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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Die GOZ als Umsatzsteuerfalle für Zahnärzte? - Darstellung anhand des Beispiels „Brackets“

    von Steuerberater und Betriebswirt Thomas Ketteler-Eising, Laufenberg Michels und Partner, Köln, www.laufmich.de 

    | In seiner März-Ausgabe hatte der ZWD unter dem Titel „Sind Zahnärzte bald im Visier des Finanzamts?“ (Seite 1) berichtet, dass Zahnärzte künftig verstärkt im Fokus der Außenprüfer des Finanzamts stehen. Hintergrund war eine Pressemitteilung des Bundesrechnungshofs vom 10. Dezember 2013, die hierauf hindeutete. Umso wichtiger ist es daher, dass die vom Zahnarzt erbrachten Leistungen umsatzsteuerlich zutreffend abgewickelt werden. Erhebliche Unsicherheiten bestehen vor allem mit Blick auf die GOZ 2012. Anhand eines Fallbeispiels klärt der Beitrag die offenen Fragen. |

    Fallbeispiel kieferorthopädische Leistungen

    Der geschilderte Praxisfall stellt die umsatzsteuerlichen Auswirkungen und Risiken der GOZ 2012 am Beispiel einer Maßnahmen zur Umformung eines Kiefers einschließlich Retention mittels Brackets dar. Hieraus ergibt sich eine Argumentationskette, die der Zahnarzt im Falle eines Falles den Prüfern des Finanzamts entgegenhalten kann.

     

    Die Regelungen der GOZ und ihre Auswirkungen

    Bei Maßnahmen zur Umformung eines Kiefers einschließlich Retention mittels Brackets werden - neben der Versorgung mit kieferorthopädischen Standardmaterialien - in der Zahnarztpraxis regelmäßig auf Wunsch vieler Patienten auch höhere Standards eingesetzt.

     

    Beispiele für höherwertige Materialien sind programmierte Edelstahlbrackets, Minibrackets, „ästhetische“ Brackets aus zahnfarbenen Materialien (Keramik oder Kunststoff) sowie Lingualbrackets auf den Zahninnenseiten. Manchmal werden die Brackets durch eine Reihe fast unsichtbarer dünner Kunststoffschienen („Invisalign“) ersetzt, die herausnehmbar sind.

     

    Zwei Motive des Patienten denkbar

    Für das Bedürfnis des Patienten nach der Verwendung besonderer Materialien sind dabei zwei Auslöser grundsätzlich denkbar: Entweder möchte der Patient die Neuerungen durch den medizinischen Fortschritt nutzen, oder aber seine Entscheidung ist ästhetisch motiviert - durch den Wunsch nach einem weiterhin „schönen Lächeln“.

     

    Die korrekte Abrechnung der Mehrkosten

    Die Leistungen nach den Nummern 6100, 6120, 6140 und 6150 in Kapitel G beinhalten nach dem Kommentar der Bundeszahnärztekammer zur GOZ, Kapitel G, Allgemeine Bestimmungen, auch die Material- und Laborkosten für Standardmaterialien wie zum Beispiel unprogrammierte Edelstahlbrackets, unprogrammierte Attachments und Edelstahlbänder. Werden stattdessen höherwertige Materialien verwendet, können die hierauf entfallenden Mehrkosten zusätzlich berechnet werden. Voraussetzung für die gesonderte Berechnung der Materialien ist allerdings eine vorab getroffene schriftliche Vereinbarung nach persönlicher Absprache mit dem Zahlungspflichtigen.

    Wie ist die Leistung umsatzsteuerlich einzuordnen?

    Zahnärztliche Heilbehandlungsleistungen sind - soweit es sich nicht um zahntechnische Eigenlaborleistungen handelt - von der Umsatzsteuer befreit. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist die medizinische Indizierung der erbrachten Leistung. Diese ist bei kieferorthopädischen Leistungen, die der Beseitigung oder Verbesserung von Zahnstellungs- bzw. Kieferanomalien dienen, dem Grundsatz nach zweifelsfrei gegeben.

     

    Was aber ist mit den (Mehr-)Kosten, die der Patient seinem Aussehen zuliebe trägt? Ist auf diese Kosten noch die Umsatzsteuer zusätzlich aufzuschlagen? Wird durch die Inanspruchnahme der zusätzlichen Leistungen möglicherweise sogar die gesamte Behandlung „infiziert“ und damit steuerpflichtig?

     

    Ausgangsbasis: Urteil des Finanzgerichts Münster zu LASIK-Operationen

    Bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen kann auf ein Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom 8. Oktober 2009 (Az. 5 K 3452/07, Abruf-Nr. 101093) zurückgegriffen werden. Es betraf die Umsatzsteuerfreiheit von LASIK-Operationen im Bereich der Augenheilkunde. In seiner Urteilsbegründung führt das FG aus, dass die Laserbehandlung der Beseitigung einer Fehlsichtigkeit diene und damit operativ zur Heilung einer Krankheit führe.

     

    Soweit sich durch diese Behandlung zum Beispiel das Tragen von Brillen oder Kontaktlinsen erübrigt, mag dies für den einzelnen Patienten auch einen ästhetischen und kosmetischen Zweck erfüllen. Dieser überlagert aber in keinem Fall den vorrangigen Zweck der dauerhaften Heilung der Fehlsichtigkeit. Ein Vergleich mit medizinisch nicht indizierten Schönheitsoperationen scheidet daher nach Auffassung des Finanzgerichts aus, da diese gerade nicht der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen. Dass die Kosten der LASIK-Behandlungen von den Krankenkassen nicht übernommen werden, steht dem vorgenannten Ergebnis nicht entgegen.

     

    Übertragung auf kieferorthopädische Leistungen

    Der vom FG Münster entschiedene Fall ist unseres Erachtens in den wesentlichen Aspekten mit der Durchführung kieferorthopädischer Behandlungen unter Verwendung bestimmter - (auch) aus ästhetischen Gründen ausgewählter - Materialien vergleichbar. Hauptziel jedes Patienten, der sich in eine kieferorthopädische Behandlung begibt, ist die Beseitigung oder Verbesserung von Zahnstellungs- bzw. Kieferanomalien und damit der Schutz bzw. die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung seiner Gesundheit.

     

    Zwar mag die Wahl bestimmter hochwertiger Materialien und Behandlungsmethoden bei der medizinisch indizierten kieferorthopädischen Behandlung durch einen ästhetischen Wunsch des Patienten veranlasst sein („Wenn schon Brackets, dann doch bitte so unauffällig wie möglich“) - dieser Wunsch überlagert jedoch unseres Erachtens - ebenso wie bei LASIK-Operationen - nicht das im Vordergrund stehende Ziel, Zahnstellungs- bzw. Kieferanomalien beseitigen zu lassen. Es ist jedenfalls ausgeschlossen, dass sich ein Patient ohne Zahnstellungs- bzw. Kieferanomalien allein aus ästhetischen Gründen mit Brackets versorgen lässt.

     

    Kieferorthopädische Behandlung insgesamt medizinisch indiziert

    Die Wahl bestimmter Materialien und Behandlungsmethoden dient somit allein dazu, die kieferorthopädisch notwendige und damit medizinisch indizierte Behandlung für den Patienten möglichst angenehm zu gestalten. Damit lassen sich unseres Erachtens die vom FG Münster zu LASIK-Operationen aufgestellten Grundsätze übertragen.

     

    Somit handelt es sich bei der kieferorthopädischen Behandlung - unabhängig von der Auswahl der Materialien - insgesamt um eine medizinisch indizierte Heilbehandlung im Sinne der Umsatzsteuerbefreiung.

     

    Behandlung als einheitliche Leistung

    Zudem stellt die Behandlung aus Sicht des Patienten eine einheitliche Leistung dar. Eine künstliche Aufteilung in zwei Leistungen, von denen eine als Heilbehandlung steuerfrei und eine als ästhetische Leistung steuerpflichtig wäre, ist unseres Erachtens nicht sachgerecht. Allein die Verwendung bestimmter Materialien auf Wunsch des Patienten kann umsatzsteuerlich keine eigenständige - und steuerpflichtige - Leistung darstellen.

     

    FAZIT | Auch nach den Neuerungen durch die GOZ 2012 muss man nach unserem Dafürhalten zu dem Ergebnis kommen, dass eine kieferorthopädische Behandlung unter Einsatz von Brackets vollständig umsatzsteuerbefreit ist - und zwar auch dann, wenn anstelle der Standardmaterialien aus ästhetischen Gründen auf Wunsch des Patienten besondere Materialen wie optisch weniger auffällige Brackets verwendet werden.

     

    Mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung oder offizieller Stellungnahme der Finanzverwaltung zur umsatzsteuerlichen Behandlung solcher konkreten Fälle kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass das Finanzamt beispielsweise im Rahmen einer Außenprüfung eine andere Auffassung vertritt. Aus den aufgeführten Gründen bestehen aber gute Chancen, eine Umsatzsteuerfreiheit der kieferorthopädischen Leistung insgesamt gegenüber dem Finanzamt durchzusetzen - spätestens im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens unter Berufung auf das Urteil des Finanzgerichts Münster.

     

    Die in diesem Beitrag dargestellte Argumentation für die Umsatzsteuerfreiheit im Hinblick auf Brackets lässt sich auch auf andere zahnärztliche Leistungen übertragen - zum Beispiel auf die Füllung eines Zahns mit Amalgam oder alternativ mit den Materialien Gold, Keramik oder Kunststoff.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Einen Hintergrundbeitrag zur Frage, wie sich Verlangensleistungen in der GOZ 2012 nach der Neufassung von § 2 Abs. 3 S. 1 GOZ umsatzsteuerlich auf die Zahnarztpraxis auswirken, finden Sie in ZWD 09/2012, Seite 1.
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 1 | ID 42689200