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  • · Kostenerstattung

    PKV kann Erstattung einer KFO-Behandlung wegen angeblich verschwiegener Anomalien nicht ablehnen

    Bild: ©Gecko Studio - stock.adobe.com

    | Die Frage eines Krankenversicheres bei Vertragsabschluss nach bestehenden „Anomalien“ berechtigt nicht zum nachträglichen Ausschluss der Kostenübernahme für kieferorthopädische Behandlungen. Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. in seinem Urteil vom 24.03.2021 hin (Az. 7 U 44/20, Abruf-Nr. 221862 ). |

    Streit um Anzeigepflichtverletzung des Versicherungsnehmers

    Die Parteien streiten um die Erstattung von Aufwendungen für eine kieferorthopädische Behandlung der Tochter des Versicherungsnehmers. Er beantragte im März 2017 bei einem Krankenversicherer den Abschluss einer privaten Krankheitskosten- und Pflegeversicherung. Hinsichtlich seiner mitzuversichernden, neun Jahre alten Tochter beantwortete er folgende Frage mit „nein“: Bestehen/bestanden in den letzten drei Jahren Beschwerden, Krankheiten, Anomalien (auch Implantate (zum Beispiel Brustimplantate) und/oder Unfallfolgen ...), die nicht ärztlich ... behandelt wurden?

     

    Die Tochter befand sich seit 2011 in regelmäßiger zahnärztlicher Kontrolle. Unstreitig lag bei ihr ein Engstand der Backenzähne vor. Im Sommer 2017 erlitt die Tochter einen Unfall, bei dem sie sich einen Zahn abbrach. Im Zusammenhang mit dieser Behandlung wurde die Indikation für eine kieferorthopädische Behandlung gestellt; im Heilbehandlungs- und Kostenplan der Kieferorthopädin vom November 2017 heißt es u. a. „Platzmangel im UK, Scherenbiss Zahn 24, diverse Rotationen und Kippungen“.

     

    Der Versicherer meint, der dem Versicherungsnehmer bekannte Engstand der Backenzähne seiner Tochter sei eine anzeigepflichtige „Anomalie“ im Sinne der Antragsfrage. Bei Kenntnis wäre der Vertrag nicht einschränkungslos angenommen, sondern ein Leistungsausschluss für die kieferorthopädische Behandlung vereinbart worden. Dementsprechend sei der Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung nachträglich anzupassen.

     

    Der Versicherungsnehmer hat sich demgegenüber darauf berufen, dass er erstmals im Sommer 2017 von der Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung Kenntnis erlangt habe. Auf eine solche habe zuvor nichts hingedeutet; insbesondere auch nicht der Engstand der Backenzähne. Das Landgericht als erste Instanz hatte die Klage auf Erstattung von Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung noch abgewiesen ...

    Die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M.

    ... die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG Frankfurt a. M. jedoch überwiegend Erfolg.

     

    Der Versicherer sei nicht berechtigt gewesen, den Vertrag anzupassen und einen Risikoausschluss für die Behandlung von Zahnfehlstellungen/Anomalien aufzunehmen. Der Versicherungsnehmer habe keine Anzeigepflichten verletzt. Soweit bei seiner Tochter ein Engstand der Backenzähne vorgelegen und ihm bekannt gewesen sei, sei dies nicht anzeigepflichtig gewesen.

     

    Die Frage nach „Anomalien“ im Antragsformular auf Abschluss einer privaten Krankheitskostenversicherung sei in Bezug auf Zahnfehlstellungen unklar. Sie verlange dem Versicherungsnehmer in unzulässiger Weise eine Wertung ab.

     

    Das OLG Frankfurt a. M. argumentiert folgendermaßen:

     

    • Eine Zahnfehlstellung ist keine „Krankheit“. „Krankheit“ im versicherungsvertraglichen Sinne ist „ein anormaler Körper- oder Geisteszustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt“. Der Versicherer habe vorliegend nicht behauptet oder nachgewiesen, dass der Engstand hier zu einer solchen Störung körperlicher Funktionen geführt hat.

     

    • Hinsichtlich der „Anomalie“ ist die Antragsfrage unklar. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist nicht erkennbar, was unter einer Anomalie im Zahnbereich zu verstehen ist. Gemäß der Definition im Duden versteht man unter einer Anomalie eine Abweichung vom Normalen, eine körperliche Fehlbildung. Darunter dürfte der durchschnittliche Versicherungsnehmer eher eine Missbildung/Behinderung verstehen, als eine Zahn- und Kieferfehlstellung. Dafür spricht auch der Klammerzusatz, der auf Implantate verweist. Es kommt hinzu, dass dem Begriff der Anomalie eine gewisse Dauerhaftigkeit immanent ist. Der Zahnstatus der neunjährigen Tochter des Versicherungsnehmers ist aber aufgrund fortschreitenden Wachstums und Zahnwechsels naturgemäß Änderungen unterworfen. Die Frage verlangt jedenfalls dem Versicherungsnehmer in unzulässiger Weise eine Wertung ab. Fragen, die eine Wertung des Versicherungsnehmers voraussetzen, sind grundsätzlich unzulässig. Sie können deshalb auch keine Anzeigepflicht begründen.

     

    PRAXISTIPP | Weisen Sie Ihre Patienten ihn ähnlich gelagerten Fällen auf dieses Urteil hin, sollte es zu Problemen bei der Kostenerstattung kommen.

     
    Quelle: ID 47528232