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  • · Fachbeitrag · AGG

    „Berufs- versus Familienplanung“: Diskriminierung aufgrund des Geschlechts?

    • 1.§ 2 Abs. 4 AGG steht jedenfalls der Geltendmachung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG nicht entgegen. Dies ergibt die einfachgesetzliche Auslegung des § 2 Abs. 4 AGG unter Berücksichtigung der Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG.
    • 2.Fehlt es im konkreten Einzelfall an einer geeigneten Vergleichsperson, kommt es für die Feststellung einer Benachteiligung darauf an, ob eine hypothetische Vergleichsperson eine günstigere Behandlung erfahren hätte, wofür konkrete Anhaltspunkte bestehen müssen.
    • 3.Voraussetzung eines Schadenersatzanspruchs nach § 15 Abs. 1 AGG ist unter anderem die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der Benachteiligung und dem entstandenen Schaden, für die nach allgemeinen Beweislastregelungen der Anspruchsteller darlegungs- und beweispflichtig ist. Diese Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität wird nicht durch § 22 AGG abgeändert.

    (Arbeitsgericht Düsseldorf 12.3.13, 11 Ca 7393/11, Abruf-Nr. 132963).

     

    Sachverhalt

    Die ArbN war im Rahmen von 80 Stunden im Monat beim ArbG, der Schönheitsbehandlungen anbot, ab dem 1.8.11 für 1.100 EUR Grundgehalt tätig. Sie äußerte den Wunsch, ihre Arbeitszeit auf 40 Stunden wöchentlich zu erhöhen. Am 11.10.11 erhielt sie eine E-Mail mit dem Betreff „Berufs- vs Familienplanung“. In Kenntnis der bevorstehenden Heirat der ArbN wurde in dieser vor dem Hintergrund „unternehmerischer Belange“ gefragt, ob „eine Schwangerschaft 2012 möglich bzw. gewollt“ sei, oder sie dies für „nächstes Jahr ausschließen könne“. Dies sei für die weitere Personalplanung wichtig. Am 25.10.11 schrieb der ArbG Standortleitungen mit 40 Wochenstunden aus. Nachdem es nicht zu einer Erhöhung der Arbeitszeit kam, erhielt die ArbN eine weitere E-Mail, wonach eine Neuausrichtung ihres Standorts nicht sinnvoll sei, „insbesondere auch deshalb nicht, weil wir in den kommenden zwölf Monaten mit einer Schwangerschaft bei Ihnen rechnen müssen (das zeigt einfach die Erfahrung in anderen Standorten - Heirat = Schwangerschaft)“. Beide E-Mails erhielt der Geschäftsführer des ArbG „cc:“. Der ArbG kündigte unter dem 28.11.11 das Arbeitsverhältnis zum 31.12.11 und mit weiterem 
Schreiben vom 5.3.12. Im März 2012 war die ArbN schwanger. Die Parteien einigten sich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 29.2.12.

     

    Die ArbN begehrt Entschädigung und Schadenersatz wegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Sie habe die Zusage der Leitung des Standorts bei erhöhter Arbeitszeit gehabt. Dies sei wegen ihrer Heirat nicht umgesetzt worden. Aus diesem Grund sei sie gekündigt worden.

     

    Der ArbG behauptet, eine solche Zusage habe es nicht gegeben. Die Wünsche der ArbN seien wegen deren schlechter Umsatzzahlen und des Nachfragerückgangs am Standort abgelehnt worden.

     

    Entscheidungsgründe

    Die ArbN hat gegen den ArbG nach Auffassung des Arbeitsgerichts Düsseldorf einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG in Höhe von 10.833,78 EUR. Etwas anderes folge auch nicht aus § 2 Abs. 4 AGG, wonach für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. § 2 Abs. 4 AGG schließe jedenfalls im Falle der Benachteiligung wegen des Geschlechts die Geltendmachung eines Anspruchs auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 AGG nicht aus.

     

    Es sollten ausdrücklich auch diskriminierende Kündigungen bekämpft werden. Diese Umsetzungsabsicht werde durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG bekräftigt. Zweck des § 2 Abs. 4 AGG bzw. der ihm vorausgegangenen Entwurfsfassungen sei, sicherzustellen, dass durch das AGG neben das bisherige kein „zweites Kündigungsrecht“ gestellt werden sollte. Dies bedeutet, dass der Grundsatz des Kündigungsrechts, demzufolge rechtswidrige Kündigungen als unwirksam angesehen werden, und dass die Unwirksamkeit gerichtlich nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes geltend zu machen ist, unangetastet bleibe. Eine „Diskriminierungsklage“ trete nicht neben die Kündigungsschutzklage.

     

    Ausgehend von diesen Grundsätzen habe die ArbN ihren auf § 15 Abs. 2 S. 1 AGG gestützten Entschädigungsanspruch wegen einer unmittelbaren Benachteiligung aufgrund des Geschlechts durch die unterbliebene Über
tragung der Leitung des Standorts und die damit verbundene Erhöhung ihrer Arbeitszeit einerseits und durch die Kündigung vom 28.11.11 andererseits 
innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht. Nach § 7 Abs. 1 
1. Hs. AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden.

     

    Der ArbG habe die ArbN zum einen durch die Ablehnung ihres Wunsches nach Erhöhung ihrer Arbeitszeit und zum anderen durch Ausspruch der Kündigung vom 28.11.11 unmittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Hierdurch habe die ArbN eine weniger günstige Behandlung erfahren, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahren würde. Die Möglichkeit einer Schwangerschaft stelle dabei ein Merkmal dar, das in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Geschlecht der ArbN stehe. Die wiederholte Verknüpfung dieser Möglichkeit mit der Personalplanung des ArbG bzw. der Ablehnung des Arbeitszeiterhöhungswunsches legen konkret nahe, dass eine hypothetische männliche Person in der Situation mangels Möglichkeit einer Schwangerschaft eine günstigere Behandlung erfahren hätte.

     

    Des Weiteren habe die ArbN auch durch die Kündigung vom 28.11.11 eine 
weniger günstige Behandlung erfahren, als eine andere Person in einer 
vergleichbaren Situation. Ihr sei als einziger Mitarbeiterin an dem Standort gekündigt worden. Die ArbN genüge ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien vortrage, die eine Benachteiligung wegen des verpönten Merkmals vermuten lassen. Dies sei der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt sei.

     

    Sowohl die E-Mail vom 11.10.11 als auch die vom 17.11.11 ließen den Schluss zu, dass der ArbG den Wunsch der ArbN nach einer Erhöhung ihrer Arbeitszeit wegen einer möglichen Schwangerschaft und somit wegen ihres Geschlechts abgelehnt habe. Der ArbG habe die Vermutung der Benachteiligung nicht dadurch widerlegt, dass er sich darauf berufe, er habe niemals konkret geplant, die Arbeitszeit der ArbN zu erhöhen, und ihr auch kein konkretes Angebot unterbreitet.

     

    Auch der Verweis auf die wirtschaftliche Situation des Standorts bzw. die dortigen Umsätze genüge nicht, um die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts zu widerlegen. Allein aus der Berücksichtigung dieser Gründe bei der Ablehnungsentscheidung folge in Anbetracht der E-Mails vom 11.10.11 und vom 17.11.11 nicht, dass eine mögliche Schwangerschaft der ArbN und somit ihr Geschlecht diese Entscheidung in keiner Weise beeinflusst 
habe. Jedenfalls sei wiederholt in Kenntnis und ohne Widerspruch des 
Geschäftsführers des ArbG dessen weitere Personalplanung und sein 
Umgang mit Personalkosten in einen direkten Zusammenhang mit einer möglichen Schwangerschaft der ArbN im Jahr 2012 gestellt worden.

     

    Praxishinweis

    Bei der Festsetzung einer angemessenen Entschädigung müssen stets alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem ArbG zu haben. Außerdem muss sie in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Im vorliegenden Fall erachtete die Kammer wegen der Benachteiligung der ArbN aufgrund ihres Geschlechts durch Ablehnung ihres Wunsches auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit eine Entschädigung in Höhe von 7.144,50 EUR als angemessen. Mit Rücksicht auf den Sanktionszweck von § 15 Abs. 2 S. 1 AGG sei aufgrund der Art und Schwere der vorliegenden Benachteiligung ein Entschädigungsbetrag in Höhe des dreifachen durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts der ArbN nach fiktiver Erhöhung ihrer Arbeitszeit auf 40 Stunden in Höhe von 2.381,50 EUR festzusetzen gewesen.

     

    Im Hinblick auf die Benachteiligung der ArbN durch den Ausspruch der Kündigung vom 28.11.11 sei eine Entschädigung in Höhe von 3.689,28 EUR angemessen, nämlich drei durchschnittliche Bruttomonatsgehälter in Höhe von 1.229,76 EUR.

     

    Das Verfahren ist durch Rücknahme der Berufung seitens des ArbG erledigt worden (LAG Düsseldorf 4.9.13, 4 Sa 480/13).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Vermutungstatsachen nach § 22 AGG - welche Indizien sind ausreichend? BAG AA 11, 57
    • Entschädigung wegen Diskriminierung trotz Einstellung der Bewerberin: BAG AA 10, 186
    • Prüfen Sie Ihr Wissen im Arbeitsrecht: Thema: „AGG“ - Die aktuelle Rechtsprechung: AA 11, 116
    Quelle: Ausgabe 10 / 2013 | Seite 170 | ID 42312612