· Fachbeitrag · Strafrecht
Horizontale Arbeitsteilung bei Vollnarkose: BGH nimmt Zahnärzte in die Pflicht!
| Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 13.08.2025 (Az. 5 StR 55/25) über Revisionen gegen ein Urteil des Landgerichts (LG) Hamburg entschieden, welches eine im Mai 2016 tödlich verlaufene Narkosebehandlung zum Gegenstand hatte ‒ wir haben in ZP 03/2025, Seite 3 ausführlich darüber berichtet. Nach dem Tod des Patienten, der sich für seine Behandlung in einer Zahnarztpraxis eine Vollnarkose gewünscht hatte, wurde der hinzugezogene Anästhesist vom LG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt, die mitangeklagte Zahnärztin wurde hingegen freigesprochen (Urteil vom 12.07.2024, Az. 602 Ks 2/23). Der BGH hat dieses Urteil nun aufgehoben, weshalb gegen beide Angeklagte durch das LG nun erneut verhandelt und entschieden werden muss. |
Die Überprüfung des Urteils durch den BGH auf die Revision des Anästhesisten hat im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Der Strafausspruch unterlag dagegen der Aufhebung, weil das LG einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) des Angeklagten für möglich erachtet, jedoch die damit eröffnete Möglichkeit einer Strafmilderung nicht erörtert hat.
Auch den Freispruch der angeklagten Zahnärztin hat der Senat aufgehoben. Bei seiner Wertung, dass sie auf eine ordnungsgemäße Durchführung der Anästhesie habe vertrauen dürfen, hat das LG nicht erkennbar bedacht, dass die Narkose für eine außerordentlich lange Dauer geplant war und diese Planung zudem auf unsicherer Grundlage entstanden war, weil der Geschädigte eine vorherige Untersuchung seiner Zähne nur eingeschränkt zugelassen hatte. Ferner hat das LG nicht untersucht, ob die Zahnärztin nach Überschreitung der ursprünglich vorgesehenen Behandlungsdauer dem Gebot gegenseitiger Information und Koordination gegenüber dem Anästhesisten gerecht geworden ist.
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Hintergrund zum BGH-Urteil
Der seinerzeit 18-jährige Geschädigte erlitt im Rahmen einer durch den Angeklagten Dr. A als Anästhesist betreuten Vollnarkose ein Lungenödem und verstarb hieran. Die Narkose war für Zwecke einer umfangreichen Zahnsanierung eingeleitet worden, die an diesem Tag durch die Angeklagte Dr. M ambulant in ihrer Zahnarztpraxis durchgeführt wurde. Das Landgericht hat den Angeklagten Dr. A wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Angeklagte Dr. M wurde vom gleichen Vorwurf freigesprochen.
Nach den Feststellungen des Landgerichts sollte bei dem unter ständigen Schmerzen wegen stark kariöser Zähne leidenden Patienten, der sich aus Furcht jahrelang nicht hatte behandeln lassen, eine Zahnsanierung unter Vollnarkose stattfinden. Für die Durchführung der Betäubung, für die einschließlich Einleitungs- und Aufwachphase mit einer Dauer von acht Stunden gerechnet wurde, gewann die Angeklagte Dr. M den Angeklagten Dr. A. Dieser klärte den Patienten nicht darüber auf, dass seine apparative Ausstattung nicht den Mindestanforderungen der ärztlichen Leitlinien entsprach und diesen zuwider auch kein begleitendes Personal eingesetzt werden würde. Da sich der Umfang der morgens um 09:00 Uhr begonnenen Behandlung als größer erwies als gedacht, dauerte diese nach Ablauf der vorgesehenen Zeit weiter an. Gegen 17:30 Uhr stellte der Angeklagte Dr. A erstmals eine abfallende Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz des Patienten fest, dessen Werte sich bald weiter verschlechterten. Um 18:10 Uhr betätigte die Angeklagte Dr. M auf sein Geheiß den Notruf. Ein von den Sanitätern ‒ erstmals ‒ angeschlossenes EKG-Gerät zeigte eine Nulllinie an. Der Patient verstarb noch am Abend im Krankenhaus.
Der Tod beruhte auf der Narkose, während der es bedingt durch die Spontanatmung durch einen engen Beatmungstubus zu einem schweren Lungenödem gekommen war. Dem Angeklagten Dr. A war bewusst, dass seine Behandlung standardwidrig war und er hierüber nicht aufgeklärt hatte. Es war für ihn vorhersehbar, dass sich die typischen Risiken einer Vollnarkose erfüllen und zum Versterben des Patienten führen konnten. Er ging jedoch im Vertrauen in seine Fähigkeiten davon aus, dies vermeiden zu können. Die Angeklagte Dr. M. erkannte die Standardwidrigkeit nicht und vertraute darauf, dass der Angeklagte Dr. A die Anästhesie mit der gebotenen Sorgfalt ausführen werde.
Das Landgericht hat die Narkose durch den Angeklagten Dr. A als vorsätzliche Körperverletzung in Gestalt einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Mangels ausreichender Aufklärung habe der Geschädigte in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt. Es hat außerdem den für den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt der Körperverletzung und der Todesfolge darin gesehen, dass der Auftritt eines Lungenödems eine spezifische Gefahr einer Vollnarkose darstelle.