA 13, 793):

     

    • Zum einen sei zu beachten, dass der Gesetzgeber die betriebsverfassungsrechtliche Behandlung des drittbezogenen Personaleinsatzes bereits zu einem nicht unbeträchtlichen Umfang teils im BetrVG und anderen Gesetzen geregelt habe.

     

    • Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass im BetrVG in unterschiedlichem Zusammenhang auf „den“ ArbN abgestellt werde.

     

    Daher seien beim drittbezogenen Personaleinsatz und einer aufgespaltenen Arbeitgeberstellung differenzierende Lösungen geboten, die die ausdrücklich normierten (spezial-)gesetzlichen Konzepte, aber auch die Funktion des Arbeitnehmerbegriffs im jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang angemessen berücksichtigten. Nicht nur der Wortlaut des § 7 S. 2 BetrVG, sondern auch Sinn und Zweck des § 9 BetrVG spreche für eine Berücksichtigung der Leih-ArbN bei der Betriebsratsgröße. Denn der Umfang der Betriebsratsarbeit werde durch die im Betrieb regelmäßig tätigen Leih-ArbN auch bei einer nur partiellen Vertretung in erheblichem Umfang beeinflusst.

    5. Personelle Einzelmaßnahmen gegenüber Leih-ArbN

    Schließlich hat das BAG mit Beschluss vom 10.7.13 (7 ABR 91/11, Abruf-Nr. 132231) unter Hinweis auf den Wortlaut des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG entschieden, dass der Betriebsrat des Entleiherbetriebs nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG seine Zustimmung zum Einsatz von Leih-ArbN verweigern kann, wenn diese dort nicht nur vorübergehend eingesetzt werden sollen.

     

    Bisher ist ungeklärt, wie das Wort „vorübergehend“ auszulegen ist und welche Konsequenzen aus einer dauerhaften Beschäftigung eines Leih-ArbN im Entleiherbetrieb zu ziehen ist. Insbesondere ist unklar, ob damit ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 AÜG kraft Gesetzes fingiert wird (bejahend: LAG Berlin-Brandenburg 9.1.13, 15 Sa 1635/12, Abruf-Nr. 133207; LAG Baden-Württemberg 31.7.13, 4 Sa 18/13, verneinend LAG Berlin-Brandenburg 16.10.12, 7 Sa 1182/12, Abruf-Nr. 123448; LAG Düsseldorf 21.6.13, 10 Sa 1747/12, Abruf-Nr. 132969).

    6. Fazit

    Das BAG hat inzwischen die Leih-ArbN bei der Größe des Unternehmens nach § 111 BetrVG, und bei der Größe des Betriebs nach § 23 BetrVG dann berücksichtigt, wenn sie regelmäßig beschäftigt werden. Dies hat zur Folge, dass sie unter diesen Voraussetzungen auch bei anderen Schwellenwerten wie § 38, § 95 Abs. 2, §99 Abs. 1, § 110 BetrVG und auch bei dem Schwellenwert zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses gemäß § 106 Abs. 1 BetrVG Berücksichtigung finden müssen.

     

    Auch im Hinblick auf § 23 KSchG wird diese Rechtsprechung angewandt. Gleiches wird bei der Berechnung der Betriebsgröße bei einer Massenentlassung und der notwendigen Massenentlassungsanzeige anzunehmen sein. Zudem werden Beschäftigungszeiten als Leih-ArbN nach ihrer Übernahme in ein Arbeitsverhältnis durch den Entleiher auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit nach § 8 BetrVG angerechnet. Schließlich muss der Betriebsrat künftig bei der Einstellung von Leih-ArbN darauf achten, ob der Einsatz auf Dauer oder nur vorübergehend erfolgen soll, und ob er deshalb der Einstellung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung schriftlich verweigern kann.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Zehn Antworten auf aktuelle Fragen zum Equal-Pay-Anspruch: AA 11, 127
    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 193 | ID 42356137