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  • 27.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140663

    Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 17.12.2013 – 26 U 54/13

    Ein Zahnarzt hat einen Patienten über eine prothetische Versorgung mittels Einzelkronen oder einer Verblockung vollständig aufzuklären, wenn beide Behandlungsmethoden medizinisch gleichermaßen indiziert und üblich sind und wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, so dass der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat.


    Oberlandesgericht Hamm

    26 U 54/13

    Tenor:

    Die Berufung des Beklagten gegen das am 6. Februar 2012 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

    Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Beklagten auferlegt.

    Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Gründe:

    I.

    Die am 29.12.1942 geborene Klägerin hat von dem Beklagten wegen vermeintlicher zahnärztlicher Behandlungsfehler in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 6.000 € für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes, die Zahlung von Anwaltskosten für die Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung, die Zahlung vorgerichtlichen sonstiger Anwaltskosten an die Rechtschutzversicherung und die umfassende Feststellung weitergehender Ersatzpflicht begehrt.

    Das Landgericht hat die Klage lediglich hinsichtlich der Kosten für die Einholung einer Deckungszusage und hinsichtlich der Feststellung der Ersatzpflicht für vorhersehbare immaterielle Schäden abgewiesen. Im übrigen hat es der Klage stattgegeben und auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 €, die Zahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten an die Rechtschutzversicherung und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht erkannt.

    Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der das erstinstanzliche Begehren auf Klageabweisung weiter verfolgt. Er stellt weiterhin das Vorliegen von Behandlungsfehlern in Abrede. Er hafte auch nicht wegen Aufklärungsversäumnissen.

    Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.

    Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gem. den §§ 540, 313a Abs.1, 543, 544 ZPO n.F. i.V.m. § 26 Nr.8 EGZPO abgesehen und auf die erstinstanzliche Entscheidung sowie die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. B. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 17.12.2013 verwiesen.

    II.

    Die Berufung ist unbegründet.

    1.

    Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht der Klage auf Schmerzensgeld im erkannten Umfang stattgegeben.

    a.

    Zwar haben sich Behandlungsfehler gemäß den §§ 611, 280, 249 ff., 253 Abs.2 BGB auch bei der Anhörung durch den Senat nicht feststellen lassen. Insbesondere lässt sich nicht ausschließen, dass die Bisssituation sich zunächst als korrekt dargestellt und erst nachträglich verändert hat.

    b.

    Der Beklagte jedoch haftet im erkannten Umfang bereits gem. den §§ 823, 253 Abs.2, 249 ff. BGB für sämtliche Folgen der Behandlung, soweit diese mangels wirksamer Einwilligung der Klägerin insgesamt rechtswidrig gewesen ist:

    Die Klägerin rügt insoweit mit Erfolg, dass sie über die alternative Möglichkeit der Anfertigung von Einzelkronen nicht informiert worden sei.

    Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die auch vom erkennenden Senat getragen wird, ist die Wahl der Behandlungsmethode zwar primär Sache des Arztes. Gibt es jedoch mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, besteht demnach also eine echte Wahlmöglichkeit für die Patientin, dann muss dieser nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko sie sich einlassen will (vgl. BGH-Urteil v. 15.03.2005 - VI ZR 313/03 -, Juris-Veröffentlichung unter Rz. 10; Steffen / Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Auflage, Rdn.449 m.w.N.).

    Eine solche echte und deshalb mit der Patientin insbesondere zur Wahrung seines Selbstbestimmungsrechtes zu besprechende Alternative hat hier hinsichtlich einer Herstellung von Einzelkronen im Oberkiefer bestanden.

    Nach den überzeugenden Erläuterungen des Sachverständigen in seiner erstinstanzlichen schriftlichen Begutachtung und bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat haben Einzelkronen Vorteile gegenüber der Verblockung, weil sie nicht nur ästhetisch ansprechender sind, sondern auch besser - etwa durch den Gebrauch von Zahnseide - zu reinigen sind. Der Sachverständige hat deshalb im vorliegenden Fall für den Oberkiefer die Versorgung mit Einzelkronen sogar als erste Wahl bezeichnet.

    Überdies hat er aus medizinischer Sicht bereits bei seiner Anhörung durch das Landgericht eine entsprechende Besprechung mit der Patientin als angezeigt angesehen. Auch der Senat geht bei dieser Sachlage bei juristischer Bewertung davon aus, dass jedenfalls eine Aufklärungspflicht hinsichtlich der Versorgung mit Einzelkronen im Oberkiefer bestanden hat.

    Der Beklagte hat nicht den ihm obliegenden Beweis geführt, dass er dieser Aufklärungspflicht genügt hat. Er hat dazu bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht, deren Protokollierung er vor dem Senat als zutreffend bestätigt hat, erklärt, dass er sich nicht erinnern könne, dass vor der Behandlung über Einzelkronen oder über eine Verblockung gesprochen worden sei. Er habe die Maßnahmen durchgeführt, die er medizinisch sinnvoll erachtet habe.

    Mangels hinreichender Aufklärung war deshalb die Einwilligung der Klägerin in die Versorgung mit Einzelkronen im Oberkiefer unwirksam. Der Beklagte haftet demnach für alle Folgen der Verblockung im Oberkiefer.

    Die Unterkieferversorgung hat der Sachverständige dagegen nicht beanstandet; insbesondere stellten dort Einzelkronen keine echte Alternative dar.

    Der Senat ist davon überzeugt, dass die von der Klägerin geschilderten und von dem Sachverständigen für plausibel gehaltenen Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme wegen mangelnder Mundöffnung, die Überempfindlichkeit sämtlicher Zähne und die Ohrenschmerzen rechts tatsächlich vorgelegen haben.

    Auf dieser Basis erscheint das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld gerechtfertigt; der Senat hat keine Veranlassung, von der Bewertung des Landgerichts abzuweichen.

    2.

    Auch der Feststellungsausspruch ist begründet.

    Der Beklagte ist zum Ersatz aller materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden verpflichtet, soweit sie sich auf die Verblockung der Kronen im Oberkiefer beziehen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 713, 543 ZPO.

    Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

    RechtsgebietBGBVorschriften§§ 823, 253, 249ff BGB