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  • · Fachbeitrag · AGG: Benachteiligung wegen Religion oder Weltanschauung

    Ungleichbehandlung einer konfessionslosen Bewerberin durch Einrichtung der ev. Kirche?

    • 1.§ 9 Abs. 1 AGG muss im Lichte des Europarechts ausgelegt werden. Soweit eine Ungleichbehandlung wegen der Religion betroffen ist, setzt das AGG die Richtlinie 2000/78/EG um. Die Auslegung des Artikels 4 Abs. 2 dieser Richtlinie muss ihrerseits im Lichte von Art. 17 Abs. 1 AEUV erfolgen.
    • 2.Art. 17 Abs. 1 AEUV gebietet eine Auslegung im Sinne der Wahrung, des sich aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV ergebenden Selbstbestimmungsrechts der Kirchen gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
    • 3.Die Entscheidung einer Religionsgemeinschaft oder Kirche, ob für eine bestimmte Tätigkeit eine Religionszugehörigkeit erforderlich ist, ist hingegen justiziabel. Die Kirchen müssen sich an die von ihnen selbst gestellten Anforderungen halten. Dies bedeutet, dass aus kirchenrechtlichen Vorschriften das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit für bestimmte Tätigkeiten folgen muss.
    • 4.Den staatlichen Gerichten obliegt eine Missbrauchskontrolle der kirchlichen Anforderungen an deren Mitarbeiter auf Grundlage der durch die Religionsgemeinschaft selbst vorgegebenen Maßstäbe.

    (LAG Berlin-Brandenburg 28.5.14, 4 Sa 157/14, 4 Sa 238/14, Abruf-Nr. 141884)

     

    Sachverhalt

    Die Bewerberin hat sich bei dem ArbG, einem Werk der evangelischen Kirche in Deutschland, auf eine am 25.11.12 ausgeschriebene Stelle eines „Referenten/Referentin mit einer Tätigkeit in Teilzeit befristet auf zwei Jahre“ beworben. Gegenstand der Tätigkeit war die Erstellung eines unabhängigen Berichts zur Umsetzung der Antirassismuskommission durch Deutschland als zusätzliche Grundlage für die vereinten Nationen für ihre abschließenden Bemerkungen zum deutschen Staatenbericht. Die Vergütung sollte in Anlehnung an die Entgeltgruppe G 13 TVöD nach der Dienstvertragsordnung der evangelischen Kirche in Deutschland erfolgen.

     

    Im Bereich des ArbG gilt die Richtlinie des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland, die u.a. Folgendes regelt:

     

    § 3: Berufliche Anforderungen bei Begründung des Arbeitsverhältnisses

    • 1.Die berufliche Mitarbeit in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie setzt grundsätzlich Zugehörigkeit zu einer Gliedkirche der evangelischen Kirche voraus, mit der die evangelische Kirche in Deutschland in einer Kirchengemeinschaft verbunden ist.
    • 2.Für Aufgaben, die nicht der Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leistung zuzuordnen sind, kann von Abs. 1 abgewichen werden, wenn andere geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zu gewinnen sind.
    • ....
     

     

    Im Rahmen der Stellenbeschreibung heißt es u.a.:

     

    … sie erfüllen folgende Voraussetzungen: 

    • Abgeschlossenes Hochschulstudium der Rechtswissenschaften oder vergleichbare Qualifikation.
    • Fundierte Kenntnisse im Völkerrecht und der Antirassismusarbeit …
    • Wir freuen uns über Bewerbungen von Menschen ungeachtet ihrer Herkunft oder Hautfarbe, des Geschlechtes, einer Behinderung, des Altes oder ihrer sexuellen Identität.
    • Die Mitgliedschaft in der evangelischen oder ACK angehörigen Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie ihre Konfession im Lebenslauf an.
     

    Die Bewerberin verfügt über ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium der Sozialpädagogik. In ihrer Bewerbung wies sie nicht auf die Zugehörigkeit zu irgendeiner Konfession oder auf das Fehlen einer Konfession hin.

     

    Auf die Stelle bewarben sich 37 weitere Personen. Zum Vorstellungsgespräch wurden ausschließlich Bewerberinnen und Bewerber mit einem wissenschaftlichen Hochschulstudium eingeladen. Zu diesem Personenkreis zählte die Bewerberin nicht. Ausgewählt wurde ein Bewerber deutsch-ghanaischer Herkunft, der ein Politikwissenschaftliches Hochschulstudium an der Freien Universität mit einer englischsprachigen Diplomarbeit und sehr guten Noten abgeschlossen hatte. Nachdem die Bewerberin am 23.1.13 erfuhr, dass sie für die Stelle nicht berücksichtigt wurde, machte sie mit Schreiben vom 25.2.13 gegenüber der ArbG Entschädigungs- und Schadenersatzsansprüche gestützt auf § 15 Abs. 1 und 2 AGG geltend.

     

    Sie trägt hierzu vor, sie vermute, wegen ihrer Konfessionslosigkeit die Stelle nicht erhalten zu haben. Die Berücksichtigung der Religion sei ungerechtfertigt und rechtswidrig. Ein passendes Studium sei für die Stelle ohnehin nicht vorhanden. Die Entschädigung sei mit mindestens fünf Bruttogehältern bei einer Arbeitszeit von 60 Prozent entsprechend der Entgeltgruppe E 13 TVöD in Höhe von zumindest 9788,65 EUR anzusetzen.

     

    Der ArbG verweist auf das von ihm formulierte Leitbild der Tätigkeit. Er verstehe sich als unmittelbare Lebens- und Wesensäußerung der christlichen Kirche, zu deren Sendungsauftrag vor allem die Verkündung des christlichen Glaubens und die tätige Nächstenliebe gehören. Bedeutsam für dieses Selbstverständnis sei das Bild der christlichen Dienstgemeinschaft. Hierzu gehöre neben dem Gottesdienst auch der aus dem Glauben erwachsene Dienst an Mitmenschen. Ein rechtswissenschaftliches oder vergleichbares Hochschulstudium, damit ein Universitätshochschulstudium, sei überdies unverzichtbare Qualifikation. Auch bei angenommener unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion sei eine solche nach § 9 AGG gerechtfertigt.

     

    Nachdem das Arbeitsgericht der Bewerberin eine Entschädigung in Höhe eines Bruttogehaltes in Höhe von 1957,73 EUR zugesprochen hat, hat das LAG Berlin/Brandenburg der Berufung des ArbG stattgegeben und die Klage abgewiesen.

     

    Entscheidungsgründe

    Hierzu hat das LAG Berlin festgestellt, dass die Bewerberin keinen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG habe, da sie nicht nach § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1 AGG wegen der Religion benachteiligt worden sei. Es sei bereits zweifelhaft, ob das Erfordernis einer vergleichbaren Situation im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG vorliege. Zumindest sei eine weniger günstige Behandlung der Bewerberin nach § 3 Abs. 1, § 9 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.

     

    Zwar habe die ArbN im Vergleich zum tatsächlich eingestellten Bewerber und auch im Vergleich zu den vom Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbern eine weniger günstigere Behandlung erfahren. Es sei aber bereits zweifelhaft, ob sich die Bewerberin im Vergleich zu diesen Bewerbern in einer vergleichbaren Situation befunden habe. Alle vier zum Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerber hätten ein wissenschaftliches Hochschulstudium abgeschlossen. Demgegenüber habe die Bewerberin ein Fachhochschulstudium der Sozialpädagogik absolviert.

     

    Die vergleichbare Situation, in der eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG vorliegen könne, setze voraus, dass der abgelehnte Bewerber objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen sei. Vergleichbar sei nämlich nur, wer eine mit den anderen Bewerbern vergleichbare objektive Eignung für die zu besetzende Stelle besitze. Es sei auch nicht mit dem objektivierbaren Willen des ArbG vereinbar, dass ein Fachhochschulstudium mit einschlägigen Erfahrungen und Kenntnissen in der Antirassismusarbeit einem wissenschaftlichen Hochschulstudium gleichgesetzt werde. Der ArbG habe die Möglichkeit besessen, über die für die Stelle geforderte Qualifikation des Stellenbewerbers im Grundsatz frei zu entscheiden. Die Studieninhalte eines rechtswissenschaftlichen oder vergleichbaren Hochschulstudiums unterschieden sich erheblich von einem Fachhochschulstudium für Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Dieses vermittelte zwar keine schlechtere, aber eine andere Qualifikation als das Hochschulstudium der Rechtswissenschaften. Daher spreche viel dafür, dass eine vergleichbare Qualifikation nicht vorgelegen habe.

     

    Auch wenn man hingegen annehme, dass die Bewerberin sich mit den zum Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbern in einer vergleichbaren Situation befunden habe, liege keine rechtswidrige Benachteiligung vor. Nach § 9 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften oder den zugeordneten Einrichtungen zulässig, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses der ausschreibenden jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle.

     

    Hierbei ermögliche es die Richtlinie 2000/78/EG den Mitgliedsstaaten, bereits geltende Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten beizubehalten, wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung keine Benachteiligung darstelle, wenn die Religion oder Weltanschauung einer Person nach Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung angesichts des Ethos der Organisation eine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle. Grundsätzlich hätten daher die Kirchen und ihre Einrichtungen das Recht, die Religion oder die Weltanschauung als berufliche Anforderung für die bei ihnen Beschäftigten zu bestimmen. Hierbei müssen sie sich hingegen an die selbst gestellten Anforderungen halten. Wenn die kirchenrechtlichen Vorschriften das Erfordernis einer Religionszugehörigkeit nicht vorsehen, könne auch aus dem Selbstverständnis keine Rechtfertigung folgen. Insofern obliege den staatlichen Gerichten eine Missbrauchskontrolle der kirchlichen Anforderungen an deren Mitarbeiter.

     

    Gemäß § 3 Abs. 1 der Richtlinie des Rates der evangelischen Kirche in Deutschland setze die berufliche Mitarbeit in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie grundsätzlich die Zugehörigkeit zu einer Gliedkirche der evangelischen Kirche voraus, mit der die evangelische Kirche in Deutschland in Kirchengemeinschaft verbunden sei. Hiervon könne zwar bei Tätigkeiten, die nicht allein der Verkündung, Seelsorge, Unterweisung oder Leistung zuzuordnen seien, abgewichen werden. Grundsätzlich sei jedoch auch bei diesen Tätigkeiten zumindest eine Mitgliedschaft in einer Mitgliedskirche in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland erforderlich. Daher sei die Forderung der Religionszugehörigkeit im Rahmen der ausgeschriebenen Stelle ausgehend vom Selbstverständnis des ArbG nicht rechtsmissbräuchlich. Es sei auch nicht ersichtlich, dass von dem ArbG oder der evangelischen Kirche in Deutschland in anderen vergleichbaren Fällen auf die Mitgliedschaft in einer Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen verzichtet worden sei.

     

    Überdies trete mit der Tätigkeit der ausgeschriebenen Stelle der jeweilige Stelleninhaber unmittelbar für die kirchliche Einrichtung nach außen auf, vertrete deren Standpunkt, was auch im Rahmen der Erstellung des Parallelberichts zu dem Staatenbericht zu berücksichtigen sei. Es sei daher plausibel, dass der Stelleninhaber im Einklang mit den Werten und den Überzeugungen des ArbG als Einrichtung der evangelischen Kirche in Deutschland agieren müsse. Die Mitgliedschaft zu einer Kirche sei daher auch ein geeignetes Kriterium um die Identifikation mit dem kirchlich-/diakonischen Auftrag und damit dem Leitbild auch des ArbG zu gewährleisten.

     

    Praxishinweis

    Auch im vorliegenden Fall zieht das LAG die objektive Eignung und Vergleichbarkeit der Bewerberin mit den anderen zum Vorstellungsgespräch bzw. bei der Stellenbesetzung berücksichtigten Bewerbern deutlich in Zweifel. Die Frage wird letztlich dahinstehen gelassen, da eine mögliche unterschiedliche Behandlung wegen der Religion zumindest nach § 9 AGG gerechtfertigt ist. Die Kirchen und ihre Einrichtungen können für Verkündungsträger und den nach außen auftretenden kirchlichen Dienst, wobei zwischen der Verkündung und dem Dienst am Nächsten zu unterscheiden ist, die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche bzw. einer evangelischen Gliedkirche voraussetzen. Dem steht, wie das LAG deutlich ausführt, Europarecht nicht entgegen, da dieses im Lichte europäischen Primärrechts des deutschen Verfassungsrechts, welches das kirchliche Selbstbestimmungsrecht weitgehend gewährleistet, auszulegen ist.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2014 | Seite 184 | ID 43005339