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  • · Fachbeitrag · Strafrecht

    Verdacht der Kindesmisshandlung rechtfertigt Bruch der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Sascha Lübbersmann, Kanzlei Ammermann Knoche Boesing, Münster, www.kanzlei-akb.de 

    | Das Kammergericht (KG) Berlin hat entschieden, dass der Arzt rechtmäßig handelt, wenn er seine ärztliche Schweigepflicht bricht, um Strafverfolgungsbehörden und Jugendamt zu informieren, wenn er bei einer Behandlung von Kindern den ernsthaften Verdacht einer Kindesmisshandlung hat ( Urteil vom 27. Juni 2013, Az. 20 U 19/12, Abruf-Nr. 133391 ). |

     

    Symptome eines Schütteltraumas beim Baby

    Eltern brachten ihr fünf Monate junges Baby wegen eines Krampfanfalls in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Es wurden typische Symptome eines Schütteltraumas diagnostiziert; auch ein Schädelbruch soll vorgelegen haben. Klinik-Mitarbeiter sowie der informierte Sozialdienst äußerten den Eltern gegenüber den Verdacht der Kindesmisshandlung. Diese benannten als Grund für die Verletzungen einem Kopfstoß des Babys gegen die Sitzschale im Auto - medizinisch schwer nachvollziehbar.

     

    Die Klinik-Mitarbeiter informierten das Landeskriminalamt (LKA) und das Jugendamt. Dies führte zu einem Ermittlungsverfahren gegen die Eltern. Diese wurden vorläufig festgenommen - das Kind wurde zeitweilig bei Pflegeeltern untergebracht. Das Ermittlungsverfahren wurde schließlich eingestellt, da weder der Hergang noch der oder die Verursacher des Schütteltraumas herausgefunden werden konnten. Mit ihrer Klage begehrten die Eltern vom Krankenhausträger Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen der Unterrichtung der Strafverfolger und des Jugendamts.

     

    Die Entscheidung des Gerichts

    Das KG entschied gegen die Eltern und wies die Klage ab. Aus ärztlicher Sicht habe der erstzunehmende Verdacht einer Kindesmisshandlung bestanden. Dieser Verdacht rechtfertige die Verletzung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht. Eines hinreichenden Tatverdachts bedürfe es hierzu nicht. Die zur Geheimnisweitergabe erforderliche Wiederholungsgefahr könne auch dann bestehen, wenn „nur“ eine vorsätzliche Körperverletzung in Rede stehe. Die Einschaltung von Jugendamt und LKA sei daher vertretbar gewesen.

     

    FAZIT |  Auch auf Zahnärzte dürfte dieses Urteil anwendbar sein, denn auch in Zahnarztpraxen sprechen misshandelte Kinder vor: Beschädigungen des Lippenbändchens durch die heftige Einführung eines Löffels nach einer Nahrungsverweigerung des Kindes oder Läsionen der Lippen durch Faustschläge sind entsprechende Beispiele (weitere unter zwd.iww.de in der Rubrik „Arbeitshilfen und Checklisten“). Zahnärzte sollten einen ernsthaften Verdacht allerdings nur präventiv melden, also um weitere Misshandlungen zu vermeiden. Eine repressive Intention rechtfertigt die Verletzung der Schweigepflicht ebensowenig wie eine vorschnelle Weitergabe der Diagnose „Verdacht auf Kindesmisshandlung“.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 16 | ID 42396624