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  • 09.05.2017 · IWW-Abrufnummer 193760

    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 29.01.2016 – L 1 KR 118/14


    Landessozialgericht Berlin-Brandenburg

    Urt. v. 29.01.2016

    Az.: L 1 KR 118/14

    In dem Rechtsstreit
    PraxisK
    Rstr., B
    - Klägerin und Berufungsbeklagte -
    Prozessbevollmächtigte/r:
    Rechtsanwälte & Steuerberater M
    Fstr., B
    Az.:
    gegen
    Deutsche Rentenversicherung Bund,
    Ruhrstraße 2, 10709 Berlin
    Az.:
    - Beklagte und Berufungsklägerin -
    1. SK
    Eallee, B
    2. Bundesagentur für Arbeit,
    vertreten durch Geschäftsführerin des Operativen Services
    der Agentur für Arbeit Berlin Mitte,
    Charlottenstraße 87 - 90, 10969 Berlin,
    Az.:
    3. Techniker Krankenkasse,
    Bramfelder Straße 140, 22305 Hamburg
    Az.:
    4. Techniker Krankenkasse
    Pflegeversicherung,
    Bramfelder Straße140, 22305 Hamburg
    Az.:
    - Beigeladene -
    zu 1 Prozessbevollmächtigte/r:
    Rechtsanwälte H,
    H, B

    hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ohne mündliche Verhandlung am 29. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht Weinert, den Richter am Landessozialgericht Pfistner und den Richter am Landessozialgericht Dr. Schneider sowie die ehrenamtliche Richterin Zimmermann und die ehrenamtliche Richterin Bela-van Eek für Recht erkannt:

    Tenor:

    Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2014 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst zu tragen haben.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5 000,00 € festgesetzt.

    Tatbestand

    Im Streit steht der Sache nach der sozialversicherungsrechtliche Status der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) (nachfolgend nur noch: "die Beigeladene") in ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 4. Mai 2009 bis 18. August 2010.

    Die Beigeladene ist zertifizierte zahnmedizinische Verwaltungshelferin sowie zertifizierte Praxismanagerin. Sie hat sich auf Abrechnungen von Zahnarztleistungen spezialisiert. Die Klägerin ist eine in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführte Zahnarztpraxis in B. Aufgrund eines Inserates der Beigeladenen kam sie mit dieser in Kontakt. Ein schriftlicher Vertrag wurde nicht geschlossen. Mündlich vereinbarten sie, dass die Beigeladene nach jeweils individueller Terminvereinbarung Abrechnungsleistungen in der Praxis der Klägerin erbringen sollte. Abgerechnet wurde stundenweise mit einem Stundensatz von 32,00 €.

    Die Beigeladene stellte am 18. Mai 2011 einen Antrag auf Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status.

    Die Beklagte stellte nach vorangegangener Anhörung mit Bescheid vom 24. Oktober 2011 fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen im Bereich von Abrechnungen von zahnärztlichen Leistungen bei der Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Es überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV).

    So werde die Tätigkeit am Betriebssitz des Auftraggebers ausgeübt. Die benötigten Arbeitsmittel würden von diesem zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich der Arbeitszeiten ergäben sich Einschränkungen aufgrund der Praxiszeiten. Der Einsatz eigener Arbeitsmittel sei nicht erforderlich. Es werde eine erfolgsunabhängige Stundenvergütung gezahlt und ein Unternehmerrisiko sei nach Aktenlage nicht erkennbar.

    Für selbständige Tätigkeit spräche lediglich, dass keine regelmäßigen Arbeitszeiten vereinbart seien und die Möglichkeit bestehe, bei Verhinderung eine Ersatzkraft zu stellen.

    Die Klägerin und die Beigeladene erhoben Widerspruch.

    Die Klägerin trug vor, die Beigeladene habe von Mai 2009 bis Mitte 2010 die Abrechnungen zahnärztlicher Leistungen nach BEMA und GOZ durchgeführt. Hierzu sei sie nach Bedarf und ihrer eigenen Entscheidung in die Praxis gekommen. In manchen Zeiten sei dies regelmäßig erfolgt, in anderen unregelmäßig, da sie lediglich als Urlaubs- oder Krankheitsvertretung für fest angestellte Mitarbeiter der Klägerin beauftragt worden sei. Seit Herbst 2010 sei die Beigeladene dann auf eigenen Wunsch lediglich nur noch für das Mahnwesen zuständig gewesen. Hinsichtlich des Arbeitsortes gebe es die standesrechtliche Einschränkung, dass Patientendaten nicht aus der Praxis des Arztes entfernt werden dürften. Die Beigeladene habe deshalb in einem Büro in den Räumen der Klägerin gearbeitet. Bei Verhinderung hätte sie eine Ersatzkraft stellen können.

    Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2012 zurück.

    Hiergegen hat die Klägerin am 23. Juli 2012 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur deren Begründung hat sie ihr außergerichtliches Vorbringen wiederholt und ergänzend vorgebracht, die von der Beigeladenen erbrachte Leistung sei grundsätzlich geeignet, auch selbständig von einem freien Mitarbeiter erbracht zu werden. Arztpraxen bedienten sich häufig spezieller Dienstleister. Die Beigeladene habe ihre Arbeitszeit frei bestimmen können. So schwankten die Beträge der eingereichten Rechnungen zwischen 1,25 Stunden bis 33,25 Stunden pro Monat.

    Die Beigeladene hat u. a. vorgebracht, die Beklagte verlange wohl Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen und Patientenrechte für eine Einordnung der ausgeübten Tätigkeit als selbständig. Die Überlassung von Patientendaten an eine externe Abrechnungsstelle sei Vertragsärzten verboten. In der Zeit von 2009 bis 2011 habe die Beigeladene ihre Tätigkeiten für mindestens fünf weitere Zahnarztpraxen ausgeübt.

    In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 27. Februar 2014 haben die Mitinhaberin der Klägerin K und die Beigeladene übereinstimmend erklärt, dass die Tätigkeit der Beigeladenen für die Praxis lediglich bis zum 18. August 2010 ausgeübt worden sei.

    Mit Urteil vom selben Tag (Zustellung: 21. März 2014) hat das SG den Bescheid vom 24. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2012 aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 4. Mai 2009 bis 18. August 2010 nicht der Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe. Nach dem Gesamteindruck überwögen hier die Merkmale, die gegen eine abhängige Beschäftigung sprächen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 11. April 2014. Zur Begründung hat sie u. a. ausgeführt, das Urteil sei in sich widersprüchlich, weil die Beigeladene einerseits über das alleinige Know-how verfügt haben solle, andererseits aber Streitigkeiten über Abrechnungsdetails angeführt worden seien. Die Beigeladene sei in den Betriebsablauf eingegliedert gewesen und habe nicht abgrenzbare Vorbereitungsarbeiten ausgeführt, ohne diese im Sinne eines Endproduktes vollumfänglich zum Abschluss zu bringen (Bezugnahme auf Urteil des Bayerischen LSG vom 13. November 2008 - L 5 KR 50/07 - zu einer Steuergehilfin).

    Die Beklagte beantragt,

    das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Die Beigeladene habe die Abrechnungen selbständig vorgenommen und habe dabei nicht auf Weisungen der Klägerin Rücksicht nehmen müssen. Eine flexible Arbeitszeitgestaltung sei - entgegen der Auffassung der Beklagten - in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis unüblich. Dem widerspreche nicht, dass es auch unterschiedliche Auffassungen bei einer Abrechnung geben könne. Es sei aber gerade ein Merkmal für die Selbständigkeit der Beigeladenen, dass hier Streitfragen aufgetaucht seien. In einer abhängigen Beschäftigung würde der Arbeitgeber den Arbeitnehmer schlicht anweisen. Auch wenn natürlich die Klägerin die Abrechnung in ihrer Praxis selbst unterzeichnet habe, habe sie nicht über das Know-how verfügt, das für die Erstellung entsprechender Abrechnungen benötigt werde. Arbeitsbezogene Weisungen seien deshalb nicht möglich gewesen.

    Entscheidungsgründe

    Es konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden. Alle Beteiligten haben hierzu ihr Einverständnis erteilt, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

    Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist abzuweisen, da der streitgegenständliche Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

    Der Eintritt von Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung wegen Aufnahme einer abhängigen Tätigkeit bestimmt sich nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch, § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, § 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch und § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch. Die für den Eintritt von Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung sowie der Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung danach erforderliche Beschäftigung wird in § 7 Abs. 1 SGB IV näher definiert. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Abzugrenzen ist die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird. Dieses Merkmal ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliegt. Dabei kann sich die Weisungsgebundenheit insbesondere bei Diensten höherer Art zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinern. Dagegen ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit vorliegt, richtet sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen (vgl. zum Ganzen BSG Urt. v. 25. April 2012 - B 12 KR 24/10 R - [...]Rdnr. 16). Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Klägerin für die Beigeladene im Rahmen einer Beschäftigung oder als Selbständige tätig wurde, sind die für ihre Tätigkeit maßgebliche vertraglichen Vereinbarungen.

    Hier ist zwar mit dem SG davon auszugehen, dass die Klägerin und die Beigeladene eine Beschäftigung auf freier Basis vereinbaren wollten.

    Allerdings ist bereits die Vereinbarung von Dienstleistungen und nicht von Werkleistungen und deren Abrechnung nach Stunden und nicht nach den Werken (z. B. nach erstellten Abrechnungen) ein Indiz für eine vertragliche Bindung auf Basis abhängiger Beschäftigung. Nach der Vereinbarung sollte die Arbeit in den Räumen der Praxis unter Verwendung des dortigen Equipments (insbesondere PC) erfolgen. Die Tätigkeiten sollten sich insoweit grundsätzlich von denen einer (privatärztlichen) Abrechnungsstelle unterscheiden, die - ähnlich wie z. B. auch Steuerberater oder Rechtsanwälte - in eigenem Namen in Vollmacht den Patienten Rechnungen erteilen.

    Indessen ergibt sich das Entstehen von Versicherungspflicht ohnehin aus dem Gesetz. Entsprechend kann sie nicht Gegenstand einzelvertraglicher Vereinbarungen sein. Entscheidend für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist deswegen die tatsächliche Ausgestaltung der Verhältnisse, welchen gegebenenfalls sogar stärkeres Gewicht als abweichenden vertraglichen Regelungen zukommen kann (BSG Urt. v. 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R - [...]Rdnr. 17; Urt. v. 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R - [...]Rdnr. 17).

    Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV entscheidet über das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung insbesondere das Ausüben einer Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

    Der Senat ist hier zu der Überzeugung gelangt, dass die Beigeladene jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht einem Weisungsrecht unterlegen hat.

    In der praktischen Umsetzung der mündlichen Vereinbarung stellte sich die Tätigkeit der Beigeladenen als in den Praxisbetrieb integriert dar.

    Die Beigeladene arbeitete in der Praxis und unter Verwendung der dortigen Hard- und Software. Sie erstellte die Rechnungen, Mahnungen und Abrechnungen nicht wie eine privatärztliche Abrechnungsstelle in eigenem Namen. Sie trat vielmehr im Außenverhältnis nicht in Erscheinung. Ihre Arbeitsergebnisse stellten sich für die Praxisinhaberinnen als Entwürfe dar.

    Dass die Beigeladene aufgrund von datenschutzrechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Patientendaten in der Praxis tätig sein musste, spricht auch nicht gegen eine Weisungsgebundenheit im Sinne einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess. Im Ergebnis führt diese Pflicht faktisch zu einer Einordnung in den Praxisbetrieb.

    Zu Recht hat die Beklagte ferner mit Gewicht darauf abgestellt, dass das fehlende Unternehmerrisiko - bezogen auf die Tätigkeit bei der Klägerin - ein Indiz für fehlende Selbständigkeit darstellt.

    Bei Gelegenheitsarbeitsverhältnissen ist es weiter nicht ausgeschlossen, dass die Arbeit nur zu den Zeiten und zu den Bedingungen stattfindet, zu welchen der Arbeitnehmer bereit ist.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

    Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um einen Einzelfall.

    Der Beschluss zur Streitwertfestsetzung, der unanfechtbar ist, folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 Gerichtskostengesetz.

    RechtsgebietSGB IVVorschriftenSGB IV § 7 Abs. 1