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  • · Fachbeitrag · Betriebsübergang

    Kündigung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Betriebsübergang, Teil 1

    von Dr. Guido Mareck, stellv. Direktor des Arbeitsgerichts Dortmund

    | Bei einem Betriebsübergang stellt sich für Erwerber und Veräußerer oft die Frage, wie mit der Belegschaft und ihren Arbeitsverhältnissen zu verfahren ist. Wie weit reicht das Kündigungsverbot wegen des Betriebsübergangs und was sind „andere Gründe“? Diese Fragen beleuchtet der Beitrag ebenso wie die Voraussetzungen und die Reichweite des Wiedereinstellungs- und Fortsetzungsanspruchs gegenüber dem Erwerber. In Teil 2 geht es dann um die gerichtliche Geltendmachung der ArbN-Ansprüche im Prozess. |

    1. Kündigungsverbot und Kündigungen „aus anderen Gründen“

    Ist der (Teil-)Betriebsübergang alleinige oder zumindest überwiegende Ursache einer Kündigung, greift das eigenständige Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB ein. Dann ist die Kündigung unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) nach den § 1 Abs. 1, § 23 KSchG auf das betroffene Arbeitsverhältnis unwirksam (vgl. BAG 13.11.97, 8 AZR 295/95). Allerdings muss die Unwirksamkeit einer solchen Kündigung seit dem 1.1.04 innerhalb der Drei-Wochen-Frist nach § 4 S. 1 KSchG geltend gemacht werden. Anderenfalls greift die Fiktion nach § 7 KSchG. Damit wird die Wirksamkeit der Kündigung gesetzlich fingiert.

     

    Ist aber der Betriebsübergang nur der äußere Anlass und nicht der „tragende Grund“ einer Kündigung durch den Veräußerer oder den Erwerber des übergegangenen Betriebs oder Betriebsteils, liegt kein Verstoß gegen das Kündigungsverbot nach § 613a Abs. 4 S. 1 BGB vor. Dann richtet sich die Wirksamkeit der Kündigung nach den allgemeinen Maßstäben, insbesondere nach dem Vorliegen eines Kündigungsgrunds gem. § 1 Abs. 1 und 2 KSchG im Fall der Anwendbarkeit des KSchG (BAG 20.9.06, 6 AZR 249/05). Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Kündigung wegen eines Betriebsübergangs vorliegt oder nicht, ist stets auf die tatsächlichen Verhältnisse bei Zugang der Kündigung abzustellen (BAG 26.8.99, 8 AZR 827/98).

     

    MERKE | Auch aus europarechtlicher Sicht begegnet eine Kündigung aus anderen Gründen als dem Betriebsübergang selbst keinen Bedenken im Hinblick auf die (Betriebsübergangs-)RL 2001/23/EG, sofern sie sich nicht als gezielte Maßnahme darstellt, um den betroffenen ArbN ihre aus dieser Richtlinie erwachsenen Rechte im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang zu entziehen (EuGH 7.8.18, C 472/16 ‒ Colino Sigüenza).

     

    Als Kündigungen „aus anderen Gründen“ als dem Betriebsübergang kommen vor allem die folgenden Fallgruppen in Betracht:

     

    Übersicht / Fallgruppen: Kündigungen „aus anderen Gründen“

    Personen- und verhaltensbedingte Kündigungen

    In der Mehrzahl dieser Fälle ist der Betriebsübergang auch dann nicht tragende oder überwiegende Ursache von Kündigungen, wenn sie in zeitlicher Nähe zu dem Betriebsübergang ausgesprochen werden. Dies liegt vor allem daran, dass personen- und verhaltensbedingte Kündigungsgründe ihre Ursache in der Person der ArbN selbst und nicht im Betriebsübergang als solchem haben.

     

    Betriebsbedingte Kündigungen

    Hier ist nach Motivation und Interessenlage des Kündigenden (Veräußerer oder Erwerber des übergegangenen Betriebs oder Betriebsteils) zu unterscheiden:

     

    • Zulässig sind und bleiben z. B. betriebsbedingte Änderungskündigungen, wenn eine Weiterbeschäftigung des ArbN im auf den Erwerber übergegangenen Betrieb nur unter Änderung des bestehenden Arbeitsvertrags möglich ist und der ArbN diese ausdrücklich ablehnt (BAG 20.4.89, 2 AZR 431/88).
    • Auch der ArbN, der nach § 613a Abs. 6 BGB dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den (Teil-)Betriebserwerber ausdrücklich widerspricht, kann vom Veräußerer wirksam betriebsbedingt gekündigt werden, wenn dieser in seinem Restbetrieb keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit mehr hat (BAG 30.10.03, 8 AZR 491/02).
    • Zulässig ist grundsätzlich auch eine betriebsbedingte Kündigung des Erwerbers, wenn der Betriebsübergang in dessen neu entstandenem Betrieb zu Synergieeffekten in Form von Stellenüberhängen führt. Bei dieser Konstellation sind aber die Sozialauswahl, die sich auf alle ArbN des neuen Betriebs erstreckt, sowie die Darlegungs- und Beweislast des neuen ArbG für den Kündigungsgrund zu beachten. Das lässt die Wirksamkeit solcher Kündigungen in der arbeitsgerichtlichen Praxis oft scheitern.
    • Generell zulässig sind auch betriebsbedingte Kündigungen wegen tatsächlicher oder beabsichtigter Stilllegung eines Betriebs. Hier schließen sich Stilllegung und Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils denknotwendig aus, da ein stillgelegter Betrieb nicht mehr vorhanden ist und damit auch nicht mehr auf einen Erwerber übergehen kann (BAG 16.5.02, 8 AZR 319/01).
     

    a) Beabsichtigte Betriebsstilllegung als Sonderfall

    Auch im Vorfeld ist die beabsichtigte Stilllegung als Fall der betriebsbedingten Kündigung anerkannt, wenn der ArbG zur Stilllegung seines Betriebs endgültig und ernsthaft entschlossen ist und dieser Entschluss greifbare sowie durch konkrete Tatsachen belegbare Formen angenommen hat (vgl. hierzu und zur Darlegungslast des ArbG: BAG 10.10.96, 2 AZR 477/95; 29.9.05, 8 AZR 647/04). Diese sind im Einzelfall zu bewerten und können sich z. B. in der Kündigung aller Arbeitsverhältnisse oder der Miet- und Pachtverträge über die Betriebsimmobilien sowie im Abbruch der vertraglichen Beziehungen zu Kunden und Lieferanten manifestieren. Kommt es trotz beabsichtigter Betriebsstilllegung später, d. h. nach Zugang der ausgesprochenen (wirksamen) Kündigung durch den bisherigen ArbG, doch noch zu einem Betriebsübergang, ändert dies an der Wirksamkeit der Kündigung selbst nichts. Es kommt allein auf die Verhältnisse bei Kündigungszugang an (BAG 28.4.88, 2 AZR 623/87).

     

    b) Betriebsbedingte Kündigungen zur Umsetzung eines „Erwerberkonzepts“

    Umstritten ist die Zulässigkeit von betriebsbedingten Kündigungen des Betriebsveräußerers, die dieser zur Umsetzung eines sogenannten Erwerberkonzepts ausspricht. Verlangt der potenzielle Betriebserwerber vom Veräußerer in solchen Fällen z. B. die Stilllegung oder das Outsourcing bestimmter Abteilungen oder Produktionseinheiten, ist eine Kündigung durch den Veräußerer zumindest dann zulässig, wenn der Veräußerer dieses Konzept selbst umsetzen könnte (BAG 26.5.83, 2 AZR 477/81). Ist dies hingegen nicht der Fall, weil eine sinnvolle Umsetzung des Konzepts nur durch den Erwerber nach dem Betriebsübergang möglich ist, lehnte die frühere Rechtsprechung des BAG die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung ab. Dies hat sich nun ‒ zumindest für den Fall des Betriebsübergangs im Rahmen der Insolvenz ‒ geändert (BAG 20.3.03, 8 AZR 97/02). Insofern wird argumentiert, dass es in diesen Sanierungsfällen zur Stilllegung nur die Alternative der Umstrukturierung auf Grundlage des Erwerberkonzepts gebe und daher kein Verstoß gegen den Schutzgedanken des § 613a Abs. 1 und 4 BGB vorliege.

    2. Wiedereinstellungs- und Fortsetzungsanspruch des ArbN

    Ist eine Veräußererkündigung aufgrund einer zum Zeitpunkt ihres Zugangs beabsichtigten Stilllegung des Betriebs wirksam und kommt es später doch noch zu einem Übergang des Betriebs oder von Betriebsteilen, ändert dies an der Wirksamkeit der Kündigung des bisherigen ArbG nichts. Da aber nach Kündigungszugang eingetretene Umstände keinen Einfluss haben (so: BAG 19.10.17, 8 AZR 845/15), wird betroffenen ArbN als Korrektiv ein Wiedereinstellungsanspruch gegenüber dem Betriebserwerber zur Verfügung gestellt. Dieser ist aber vom BAG an enge Voraussetzungen geknüpft und wird auf § 242 BGB (BAG 25.10.07, 8 AZR 989/06; 19.10.17, 8 AZR 845/15) und nicht mehr auf § 613a Abs. 1 S. 1 BGB direkt gestützt (so noch: BAG 13.11.97, 8 AZR 295/95):

     

    • Nicht bewahrheitete Prognose der Betriebsstilllegung aufseiten des (früheren) ArbG und Betriebsveräußerers.
    • Eintritt eines dann doch erfolgten (Teil-)Betriebsübergangs auf den Erwerber ‒ aber: nach Zugang der Kündigung des Veräußerers und vor Ablauf der Kündigungsfrist!
      • Ausnahmen lässt das BAG zu, wenn der Betriebsübergang schon vor Ablauf der Kündigungsfrist von Veräußerer und Erwerber beschlossen, aber zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 613a BGB erst später, nach Ablauf der Kündigungsfristen, vollzogen wird (BAG 25.9.08, 8 AZR 607/07).
    • Im Kleinbetrieb mit unter zehn ArbN nach § 23 Abs. 1 KSchG ist ein Wiedereinstellungsanspruch wegen fehlenden Kündigungsschutzes i. d. R. ausgeschlossen (BAG 19.10.17, 8 AZR 845/15).

     

    Richtiger Schuldner des Wiedereinstellungsanspruchs ist vor dem Betriebsübergang der kündigende bisherige ArbG und nach vollzogenem Übergang der Erwerber. Gerichtet ist der entsprechende Antrag auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den bisherigen Arbeitsbedingungen, also auf Abgabe einer Willenserklärung, die mit Rechtskraft eines entsprechenden, der Klage stattgebenden Urteils als abgegeben gilt (BAG 25.10.07, 8 AZR 989/06).

     

    MERKE | Diese Klage kann im Fall des Ausspruchs einer Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG verbunden werden.

     

    Der Wiedereinstellungsanspruch muss, entsprechend der Ausübung des Widerspruchsrechts, binnen einer Frist von einem Monat ab Kenntnis der anspruchsberechtigten ArbN von den tatsächlichen, den Betriebsübergang begründenden Umständen geltend gemacht werden (BAG 25.10.07, 8 AZR 989/06). Die Beweislast für diese Kenntnis und damit für die Einhaltung der Klagefrist trägt der Erwerber. Somit gehen bei unterbliebener Unterrichtung von betroffenen ArbN Unklarheiten bezüglich des Zeitpunkts des Betriebsübergangs zulasten des Erwerbers (BAG 21.8.08, 8 AZR 201/07).

     

    Scheidet der ArbN durch einen Aufhebungs- und Abwicklungsvertrag oder auf Grundlage eines Vergleichs i. S. d. § 779 Abs. 1 BGB gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis zu dem Betriebsveräußerer aus, ist nach der Rechtsprechung im Zweifel anzunehmen, dass ein Fortsetzungs- oder Wiedereinstellungsanspruch damit auch bei späterer Änderung der tatsächlichen Umstände in Form eines (dann doch erfolgten) Betriebsübergangs ausgeschlossen sein soll (BAG 28.6.00, 7 AZR 904/98). Allenfalls in Fällen des nachträglichen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB kommen Ausnahmen in Betracht. Insofern ist aber regelmäßig nicht anzunehmen, dass die Parteien den Umstand, dass sich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses keine Beschäftigungsmöglichkeit bei einem potenziellen Erwerber ergibt, zur Geschäftsgrundlage des Vergleichs oder der Aufhebungsvereinbarung gemacht haben.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Die Rechtsstellung des Erwerbers gegenüber dem ArbN nach dem Betriebsübergang, Teil 1 und 2 in AA 22, 67 und AA 22, 87
    • Transformierte Normen bei mehreren Betriebsübergängen anwenden: BAG in AA 20, 49
    Quelle: Ausgabe 08 / 2022 | Seite 134 | ID 48481312