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  • 08.04.2025 · IWW-Abrufnummer 247472

    Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 07.11.2024 – 17 Sa 2/24

    1. Mit der Formulierung in einer Stellenanzeige "Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Datengetriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause", möchte der Arbeitgeber Bewerber ansprechen, die mit digitalen Technologien, Computern, dem Internet und Smartphones aufgewachsen sind und diese von klein auf in ihren Alltag integriert haben. Eine solche Stellenausschreibung stellt ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG dar.

    2. Als "Digital Native" wird eine Person bezeichnet, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und in ihrer Benutzung geübt ist. Dem Begriff "Digital Native" kann damit ein Alters- bzw. Generationenbezug nicht abgesprochen werden.

    3. Es kann offengelassen werden, ob der Jahrgang 1981 als Beginn der "Digital Natives" anzunehmen ist. Jahrgänge vor 1980 gehören jedenfalls nicht zu den sog. "Digital Natives".


    In der Rechtssache
    - Beklagte/Berufungsklägerin -
    Proz.-Bev.:
    gegen
    - Kläger/Berufungsbeklagter -
    Proz.-Bev.:
    hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 17. Kammer - durch die
    Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Hofherr, die ehrenamtliche Richterin Kocken und die ehrenamtliche Richterin Schwartländer-Brand auf die mündliche Verhandlung vom 07.11.2024
    für Recht erkannt:

    Tenor: 1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 18.01.2024 - 8 Ca 191/23 - im Hinblick auf den Zinsausspruch dahingehend abgeändert, dass Zinsen erst seit dem 28.06.2023 zu zahlen sind. 2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG zu zahlen.

    Der 1972 geborene Kläger mit Familienwohnsitz in Berlin ist ausgebildeter Diplom-Wirtschaftsjurist. Ein Großteil der Familie des Klägers, ... wohnt im Raum Baden-Baden. Die Beklagte ist ein international agierendes Handelsunternehmen im Bereich Sportartikel. Im April 2023 schrieb die Beklagte auf zahlreichen Internetplattformen wie stepstone, LinkedIn, Xing eine Position als "MANAGER CORPORATE COMMUNICATIONS (M/W/D) UNTERNEHMENSSTRATEGIE" in Vollzeit für ihre Zentrale in Heilbronn aus (vgl. Anlage K1, Bl. 9 ff. der erstinstanzl. Akte). In der Stellenanzeige heißt es unter der Überschrift "WIR LIEBEN" ua. wie folgt:

    "Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause". "Du bist ein absoluter Teambuddy..."

    Unter der Überschrift "WIR BIETEN" findet sich in der Stellenanzeige folgende Formulierung:

    "Miss dich mit interessanten und herausfordernden Aufgaben in einem dynamischen Team mit attraktiver Vergütung und Chancen zur beruflichen Entwicklung".

    Mit Schreiben vom 18.04.2023 (vgl. Anlage B5, Bl. 93 f. der erstinstanzl. Akte), welchem ein Lebenslauf des Klägers beigefügt war (vgl. Anlage B4, Bl.88 ff. der erstinstanzl. Akte) bewarb sich der Kläger auf die ausgeschriebene Stelle über das Online Karriere-Portal der Beklagten. In dem Anschreiben äußerte der Kläger eine Gehaltsvorstellung von rund 90.000,00 € brutto pro Jahr. Mit E-Mail vom 26.04.2023 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Absage. Daraufhin machte der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 09.05.2023 (vgl. Anlage K3, Bl. 14 ff. der erstinstanzl. Akte) einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 37.500,00 € erfolglos geltend (vgl. Ablehnungsschreiben, Anlage K4, Bl. 17 f. der erstinstanzl. Akte).

    Mit seiner beim Arbeitsgericht am 22.06.2023 eingegangenen und der Beklagten am 27.06.2023 zugestellten Klage hat der Kläger sein Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiterverfolgt.

    Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Ablehnung seiner Bewerbung beruhe auf einer Benachteiligung wegen seines Alters. Die Beklagte habe nach ihrem Anforderungsprofil einen "Digital Native", d.h. wörtlich übersetzt einen "digitalen Eingeborenen" bzw. "digitalen Ureinwohner" gesucht. Der Begriff "Digital Natives" sei die Definition für eine Generation, die von Kindesbeinen an die digitale Sprache von Computer, Videospielen und Internet verwende. In Abgrenzung hierzu werde als "Digital Immigrant" eine Person bezeichnet, die erst später in die digitale Welt "eingewandert" sei. In Jahreszahlen gemessen würden Angehörige der Geburtenjahrgänge ab 1980 den sog. "digitalen Ureinwohnern" zugerechnet. Damit habe die Beklagte direkt auf das Merkmal "Alter" abgestellt. Mit ihrer Stellenausschreibung habe die Beklagte gegen § 11 AGG verstoßen, was wiederum die Vermutung begründe, die Benachteiligung sei wegen des in der Ausschreibung bezeichneten verbotenen Merkmals erfolgt.

    Entgegen der Ansicht der Beklagten lägen weder eine Überqualifikation des Klägers noch eine zu hohe Vergütungserwartung und auch keine fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers vor. Die Stellenausschreibung der Beklagten lasse erkennen, dass die Beklagte mehr als nur einen "Sachbearbeiter" gesucht habe, da sie insbesondere Strategie und Analyse sowie mehrjährige fundierte Berufserfahrungen fordere. Der Durchschnittsverdienst für derartige Positionen habe im Jahr 2021 82.057,00 € brutto pro Jahr betragen und habe im Jahr 2023 angesichts der branchenübergreifenden Tarifabschlüsse vermutlich noch höher gelegen. Vor diesem Hintergrund sei die im Bewerbungsschreiben geäußerte Gehaltsvorstellung des Klägers iHv. 90.000,00 € angemessen gewesen. Nicht überzeugen könnten auch die von der Beklagten bemühten Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers aufgrund der geografischen Entfernung zwischen Berlin und Heilbronn. Der Kläger habe bereits in der Güteverhandlung erklärt, dass seine Familie ihren Lebensmittelpunkt insbesondere aus familiären Gründen gerne in den süddeutschen Raum verlegt hätte und er im August 2023 eine Tätigkeit in Frankfurt am Main angenommen habe, mithin mobil sei.

    Die Beklagte schulde dem Kläger daher eine Entschädigung von fünf Monatsvergütungen à 7.500,00 €. Ein Monatsgehalt von 7.500,00 € liege im üblichen Bereich für mit der ausgeschriebenen Stelle vergleichbare Positionen.

    Der Kläger hat zuletzt beantragt,

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 37.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe bereits keine ausreichenden Indizien für eine unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 AGG dargelegt. Der Kläger sei für die ausgeschriebene Stelle deutlich überqualifiziert gewesen. Aus dem Lebenslauf sei ersichtlich, dass der Kläger als Wirtschaftsjurist mit Erfahrung in Anwaltskanzleien in den letzten Jahren Führungspositionen bekleidet habe, während es sich bei der ausgeschriebenen Position um eine einfache Sachbearbeiter- und keine Führungsposition gehandelt habe. Dies spiegele sich auch in der Gehaltsvorstellung des Klägers iHv. 90.000,00 € Bruttojahresgehalt wieder. Die ausgeschriebene Stelle sei mit max. 60.000,00 € brutto im Jahr dotiert gewesen. Der nunmehr eingestellte Bewerber erhalte ein jährliches Bruttogehalt in Höhe von 58.020,00 €. Die deutliche Überqualifikation des Klägers, seine Gehaltsvorstellung sowie sein Familienwohnsitz in B. sprächen dafür, dass seine Bewerbung nicht ernstlich gemeint gewesen sei.

    Die Beklagte hat weiter vorgetragen, der Kläger sei wegen seiner deutlichen Überqualifizierung, seiner weit über dem Budget der Beklagten liegenden Gehaltsvorstellungen und weil sein Bewerbungsschreiben an keiner Stelle eine Sportaffinität des Klägers habe erkennen lassen, für die Stelle abgelehnt worden. Das Alter des Klägers habe dabei keine Rolle gespielt. Der Begriff des "Digital Native" sei im Übrigen nicht streng wissenschaftlich definiert. Gemeinsam sei den verschiedenen Definitionen, dass die Bezeichnung für Personen stehe, die sehr firm in der digitalen Welt und in der digitalen Sprache seien, ohne dass eine konkrete Altersgrenze gezogen werde. Durch die in der Stellenausschreibung konkret gewählte Formulierung werde auch deutlich, dass die Beklagte nicht einen "Digital Native" an sich gesucht, sondern vielmehr die Eigenschaften verlangt habe, die eine geeignete Person mitbringen müsse, sich nämlich in den genannten Bereichen zu Hause zu fühlen und über einschlägige Erfahrung zu verfügen.

    Das Arbeitsgericht hat der Klage - unter Klageabweisung im Übrigen - teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 7.500 € nebst Zinsen seit dem 27.06.2023 verurteilt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen aufgeführt, die Formulierung in der Stellenanzeige der Beklagten "Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Datengetriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause" stelle vorliegend ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG dar. Der Begriff "Digital Native" weise im gängigen Sprachgebrauch eine generationenbezogene Konnotation auf. Die konkrete Formulierung in der Stellenausschreibung der Beklagten zeige, dass die Beklagte eben nicht nur eine Person mit sicheren Kenntnissen in diesen Kommunikationsfeldern suche, sondern jemanden, der diese Eigenschaft regelmäßig von Natur aus als "Eingeborener" mitbringe. Der Beklagten sei es auch nicht gelungen, die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters auszuräumen. Sie habe weder aufgezeigt, dass sie bei der Sichtung der Bewerbungen einem formellen Verfahren gefolgt sei, noch substantiierten Vortrag dazu gehalten, nach welchen Kriterien vorliegend ausschließlich ausgewählt worden sei. Der Entschädigungsanspruch sei schließlich nicht dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand ausgesetzt. Die von der Beklagten hierzu vorgetragenen Einwände (Wohnsitz des Klägers in B., Überqualifizierung, Gehaltsvorstellung) reichten nicht aus, um auf Rechtsmissbrauch zu schließen. Eine Entschädigungszahlung in Höhe von 1,5 auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten, d.h. in Höhe von insgesamt 7.500 € sei angemessen iSd. § 15 Abs. 2 AGG.

    Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 26. Januar 2024 zugestellt. Die Beklagte hat am 23. Februar 2024 Berufung eingelegt und diese mit am 25. März 2024 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

    Unter Aufrechterhaltung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags macht die Beklagte zweitinstanzlich im Wesentlichen Folgendes geltend: Die Ausschreibung des Arbeitsplatzes sei nicht in altersdiskriminierender Art und Weise erfolgt. Der Begriff "Digital Native" könne auf verschiedene Art und Weise ausgelegt werden. Nach zutreffender Ansicht beschreibe er nicht das Alter der gewünschten Bewerber, sondern ihre Fähigkeiten und Kenntnisse. Diese seien altersunabhängig. Selbst wenn der Begriff so zu verstehen sein sollte, dass hiermit Personen gemeint seien, die im digitalen Zeitalter aufgewachsen und sozialisiert seien, wäre ein Rückschluss auf einen konkreten Altersbereich nicht möglich. Der Beginn des "digitalen Zeitalters" sei nicht einheitlich definiert. Die Ziehung einer Altersgrenze wäre damit willkürlich und in keiner Weise sachgerecht. Von dem abgesehen sei der im Jahr 1972 geborene Kläger hinsichtlich sämtlicher vertretbarer Definitionen des Begriffs "digitales Zeitalter" in eben diesem aufgewachsen und eine Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters damit unter allen denkbaren Gesichtspunkten ausgeschlossen.

    Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts seien die von der Beklagten bereits erstinstanzlich vorgetragenen Umstände (deutliche Überqualifizierung, weit außerhalb des Budgets liegende Gehaltsvorstellung, keine erkennbare Sportaffinität des Klägers) ausreichend, um zu beweisen, dass die Bewerbung des Klägers nicht wegen seines Alters abgelehnt worden sei.

    Hilfsweise wäre ein Entschädigungsanspruch des Klägers jedenfalls gemäß § 242 BGB ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall sei anzunehmen, dass die Bewerbung des Klägers auf die streitgegenständliche Stellenausschreibung das ausschließliche Ziel verfolgt habe, den formalen Status als Bewerber zu erhalten, um eine Entschädigung wegen (vermeintlicher) Diskriminierung einzufordern. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau der Umstände. Es liege außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass ein ersichtlich und erheblich überqualifizierter Arbeitnehmer eine Stelle anstrebe, deren typisches Gehalt weit unterhalb seiner Vorstellungen liege, in einem Unternehmen, in dessen Geschäftsfeld er keinerlei Erfahrung habe, ohne in seinem Bewerbungsschreiben hierauf Bezug zu nehmen oder sein Interesse am Sport zu erläutern, wobei die Stelle in einer Stadt angeboten werde, zu der er keinen Bezug habe und die weit von dem Wohnsitz seiner Familie entfernt liege.

    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 18. Januar 2024, Az. 8 Ca 191/23, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

    Der Kläger beantragt:

    die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

    Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Vertiefung und Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vortrags. Seiner Ansicht nach hat das Gericht zutreffend erkannt, dass die streitgegenständliche Formulierung ("Als Digital Native...") in der Stellenanzeige der Beklagten ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG darstelle. Es sei auch gar nicht notwendig, trennscharf zu definieren, ab welchem Geburtsjahr ein Mensch ein "Digital Native" sei. Der Kläger sei jedenfalls kein "Digital Native".

    Zurecht habe das Gericht auch festgestellt, dass die Beklagte keinen Nachweis dafür erbracht habe, dass ausschließlich andere, nichtdiskriminierende Gründe für die Ablehnung des Klägers ausschlaggebend gewesen seien. Der Kläger sei für die ausgeschriebene Stelle perfekt geeignet und keinesfalls überqualifiziert gewesen. Auch sei die Gehaltsvorstellung des Klägers nicht überhöht gewesen. Im Übrigen sei die Benennung einer Gehaltsvorstellung regelmäßig eine Verhandlungsgrundlage zum Einstieg in die Verhandlungen. Dass die Vorstellungen des Klägers zu hoch gewesen seien, habe die Beklagte in keiner Form und zu keinem Zeitpunkt deutlich gemacht. Ebenso unklar und unzureichend sei der Beklagtenvortrag hinsichtlich der Hervorhebung der Sportaffinität in der Bewerbung.

    Dem Entschädigungsanspruch des Klägers könne auch ein Rechtsmissbrauchseinwand nicht entgegengehalten werden. Hierbei handele es sich um einen Ausnahmetatbestand, für den besondere Anhaltspunkte vorliegen müssten. Das Gericht habe zutreffend festgestellt, dass die von der Beklagten vorgetragenen Umstände nicht ausreichten, um auf einen Rechtsmissbrauch des Klägers zu schließen.

    Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen in erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Berufung ist zulässig, aber nur in sehr geringem Umfang begründet.

    A.

    Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft und gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form sowie gem. § 66 ArbGG in der gesetzlichen Frist eingelegt und begründet worden. Die Berufungsbegründung entspricht den gesetzlichen Anforderungen.

    B.

    Die Berufung der Beklagten ist überwiegend erfolglos. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 7.500,00 € nebst Verzugszinsen hat (I.). Die Verzugszinsen stehen dem Kläger jedoch erst ab dem 28. Juni 2023 und nicht - wie erstinstanzlich zuerkannt - bereits ab dem 27. Juni 2023 zu (II.).

    I.

    Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von 7.500,00 € nebst Verzugszinsen zu.

    1. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet ist. Der Kläger fällt nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Die Beklagte ist Arbeitgeberin i.S.v. § 6 Abs. 2 AGG.

    2. Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch auch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG).

    3. Der Kläger ist wegen seines Alters und damit wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nach § 7 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt worden.

    a) Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist, dass der abgelehnte Bewerber entgegen § 7 Abs. 1 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt wurde.

    aa) Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Alters. § 7 Abs. 1 AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

    bb) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst allerdings nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund bzw. zwischen der Benachteiligung und dem Alter muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen (st. Rspr., z.B. BAG 14. Juni 2023 - 8 AZR 136/22; BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21). Soweit es - wie vorliegend - um eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (st. Rspr., z.B. BAG 2. Juni 2022 - 8 AZR 191/21; BAG 1. Juli 2021 - 8 AZR 297/20).

    cc) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 25. November 2021 - 8 AZR 313/20). Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG 1. Juli 2021 - 8 AZR 297/20; 17. Dezember 2020 - 8 AZR 171/20).

    dd) Nach § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden. Eine Ausschreibung verstößt gegen § 7 Abs. 1 AGG, wenn Menschen, die ein in § 1 AGG genanntes Merkmal aufweisen, vom Kreis der für die zu besetzende Stelle in Betracht kommenden Personen ausgeschlossen werden (BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09). Verstößt eine Stellenausschreibung gegen § 11 AGG, dann besteht die Vermutung, die Benachteiligung sei wegen des in der Ausschreibung bezeichneten verbotenen Merkmals erfolgt (BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 583/14; BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 429/11). Dies ist indes selbst bei Formulierungen, insb. Anforderungen in Stellenausschreibungen, die eine unmittelbare Benachteiligung wegen eines § 1 AGG genannten Grundes bewirken, dann nicht der Fall, wenn die Diskriminierung nach §§ 8, 9 oder § 10 AGG zulässig ist (so schon BAG 19. Mai.2016 - 8 AZR 583/14).

    ee) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (BAG 19 Mai 2016 - 8 AZR 583/14; BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12). Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises (BAG 18. September 2014 - 8 AZR 753/13). Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG 19 Mai 2016 - 8 AZR 583/14; BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10; BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08).

    b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend von einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seines Alters auszugehen.

    aa) Der Kläger wurde dadurch, dass er von der Beklagten nicht eingestellt wurde, unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Er hat eine ungünstigere Behandlung erfahren als der letztlich von der Beklagten eingestellte Bewerber.

    bb) Mit dem Arbeitsgericht geht die Kammer davon aus, dass der Kläger hinreichend Indizien vorgetragen hat, die eine unzulässige Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters vermuten lassen.

    (1) Anknüpfungspunkt für die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Alters ist im vorliegenden Fall der Text der Stellenausschreibung. Diese enthält neben Anforderungen wie "abgeschlossenes Hochschulstudium im Bereich PR, Journalistik, Kommunikations-/Medien- oder Wirtschaftswissenschaften", "Mehrjährige, fundierte Berufserfahrung im Bereich Print- und Onlineredaktion", "Profi im Thema Kommunikation", "Leidenschaft für Sprache und Digitale Formate" auch das Kriterium "Digital Native". Konkret lautet die diesbezügliche Formulierung in der Stellenausschreibung: "Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause".

    Nach Auffassung der Berufungskammer wird mit dem Begriff "Digital Native" unmittelbar an das Lebensalter angeknüpft. Auf Deutsch übersetzt heißt der Begriff "digitaler Eingeborener" bzw. "digitaler Ureinwohner". Der Begriff wurde von Marc Prensky im Jahr 2001 geprägt, um die Generation von Menschen zu beschreiben, die mit digitalen Technologien wie Computern, dem Internet und anderen mobilen Geräten aufgewachsen sind, und sie der Generation der "Digital Immigrants" gegenüberzustellen, der älteren Generation, die nicht mit diesen Technologien groß geworden ist (Prensky, M., 2001, "Digital Natives, Digital Immigrants"). Laut Duden ist ein "Digital Native" eine "Person, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und in ihrer Benutzung geübt ist". Ähnlich wird der Begriff in Wikipedia umschrieben. Dort heißt es: "Als digital native (deutsch "digitaler Eingeborener, Plural digital natives) wird eine Person der gesellschaftlichen Generation bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Im Gegensatz dazu stehen die Begriffe des "Digital Immigrant" (deutsch "digitaler Einwanderer" oder "digitaler Immigrant") für jemanden, der diese Welt erst im Erwachsenenalter kennengelernt hat, ...". Insgesamt ist daher festzustellen, dass sowohl Prensky bei der Verwendung des Begriffs "Digital Native" als auch Duden und Wikipedia bei der Definition des Begriffs eben nicht nur auf die besonderen Fähigkeiten eines "Digital Native" im Umgang mit digitalen Technologien wie Computer, Internet, etc. abstellen, sondern vor allem darauf, dass der "Digital Native" von klein auf mit den digitalen Medien vertraut ist, weil er in die digitale Welt hineingeboren wurde. Damit kann dem Begriff "Digital Native" ein Alters- bzw. Generationenbezug nicht abgesprochen werden.

    Nichts anderes ergibt sich aus der konkreten Formulierung in der streitgegenständlichen Stellenausschreibung der Beklagten. Stellenausschreibungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen potentiellen Bewerbern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Bewerbers zugrunde zu legen sind (BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14). Bei dem durchschnittlichen Bewerber für die Stelle eines "Manager Corporate Communications" dürfte es sich - entsprechend der in der Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen - um einen Hochschulabsolventen handeln, der sich "in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause fühlt". Bei einem derart qualifizierten Bewerberkreis sollte man davon ausgehen können, dass sowohl die englische Sprache als auch Begrifflichkeiten wie "Digital Native" und "Digital Immigrant" bekannt sind und im üblichen, d.h. wie von Duden und Wikipedia wiedergegebenen Sinne verstanden werden. Nachdem in der Stellenausschreibung auch nicht etwa eine Person gesucht wurde, die sich "wie ein Digital Native" in der Welt der Social Media .... wohl fühlt, sondern "als Digital Native" über zahlreiche im Einzelnen dann noch aufgeführte digitale Fähigkeiten und Eigenschaften verfügt, liegt die Vermutung nahe, dass die Beklagte Bewerber/innen ansprechen wollte, die mit digitalen Technologien wie Computern, dem Internet und Smartphones aufgewachsen sind und diese von klein auf in ihren Alltag integriert haben.

    (2) Verstärkt wird die Bezugnahme auf das Alter durch die weiteren Passagen in der Stellenausschreibung, in welcher der/die gesuchte Bewerber/in als "absoluter Teambuddy" bezeichnet und ihm/ihr Aufgaben in einem "dynamischen Team" geboten werden. Die Ansprache als "Teambuddy" richtet sich aus Sicht eines objektiven Lesers des Stellenprofils eher an einen/eine jüngeren/jüngere als einen/eine älteren/ältere Bewerber/in. Und auch der Begriff "dynamisch" beschreibt eine Eigenschaft, die im Allgemeinen eher jüngeren als älteren Menschen zugeschrieben wird (so zutreffend BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14; BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14). Wird in einer Stellenausschreibung - wie hier - darauf hingewiesen, dass ein "dynamisches Team" geboten wird, enthält dieser Hinweis regelmäßig nicht nur die Botschaft an potentielle Stellenbewerber/innen, dass die Mitglieder des Teams dynamisch sind, sondern der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin sucht, der/die in das Team passt, weil er/sie ebenso dynamisch ist wie die Mitglieder des vorhandenen Teams (BAG 11. August 2016 - 8 AZR 406/14; BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14).

    (3) Der im Jahr 1972 geborene Kläger ist kein "Digital Native" im obigen Sinne. Dabei kann offengelassen werden, ob der Jahrgang 1981 als Beginn der "Digital Natives" anzunehmen ist (so zahlreiche Autoren wie John Palfrey und Urs Gasser in ihrem Buch "Born Digital: Understanding the First Generation of Digital Natives", 2008; Anderson, C., & Rainie, L., 2008, "The future of the internet III", Studie des PEW Research Centers; vgl. https://www.personal-wissen.de/8819/digital-natives-die-generation-internet- und-neue-medien-aus-arbeitgebersicht) oder erst deutlich spätere Geburtenjahrgänge zu den "Digital Natives" gehören. Soweit ersichtlich finden sich jedenfalls keine ernst zu nehmenden Vertreter der Ansicht, dass bereits Jahrgänge vor 1980 zu den Digital Natives gehören. Letzteres lässt sich ohne Weiteres nachvollziehen, wenn man sich vor Augen führt, dass beispielsweise das Softwareunternehmen Microsoft überhaupt erst im Jahr 1975 gegründet wurde, der MITS Altair 8800 von 1975 als der erste Personal Computer gilt und der Apple I erst 1976 entwickelt wurde.

    (4) Die mit den Formulierungen in der Stellenausschreibung verbundene unmittelbare Diskriminierung des Klägers wegen seines Alters ist nicht nach §§ 8, 10 AGG gerechtfertigt. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte hat zu einer Rechtfertigung nach §§ 8, 10 AGG keinen Vortrag geleistet und behauptet eine solche auch nicht.

    cc) Der Beklagten ist es nicht gelungen, die nach § 22 AGG bestehende Vermutung einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters zu widerlegen.

    (1) Die Kausalitätsvermutung kann im Einzelfall nach § 22 AGG widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der/die erfolglose Bewerber/in eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit/den Beruf an sich ist. (BAG 14. Juni 2023 - 8 AZR 136/22).

    Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass der Kläger sämtliche in der Stellenausschreibung formulierten Anforderungen/Qualifikationen aufweist. Im Gegenteil ist die Beklagte sogar der Ansicht, der Kläger sei für die ausgeschriebene Stelle eines Manager Corporate Communications überqualifiziert gewesen.

    (2) Der Arbeitgeber kann die Vermutung, er habe die klagende Partei wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt, beispielsweise auch dadurch widerlegen, indem er substantiiert dazu vorträgt und im Bestreitensfall beweist, dass er bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen ist, das eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt. Dies kann zum Beispiel anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber ausnahmslos alle Bewerbungen in einem ersten Schritt darauf hin sichtet, ob die Bewerber/innen eine zulässigerweise gestellte Anforderung erfüllen und er all die Bewerbungen von vornherein aus dem weiteren Auswahlverfahren ausscheidet, bei denen dies nicht der Fall ist. Der Arbeitgeber, der sich hierauf beruft, muss dann allerdings nicht nur darlegen und ggf. beweisen, dass ein solches Verfahren praktiziert wurde, sondern auch, dass er das Verfahren konsequent zu Ende geführt hat. Deshalb muss er auch substantiiert dartun und im Bestreitensfall beweisen, wie viele Bewerbungen eingegangen sind, welche Bewerber/innen aus demselben Grund ebenso aus dem Auswahlverfahren ausgenommen wurden, welche Bewerber/innen, weil sie die Anforderung erfüllten, im weiteren Auswahlverfahren verblieben sind und dass der/die letztlich ausgewählte Bewerber/in die Anforderung, wegen deren Fehlens die klagende Partei aus dem weiteren Auswahlverfahren vorab ausgenommen wurde, erfüllt (BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14; BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08).

    Einen solchen Vortrag hat die Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht ansatzweise geleistet. Zwar hat sie behauptet, die - aus ihrer Sicht - deutliche Überqualifizierung des Klägers, seine - wiederum aus Sicht der Beklagten - zu hohe Gehaltsvorstellung und das Fehlen eines Hinweises auf eine bestehende Sportaffinität des Klägers in seinem Bewerbungsschreiben hätten die Beklagte dazu veranlasst, die Bewerbung des Klägers bei einer Zahl von ca. 130 Bewerbungen nicht weiter zu berücksichtigen. Ein substantiierter Vortrag zu den Einzelheiten des Auswahlverfahrens, insbesondere dazu, wann welche Bewerber/innen aus denselben Gründen aus dem Auswahlverfahren ausgenommen wurden, fehlt jedoch gänzlich, obwohl bereits im erstinstanzlichen Urteil auf die Erforderlichkeit eines solchen Vortrags hingewiesen wurde (vgl. hierzu die Ausführungen des Arbeitsgerichts Heilbronn in den Entscheidungsgründen auf Seiten 8 und 9. unter II.4.e)).

    4. Der vom Kläger geltend gemachte Entschädigungsanspruch ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen (§ 242 BGB).

    a) Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21).

    Im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG ist Rechtsmissbrauch anzunehmen, sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (so zuletzt BAG 19. September 2024 - 8 AZR 21/24; grundlegend BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14). Nach § 242 BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Allerdings führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung iSv. § 242 BGB vor (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21; BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21; BAG 11. August 2016 - 8 AZR 4/15).

    Die Feststellung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im vorstehenden Sinne verlangt das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements. Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde. In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Das Missbrauchsverbot ist allerdings nicht relevant, wenn das fragliche Verhalten auch eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils (EuGH 28. Juli 2016 - C-423/15 - [Kratzer]; BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21).

    Für das Vorliegen der Voraussetzungen, die gegenüber einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Einwendung des Rechtsmissbrauchs begründen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet. Dieser muss deshalb Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die den rechtshindernden Einwand begründen (BAG 31. März 2022 - 8 AZR 238/21; BAG 19. Januar 2023 - 8 AZR 437/21).

    b) Die von der Beklagten vorgetragenen Umstände lassen weder für sich betrachtet noch in der Gesamtschau den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers zu (§ 242 BGB).

    aa) Die Beklagte kann den Rechtsmissbrauchseinwand nicht mit Erfolg darauf stützen, der Kläger sei offensichtlich und erheblich überqualifiziert für die ausgeschriebene Stelle. Zwar kann ein krasses Missverhältnis zwischen dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle und der Qualifikation des Bewerbers die Ernsthaftigkeit der Bewerbung in Frage stellen (BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 429/11). Ein derart krasses Missverhältnis vermag die Berufungskammer im vorliegenden Fall aber nicht zu erkennen. Die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle eines Manager Corporate Communications erfordert ein "abgeschlossenes Hochschulstudium im Bereich PR, Journalistik, Kommunikations-/Medien- oder Wirtschaftswissenschaften", einen "Profi im Thema Kommunikation" und "mehrjährige, fundierte Berufserfahrung im Bereich Print- und Onlineredaktion". Der von der Beklagten gesuchte "Manager Corporate Communication" sollte laut der Stellenausschreibung ua. die Beklagte projektbezogen gegenüber verschiedenen Stakeholdern vertreten, den Bereich Digital- und Data-Driven Communications und Content Marketing mitaufbauen und verantwortlich für die Ananlyse und Auswertung von Kommunikationsdaten sein. Der Kläger ist Hochschulabsolvent (Diplom-Wirtschaftsjurist) und war in den letzten zehn Jahren vor der streitgegenständlichen Bewerbung bei verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien und Unternehmen als Leiter Unternehmenskommunikation, Leiter Kommunikation & Marketing, Director Operations Germany, Head of Strategy & Communications und zuletzt als Interimsmanager Media/Strategic Relations tätig. Insofern entspricht der Kläger in jeglicher Hinsicht dem Anforderungsprofil des von der Beklagten gesuchten Manager Corporate Communications. Er ist allenfalls für die Stelle insofern "überqualifiziert", als er laut seinem Bewerbungsschreiben zusätzlich noch über "langjährige Führungserfahrung" verfügt, während die ausgeschriebene Stelle eine solche nicht erfordert. Diese "Zusatzqualifikation" des Klägers führt aber nicht dazu, dass von einem "krassen Missverhältnis" zwischen Anforderungsprofil und Qualifikation des Bewerbers gesprochen und dem Kläger keine ernsthafte Bewerbung unterstellt werden kann. Dies gilt umso mehr als der Kläger zum Zeitpunkt der Bewerbung (seit 12/21) laut seines Lebenslaufs eine Stelle als "Interimsmanager Media /Strategic Relations" innehatte, welche offensichtlich ebenfalls keine Führungsverantwortung beinhaltete (vgl. hierzu die detaillierte Tätigkeitsaufzählung im klägerischen Lebenslauf).

    bb) Auch aus dem Umstand, dass der Kläger in seinem Bewerbungsschreiben eine Gehaltsvorstellung in Höhe von rund 90.000,00 € geäußert hat, während die Beklagte für die Stelle ein Budget von max. 60.000,00 € veranschlagt hatte, kann nicht geschlossen werden, der Kläger habe seine Absage absichtlich provoziert. Denn zum einen enthält die Stellenausschreibung selbst keinerlei Angaben zu dem zu erwartenden Gehalt, so dass der Kläger keine Kenntnis vom Maximalbudget der Beklagten haben konnte. Zum anderen ist auch nicht erkennbar, dass die vom Kläger geäußerte Gehaltsvorstellung den üblichen, mit einer solchen Position verbundenen Gehaltsrahmen in einem solchen Maße übersteigt, dass von einer provozierten Stellenabsage gesprochen werden kann. Dabei kann offengelassen werden, ob das übliche Bruttojahresgehalt - wie die Beklagte meint - für vergleichbare Stellen bei etwa 60.000,00 € liegt oder - wie der Kläger vorträgt - bereits im Jahr 2021 ca. 82.000,00 € betrug. Denn selbst wenn man von einem objektiv für eine solche Stelle in einem Unternehmen wie der Beklagten durchschnittlich erwartbaren Gehalt in Höhe von 60.000,00 € brutto ausgehen wollte, ließe die Mitteilung einer Gehaltsvorstellung im Rahmen eines Bewerbungsschreibens von 90.000,00 € brutto pro Jahr dennoch keinen Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers zu, nachdem das Gehalt - wie die Beklagte selbst vorträgt - stark abhängig ist von Faktoren wie Unternehmensgröße, Umsatzverantwortung, Budgetverantwortung, etc. und nicht unterstellt werden kann, dass der Kläger bei seiner Bewerbung von diesen konkreten Faktoren Kenntnis hatte.

    cc) Soweit die Beklagte meint, das Bewerbungsschreiben des Klägers sei - bis auf einen Satz - nicht auf den konkreten Arbeitgeber abgestimmt gewesen, sondern vielfach verwendbar, was ebenfalls der Annahme entgegenstehe, dass die Bewerbung des Klägers durch ein Interesse an der Stelle motiviert gewesen sei, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Es existiert weder ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur derjenige, der in seinem Bewerbungsschreiben besonders auf den potenziellen Arbeitgeber eingeht, an der Stelle wirklich interessiert ist, noch der gegenteilige Erfahrungssatz, dass derjenige, dessen Bewerbungsschreiben diesen Vorgaben nicht entspricht, sich nur mit dem Ziel bewirbt, die formale Position des Bewerbers iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen zu können (so bereits BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 583/14).

    dd) Schließlich lässt auch die Tatsache, dass sich der Wohnsitz des Klägers zum Zeitpunkt der Bewerbung in Berlin befand, während es sich bei der ausgeschriebenen Stelle um eine Stelle in Heilbronn handelte, keinen Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers zu. Der Kläger hat hierzu bereits erstinstanzlich ausgeführt, dass seine Familie ihren Lebensmittelpunkt aus familiären Gründen gerne in den süddeutschen Raum verlegt hätte, wo ein Großteil der Familie wohnt. Warum diese Erklärung für die Beklagte nicht plausibel erscheint, ist für die Kammer wiederum nicht nachvollziehbar. Zudem ist der Kläger seit August 2023 als Sen. Manager Corporate Communications Germany in Frankfurt tätig, was zeigt, dass der Kläger örtlich flexibel war/ist.

    5. In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht hält die Kammer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung iHv. 1,5 auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten von 5.000,00 €, mithin eine Entschädigung iHv. 7.500 € für angemessen. Die Kammer schließt sich insoweit ausdrücklich den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils unter II. 6. an und macht sich diese zu eigen. Auch nach Ansicht der Berufungskammer besteht kein Anlass, von der bei einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes regelmäßig als angemessen anzusehenden Entschädigungshöhe von 1,5 Bruttomonatsentgelten abzuweichen. Gegen die Höhe der vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Entschädigung hat die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung im Übrigen auch keine Einwände vorgetragen.

    6. Der Kläger kann Prozesszinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 BGB verlangen. Die Verzinsungspflicht für Prozesszinsen beginnt nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit, die hier am 27. Juni 2023 eintrat (vgl. BAG 15. September 2009 - 9 AZR 645/08). Der Kläger hat daher erst ab 28. Juni 2023 Anspruch auf Prozesszinsen.

    III.

    1. Gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat die Beklagte die Kosten des weit überwiegend ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

    2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Die Kammer hat auf den konkreten Einzelfall bezogen bestehende höchstrichterliche Rechtssätze angewandt.

    Dr. HofherrKockenSchwartländer-Brand

    Verkündet am 07.11.2024

    Vorschriften§ 11 AGG, § 3 Abs. 1 AGG, § 15 Abs. 2 AGG, § 242 BGB, § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 66 ArbGG, § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG, § 6 Abs. 2 AGG, § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG, § 1 AGG, § 7 Abs. 1 AGG, § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG, § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG, § 22 AGG, §§ 8, 9, § 10 AGG, 10 AGG, § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB, § 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 ArbGG